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Gericht: Landesarbeitsgericht Berlin
Urteil verkündet am 23.06.2005
Aktenzeichen: 16 Sa 643/05
Rechtsgebiete: MTV für das Wach- u. Sicherheitsgewerbe Berlin, Entgelttarifvertrag für das Wach- u. Sicherheitsgewerbe Berlin
Vorschriften:
MTV für das Wach- u. Sicherheitsgewerbe Berlin v. 07.07.2003 § 14 | |
Entgelttarifvertrag für das Wach- u. Sicherheitsgewerbe Berlin v. 07.07.2003 § 3 |
Landesarbeitsgericht Berlin Im Namen des Volkes Urteil
Verkündet am 23.06.2005
In Sachen
pp
hat das Landesarbeitsgericht Berlin, 16. Kammer, auf die mündliche Verhandlung vom 23.06.2005 durch den Vorsitzenden Richter am Landesarbeitsgericht Kießling als Vorsitzenden sowie die ehrenamtlichen Richter Burkert und Freiwald
für Recht erkannt:
Tenor:
I. Die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des Arbeitsgerichts Berlin vom 12. Januar 2005 - 31 Ca 20269/04 - wird auf ihre Kosten mit der Maßgabe zurückgewiesen,
dass festgestellt wird, dass die Beklagte verpflichtet ist, die Zuschläge gemäß § 14 des Manteltarifvertrages für das Wach- und Sicherheitsgewerbe Berlin vom 07. Juli 2003 für den Kläger bei einem Einsatz als Sicherheitskraft als Werkschutzfachkraft auf der Basis der Grundvergütung einschließlich der Zulage gemäß § 3 Ziffer 1.3 des Entgelttarifvertrages für das Wach- und Sicherheitsgewerbe Berlin vom 7. Juli 2003 zu berechnen, und zwar für die Zeit vom 01. April bis 31. Oktober 2004 sowie ab 01. März 2005.
II. Die Revision wird zugelassen.
Tatbestand:
Die Parteien streiten über tarifliche Zuschläge für Nacht-, Sonntags- und Feiertagsarbeit für die Zeit April bis Oktober 2004 und seit März 2005; der dazwischen liegende Zeitraum ist Gegenstand eines gesonderten Rechtsstreits. Einziger Streitpunkt ist die Frage, ob die Zuschläge nur auf den tariflichen Grundlohn (5,25 EUR pro Stunde) zu zahlen sind oder auch auf eine Zulage (2,19 EUR pro Stunde) für eine Tätigkeit als "Sicherheitskraft als Werkschutzfachkraft (IHK-Abschluss)".
Der Kläger, der Mitglied der Gewerkschaft ÖTV war und danach Mitglied der Gewerkschaft ver.di geworden ist, trat am 27. März 1992 als "Wachinspektor" in die Dienste der Beklagten. Sein schriftlicher Arbeitsvertrag vom 26. März 1992 enthält u.a. folgende Regelungen:
§ 4
Sonn-, Feiertags-, Mehrarbeit
Der AN erhält Zuschläge auf den jeweiligen Gesamt-Stundenlohn gemäß jeweils gültigem Manteltarifvertrag. Sonn- und Feiertagsarbeit sind gewerbeüblich und müssen in dem im Betrieb erforderlichen Umfang geleistet werden.
§ 20
Schlussbestimmungen
1. Grundlage dieses Arbeitsvertrages sind der jeweils gültige Lohn- und Manteltarifvertrag bzw. bestehende Haustarifverträge und Betriebsvereinbarungen...
Die Beklagte hat seit 1980 über die Arbeitsbedingungen ihrer Beschäftigten mit den Gewerkschaften ÖTV und DAG Haustarifverträge abgeschlossen. Dem Kläger zahlte sie stets den für einen Wachinspektor vorgesehenen Tariflohn, daneben eine übertarifliche "DSW-Zulage" in wechselnder Höhe. Im Jahre 1996 hatte der Kläger nach einem 6-monatigen Lehrgang der Industrie- und Handelskammer die Prüfung als "Werkschutzfachkraft" bestanden und wurde später von der Beklagten als solche auch eingesetzt. Seither erhielt er den dafür vorgesehenen Tariflohn, nämlich 19,32 DM (9,88 EUR), und zwar bis März 2004.
Zum Jahresende 1999 kündigte die Beklagte die zu dieser Zeit noch geltenden Tarifverträge. Mit Wirkung ab 1. April 2004 trat sie dem Bundesverband Deutscher Wach- und Sicherheitsunternehmen e.V. (BDWS), Landesgruppe Berlin bei. Dieser hatte am 7. Juli 2003 mit der Gewerkschaft ver.di, Landesbezirk Berlin, einen Manteltarifvertrag und einen Entgelttarifvertrag für das Wach- und Sicherheitsgewerbe Berlin geschlossen, die mit Wirkung ab 1. April 2004 für allgemein verbindlich erklärt wurden. Für den Streitfall sind insbesondere folgende Regelungen relevant:
Entgelttarifvertrag:
§ 3 Löhne in EURO
1.
Objekt -/ Werkschutz (separat)
1.1
Sicherheitskraft mit Beschulung nach Unterrichtsverfahren 5,25
1.2.
...
1.3
Sicherheitskraft als Werkschutzfachkraft (IHK-Abschluss) erhält, sofern der Auftraggeber diese Qualifikation fordert und bezahlt, eine Zulage pro Stunde in Höhe von 2,19
Manteltarifvertrag:
§ 14 Zuschläge
1.
Neben dem Stundenlohn sind folgende Zuschläge zu zahlen
a)
Für Arbeitnehmer, die vor dem 18. Juli 2003 Zuschläge gemäß dieser Ziffer 1a) erhalten haben
für Nachtarbeit von 23.00 bis 06.00 Uhr 20 %
für Sonntagsarbeit von 00.00 bis 24.00 Uhr 50 %
für Feiertagsarbeit von 00.00 bis 24.00 Uhr 100 %
...
Ab April 2004 zahlte die Beklagte an den Kläger nur noch einen Stundenlohn von 5,25 EUR brutto zzgl. "IHK-Zulage" 2,19 EUR brutto. Seit Juni 2004 zahlte sie außerdem eine außertarifliche "freiwillige Objektzulage" in Höhe von 1,18 EUR. Die Zuschläge gem. § 14 MTV berechnete sie lediglich auf einen Stundenlohn von 5,25 EUR.
Mit seiner am 18. August 2004 beim Arbeitsgericht Berlin eingereichten und in der Folgezeit mehrfach erweiterten Klage hat der Kläger zunächst für den Zeitraum April bis Oktober 2004 die Bruttodifferenzen zwischen seinem bisherigen und dem ab April 2004 gezahlten Lohn geltend gemacht, daneben, für den selben Zeitraum, die Differenz bei den Nacht-, Sonn- und Feiertagszuschlägen auf der Basis eines Stundenlohns von 9.88 EUR. Im Kammertermin am 12. Januar 2005 hat er zum Ausdruck gebracht, dass er eine Reduzierung seines Stundenlohns auf (5,25 plus 2,19 =) 7,44 EUR pro Stunde mit Wirkung ab April 2004 akzeptiert, jedoch die Zuschläge nach § 14 MTV auf diesen Betrag, nicht lediglich auf 5,25 EUR berechnet wissen will. Auf Empfehlung des Kammervorsitzenden hat er daraufhin statt des bis dahin angekündigten Zahlungsantrages einen Feststellungsantrag formuliert.
Durch Urteil vom 12. Januar 2005, auf dessen Tatbestand wegen des weiteren Sach- und Streitstandes in erster Instanz Bezug genommen wird (Bl. 78 d. A.) hat das Arbeitsgericht antragsgemäß
festgestellt, dass die Zuschläge gem. § 14 MTV für den Kläger bei einem Einsatz als Sicherheitskraft als Werkschutzfachkraft auf der Basis der Grundvergütung einschließlich der Zulage § 3 Ziff. 1.3 ETV zu berechnen sind, die Kosten des Rechtsstreits der Beklagten auferlegt und den Streitwert auf 1.800,00 EUR festgesetzt.
Bereits eine Wortauslegung ergebe, dass die Zuschläge nach § 14 MTV auf das tarifvertragliche Effektiventgelt und somit auch auf den Zuschlag nach § 3 Nr. 1.3 ETV zu leisten seien.
Gegen dieses am 7. März 2005 zugestellte Urteil richtet sich die am 30. März 2005 eingegangene und am 9. Mai 2005 (Montag) begründete Berufung der Beklagten.
Sie vertieft ihr Vorbringen, dass unter "Stundenlohn" im Sinne des § 14 MTV ausschließlich der jeweilige Stundengrundlohn nach § 3 ETV ohne die dort aufgeführten Zulagen zu verstehen sei. Hätten die Tarifvertragsparteien dies anders gemeint, so hätte dies entsprechend Anklang im Tarifvertrag finden müssen. Dies ergebe sich auch aus den Tarifverhandlungen, bei denen die Arbeitgeberseite stets deutlich gemacht habe, dass sie die Zuschläge nach § 14 MTV nicht auf die Zulagen nach § 3 ETV zahlen wolle; nennenswerte Einwendungen seien von den Verhandlungsführern der Gewerkschaft nicht erhoben worden (Beweis: Zeugnis T. und E.).
Der Kläger hat in der Berufungsinstanz dem Umstand Rechnung getragen, dass er in einem weiteren Rechtsstreit vor dem Arbeitsgericht Berlin (41 Ca 5369/05) die Vergütungsdifferenzen für die Zeit November 2004 bis Februar 2005 eingeklagt hat. Er formuliert seinen Klageantrag nunmehr wie folgt:
festzustellen, dass die Beklagte verpflichtet ist, die Zuschläge gem. § 14 MTV für den Kläger bei einem Einsatz als Sicherheitskraft als Werkschutzfachkraft auf der Basis der Grundvergütung einschließlich der Zulage gem. § 3 Ziff. 1.3 ETV für die Zeit vom 1. April bis 31. Oktober 2004 und ab 1. März 2005 zu berechnen.
Die Beklagte beantragt,
das Urteil des Arbeitsgerichts zu ändern und die Klage auch in der geänderten Formulierung abzuweisen.
Der Kläger beantragt,
die Berufung unter Berücksichtigung des umformulierten Klageantrages zurückzuweisen.
Er wiederholt seine Auffassung, dass sich bereits aus § 4 des Arbeitsvertrages ergebe, dass für die Berechnung der Zuschläge die "IHK-Zulage" in Höhe von 2,19 EUR berücksichtigt werden müsse; in soweit liege eine gegenüber dem Tarifvertrag günstigere einzelvertragliche Vereinbarung vor.
Die Beklagte hat zu Protokoll gegeben, sie werde ein gegen sie gerichtetes rechtskräftiges Feststellungsurteil für den nunmehr im Klageantrag genannten Zeitraum auch ohne einen Leistungstitel befolgen.
In einem Parallelverfahren vor dem Arbeitsgericht Berlin (42 Ca 15240/04, inzwischen beim LAG Berlin zum Az. 7 Sa 1075/05 anhängig) hat das Arbeitsgericht eine Auskunft der Tarifvertragsparteien darüber eingeholt, von welchem Stundenlohn nach ihrer Ansicht die Zuschläge nach § 14 MTV zu berechnen sind. Der BDWS und die Gewerkschaft ver.di haben jeweils unter dem 20. Dezember 2004 auf die Anfrage geantwortet; die Gewerkschaft ver.di hat darüber hinaus unter dem 2. März 2005 den Prozessbevollmächtigten des dortigen Klägers auf eine entsprechende Anfrage geantwortet. Die Parteien des vorliegenden Rechtstreits haben sich mit einer Verwertung der dortigen Auskünfte im vorliegenden Verfahren einverstanden erklärt. Die Auskünfte sind daraufhin aus der dortigen Akte fotokopiert und in die hiesige Akte übernommen worden; auf sie wird ergänzend Bezug genommen (Bl. 122 - 149 d. A.).
Entscheidungsgründe:
1.
Die Berufung ist unbegründet. Die vom Arbeitsgericht getroffene Feststellung war nach Maßgabe des in der Berufungsinstanz präzisierten Klageantrages aufrechtzuerhalten.
1.1
Die Klage ist zulässig. Für den zuletzt formulierten Feststellungsantrag ist das nach § 256 ZPO erforderliche besondere Feststellungsinteresse zu bejahen.
Der Antrag ist nicht nur auf ein richterliches Gutachten über eine Rechtsfrage (Auslegung des § 14 des genannten Manteltarifvertrages) gerichtet, sondern auf die Feststellung einer konkreten Verpflichtung der Beklagten gegenüber dem Kläger (und damit eines "Rechtsverhältnisses"), nämlich, ihm gegenüber die Zuschläge gem. § 14 des genannten Manteltarifvertrages unter Einbeziehung der "IHK-Zulage" zu berechnen (und zu bezahlen). Trotz des im Allgemeinen anzunehmenden Vorrangs einer Leistungsklage gegenüber der Feststellungsklage ist der Kläger nicht darauf angewiesen, die nach seinem Standpunkt aufgelaufenen Differenzen von Monat zu Monat neu einzuklagen. Die begehrte Feststellung ist geeignet, Rechtsfrieden zwischen den Parteien hinsichtlich ihrer gegensätzlichen Standpunkte in der streitigen Frage herbeizuführen.
Dies gilt auch, soweit der (in erster Instanz zeitlich nicht näher umrissene) Antrag in die Vergangenheit gerichtet ist. Zwar ist insoweit grundsätzlich der Leistungsantrag das prozessual geeignete Mittel zur Streitklärung, zumal, wenn aufgrund vorliegender Lohnabrechnungen die Klageforderung ohne weiteres berechnet werden kann (und im Streitfall sogar bereits berechnet worden ist). Im Hinblick aber einerseits auf die in erster Instanz vom Kammervorsitzenden ausdrücklich gegebene Empfehlung zur Umstellung des Klageantrages sowie andererseits auf die in zweiter Instanz von der Beklagten zu Protokoll gegebene Erklärung, dass sie auch für die Vergangenheit der getroffenen richterlichen Feststellung Folge leisten will, wenn sie denn rechtskräftig wird, schien es der Berufungskammer angezeigt, die Zulässigkeit des Klageantrages insgesamt zu bejahen.
Was sodann die Wortwahl im Klageantrag angeht, die Beklagte müsse die Zuschläge in der genannten Weise "berechnen", geht die Kammer davon aus, dass der Kläger dies nicht einschränkend im Sinne einer "Abrechnung" verstanden wissen will, sondern auch im Sinne einer "Bezahlung". Der Tenor des vorliegenden Urteils soll deshalb auch so verstanden werden.
Ein Feststellungsinteresse fehlt lediglich für den Zeitraum November 2004 bis Februar 2005, da der Kläger insoweit gesondert Zahlungsklage erhoben hat (über die noch nicht entschieden ist). Dem hat der Kläger durch die zeitliche Präzisierung zuletzt Rechnung getragen.
1.2
Die Klage ist auch begründet. Die Beklagte ist nach dem unstreitigen Sachverhalt verpflichtet, die Zuschläge gem. § 14 MTV für den Kläger unter Einbeziehung der Zulage nach § 3 Nr. 1.3 ETV zu berechnen und zu bezahlen, und zwar sowohl im Zeitraum 1. April bis 31. Oktober 2004 als auch wiederum ab 1. März 2005.
1.2.1
Dies folgt allerdings nicht schon aus § 4 des Arbeitsvertrages vom 27. März 1992.
Wenn es dort heißt, der Arbeitnehmer erhalte "Zuschläge auf den jeweiligen Gesamt - Stundenlohn gem. jeweils gültigen Manteltarifvertrag", so bedeutet dies nur eine deklaratorische Bezugnahme auf die seinerzeitige Tarifrechtslage gem. §§ 3 u. 4 des Manteltarifvertrages, den die Beklagte am 23. Juni 1989 mit der ÖTV, Bezirksverwaltung Berlin abgeschlossen hatte. In § 20 des Arbeitsvertrages hat der Kläger sich aber dem (für den Betrieb der Beklagten) jeweils gültigen Lohn- und Manteltarifvertrag unterworfen, wobei es sich um eine übliche so genannte "Tarifwechselklausel" handelt, die selbst für nicht gewerkschaftsangehörige Arbeitnehmer bewirkt, dass diejenigen Tarifbestimmungen das Arbeitsverhältnis erfassen, an die der Arbeitgeber Kraft eigener Verbandszugehörigkeit (jeweils) gebunden ist, sei es auch erst nach einem Verbandswechsel (vgl. dazu BAG 4 AZR 467/01 v. 16.10.2002, EZA § 3 TVG Bezugnahme auf Tarifvertrag Nr. 22). Dies schließt eine Verschlechterung der Lohn- und sonstigen Arbeitsbedingungen für den Arbeitnehmer nicht aus, sondern ermöglicht sie geradezu. Dass die Tarifverträge vom 7. Juli 2003 mit Wirkung ab 1. April 2004 das Arbeitsverhältnis des Klägers erfasst und die nachwirkende Geltung der früheren Haustarifverträge der Beklagten abgelöst haben, gilt umso mehr, als der Kläger Mitglied der Gewerkschaft ist, die die Tarifverträge vom 7. Juli 2003 abgeschlossen hat. Es folgt schließlich auch aus der Allgemeinverbindlicherklärung der beiden Tarifverträge vom 7. Juli 2003 nach § 5 Abs. 4 TVG. Eine günstigere, konstitutive und gegen eine Tarifabsenkung geschützte vertragliche Vereinbarung über die Berechnungsgrundlage für die Sonn-, Feiertags- und Nachtzuschläge hat der Kläger mit der Beklagten nicht getroffen.
1.2.2
Mit dem Arbeitsgericht legt die hiesige Berufungskammer § 14 MTV jedoch dahin aus, dass unter "Stundenlohn" der für den Arbeitnehmer nach § 3 ETV jeweils geltende (Gesamt-) Lohn unter Einschluss der jeweils aktuellen "Zulage" zu verstehen ist, so dass für den Kläger ein Stundenlohn von (5,25 plus 2,19 EUR=) 7,44 EUR in Ansatz zu bringen ist.
1.2.2.1
Die normativen Bestimmungen eines Tarifvertrages sind nach ständiger Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts, der die Kammer folgt, wie Gesetze auszulegen. Dabei ist zunächst vom Tarifwortlaut auszugehen, darüber hinaus ist aber der wirkliche (übereinstimmende) Wille der Tarifparteien zu berücksichtigen, wie er in den tariflichen Normen seinen Niederschlag gefunden hat. Hierzu ist auch auf den tariflichen Gesamtzusammenhang abzustellen. Für die bei Zweifeln darüber hinaus mögliche Heranziehung weiterer Auslegungskriterien (Tarifgeschichte, praktische Tarifübung und Entstehungsgeschichte des Tarifvertrages) gibt es keinen Zwang zu einer bestimmten Reihenfolge. Die Auffassung der beteiligten Berufskreise ist kein selbständiges Auslegungskriterium (st. Rspr. seit der Entscheidung vom 12.9.1984, AP Nr. 135 zu § 1 TVG Auslegung; vom 23. 2.1994 AP Nr. 151 a.a.O.).
1.2.2.2
Der Wortlaut des § 14 MTV erscheint der Kammer eindeutig im Sinne der Klage. Im allgemeinen Sprachgebrauch ist Stundenlohn der "Lohn, der nach Arbeitsstunden bemessen wird" (vgl. Duden, Das große Wörterbuch der deutschen Sprache, 3. Auflage 1999; ähnlich Wahrig, Die deutsche Rechtschreibung 2005: "Nach Arbeitsstunden berechneter Lohn"), im Unterschied zum Leistungs- oder Stücklohn. Da die "Zulagen" gem. § 3 ETV ebenso wie der "Grundlohn" nach Stunden bemessen sind, besteht kein Zweifel, dass sie zum Stundenlohn im umgangssprachlichen Sinne gehören. Ein davon abweichender juristischer Gebrauch des Wortes "Stundenlohn" ist der Kammer nicht bekannt. Die "Zulagen" nach § 3 ETV aus dem "Stundenlohn" nach § 14 MTV auszuklammern, bestünde nur dann Anlass, wenn Anhaltspunkte dafür vorhanden wären, dass die Tarifparteien (beide Tarifparteien übereinstimmend) eine solche Reduzierung des Stundenlohnbegriffes gewollt haben. Solche Anhaltspunkte sind nicht vorhanden. Im Gegenteil:
1.2.2.3
Betrachtet man den Gesamtzusammenhang der tariflichen Normen, in den § 14 MTV eingebettet ist, fällt zunächst auf, dass der Manteltarifvertrag den Begriff des Stundenlohnes nicht ein zweites Mal verwendet. In § 15 Nr. 1 ist von "Arbeitsentgelt" die Rede, in § 25 von "Monatslohn". Allerdings bestimmt § 15 Nr. 3 MTV, dass aus der monatlichen Abrechnung "die Höhe des Lohnes, die geleisteten Arbeitsstunden und alle Zuschläge, eventuelle Sonderzahlungen sowie die gesetzlichen Abzüge hervorgehen" müssen; die "Zulagen" nach § 3 ETV werden nicht erwähnt, was nur den Schluss zulässt, dass der Manteltarifvertrag sie als Bestandteil des "Lohnes" ansieht. Dafür spricht insbesondere auch § 6 des von denselben Parteien am selben Tag abgeschlossenen Entgelttarifvertrages ("Bei den Löhnen gem. § 3 dieses Entgelttarifvertrages handelt es sich um Bruttolöhne oder - lohnbestandteile pro Stunde"): mit "Lohnbestandteilen" können nur die in § 3 genannten "Zulagen" gemeint sein. Hiervon abgesehen spricht aber der Manteltarifvertrag an zwei Stellen ausdrücklich vom "tariflichen Grundlohn", nämlich in § 23 im Zusammenhang mit der Entgeltfortzahlung im Krankheitsfall und in § 25 im Zusammenhang der Berechnung der betrieblichen Sonderzahlungen. Ob damit - für die Entgeltfortzahlung im Krankheitsfall und für die betrieblichen Sonderzahlungen - die "Zulagen" gem. § 3 ETV ausgeklammert werden sollten, erscheint zwar zweifelhaft, da § 23 MTV in diesem Falle an einem nur schwer lösbaren inneren Widerspruch leiden würde. Die Verwendung des Begriffs "Grundlohn" in §§ 23 und 25 bietet aber immerhin Anhaltspunkt dafür, dass die Verwendung des Begriffs "Stundenlohn" in § 14 nicht einschränkend gemeint sein kann. Diese Annahme wird verstärkt dadurch, dass der Entgelttarifvertrag, der schon wegen § 15 Nr. 1 des Manteltarifvertrages mit diesem ein einheitliches Tarifwerk bildet, den Begriff des "Stundengrundlohns" an zwei Stellen ausdrücklich verwendet, und zwar in § 7 Nr. 2 Satz 1 bei der Definition des "im jeweiligen Tätigkeitsbereich vorgesehenen tariflichen Entgelts", nämlich: "Stundengrundlohn zzgl. aller tariflichen Zulagen und Zuschläge"-, und sodann in § 7 Nr. 2 Satz 2 (..."bisher gewährte Stundengrundlöhne, die über dem tariflichen Entgelt liegen"). Insbesondere die erstgenannte Bestimmung zeigt, dass die Tarifparteien zwischen Stunden - Gesamtlohn und "Stundengrundlohn" sehr wohl zu unterscheiden wissen und mit letzterem Begriff offensichtlich die Löhne meinen, die in § 3 unter Nr. 1 an erster und vierter Stelle, unter Nr. 6 an erster und zweiter Stelle, unter Nr. 11 an erster, zweiter und dritter Stelle und im Übrigen jeweils an erster Stelle aufgeführt sind. Wenn sie dann aber in § 14 MTV nicht den Begriff des Stundengrundlohns, sondern denjenigen des Stundenlohns verwenden, kann dies nur bedeuten, dass sie den gesamten Stundenlohn im umgangssprachlichen Sinne, also unter Einschluss der "Zulagen" verstehen.
Dies gilt umso mehr, als in der "Protokollnotiz Nr. 3" zum ETV vom 7. Juli 2003 erneut vom "tariflichen Stundengrundlohn einschließlich aller Zulagen ... gem. § 3 ETV" die Rede ist sowie vom "höheren vortariflichen Stundengrundlohn". Hiernach kann nicht angenommen werden, dass der Begriff des "Stundenlohns" in § 14 einschränkend im Sinne von "tariflicher Stundengrundlohn" gemeint ist.
1.2.2.4
Der Sinn und Zweck des § 14 MTV spricht nicht für eine solche Annahme. Mit den Zuschlägen für Nachtarbeit sowie Sonn- und Feiertagsarbeit sollen die physischen und psychischen Erschwernisse ausgeglichen werden, die mit Arbeiten zu diesen ungünstigen Zeiten verbunden sind. Darüber hinaus tragen sie der erhöhten Verantwortung Rechnung, die mit bewachender Tätigkeit zu diesen Zeiten verbunden ist, da in den zu bewachenden Objekten in den fraglichen Zeiten in der Regel deutlich weniger eigenes Personal vorhanden ist. Die Erschwernisse, die durch die Zuschläge nach § 14 MTV abgegolten werden sollen, mögen für alle Arbeitnehmer, die in § 3 ETV aufgeführt sind, gleich sein. Dies zwingt aber ebenso wenig dazu, sie allen Arbeitnehmern gegenüber gleich zu vergüten, wie dies bei den jeweiligen Grundlöhnen der Fall ist. Das Arbeitsgericht Berlin hat in seiner Entscheidung vom 6. April 2005 im Parallelfall des Klägers M. (42 Ca 15240/04) dazu ausgeführt, dass die Zuschläge generell nicht in Prozentsätzen vom Stundenlohn gezahlt werden dürften, sondern als feste, gleich bleibende Entgeltbeträge für alle Lohngruppen, wenn die Absicht bestanden haben sollte, die abgegoltene Erschwernis unabhängig von der jeweiligen Tätigkeit gleich zu bewerten. Dem schließt sich die Kammer an.
1.2.2.5
Auch der Sinn und Zweck des § 3 ETV spricht nicht für eine einschränkende Auslegung des Begriffs "Stundenlohn" nach § 14 MTV. Vergleicht man § 3 des Entgelttarifvertrages vom 7. Juli 2003 mit den entsprechenden Bestimmungen des "Vorgängertarifvertrages" (Entgelttarifvertrag für das Wach- und Sicherheitsgewerbe Berlin zwischen der ÖTV, Bezirksleitung Berlin und dem BDWS e.V., Landesgruppe Berlin, vom 18. Februar 1998), nämlich dem dortigen § 2, so fällt auf, dass für die Tätigkeiten, für die im jüngeren Tarifvertrag jeweils einzelne Zulagen vorgesehen sind, im früheren Tarifvertrag eigenständige Lohngruppen mit einem einheitlichen Stundenlohn vorhanden waren. Einziger für die Kammer erkennbarer Grund für diese Veränderung dürfte sein, dem Arbeitgeber eine größere Flexibilität bei der Lohnzahlung zuzubilligen; der Arbeitgeber soll ohne weiteres jeweils nur den tariflich vorgesehenen Grundlohn schulden, die "Zulagen" dagegen nur dann und solange, wie der Arbeitnehmer mit einer "zulagenpflichtigen" Tätigkeit betraut ist. Da gleichzeitig die (Gesamt-) Löhne kräftig abgesenkt wurden, m.a.W.: die Grundlöhne zzgl. Zulagen durchweg - teilweise erheblich - unter den früheren Tariflöhnen liegen, führt dies zu einer ganz erheblichen Ersparnis der Arbeitgeberseite und zu einer erheblichen Lohneinbuße auf der Arbeitnehmerseite. Dass aber die Flexibilisierung darüber hinaus auch noch dazu dienen sollte, auch die Zuschläge nach § 14 zu kürzen, ist nicht erkennbar. § 14 des Manteltarifvertrages vom 7. Juli 2003 enthält, für sich genommen, bereits eine Verschlechterung für die Arbeitnehmer und eine Verbesserung für die Arbeitgeber im Verhältnis zu der entsprechenden Bestimmung im vorherigen Manteltarifvertrag vom 18. Februar 1998, nämlich dem dortigen § 21: Denn die Zuschläge für Mehrarbeit und für Arbeit in eigentlich vorgesehenen Freischichten wurden gänzlich gestrichen. Dass der neue § 3 darüber hinaus bezweckt, die in § 14 MTV vorgesehenen Prozentsätze faktisch generell deutlich herabzusetzen, kann nicht angenommen werden.
1.2.2.6
Die Tarifgeschichte wiederum spricht nach Auffassung der Kammer mehr für die Wortauslegung im Sinne der Klage als gegen sie: § 14 des Manteltarifvertrages vom 7. Juli 2003 ist in seinem Eingangssatz ("Neben dem Stundenlohn sind folgende Zuschläge zu zahlen ...") nahezu identisch mit der Formulierung in § 21 des Manteltarifvertrages vom 18. Februar 1998 ("Neben dem Stundenlohn sind u.a. folgende Zuschläge zu zahlen ..."), letzte wiederum identisch mit der Eingangsformulierung von § 21 des Manteltarifvertrages vom 23. Dezember 1992 zwischen den selben Tarifparteien. Es bestand früher kein Zweifel, dass "Stundenlohn" im Sinne der Bestimmung über die Zuschläge den tariflichen Gesamt - Stundenlohn meinte. Wenn die Tarifparteien nunmehr dieselbe Formulierung wie früher verwenden, ihr aber einen anderen Sinn geben wollten als früher, wenn sie also die in § 14 geregelten Zuschläge faktisch über die bisherigen Prozentsätze hinaus weiter hätten absenken wollen, hätten sie dies deutlicher zum Ausdruck bringen müssen, als sie es getan haben.
1.2.2.7
Für die Auslegung im Sinne der Klage mag auch noch folgende Überlegung sprechen: Die Tarifparteien haben, worauf bereits hingewiesen wurde, die tariflichen (Gesamt-) Löhne durch den Entgelttarifvertrag vom 7. Juli 2003 im Vergleich zu dem vorherigen tarifrechtlichen Zustand erheblich abgesenkt, was nicht nur eine Überlegenheit des Arbeitgeberlagers widerspiegelt, sondern wohl auch das gemeinsame Bemühen beider Tarifparteien, durch die erstrebte und erreichte Allgemeinverbindlichkeit einem noch weitergehenden Lohnverfall in der Branche Einhalt zu gebieten. Keine der beiden Tarifparteien dürfte aber, wenn sie auf die Tarifabsenkung angesprochen würde, geltend machen wollen, die Löhne seien in dem Umfang abgesenkt worden, der der Reduzierung des bisherigen (Gesamt-) Lohnes auf den neuen (Grund-) Lohn entspricht. Beide würden sich dagegen verwahren, wenn etwa behauptet würde, der Tariflohn einer "Werkschutzfachkraft nach bestandener IHK-Prüfung, in Ausübung dieser Tätigkeit und bei Abforderung für den Kunden" sei von zuletzt 19,04 DM (9,73 EUR) auf 5,55 EUR (also um 43 %) abgesenkt worden; beide würden darauf hinweisen, dass der fragliche Arbeitnehmer immerhin noch (5,25 plus 2,19 =) 7,44 EUR pro Stunde erhält. Dieser Lohn sollte dann auch der für die Zuschläge nach § 14 MTV maßgebende Stundenlohn sein.
1.2.2.8
Für die Einbeziehung der "Zulagen" in den Stundenlohn nach § 14 spricht schließlich auch ein Vergleich mit den Angestellten. § 4 ETV sieht für die Angestellten (lediglich) 4 Gehaltsgruppen vor mit gleich bleibenden Monatsgehältern. Sie nehmen aber ebenso wie die gewerblichen Arbeitnehmer an der Zuschlagsregelung des § 14 teil. Wenn bei ihnen hinsichtlich der Zuschläge nicht zwischen "Grundgehältern" und flexiblen "Zulagen" unterschieden wird, sollte dies auch nicht bei den gewerblichen Arbeitnehmern geschehen.
1.2.2.9
Ergibt hiernach eine Auslegung nach herkömmlichen Auslegungsmethoden, dass "Stundenlohn" im Sinne des § 14 MTV der Gesamtlohn nach § 3 ETV unter Einschluss der dort genannten Zulagen ist, folgt nichts anderes aus der Behauptung der Beklagten, die an den Tarifverhandlungen beteiligten Personen hätten die Zuschläge nach § 14 MTV nur auf die jeweiligen Grundlöhne gewähren wollen. Ein derartiger Wille der handelnden Personen beider Seiten hat jedenfalls in den Tarifvertrag keinen Eingang gefunden. Im Übrigen stützt die aus dem Parallelverfahren vor dem Arbeitsgericht Berlin - 42 Ca 15240/04 - eingegangene schriftliche Auskunft der Arbeitgeberseite, nämlich das Schreiben des Herrn T. vom 16. Dezember 2004 (Bl. 159 f. d. A.) nicht einmal die Behauptung, dass die Frage zwischen den Vertretern der beiden Verbände offen diskutiert worden wäre; Herr T. spricht vielmehr davon, dass "für unseren Arbeitskreis" (also: für die Arbeitgeberseite) die Maxime gegolten habe: Keine Zuschläge auf Zulagen, und dass "wir" (d. h.: Die beteiligten Arbeitgeber) "bei der Entstehung unserer Entwürfe solche Beispiele besprochen" haben und "klar der Auffassung" waren, "dass Zuschläge nur auf den Lohn gezahlt werden". Auf der anderen Seite stützt aber das Schreiben der Gewerkschaft ver.di vom 2. März 2005 an den Prozessbevollmächtigten des Klägers im Parallelverfahren (Bl. 185 d. A.) die prozessuale Behauptung der Beklagten, dass die Frage, ob die Zuschläge nach § 14 MTV auch auf die Zulagen nach § 3 ETV zu zahlen sind, tatsächlich angesprochen worden sein dürfte. Selbst wenn dabei das Arbeitgeberlager sich klar geäußert und das Arbeitnehmerlager "keine nennenswerten Einwendungen erhoben" hat (so der Vortrag auf Seite 3 der Berufungsbegründung, Bl. 129 d. A.), würde dies jedenfalls nicht bedeuten, dass beide Tarifparteien zu dem fraglichen Problem dieselbe Auffassung gehabt und diese auch noch im Tarifvertrag ausreichend zum Ausdruck gebracht hätten.
2.
Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 97 Abs. 1 ZPO.
3.
Die Revision war sowohl nach § 72 Abs. 2 Nr. 1 als auch nach § 72 Abs. 2 Nr. 2 ArbGG im Hinblick auf die Abweichung von der Entscheidung der Kammer 9 des hiesigen Landesarbeitsgerichts vom 8. Juni 2005 (9 Sa 550/05) angezeigt.
Ende der Entscheidung
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