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Beginn der Entscheidung

Gericht: Landesarbeitsgericht Berlin
Urteil verkündet am 28.02.2007
Aktenzeichen: 15 Sa 1966/06
Rechtsgebiete: MTV


Vorschriften:

MTV Pro S. vom 24.09.2004 Anlage B
1. Führt ein Tarifvertrag erstmals Bewährungsaufstiege neu ein, dann können regelmäßig die Zeiten, die vor Inkrafttreten des Tarifvertrages liegen, bei der Zurücklegung der Bewährungszeiten mitberücksichtigt werden.

2. Wollen die Tarifvertragsparteien von dieser Regel ausnahmsweise abweichen, dann müssen sie dies deutlich zum Ausdruck bringen (im Anschluss an BAG vom 29.09.1993 - 4 AZR 693/92 - NZA 1994, 761). Dies ist beim MTV Pro S. nicht der Fall.


Landesarbeitsgericht Berlin-Brandenburg Im Namen des Volkes Urteil

15 Sa 1951/06 15 Sa 1966/06

Verkündet am 28.02.2007 In Sachen

hat das Landesarbeitsgericht Berlin-Brandenburg, 15. Kammer, auf die mündliche Verhandlung vom 28.02.2007 durch den Vorsitzender Richter am Landesarbeitsgericht K. als Vorsitzender sowie die ehrenamtlichen Richter Frau N. und Herr H.

für Recht erkannt:

Tenor:

I. Auf die Berufung der Klägerin wird das Urteil des Arbeitsgerichts Berlin vom 30.08.2006 - 78 Ca 8628/06 - teilweise abgeändert:

1. Die Beklagte wird verurteilt, an die Klägerin insgesamt 8.797,13 EUR (achttausendsiebenhundertsiebenundneunzig 13/100) brutto nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz ab dem 07.02.2007 zu zahlen.

2. Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.

II. Die Weitergehende Berufung der Klägerin wird zurückgewiesen.

III. Die Berufung der Beklagten wird zurückgewiesen.

IV. Die Kosten des Rechtsstreits haben die Klägerin zu 1/3 und die Beklagte zu 2/3 zu tragen.

V. Die Revision wird zugelassen.

Tatbestand:

Die Parteien streiten über Vergütungsansprüche aus der Zeit vom 1. Januar 2005 bis 31. Januar 2007. Hierbei geht es im Wesentlichen um die Frage, ob Bewährungszeiten auch vor Inkrafttreten eines Konzerntarifvertrages zurückgelegt werden können. Dies ist Gegenstand zahlreicher Parallelrechtstreitigkeiten, die nunmehr als Revisionen beim 4. Senat des Bundesarbeitsgerichts anhängig sind.

Die Klägerin ist ausgebildete Krankenpflegehelferin. Aufgrund eines schriftlichen Arbeitsvertrages war sie in der Zeit vom 1. September 1999 bis 31. Januar 2007 bei der Beklagten als Krankenpflegehelferin beschäftigt. Sie arbeitete durchgängig in einer Altenpflegeeinrichtung, nämlich der Residenz W.. Die Beklagte erstellte im September 2002 ein standardisiertes Anforderungsprofil für die Klägerin (Bl. 63 - 65 d. A.).

Am 24. September 2004 schloss das Konzern-Mutterunternehmen der Beklagten mit der Gewerkschaft ver.di einen Manteltarifvertrag ab, welcher gem. § 1 Abs. 1 Anlage A auch die Beklagte bindet. Am gleichen Tag schlossen die vorgenannten Tarifvertragsparteien auch einen Vergütungstarifvertrag Nr. 1 zum Manteltarifvertrag (im Folgenden: VTV) ab.

Die Klägerin ist seit Oktober 2004 Mitglied der Gewerkschaft ver.di. Die Beklagte zahlte an die Klägerin weiterhin monatlich 1.675,40 € brutto. Dies entsprach der Vergütung vor Inkrafttreten des VTV. Mit Schreiben vom 23. Juni 2005 machte die Klägerin vergeblich ihre Höhergruppierung geltend.

Das Arbeitsgericht Berlin hat der Klage nur teilweise stattgegeben. Es ist davon ausgegangen, dass die Klägerin nach der Vergütungsgruppe AP II zu vergüten ist. Für die Zeit vom 1. Januar 2005 bis 31. Juli 2006 hat es die Beklagte verurteilt, an die Klägerin 3.158,57 € brutto zu zahlen. Weiterhin ist die Beklagte verurteilt worden, der Klägerin fortlaufend eine zusätzliche monatliche Vergütung in Höhe von 179,23 € brutto unter der Bedingung zu zahlen, dass der Vergütungsanspruch der Klägerin nicht wegen Beendigung des Arbeitsverhältnisses, längerer Krankheit, unbezahlten Urlaub bzw. unentschuldigten Fehlens entfallen ist. Eine Höhergruppierung in die Vergütungsgruppe AP III bzw. AP IV sei abzulehnen, da Bewährungszeiten frühestens mit Inkrafttreten des Tarifvertrages zurückgelegt werden könnten. Insofern habe die Klägerin nicht einmal die zweijährige Bewährungszeit für die Höhergruppierung in die Vergütungsgruppe AP III zurückgelegt.

Das erstinstanzliche Urteil ist dem Klägervertreter am 20. Oktober 2006 zugestellt worden. Die Berufungsschrift nebst Begründung ist am 2. November 2006 beim Landesarbeitsgericht eingegangen.

Der Beklagten ist das Urteil am 14. Oktober 2006 zugestellt worden. Sie hat mit einem am 7. November 2006 beim Landesarbeitsgericht eingegangenen Schriftsatz Berufung eingelegt und diese mit einem am 13. Dezember 2006 eingegangenen Schriftsatz begründet.

Die Klägerin ist weiterhin der Ansicht, dass es nur auf die tatsächliche Bewährung bei der Eingruppierung ankommen könne. Insofern hätte die Bewährungszeit vor Inkrafttreten des MTV zurückgelegt werden können.

Die Klägerin beantragt,

das Urteil des Arbeitsgerichts Berlin vom 30.08.2006 teilweise abzuändern und im Übrigen die Beklagte zu verurteilen, an sie insgesamt 8.797,13 € brutto nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz ab dem 07.02.2007 zu zahlen.

Im Übrigen wird die Klage für erledigt erklärt.

Die Beklagte beantragt,

1. unter teilweiser Abänderung des Urteils des Arbeitsgerichts Berlin vom 30.08.2006 die Klage auch im Übrigen abzuweisen;

2. die Berufung der Klägerin zurückzuweisen.

Die Klägerin beantragt,

die Berufung der Beklagten zurückzuweisen.

Die Beklagte ist der Ansicht, die Klägerin könne ihre Ansprüche nicht mit dem MTV begründen, da zwischen den Parteien ein neuer Arbeitsvertrag nicht abgeschlossen worden sei und Nachverhandlungen zwischen den Tarifvertragsparteien stattfänden. Die Bezeichnung "Krankenpflegehelferin" besage nicht, dass die Klägerin tatsächlich Tätigkeiten einer Altenpflegehelferin ausübe. Rechtlich sei eine Bewährung vor Inkrafttreten eines Tarifvertrages ausgeschlossen. Auch § 24 MTV zur Besitzstandswahrung sehe diese Möglichkeit nicht vor. Bei einer Berücksichtigung von Bewährungszeiten vor Inkrafttreten des Tarifvertrages wäre ihr auch die Möglichkeit genommen, Fehlleistungen der Arbeit ausreichend zu dokumentieren.

Entscheidungsgründe:

I.

Die Berufungen der Klägerin und der Beklagten sind zulässig. Sie sind fristgemäß und formgerecht eingelegt worden.

Soweit die Klägerin nunmehr statt einer künftigen die jetzige Zahlung verlangt, ist dies zulässig. Dies stellt keine Klageänderung dar (Baumbach-Hartmann § 264 ZPO Rn. 14). Im Übrigen hat die Beklagte sich hierauf rügelos eingelassen.

II.

Die Berufung der Klägerin ist weitestgehend, die der Beklagten teilweise begründet.

1.

Die Beklagte ist verpflichtet, an die Klägerin insgesamt 8.797,13 € brutto nebst Zinsen zu zahlen. Da die Klägerin - im Gegensatz zur Auffassung des Arbeitsgerichts - die im Tarifvertrag geforderten Bewährungszeiten auch schon vor Inkrafttreten des MTV zurücklegen konnte, steht ihr in der Zeit vom 01.01.2005 bis 31.08.2005 eine Vergütung nach der Vergütungsgruppe AP III, Stufe 3 und für die Zeit danach bis zum 31.01.2007 eine Vergütung nach der Vergütungsgruppe AP IV, Stufe 4 zu. Insofern war das erstinstanzliche Urteil auf die Berufung der Klägerin entsprechend abzuändern.

1.1

Auf das Arbeitsverhältnis der Parteien findet der MTV vom 24.09.2004 zwischen der Pro S. C. und C. für S.neinrichtungen AG und der GTV vom gleichen Tag Anwendung. Die Klägerin ist unstreitig Gewerkschaftsmitglied. Nach § 1 Abs. 1 MTV in Verbindung mit der Anlage A unterfällt auch die hiesige Beklagte diesem Tarifvertrag. Dies ist zwischen den Parteien auch nicht mehr streitig.

1.2

Die Ansprüche der Klägerin scheiden auch nicht deswegen aus, weil die Tarifvertragsparteien Nachverhandlungen zum Tarifvertrag durchführen und ein geänderter Arbeitsvertrag zwischen den Parteien nicht abgeschlossen worden ist. Die Beklagte verkennt, dass bei beiderseitiger Tarifbindung sich Ansprüche unmittelbar aus dem Tarifvertrag ergeben. Abwegig ist auch, dass allein schon Nachverhandlungen zu einem Tarifvertrag die Wirkungen dieses Tarifvertrages außer Kraft setzen sollen.

1.3

Nach § 12 MTV richtet sich die Eingruppierung der Arbeitnehmer nach den Tätigkeitsmerkmalen der Vergütungsordnung (Anlage B). Hierbei ist der Arbeitnehmer in die Vergütungsgruppe einzugruppieren, deren Tätigkeitsmerkmale die der gesamten von ihm nicht nur vorübergehend auszuübende Tätigkeit entspricht, wobei es dafür nach Absatz 2 genügt, wenn zeitlich mindestens zur Hälfte Arbeitsvorgänge anfallen, die für sich genommen die Anforderungen eines Tätigkeitsmerkmals oder mehrerer Tätigkeitsmerkmale dieser Vergütungsgruppe erfüllen.

Der Abschnitt "Pflegepersonal" der Anlage B zum MTV hat - soweit hier von Interesse - folgenden Wortlaut:

"Begriffsbestimmungen

Vorbemerkungen

...

Nr. 4

Krankenpflegehelferinnen, die Tätigkeiten von Altenpflegehelferinnen ausüben, sind als Altenpflegehelferinnen eingruppiert.

...

Vergütungsgruppe Ap II

1. Altenpflegehelferinnen mit entsprechender Tätigkeit

2. ...

Vergütungsgruppe Ap III

1. Altenpflegehelferinnen nach zweijähriger Bewährung in VG Ap II, FG 1

Vergütungsgruppe Ap IV

1. ...

2. Altenpflegehelferinnen

nach vierjähriger Bewährung in der jeweiligen Fallgruppe, frühestens jedoch nach sechsjähriger Berufstätigkeit nach Erlangung der staatlichen Erlaubnis.

1.4

Die Klägerin als Krankenpflegehelferin hat die Tätigkeit einer Altenpflegehelferin ausgeübt. Dies ist in der mündlichen Verhandlung vom 28. Februar 2007 unstreitig geworden. Die Klägerin hat - im Gegensatz zu den Angaben im erstinstanzlichen Urteil - nie in einem Krankenheim gearbeitet. Sie war ausschließlich in der Residenz W. in Berlin-S. tätig. Dies ist unstreitig eine Altenpflegeeinrichtung, was vom Beklagtenvertreter ausdrücklich eingeräumt wurde. Insofern konnte die Klägerin nicht allgemein in der Krankenpflege, sondern nur speziell in der Altenpflege tätig werden. Dass die Klägerin tatsächlich als Pflegehelferin mit staatlicher Anerkennung eingesetzt wurde, ergibt sich auch aus dem Anforderungsprofil (Bl. 63 - 65 d. A.). Dort wird mehrfach aufgelistet, dass sie zur Unterstützung der Pflegefachkräfte eingesetzt wird.

1.5

Die Klägerin konnte die im Manteltarifvertrag geforderten Bewährungszeiten auch schon vor Inkrafttreten des MTV zurücklegen.

Führt ein Tarifvertrag - wie hier - erstmals Bewährungsaufstiege neu ein, dann können regelmäßig die Zeiten, die vor Inkrafttreten des Tarifvertrages liegen, bei Zurücklegen der Bewährungszeiten mitberücksichtigt werden. Wollen Tarifvertragsparteien von dieser Regel ausnahmsweise abweichen, dann müssen sie dies deutlich zum Ausdruck bringen (in Anlehnung an BAG vom 29.09.1993 - 4 AZR 693/92 - NZA 1994). Dies ist beim MTV hier nicht der Fall.

1.5.1

Das Arbeitsgericht Berlin und auch die beiden ersten Entscheidungen des Landesarbeitsgerichts Berlin (vom 07.07.2006 - 6 Sa 611/06 - Revision: 4 AZR 792/06; vom 18.07.2006 - 8 Sa 562/06 - Revision: 4 AZR 781/06; veröffentlicht jeweils in Juris) gehen davon aus, dass das Regel-Ausnahme-Verhältnis andersherum zu bestimmen ist, weil Tarifnormen erst mit ihrem Inkrafttreten wirksam werden. Als Beleg wird auf das Urteil des Bundesarbeitsgerichts vom 14.04.1999 (4 AZR 189/98 - NZA RR 2000, 47) verwiesen. Dort heißt es unter 5 b), dd) d. Gr.:

"Dienstzeiten, in denen der BAT-O keine Anwendung auf das Arbeitsverhältnis gefunden hat, sind nicht in die vorausgesetzte Bewährungszeit einzubeziehen. Eine vollständige Rückwirkung findet nicht statt. Das folgt aus den tariflichen Übergangsvorschriften.

Das Landesarbeitsgericht hat übersehen, dass die tarifvertraglichen Übergangsvorschriften ausdrücklich einen Zeitpunkt nennen, ab dem sie wirken sollen. Nur für den Fall, dass das nicht der Fall wäre, wäre von dem Grundsatz auszugehen, dass eine Tarifnorm (§ 4 Abs. 1 TVG) erst ab dem Zeitpunkt ihres Inkrafttretens wirksam wird, soweit nicht weiterreichende Regelungen getroffen wurden."

Das Bundesarbeitsgericht wählt hier in der juristischen Begründung einen nicht zutreffenden Einstieg. Unstreitig werden Tarifvertragsnormen erst mit ihrem Inkrafttreten wirksam. Dies mag der Tag der allseitigen Unterzeichnung oder bei entsprechender Festlegung auch ein früherer oder späterer Termin sein. Neu eingeführte Bewährungsaufstiege haben mit der Problematik der Rückwirkung jedoch nichts zu tun. Die Klägerin verlangt auch hier nicht, dass schon die Zeiten vor dem 01.01.2005 höher zu vergüten sind, sondern sie möchte bei der Beurteilung der Eingruppierung ab dem 1. Januar 2005 nur Umstände berücksichtigt wissen, die davor gelegen haben. Dies hat mit einer Rückwirkung nichts zu tun. Auch das Bundesarbeitsgericht hat dies in früheren Zeiten klar erkannt:

"Macht eine Rechtsnorm die höhere Eingruppierung von dem Ablauf von Bewährungszeiten abhängig, so können diese Bewährungszeiten auch zurückgelegt werden, bevor die Rechtsnorm den Bewährungsaufstieg eingeführt hat. Dies hat der Senat in ständiger Rechtsprechung entschieden und hat mit einer "Rückwirkung" der Rechtsnorm nichts zu tun. Es ist nämlich nichts ungewöhnliches, wenn Vergütungsvorschriften die Höhe der Vergütung an in der Vergangenheit liegende Tatbestände (hier 11-jährige Bewährung) anknüpfen." (BAG vom 09.03.1994 - 4 AZR 228/93 - NZA 1995, 130)

Mit dieser zutreffenden Einschätzung des eigenen Senats setzt sich das Bundesarbeitsgericht in seinem Urteil vom 14.04.1999 leider nicht auseinander. Stattdessen kommt es zu der Schlussfolgerung:

"Es entsprach auch im alten Bundesgebiet der Auffassung der Tarifvertragsparteien, dass bei der Einführung eines neuen Fallgruppenbewährungsaufstiegs geforderte Bewährungs- oder Tätigkeitszeiten sich grundsätzlich nur auf ab seiner Einführung zurückgelegte Zeiten auswirken können und - aufgrund der Übergangsvorschrift - unmittelbar davor abgeleistete Zeiten." (BAG vom 14.04.1999 - 4 AZR 189/98 - NZA RR 2000, 47, zu 5 b), dd) (4) d. Gr.)

Auch hier stellt der 4. Senat apodiktisch Behauptungen auf, ohne auf die sonst übliche Zitierung eigener Urteile zurückzugreifen. Tatsächlich steht diese Rechtsauffassung im Gegensatz zum Urteil vom 29.09.1993 (4 AZR 693/92 - NZA 1994, 761). Dort wird anlässlich der Auslegung einer Übergangsvorschrift allgemein zu Sinn und Zweck eines Bewährungs- und Zeitaufstiegs Stellung genommen:

"Wenn Tarifvertragsparteien solche Möglichkeiten eröffnen, wollen sie die über einen längeren Zeitraum im wesentlichen beanstandungsfreie Erfüllung der dem Tätigkeitsmerkmal entsprechenden vertraglichen Leistungspflichten honorieren. Sie gehen darüber hinaus typischerweise davon aus, dass der Arbeitnehmer während des längeren Tätigkeitszeitraumes innerhalb seines Aufgabengebietes Fähigkeiten und Fertigkeiten erworben hat, die seine persönliche Qualifikation und den Wert seiner Arbeit für den Arbeitgeber erhöhen und deshalb eine Höhergruppierung rechtfertigen. ...

Legt man solche Motive bei der Vereinbarung von Tätigkeitsmerkmalen mit der Möglichkeit des Bewährungs- oder Zeitaufstiegs zugrunde, spricht dies auch dafür, dass es bei der Neueinführung eines solchen Tätigkeitsmerkmales grundsätzlich nur darauf ankommen soll, ob der betreffende Arbeitnehmer in der Vergangenheit die das neue Tätigkeitsmerkmal ausfüllenden Tätigkeiten in dem erforderlichen zeitlichen Umfang beanstandungsfrei und unter Anhäufung von Erfahrungswissen erbracht hat. Sinn und Zweck solcher Regelungen sprechen regelmäßig dagegen, die Honorierung zusätzlich von dem förmlichen Erfordernis abhängig zu machen, dass es ein entsprechendes Tätigkeitsmerkmal in der Vergangenheit bereits gegeben hat. Ein anderes Auslegungsergebnis führte zu einer bedenklichen Gleichbehandlung ungleicher Lebenssachverhalte: Ein Arbeitnehmer, der bei Inkrafttreten eines neuen Tätigkeitsmerkmales bereits viele Jahre lang eine Tätigkeit erfolgreich verrichtet hat, die nun eine besondere Festlegung in einer Lohn- und Fallgruppe einschließlich einer Zeitaufstiegsmöglichkeit erfährt, müsste für den Aufstieg bei Inkrafttreten der Neuregelung eine ebenso lange Tätigkeitszeit zurücklegen wie ein Berufsanfänger." (zu II 3 b) d. Gr.)

Die hiesige Kammer hält diese ausführliche Argumentation für zutreffend. In der Tat müssten andernfalls selbst beim reinen Zeitaufstieg Zeiten vor Inkrafttreten des MTV unberücksichtigt bleiben. Ein Arzt, der bei der Beklagten schon 30 Jahre tätig ist, könnte also nicht in die Vergütungsgruppe I b, Fallgruppe 3 MTV eingruppiert werden, sondern müsste die geforderte fünfjährige ärztliche Tätigkeit nochmals ab dem 1. Januar 2005 genauso zurücklegen, wie ein erst an diesem Tag neu eingestellter und frisch ausgebildeter Arzt. Derartige Gleichsetzungen hält die hiesige Kammer nicht für vertretbar. Insofern muss es bei dem Zwischenergebnis verbleiben, dass grundsätzlich auch frühere Zeiten, die vor dem Inkrafttreten eines Tarifvertrages liegen, auf eine Bewährungszeit anrechenbar sind.

1.5.2

Es ist nicht erkennbar, dass die Tarifvertragsparteien hier von dieser allgemeinen Regel abweichen wollten.

Dies ergibt sich nicht schon daraus, dass es vorstehend an einer Übergangsvorschrift fehlt. Zwar hat das Bundesarbeitsgericht - soweit erkennbar - bisher die Einbeziehung früherer Zeiten immer mit der Regelung in entsprechenden Übergangsvorschriften begründet, dies liegt jedoch daran, dass ihm nur Fälle vorlagen, in denen Übergangsvorschriften vorhanden waren. Gerade die Erwägungen im Urteil vom 29.09.1993 zeigen aber, dass die rechtlichen Bewertungen zwar anlässlich, aber auch unabhängig von dem Vorhandensein solcher Übergangsvorschriften erfolgen können.

Ein entgegenstehender Wille der Tarifvertragsparteien wird in den Entscheidungen der 6. und 8. Kammer des Landesarbeitsgerichts Berlin mit § 12 b MTV begründet. Diese Norm lautet:

"1. Vom Beginn des Monats an, in dem ein Angestellter seine Tätigkeit bei der Pro S. AG oder deren Tochtergesellschaften beginnt oder begonnen hat, erhält er die Anfangsvergütung (1. Stufe) seiner Vergütungsgruppe.

2. Die Einstufung erfolgt nach Beschäftigungsjahren. Beschäftigungszeiten bei anderen Arbeitgebern können dabei angerechnet werden.

..."

Richtig ist, dass insofern auch eine vergangenheitsbezogene Anknüpfung ("oder begonnen hat") vorliegt. Daraus kann aber nicht im Wege eines Umkehrschlusses abgeleitet werden, dass bei anderen Problembereichen eine vergangenheitsbezogene Anknüpfung unzulässig wäre, wenn entsprechende Regelungen für die Vergangenheit fehlen. Dies berücksichtigt zu wenig das Vorgehen der Tarifvertragsparteien. Der MTV lehnt sich in der Struktur durchaus an den BAT an, ist in vielen Bereichen jedoch hinsichtlich der Regelungsdichte schlanker gehalten. Dies zeigt sich bei der Problematik der Bewährung mehr als deutlich. In den Vergütungsgruppen wird sie mit weitestgehend gleichen, manchmal jedoch günstigeren Zeitvorgaben festgeschrieben. Außerhalb der Vergütungsgruppen fehlt jegliche Regelung. Anders als im BAT ist nicht einmal eine Definition der Bewährung vorhanden. Auch ist offen gelassen worden, ob die Bewährung ununterbrochen zurückzulegen ist, ob sie bei anderen Arbeitgebern zurückgelegt werden kann, ob sie zum Monatsersten oder taggenau erfolgt oder wie sich eine Teilzeitbeschäftigung auswirkt. Wenn all diese Fragen, die teilweise vergangenheits- aber auch gegenwartsbezogen sind, durch die Tarifvertragsparteien nicht ausdrücklich geregelt wurden, dann lässt dies allenfalls den Schluss zu, dass detaillierte Regelungen als nicht notwendig erachtet wurden, weil die Beantwortung der verschiedenen Streitfragen nach allgemeinen Rechtsgrundsätzen erfolgen soll. Gerade weil auch eine gegenwartsbezogene Regelung zur Bewährungsproblematik fehlt, kann nicht unterstellt werden, nur vergangenheitsbezogene Anknüpfungspunkte sollten ausgeschlossen werden.

Das hiesige Ergebnis wird auch bestätigt durch § 24 MTV zur Besitzstandswahrung. Die Tarifvertragsparteien bewegten sich nicht im tarifpolitischen Niemandsland. Zumindest in Berlin waren einige Gesellschaften des Konzerns bis ca. 1997 dem Arbeitgeberverband der Privatkrankenanstalten angeschlossen. Deren Tarifverträge verwiesen wiederum auf den BAT. Dort werden Stufungen nach dem Lebensalter vorgenommen. Der jetzige MTV stellt hingegen - regelmäßig ungünstiger - auf Betriebszugehörigkeitszeiten ab. Wenn nicht ganz erhebliche Verschlechterungen eintreten sollten, dann war insofern ein Besitzstandsschutz notwendig, der in § 24 MTV auch erfolgte. Dort werden aber nur Regelungen getroffen, "soweit sich ... ein niedrigeres Gesamteinkommen ... ergibt". Da die Bewährungszeiten vor dem 01.01.2005 nach hiesiger Ansicht zu berücksichtigen sind, kann sich insofern hieraus allein auch keine Schmälerung des Gesamteinkommens ergeben. Insofern war und ist es überflüssig, diese allgemeine Regelung im Rahmen einer Klausel zur Besitzstandswahrung ein zweites Mal festzuschreiben.

Soweit das LAG Baden-Württemberg (vom 10.11.2006 - 18 Sa 35/06 - Juris) meint, schon der Wortlaut (Bewährung "in" der Vergütungsgruppe...) spreche dafür, dass die Bewährung erst ab Schaffung der jeweiligen Vergütungsgruppe zurückgelegt werden könne, ist dem nicht zu folgen. Die Bedeutung des Wortlauts wird hierdurch überdehnt. Die hiesigen Tarifvertragsparteien haben schlicht und einfach den Text des BAT übernommen. Dort ist manchmal von der Bewährung in einer Vergütungsgruppe, manchmal von der Bewährung in einer bestimmten Tätigkeit die Rede, ohne das eine Regel erkennbar wäre. Schon eine sprachlich sorgfältige Formulierung kann nicht eine Bewährung "in" einer Vergütungsgruppe verlangen. Arbeitnehmer halten sich nicht in Vergütungsgruppen auf und können allein von daher sich dort auch nicht bewähren. Ob Gedankengänge aus dem Gefängniswesen (bei Bewährung während des Gefängnisaufenthaltes mag es dort zu vorzeitiger Haftentlassung kommen) bei der Formulierung Pate gestanden haben, kann offen gelassen werden. Unabhängig von der Wortwahl der Tarifvertragsparteien kann eine Bewährung des Arbeitnehmers immer nur bei der Ausübung einer bestimmten Tätigkeit erfolgen. Dies ist letztlich gemeint. Für anderes gibt es keine Anhaltspunkte.

1.6

Die Klägerin hat die erforderlichen Bewährungszeiten auch tatsächlich zurückgelegt.

Auch wenn der MTV keine Definition der Bewährung enthält, so ist in Anlehnung an den allgemeinen Wortsinn nicht mehr zu verlangen, als dass die entsprechende Tätigkeit beanstandungsfrei ausgeübt wurde. Insofern dürfte kein Unterschied zu der Definition in § 23 a BAT vorliegen. Dort wird verlangt, dass der Angestellte während der vorgeschriebenen Bewährungszeit sich den in der ihm übertragenen Tätigkeit auftretenden Anforderungen gewachsen gezeigt hat.

Die Beklagte behauptet nicht, dass es gegenüber der Klägerin in der Vergangenheit zu Beanstandungen gekommen ist. Soweit die Beklagte der Ansicht ist, sie habe entsprechende Beanstandungen auch deswegen nicht dokumentieren können, weil sie in früheren Zeiten gar nicht damit rechnen konnte, dass es hierauf später einmal ankommen könnte, so kann sie hiermit nicht gehört werden ( anders LAG Baden-Württemberg vom 10.11.2006 - 18 Sa 35/06 - Juris). Kleinere Verfehlungen können eine Bewährungszeit nicht unterbrechen. Größere Verfehlungen werden von Arbeitgebern regelmäßig jedoch dokumentiert, weil entsprechende Pflichtverletzungen auch in Form von Abmahnungen geahndet werden müssen, um Kündigungen ggf. vorbereiten zu können.

Da die Beklagte auch keinerlei Unterbrechungstatbestände vorträgt, muss hier nicht entschieden werden, wie solche Zeiten sich im Rahmen einer Bewährung auswirken könnten.

1.7

Dem Kläger stehen für die Zeit vom 1. Januar 2005 bis 31. August 2005 monatlich weitere 255,32 € brutto und für die Zeit vom 1. September 2005 bis 31. Januar 2007 weitere 397,33 € brutto, somit insgesamt 8.797,13 € brutto nebst Zinsen zu.

Da die Klägerin am 1. September 1999 von der Beklagten eingestellt worden war, hatte sie die zweijährige Bewährungszeit für den Aufstieg in die Vergütungsgruppe Ap III am 1. September 2001 zurückgelegt. Gleichzeitig erfolgte die Einreihung in die 2. Stufe (§ 12 b Abs. 3 MTV). Ab dem 1. September 2003 steht ihr eine Vergütung nach der 3. Stufe und ab dem 1. September 2005 nach der 4. Stufe zu. Mit dem letztgenannten Datum ist auch die geforderte vierjährige Bewährung für die Höhergruppierung in die Vergütungsgruppe Ap IV MTV zurückgelegt. Da das Arbeitsverhältnis der Klägerin durchgängig in Berlin bestand, richtet sich die Vergütung nach der Anlage 2 des VTV (§ 13 Abs. 2 MTV). Diese beträgt:

 Ap III, Stufe 3Ap IV, Stufe 4
Grundvergütung1.350,071.492,08
Ortszuschlag473,21473,21
allgemeine Zulage 107,44107,44
Zwischensumme1.930,722.072,73
gezahltes Gehalt- 1.675,40- 1.675,40
monatliche Differenz 255,32397,33

Diese Berechnung ist zwischen den Parteien auch nicht streitig. Ebenfalls ist unstreitig, dass die Klägerin mit Schreiben vom 23. Juni 2005 rechtzeitig im Sinne der Ausschlussfrist gem. § 25 MTV ihre Ansprüche schriftlich geltend gemacht hat.

Die Zinsen stehen der Klägerin gem. §§ 286, 288 BGB zu. Die Vergütung war spätestens am 5. Werktag des folgenden Kalendermonats zu zahlen (§ 13 a MTV).

2.

Soweit die Klägerin zukunftsbezogen begehrt, dass ihr von der Beklagten fortlaufend monatlich zusätzlich 397,33 € brutto unter weiteren Bedingungen zu zahlen sind, war die Klage unbegründet und ist daher abzuweisen. Soweit das Arbeitsgericht Berlin die Beklagte zur Zahlung einer zusätzlichen Vergütung in Höhe von 179,23 € brutto verurteilt hat, war die Berufung der Beklagten erfolgreich. Die weitergehende Berufung der Klägerin auf Zahlung von weiteren 218,10 € brutto war hingegen zurückzuweisen.

Der zukunftsbezogene Antrag der Klägerin ist von ihr zu Recht für den Zeitraum bis zum 31. Januar 2007 in eine jetzige Zahlung umgewandelt worden, da die entsprechenden Monatsbeträge fällig waren. Ihr Antrag umfasste daher zuletzt nur noch den Zeitrahmen ab Februar 2007. Insofern hat die Klägerin diesen Antrag für erledigt erklärt, da das Arbeitsverhältnis mit dem 31. Januar 2007 beendet worden ist. Die Beklagte hat sich der Erledigungserklärung nicht angeschlossen.

Da die Klage in diesem Punkt von Anfang an nicht begründet war, konnte die Erledigung des Rechtsstreits nicht festgestellt werden. Die Klage war vielmehr abzuweisen. Bei der jetzigen Antragsfassung wäre die Beklagte zur Zahlung einer zusätzlichen monatlichen Vergütung selbst dann verpflichtet, wenn sie - aus welchen Gründen auch immer - der Klägerin mehr zahlen würde, als ihr tarifvertraglich zustand. Insofern hätte in den Antrag mindestens noch zusätzlich aufgenommen werden müssen, dass die Zahlung der weiteren 397,33 € brutto monatlich für den Fall begehrt wird, dass die Beklagte nur 1.675,40 € brutto zahlt. Diese weitere Bedingung war bis zum Eintritt des erledigenden Ereignisses jedoch nicht in den Antrag aufgenommen worden.

III.

Die Kosten des Rechtsstreits haben die Parteien entsprechend ihrem Anteil am Unterliegen zu tragen. Bezogen auf den Streitwert des dreijährigen Unterschiedsbetrages unterlag die Klägerin mit ca. 1/3 und die Beklagte mit ca. 2/3.

Für die Klägerin war die Revision nicht zuzulassen, da die entsprechenden Voraussetzungen nicht vorliegen (§ 72 Abs. 2 ArbGG). Insofern ist für sie gegen dieses Urteil kein Rechtsmittel gegeben. Auf § 72 a ArbGG wird hingewiesen.

Für die Beklagte hingegen war die Revision wegen grundsätzlicher Bedeutung entscheidungserheblicher Rechtsfragen gem. § 72 Abs. 2 Nr. 1 ArbGG zuzulassen.

Ende der Entscheidung

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