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Beginn der Entscheidung

Gericht: Landesarbeitsgericht Berlin
Urteil verkündet am 07.07.2006
Aktenzeichen: 13 Sa 600/06
Rechtsgebiete: BetrAVG


Vorschriften:

BetrAVG § 1
Eigene Betriebsrente und Hinterbliebenenversorgung aufgrund einer Betriebsrente können nach der Satzung einer Unterstützungskasse aufeinander angerechnet werden, sofern dies nicht zum völligen Wegfall einer Betriebsrente führt.
Landesarbeitsgericht Berlin Im Namen des Volkes Urteil

13 Sa 600/06

Verkündet am 07.07.2006

In Sachen

hat das Landesarbeitsgericht Berlin, 13. Kammer, auf die mündliche Verhandlung vom 07.07.2006 durch den Vorsitzenden Richter am Landesarbeitsgericht Dr. F. als Vorsitzender sowie die ehrenamtlichen Richter Frau L. und Herrn H.

für Recht erkannt:

Tenor:

1. Die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des Arbeitsgerichts Berlin vom 25.01.2006 - 29 Ca 22212/05 - wird auf ihre Kosten bei einem Streitwert von 10.555,56 € zurückgewiesen.

2. Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand:

Die Parteien streiten um die Höhe einer Witwenrente.

Die am ...1940 geborene Klägerin war bei dem Beklagten beschäftigt, ihr verstorbener Ehemann bei der Gewerkschaft H.. Beide Arbeitgeber bedienen sich der Unterstützungskasse des D, um Altersrente zu zahlen. Auf beide Arbeitgeber findet die Unterstützungsrichtlinie der Unterstützungskasse des D e. V. Anwendung (im Folgenden: UR).

Dort heißt es unter § 20 Zusammentreffen von Leistungen in Absatz 1:

"Erfüllt ein Berechtigter die Voraussetzungen für den Bezug von Unterstützung aus einem eigenen Arbeitsverhältnis und als Hinterbliebener, so ruht die Hinterbliebenenunterstützung in Höhe von 75 v. H. der geringeren Leistung."

Die Klägerin bezieht seit dem 1.12.2004 Witwenrente durch die Unerstützungskasse des D. Seit ihrer eigenen Verrentung erhält sie von dem Beklagten eine Altersunterstützung in Höhe von zuletzt 390,95 €. Der Ehemann der Klägerin erhielt eine Altersrente in Höhe von 759,92 €.

Mit Schreiben vom 5.4.2005 teilte die Unterstützungskasse des D e. V. der Klägerin mit, dass sie ab 1.12.2004 eine Unterstützungsleistung von monatlich brutto 162,74 € als Witwenunterstützung beziehe. In der Anlage zu diesem Schreiben (vgl. dazu die Anlage in Kopie Bl. 8 d.A.) wurde die Berechnung der Witwenunterstützung dargestellt.

Mit ihrer beim Arbeitsgericht Berlin am 17.19.2005 eingegangenen Klage hat die Klägerin über die ihr zugesprochene Rente hinaus weitere 293,21 € brutto monatlich verlangt, den unstreitigen Anrechnungsbetrag.

Sie hält die Anrechnung gem. § 20 Abs. 1 UR für gleichheitswidrig. Witwen, deren Ehegatten nicht bei einem Arbeitgeber tätig gewesen seien, der eine betriebliche Altersversorgung nach der UR zugesagt hätte, hätte eine Minderung aufgrund der Anrechnung nicht zu befürchten. Für die Ungleichbehandlung gebe es keinen rechtfertigenden Grund.

Das Arbeitsgericht Berlin hat mit Urteil vom 25.1.2006 die Klage abgewiesen und zur Begründung im Wesentlichen ausgeführt, dass die Klägerin nach § 20 Abs. 1 UR unstreitig keinen höheren Anspruch habe als den von dem Beklagten zugestanden. § 20 Abs. 1 UR verstoße auch nicht gegen höherrangiges Recht, insbesondere nicht gegen die Artikel 3 GG. Bei der Anrechnung von eigenen Arbeitseinkünften eines Hinterbliebenen im Rahmen einer Gesamtversorgung auf betriebliche Hinterbliebenenleistung sei zu berücksichtigen, dass die Betriebsrente auf die Deckung eines bestimmten Versorgungsbedarfs gerichtet sei. Die gleichartige Versorgungsfunktion des eigenen Einkommens und der Hinterbliebenenversorgung stelle im Prinzip einen sachlichen Grund für die Ungleichbehandlung dar. Im Hinblick auf Artikel 3 Abs. 1 GG sei aufgrund der Rechtsprechung allerdings ein - wenn auch geringer - Abstand zu vergleichbaren Versorgungsberechtigten ohne eigene Arbeitseinkünfte zu wahren. Die Anrechnung dürfe also nicht zu einer völligen Aufzehrung der anzurechnenden Leistung führen, was vorliegend aber auch nicht gegeben sei.

Sofern die Klägerin rüge, dass sie gegenüber Witwen, deren Ehemann nicht beim D bzw. dessen Gewerkschaften beschäftigt gewesen sei, schlechter gestellt werde, so begründe auch dies keinen Anspruch auf eine höhere Witwenunterstützung. Hier komme nämlich das Solidarprinzip zum Tragen. Der einzelne Unterstützungsempfänger solle nicht die Solidargemeinschaft "über Gebühr" in Anspruch nehmen, indem er mehrere volle Unterstützungsleistungen, die er sich auch nur zum Teil selbst verdient habe, beziehe. Insoweit stelle es ein berechtigtes Motiv der Beklagten dar, insoweit durch Kürzung eines der zusammentreffenden Ansprüche gegen denselben Versorgungsträger diesen aus Ersparnisgründen anteilig zu kürzen. Eine Witwe, deren Ehemann gerade nicht bei einer Gewerkschaft des D beschäftigt gewesen sei, hätte gegen die genannte Unterstützungskasse eben nur einen geringeren Anspruch, würde also die Solidargemeinschaft auch nur in geringerem Umfang in Anspruch nehmen. Aus diesem Gesichtspunkt rechtfertige sich vorliegend eine Ungleichbehandlung.

Wegen der weiteren konkreten Begründung des Arbeitsgerichts und des Parteivortrags erster Instanz wird auf das arbeitsgerichtliche Urteil vom 25.1.2006 (Bl. 67 - 72 d.A.) verwiesen.

Gegen dieses ihr am 6.3.2006 zugestellte Urteil richtet sich die am 3.4.2006 beim Landesarbeitsgericht Berlin eingegangene und am 19.5.2006 nach Verlängerung der Berufungsbegründungsfrist bis zum 22.5.2006 begründete Berufung der Klägerin.

Sie wiederholt und vertieft ihren Vortrag erster Instanz und hält weiterhin einen Verstoß gegen den Gleichbehandlungsgrundsatz durch die Anrechnung nach § 20 Abs. 1 UR für gegeben.

Die Klägerin beantragt,

unter Abänderung des Urteils des Arbeitsgerichts Berlin vom 22.1.2006 - 29 Ca 22212/05 -

1. den Beklagten zu verurteilen, der Klägerin eine weitere Versorgungsrente in Höhe von monatlich 293,21 € brutto seit dem 1.12.2004 nebst 5 % Zinsen über dem Basiszinssatz aus 293,21 € seit dem 1.1.2005, 1.2.2005, 1.3.2005, 1.4.2005, 1.5.2005, 1.6.2005, 1.7.2005, 1.8.2005, 1.9.2005, 1.10.2005, 1.11.2005, 1.12.2005, 1.1.2006, 1.2.2006, 1.3.2006, 1.4.2006 und 1.5.2006 zu verschaffen;

hilfsweise zum Antrag zu 1) den Beklagten zu verurteilen, an die Klägerin eine weitere Versorgungsrente in Höhe von monatlich 293,21 € brutto seit dem 1.12.2004 nebst 5 % Zinsen über dem Basiszinssatz aus 293,21 € seit dem 1.1.2005, 1.2.2005, 1.3.2005, 1.4.2005, 1.5.2005, 1.6.2005, 1.7.2005, 1.8.2005, 1.9.2005, 1.10.2005, 1.11.2005, 1.12.2005, 1.1.2006, 1.2.2006, 1.3.2006, 1.4.2006 und 1.5.2006 zu zahlen,

2. festzustellen, dass der Beklagte verpflichtet ist, der Klägerin ab dem 1.6.2006 Witwenrente ohne Kürzung der vollen Witwenrente um 75 % der Versorgungsrente der lägerin zu verschaffen.

Der Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Der Beklagte verteidigt das erstinstanzliche Urteil.

Wegen des konkreten Vortrags der Parteien in der zweiten Instanz wird auf die Schriftsätze der Klägerin vom 18.5.2006 (Bl. 90 ff. d.A.) und 27.6.2006 (Bl. 110 ff. d.A.), die persönliche Erklärung der Klägerin vom 24.6.2006 (Bl. 117 d.A.) und den Schriftsatz des Beklagten vom 9.6.2006 (Bl. 102 ff. d.A.) verwiesen.

Entscheidungsgründe:

I.

Die gemäß §§ 8 Abs. 2; 64 Abs. 1, Abs. 2 b; 66 Abs. 1 Satz 1 und Satz 5 ArbGG; §§ 519; 520 Abs. 1 und Abs. 3 ZPO zulässige Berufung der Klägerin ist insbesondere form- und fristgemäß eingelegt und begründet worden.

II.

In der Sache hat die Berufung jedoch keinen Erfolg. Sowohl im Ergebnis als auch in der Begründung zu Recht hat das Arbeitsgericht Berlin die Klage abgewiesen. Das Landesarbeitsgericht folgt dem Arbeitsgericht und sieht daher von einer ausführlichen Begründung gemäß § 69 Abs. 2 ArbGG ab.

In Hinblick auf den Vortrag in der zweiten Instanz, die mündliche Verhandlung vom 7.7.2006 und die persönliche Erklärung der Klägerin wird nur auf Folgendes hingewiesen:

1.

Das Bundesarbeitsgericht hat sich bereits in mehreren Entscheidungen mit betrieblichen Regelungen befasst, durch die der im Grundsatz eingeräumte Anspruch auf Witwenrente beschränkt wurde. Dabei ging es um Bestimmungen, nach denen die Witwe eines früheren Arbeitnehmers dann keinen Anspruch auf betriebliche Versorgungsleistungen haben sollte, wenn sie mehr als 25 Jahre jünger als ihr verstorbener Ehemann war, in jüngster Zeit, wenn sie nur mehr als 15 Jahre jünger als ihr verstorbener Ehemann war (vgl. BAG 27.6.2006 - 3 AZR 352/05 - ) sowie um Klauseln, nach denen ein Getrenntleben der Eheleute im Zeitpunkt des Todes des früheren Arbeitnehmers anspruchsschädlich sein soll. Ferner hat das Bundesarbeitsgericht über eine Regelung entschieden, wonach der Anspruch auf Witwenversorgung voraussetzte, dass die Ehe vor dem Eintritt des Versorgungsfalles oder vor dem vorzeitigen Ausscheiden geschlossen worden war und bis zum Zeitpunkt des Todes des Ehemannes mindestens zwei Jahre bestanden hatte. Ähnliche Spätehenklauseln wurden in weiteren Urteilen 1997 und 2000 entschieden. Schließlich hat das Bundesarbeitsgericht die Regelung in einer Pensionsordnung, die den Anspruch auf Witwenrente davon abhängig macht, dass die Begünstigte im Zeitpunkt des Todes des Arbeitnehmers das 50. Lebensjahr vollendet hat, nicht beanstandet (vgl. zu der ständigen Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts nur BAG 19.2.2002 - 3 AZR 99/01 - EzA § 1 BetrAVG Hinterbliebenenversorgung Nr. 10, zu II 1 der Gründe mit weiteren Nachweisen aus der Rechtsprechung; vgl. auch Ahrend/Förster/Rühmann, Betriebsrentengesetz, 10. Auflage 2005, § 1 Rdziff. 49 mit weiteren Nachweisen).

Das Bundesarbeitsgericht hat alle genannten Bestimmungen auch unter Berücksichtigung der verfassungsrechtlichen Wertungen aus Artikel 6 Abs. 1 und Artikel 3 Abs. 1 GG als wirksam angesehen. Soweit das Bundesverfassungsgericht deshalb angerufen worden ist, hat es diese Rechtsprechung gebilligt. Das Schrifttum ist dem beigetreten (vgl. nur BAG 19.2.2002, a.a.O., mit weiteren Nachweisen aus dem Schrifttum).

2.

Die streitbefangene Klausel unterscheidet sich zwar von den bisher in der Rechtsprechung behandelten Beschränkungen eines Anspruchs auf Hinterbliebenenversorgung. Auch sie begegnet jedoch keinen durchgreifenden rechtlichen Bedenken.

a) Die Anrechnung von Witwen- und eigener Rente aufeinander steht nicht in zwingendem Gegensatz zu Artikel 6 Abs. 1 GG. Der Schutzauftrag an die staatlichen Gerichte, den Schutz von Ehe und Familie unter bestimmen Bedingungen in einem Mindestumfang im Rahmen privater Rechtsbeziehungen sicher zu stellen, gebietet kein Einschreiten. Die UR knüpft weder an die Eheschließung noch an eine bestimmte von Eheleuten gewählte Form ehelicher Partnerschaft nachteilige betriebsrentenrechtliche Folgen. Zwar würde bei einem nicht verheirateten Paar die Anrechnungsklausel des Art. 20 Abs. 1 UR nicht greifen, dafür würde die Hinterbliebene in einem solchen Fall aber auch keine Witwenrente erhalten, wäre also schlechter gestellt als die Klägerin in einem vergleichbaren Fall. Anrechnungskriterium ist daher nicht die Ehe, sondern die Ansprüche aus zwei betriebsrentenrechtlichen Anspruchsgrundlagen, die aufeinander angerechnet werden.

b) Die Anrechnung verstößt auch nicht gegen Artikel 3 Abs. 1 GG oder sonstige Gleichbehandlungsgebote.

aa) Ein Arbeitgeber ist darin frei, ob er überhaupt eine eigenfinanzierte betriebliche Altersversorgung zugunsten der bei ihm Beschäftigten einrichtet. Entschließt er sich hierzu, ist er weiter frei, für welchen der in § 1 Abs. 1 BetrAVG genannten Versorgungsfälle er Leistungen in Aussicht stellt. Er kann Leistungen der Hinterbliebenenversorgung versprechen, muss es aber nicht. Es ist deshalb auch von Rechts wegen nicht zu beanstanden, wenn zwar Leistungen der Hinterbliebenenversorgung vorgesehen, der Kreis der anspruchsberechtigten Dritten aber auch durch zusätzliche anspruchsbegründende oder besondere anspruchsausschließende Merkmale begrenzt wird. Dies liegt gerade im Bereich der Hinterbliebenenversorgung nahe, weil ein dahingehendes Leistungsversprechen zusätzlich Unwägbarkeiten und Risiken in sich birgt, was den Zeitpunkt des Leistungsfalls und die Dauer der Leistungserbringung angeht. Es ist ein berechtigtes Interesse dessen, der eine entsprechende Versorgungsordnung aufstellt, diese Risiken zu begrenzen und besser kalkulierbar zu machen. Hierfür ist die in der UR enthaltene Anrechnungsklausel in § 20 Abs. 1 an sich geeignet.

bb) Allein dieses schützenswerte Risikobegrenzungsinteresse des Arbeitgebers trägt bereits die vorliegende anspruchsbeschränkende Regelung des § 20 Abs. 1 UR (offen gelassen von BAG 19.2.2002, a.a.O., zu II 2 c bb der Gründe).

cc) Sie ist aber auch entgegen der Auffassung der Klägerin sonst geeignet, zwischen Witwen, die einen Ehemann mit einer Hinterbliebenenversorgung außerhalb des D haben und denen, deren Ehemann ebenfalls der Unterstützungskasse des D unterliegt, zu unterscheiden. Denn eine sachgerechte Differenzierung liegt in diesem Fall darin, dass die Unterstützungskasse nicht mehrfach vom selben Anspruchssteller in Anspruch genommen werden soll. Dem Versorgungszweck aus Sicht der Unterstützungskasse ist bereits durch eine Rente genügt, im Hinblick auf den Ehemann der Klägerin wird nur die vollständige Anrechnung vermieden. Dies ist möglich (vgl. BVerfG 11.10.1977 - 2 BvR 407/76 - AP Nr. 112 zu Artikel 3 GG, zu B II 2 b der Gründe).

III.

Die Berufung der Klägerin war daher mit der Kostenfolge des § 97 Abs. 1 ZPO zurückzuweisen.

VI.

Für eine Zulassung der Revision bestand keine Veranlassung. Zwar ist die vorliegende Anrechnungskonstellation durch das Bundesarbeitsgericht noch nicht entschieden worden; die Kammer hat allerdings die ständige Rechtsprechung von Bundesarbeitsgericht und Bundesverfassungsgericht auf den vorliegenden Einzelfall angewendet, so dass eine grundsätzliche Bedeutung nicht gegeben ist.

Ende der Entscheidung

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