Judicialis Rechtsprechung

Mit der integrierten Volltextsuche, die vom Suchmaschinenhersteller "Google" zur Verfügung gestellt wird, lassen sich alle Entscheidungen durchsuchen. Dabei können Sie Sonderzeichen und spezielle Wörter verwenden, um genauere Suchergebnisse zu erhalten:

Zurück

Beginn der Entscheidung

Gericht: Landesarbeitsgericht Berlin
Beschluss verkündet am 10.01.2005
Aktenzeichen: 16 Ta 2212/04
Rechtsgebiete: ArbGG


Vorschriften:

ArbGG § 2 Abs. 3
Hat das Landgericht die Feststellungsklage eines GmbH-Geschäftsführers gegen die (zeitlich nach der Abberufung liegende) außerordentliche Kündigung seines Dienstverhältnisses (zu Unrecht, aber bestandskräftig) an das Arbeitsgericht verwiesen, kann vor dem Arbeitsgericht nach § 2 Abs. 3 ArbGG eine Widerklage erhoben werden, mit der Schadensersatz wegen Verhaltensweisen des Geschäftsführers aus der Zeit vor seiner Abberufung verlangt wird. Dies gilt jedenfalls dann, wenn die Verhaltensweisen, deretwegen Schadensersatz verlangt wird, (teilweise) identisch sind mit den Kündigungsvorwürfen.
Landesarbeitsgericht Berlin Beschluss

16 Ta 2212/04

In der Beschwerdesache

hat das Landesarbeitsgericht Berlin, 16. Kammer durch den Vorsitzenden Richter am Landesarbeitsgericht Kießling als Vorsitzenden am 10. Januar 2005 beschlossen:

Tenor:

1.

Auf die sofortige Beschwerde der Beklagten wird der Beschluss des Arbeitsgerichts Berlin vom 03.09.2004 - 8 Ca 5891/04 - aufgehoben, soweit er die Rechtswegzuständigkeit der Gerichte für Arbeitssachen für die Widerklage verneint und die Widerklage an das Landgericht Berlin verwiesen hat.

Für die Widerklage ist der Rechtsweg zu den Gerichten für Arbeitssachen zulässig.

2.

Der Beschwerdewert beträgt 3.590,- €.

3.

Die Rechtsbeschwerde wird zugelassen.

Gründe:

1.

Die Parteien streiten vorliegend über den Rechtsweg für eine auf Schadensersatz gerichtete Widerklage.

Der Kläger war seit 1992 bei der Beklagten als Geschäftsführer mit der Schwerpunktzuständigkeit Vertrieb angestellt. Durch Schreiben vom 30.07.2003 (Bl. 9 d.A.) teilte ihm die Alleingesellschafterin der Beklagten mit, er werde als Geschäftsführer mit sofortiger Wirkung abberufen, womit auch sein Anstellungsvertrag als Geschäftsführer (ordentlich und fristgemäß) zum 31.12.2004 ende; bis dahin werde der Anstellungsvertrag fortgeführt und der Kläger ab sofort als "Direktor Vertrieb" eingesetzt und dem Geschäftsführer W. unterstellt.

Durch Schreiben vom 10.10. 2003 (Bl. 10 d.A.) kündigte die Beklagte das Anstellungsverhältnis fristlos, da kurz zuvor zahlreiche Unregelmäßigkeiten des Klägers aus seiner Zeit als Geschäftsführer bekannt geworden seien, darunter die auf seine Veranlassung erfolgte, nach Behauptung der Beklagten unberechtigte Fakturierung dreier umfangreicher Rechnungen, und zwar vom 31.10.2002 an die T-S. International GmbH (Bl. 99 f. d.A.), vom 17.12.2002 an die N. S. GmbH (Bl. 133 d.A.), vom 27.12.2002 an die E.-P. GmbH (Bl. 255 ff. d.A.).

Gegen die Kündigung hat der Kläger am 29.10.2003 beim Landgericht Berlin Feststellungsklage eingereicht, die das Landgericht durch rechtskräftigen Beschluss vom 12.02.2004 (Bl. 194 f. d.A.) an das Arbeitsgericht Berlin verwiesen hat, im Wesentlichen mit der Begründung, das Abberufungsschreiben sei als Änderungskündigung aufzufassen, die der Kläger akzeptiert habe, mit seinem Angriff auf die Kündigung vom 10.10.2003 mache er Rechte als Arbeitnehmer geltend.

Vor dem Arbeitsgericht hat die Beklagte mit Schriftsatz vom 06.05.2004 (Bl. 230 ff. d.A.) Widerklage erhoben mit dem Antrag,

den Kläger zur Zahlung von 10.771,88 € nebst Zinsen zu verurteilen,

und zwar mit der Begründung, der Kläger habe durch die Veranlassung der unberechtigten Erstellung und Einbuchung der 3 genannten Rechnungen zu verantworten, dass die Beklagte jeweils am 15. des auf die Rechnungsstellung folgenden Monats Umsatzsteuer abgeführt habe, die erst mehrere Monate später durch entsprechende Verrechnungen gegenüber dem Finanzamt wieder hätte zurückerlangt werden können; hierdurch seien der Beklagten Finanzierungskosten bzw. ein entsprechender Zinsschaden in Höhe der Widerklageforderung entstanden.

Nach Abtretung der Widerklageforderung an die Muttergesellschaft verlangt die Beklagte nunmehr Zahlung des Betrages, der Gegenstand der Widerklage ist, nicht mehr an sich, sondern an die Muttergesellschaft (vgl. Schriftsatz vom 23.08.2004, Bl. 362 d.A.).

Im Kammertermin am 03.09.2004 hat der Kläger

beantragt festzustellen, dass sein Anstellungsverhältnis bei der Beklagten durch die außerordentliche Kündigung der Beklagten vom 10. Oktober 2003 nicht aufgelöst worden ist,

während die Beklagte neben der Klageabweisung ihrerseits widerklagend beantragt hat, den Kläger zu verurteilen, an die T. -AG & Co. KG 10.771,88 € nebst Zinsen zu zahlen,

welchem Antrag der Kläger seinerseits entgegen getreten ist.

Das Arbeitsgericht hat am Schluss der Sitzung zwei Entscheidungen verkündet, nämlich zunächst ein Urteil mit der Feststellung, dass das Anstellungsverhältnis des Klägers bei der Beklagten durch die außerordentliche Kündigung der Beklagten vom 10. Oktober 2003 nicht aufgelöst worden ist,

und sodann einen Beschluss mit dem Tenor:

1. die Rechtswegzuständigkeit der Gerichte für Arbeitssachen ist hinsichtlich der Widerklage nicht gegeben.

2. Der Rechtsstreit wird hinsichtlich der Widerklage abgetrennt und an das Landgericht Berlin verwiesen.

Das Urteil ist im Wesentlichen damit begründet, die Beklagte habe die Zwei-Wochenfrist des § 626 Abs. 2 BGB nicht gewahrt, außerdem hätte die Kündigung durch einen Geschäftsführer der Beklagten statt durch die Vertreter ihrer Alleingesellschafterin unterzeichnet werden müssen.

Zur Begründung des Beschlusses führt das Arbeitsgericht im Wesentlichen aus, durch das Abberufungsschreiben vom 30.07.2003 sei eine wesentliche Veränderung der Rechtsbeziehungen der Parteien eingetreten, der Kläger sei ab dieser Zeit als Arbeitnehmer anzusehen. Der mit der Widerklage verfolgte Schadensersatzanspruch betreffe aber ausschließlich Aktivitäten des Klägers aus der Zeit seiner Geschäftsführertätigkeit. Klage und Widerklage könnten zu unterschiedlichen Ergebnissen führen, ohne dass das eine Ergebnis vom anderen in rechtlicher oder wirtschaftlicher Hinsicht abhänge; es fehle daher an den Voraussetzungen für die Bejahung der Zusammenhangszuständigkeit nach § 2 Abs. 3 ArbGG.

Gegen diesen am 21.09.2004 zugestellten Beschluss richtet sich die am 06.10.2004 beim Arbeitsgericht eingelegte

sofortige Beschwerde der Beklagten,

der das Arbeitsgericht durch Beschluss vom 13.10.2004 (Bl. 451 d.A.) nicht abgeholfen hat; ob die gegen den Kläger erhobenen Vorwürfe zuträfen oder nicht, sei nur ein Gesichtspunkt unter vielen für die Frage der Rechtmäßigkeit der Kündigung; bei derartiger Sachlage erfordere es die Prozessökonomie nicht, einen rechtlichen oder unmittelbaren wirtschaftlichen Zusammenhang zwischen Klage und Widerklage anzunehmen.

Die Beklagte macht einen rechtlichen, jedenfalls aber einen unmittelbar wirtschaftlichen Zusammenhang der Widerklage mit der Klage geltend. Die Verhaltensweisen des Klägers, auf die der Schadensersatzanspruch der Widerklage gestützt werde, seien exakt dieselben, mit denen auch die Kündigung, die Gegenstand des Klageantrages ist, begründet werde. Beide Streitigkeiten entsprängen damit dem gleichen einheitlichen Lebenssachverhalt, was ausreichen müsse, um auch die Widerklage vor dem Arbeitsgericht zu verhandeln.

Die Beklagte beantragt,

den Beschluss vom 03.09.2004 zu ändern und die Rechtswegzuständigkeit der Gerichte für Arbeitssachen hinsichtlich der Widerklage zu bejahen.

Der Kläger beantragt,

die sofortige Beschwerde zurückzuweisen, da er den Beschluss für richtig hält.

2.

Die form- und fristgerecht eingelegte Beschwerde ist begründet. Die Rechtswegzuständigkeit des Arbeitsgerichts ergibt sich aus § 2 Abs. 3 ArbGG:

Für die Geltendmachung des mit der Widerklage verfolgten Schadensersatzanspruchs besteht keine ausschließliche Zuständigkeit eines anderen Gerichts. Eine unmittelbare arbeitsgerichtliche Zuständigkeit nach § 2 Abs. 1 ArbGG (insbesondere: Nr. 3) ist andererseits ebenfalls nicht zu bejahen, da die Handlungen (oder Unterlassungen) des Klägers aus denen der Schaden hergeleitet wird, nicht im Rahmen eines Arbeitsverhältnisses begangen wurden, sondern im Rahmen eines Anstellungsverhältnisses als Geschäftsführer, welches auch der Kläger nicht als Arbeitsverhältnis begreift. Bei Einreichung der Widerklage war der Streit über die Kündigung jedoch als bürgerlich-rechtliche Streitigkeit beim Arbeitsgericht anhängig, gleichgültig, ob man den Verweisungsbeschluss des Landgerichts für inhaltlich berechtigt hält oder nicht; jedenfalls ist er für das Arbeitsgericht bindend geworden.

Mit diesem bürgerlich-rechtlichen Streit über die Kündigung steht die Widerklage in unmittelbarem wirtschaftlichem Zusammenhang: Davon ist auszugehen, wenn die verschiedenen Streitgegenstände auf demselben wirtschaftlichen Verhältnis beruhen oder wirtschaftliche Folgen desselben Tatbestands sind; die Ansprüche müssen inhaltlich eng zusammen gehören, also einem einheitlichen Lebenssachverhalt entspringen und nicht nur rein zufällig in Verbindung zueinander stehen (vgl. etwa BAG 5 AZB 20/01 vom 23.08.2001, AP Nr. 76 zu § 2 ArbGG 1979; Schwab/Weth, ArbGG, 2004, § 2 Rn. 189, 190 m.w.N.). So ist es hier. Die Beklagte macht den Kläger dafür verantwortlich, dass die fraglichen Rechnungen fakturiert und damit steuerrechtlich wirksam geworden sind, obwohl dies betriebswirtschaftlich und steuerrechtlich nicht angezeigt war. Mit diesen Vorwürfen begründet sie (unter anderem) gleichzeitig die ausgesprochene Kündigung, die Gegenstand der Klage ist. Auch wenn die Kündigung auf weitere Vorwürfe gestützt ist, beruhen doch Klage und Widerklage auf einem einheitlichen Lebenssachverhalt, der nach hiesiger Auffassung nicht deshalb zu verneinen ist, weil über die Klage auch entschieden werden könnte, ohne damit gleichzeitig die Widerklage zu präjudizieren (und umgekehrt). Das Arbeitsgericht hat der Klage aus zwei mehr oder weniger formalen Gründen entsprochen (Nichteinhaltung der Zwei-Wochenfrist des § 626 Abs. 2 BGB und Ausspruch der Kündigung durch die Gesellschafterin statt durch den Geschäftsführer), ohne die inhaltliche Berechtigung der Kündigungsvorwürfe zu prüfen. Bei dieser Lösung macht zwar nicht bereits die Prozessökonomie die Entscheidung über beide Streitgegenstände durch dasselbe Gericht erforderlich. Das ändert aber nichts daran, dass die mit Klage und Widerklage verfolgten Ansprüche einem einheitlichen Lebenssachverhalt entspringen. Im Übrigen ist die vom Arbeitsgericht getroffene Beurteilung der Klage nicht zwingend die allein rechtlich mögliche. Die Beklagte hat - unter Hinweis auf zivilgerichtliche Rechtsprechung (u.a. OLG Karlsruhe v. 25.08.1995, GmbHR 1996, 208 sowie BGH vom 14.07.1966 WM 1966, 1968 und vom 09.02.1978, BB 1978, 520, ferner OLG Frankfurt vom 28.11.1980, BB 1981, 265) - schon erstinstanzlich die Auffassung eingenommen, das Abberufungsschreiben vom 30.07.2003 habe das Anstellungsverhältnis des Klägers als Geschäftsführer in seiner rechtlichen Natur nicht verändert und jedenfalls nicht in ein Arbeitsverhältnis umgewandelt. Diese Auffassung erscheint nicht unvertretbar. Falls das Berufungsgericht ihr folgt, werden die Kündigungsvorwürfe, darunter auch die Vorwürfe im Zusammenhang mit den genannten drei Rechnungen, inhaltlich zu bewerten (und gegebenenfalls aufzuklären) sein. Dann aber wäre es auch prozessökonomisch sinnvoll, beide Streitgegenstände vor demselben Gericht zu verhandeln. Zwar wäre dann das Arbeitsgericht ursprünglich weder für die Klage (allein) noch für die Widerklage (allein) zuständig gewesen, und das Landgericht hätte die bei ihm anhängige Klage zu Unrecht verwiesen. Dies nimmt den Parteien aber nicht die nach § 2 Abs. 3 ArbGG eröffnete Möglichkeit, vor dem nunmehr zuständig gewordenen Gericht einen weiteren Anspruch zu erheben, der ohne diese Vorgeschichte dort nicht hätte erhoben werden können.

3.

Als Beschwerdewert wurde ein Drittel des mit der Widerklage verlangten Betrages angenommen.

4.

Im Hinblick darauf, dass der Begriff des unmittelbaren wirtschaftlichen Zusammenhangs im Sinne von § 2 Abs. 3 ArbGG nicht abschließend geklärt erscheint, war die Zulassung der Rechtsbeschwerde nach §§ 78, 72 Abs. 2 ArbGG angezeigt.



Ende der Entscheidung

Zurück