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Gericht: Landesarbeitsgericht Berlin
Urteil verkündet am 17.11.2004
Aktenzeichen: 17 Sa 1601/04
Rechtsgebiete: BGB
Vorschriften:
BGB § 242 |
Landesarbeitsgericht Berlin Im Namen des Volkes Urteil
Verkündet am 17.11.2004
In Sachen
hat das Landesarbeitsgericht Berlin, 17. Kammer, auf die mündliche Verhandlung vom 17.11.2004 durch den Vorsitzenden Richter am Landesarbeitsgericht Dreßler als Vorsitzenden sowie die ehrenamtlichen Richter Frenzel und Reinhard
für Recht erkannt:
Tenor:
I. Die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des Arbeitsgerichts Berlin vom 16. Juni 2004 - 42 Ca 25475/03 - wird auf ihre Kosten zurückgewiesen.
II. Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand:
Die Parteien streiten vor allem über die Wirksamkeit einer ordentlichen Verdachtskündigung.
Die Klägerin war bei der Beklagten bzw. ihren Rechtsvorgängern seit dem 1. September 1983 tätig und wurde zuletzt als Sachbearbeiterin Kasse/Zolldienst im Hafen M. beschäftigt. Der Ehemann der Klägerin stand zunächst ebenfalls in einem Arbeitsverhältnis zu der Beklagten und wechselte mit Wirkung zum 1. April 1999 zu einem Konkurrenzunternehmen.
Die Klägerin geriet in den Verdacht, sie habe Geschäftsgeheimnisse an ihren Ehemann verraten, um diesem eine Abwerbung von Kunden zu ermöglichen. Die Beklagte führte deshalb zunächst am 24. April 2003 ein Personalgespräch mit der Klägerin, in dem konkrete Einzelheiten noch nicht zur Sprache kamen; auch wurde der Kläger eine Weiterbeschäftigung im Seehafen R. angeboten. Nach einer weiteren Anhörung der Klägerin am 17. Juni 2003 räumte die Beklagten der Klägerin mit einem Schreiben ihrer Prozessbevollmächtigten vom 18. Juni 2003 eine Frist zur Stellungnahme bis zum 24. Juni 2003 ein. In dem an den Prozessbevollmächtigten der Klägerin gerichteten Schreiben heißt es:
"Des Weiteren teilen wir mit, dass sich unsere Mandantschaft an das mit Datum vom 30. April 2003 Ihrer Mandantin unterbreitete Änderungsvertragsangebot auf Weiterbeschäftigung im Seehafen R. bis zum 24. Juni 2003 gebunden hält. Sofern innerhalb dieser Frist von Seiten Ihrer Mandantschaft eine Annahme des Angebotes nicht erfolgt, wird die Einleitung arbeitsrechtlicher Schritte durch Ausspruch einer verhaltensbedingten Änderungskündigung nach ordnungsgemäßer Beteiligung des Betriebsrats erfolgen."
Nachdem die Klägerin unter dem 24. April 2003 eine Stellungnahme zu den Vorwürfen abgegeben hatte, übersandte die Beklagte der Klägerin eine eidesstattliche Versicherung eines ihrer Mitarbeiter mit der Bitte um Kenntnisnahme und Stellungnahme bis zum 18. Juli 2003. Sie kündigte das Arbeitsverhältnis der Klägerin nach Anhörung des Betriebsrats mit Schreiben vom 20. August 2003 zum 31. März 2004.
Mit ihrer Klage hat sich die Klägerin gegen die Kündigung des Arbeitsverhältnisses gewandt und eine tarifliche Zuwendung für das Jahr 2003 gefordert. Die Beklagte ist der Klage entgegengetreten. Von der weiteren Darstellung des erstinstanzlichen Sachverhalts wird gemäß § 69 Abs. 2 ArbGG abgesehen.
Das Arbeitsgericht hat der Klage durch ein am 16. Juni 2004 verkündetes Urteil entsprochen. Der Sachvortrag der Beklagten rechtfertige den gegen die Klägerin erhobenen Verdacht nicht. Auch hätte die Beklagte die Klägerin im Seehafen R. weiterbeschäftigen können. Da die Kündigung unwirksam sei, stehe der Klägerin die begehrte Zuwendung für das Jahr 2003 zu. Wegen der Einzelheiten der Begründung wird auf die Entscheidungsgründe des angefochtenen Urteils verwiesen.
Gegen dieses ihr am 14. Juli 2004 zugestellte Urteil richtet sich die am 23. Juli 2004 eingelegte Berufung der Beklagten, die sie mit einem am 14. September 2004 beim Landesarbeitsgericht eingegangenen Schriftsatz begründet hat.
Die Beklagte hält die Kündigung unter Wiederholung und Vertiefung ihres erstinstanzlichen Vorbringens weiterhin für rechtswirksam. Es habe der dringende Verdacht bestanden, dass die Klägerin mehrfach ihrem Ehemann geholfen habe bzw. habe helfen wollen, Kunden abzuwerben. Sie könne das Arbeitsverhältnis deshalb nicht mehr fortsetzen, wobei auch eine Weiterbeschäftigung der Klägerin im Seehafen R. nicht in Betracht komme. Wegen der Beendigung des Arbeitsverhältnisses stehe der Klägerin auch die geforderte Zuwendung nicht zu.
Die Beklagte beantragt,
die Klage unter Änderung des Urteils des Arbeitsgerichts Berlin vom 16. Juni 2004 - 42 Ca 25475/03 - abzuweisen.
Die Klägerin beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Sie hält die angefochtene Entscheidung für zutreffend. Die gegen sie erhobenen Vorwürfe seien unberechtigt. Auch habe sie nach dem Schreiben der Beklagten vom 18. Juni 2003 angenommen, dass ihr gegenüber allenfalls eine Änderungskündigung ausgesprochen werde.
Wegen der Einzelheiten des Vorbringens der Parteien in der Berufungsinstanz wird auf den Inhalt der zwischen ihnen gewechselten Schriftsätze nebst Anlagen Bezug genommen.
Entscheidungsgründe:
Die Berufung ist unbegründet.
Das Arbeitsverhältnis der Parteien ist durch die Kündigung vom 20. August 2003 nicht aufgelöst worden. Die Beklagte ist daher auch verpflichtet, an die Klägerin eine Zuwendung für das Jahr 2003 zu zahlen.
1.
Die Kündigung vom 20. August 2003 verstößt gegen Treu und Glauben und ist deshalb unwirksam (§ 242 BGB).
1.1
Der Grundsatz von Treu und Glauben bildet eine allen Rechten, Rechtslagen und Rechtsnormen immanente Inhaltsbeschränkung, wobei eine gegen § 242 BGB verstoßende Rechtsausübung oder Ausnutzung einer Rechtslage unzulässig ist. Soweit es sich um die arbeitgeberseitige Kündigung eines Arbeitsverhältnisses handelt, ist jedoch zu beachten, dass deren Zulässigkeit durch das Kündigungsschutzgesetz geregelt ist. Die Treuwidrigkeit einer Kündigung kann sich daher nur aus Gründen ergeben, die nicht von § 1 KSchG erfasst werden (BAG, Urteil vom 28. August 2003 - 2 AZR 333/02 - AP Nr. 17 zu § 242 BGB Kündigung in ständiger Rechtsprechung; insgesamt zur treuwidrigen Kündigung KR-Friedrich, 7. Aufl. 2004, § 13 KSchG, Rn 229 ff. m.w.N.). Zu den typischen Tatbeständen einer gegen § 242 BGB verstoßenden Kündigung gehört dabei ein widersprüchliches Verhalten des Arbeitgebers. Gibt der Arbeitgeber dem Arbeitnehmer zu erkennen, ein bestimmtes Verhalten werde von ihm nicht zum Anlass für eine Beendigung des Arbeitsverhältnisses genommen, so verstößt eine gleichwohl ausgesprochene Kündigung gegen § 242 BGB und ist deshalb nichtig. Eine derartige Sachverhaltsgestaltung ist insbesondere gegeben, wenn der Arbeitgeber ein Fehlverhalten des Arbeitnehmers abmahnt und anschließend ohne Veränderung des Sachverhalts eine Kündigung ausspricht (vgl. hierzu BAG, Urteil vom 6. März 2003 - 2 AZR 128/02 - AP Nr. 30 zu § 611 BGB Abmahnung). Aber auch sonst ist es dem Arbeitgeber nach Treu und Glauben verwehrt, zunächst ein auf den Fortbestand des Arbeitsverhältnisses gerichtetes Verhalten an den Tag zu legen, um anschließend bei gleicher Sachlage das Arbeitsverhältnis zu kündigen.
1.2
Die Beklagte hat sich mit Ausspruch der streitbefangenen Kündigung in nach § 242 BGB verbotener Weise widersprüchlich verhalten. Sie hat nach der Anhörung der Klägerin zu den gegen sie erhobenen Verdächtigungen vom 17. Juni 2003 deutlich gemacht, dass sie eine Beendigung des Arbeitsverhältnisses nicht in Betracht ziehe. Dies ergibt sich eindeutig aus dem Schreiben der Prozessbevollmächtigten der Beklagten vom 24. Juni 2003. Die Beklagte hat der Klägerin dort nicht nur eine Weiterbeschäftigung im Seehafen R. angeboten, sondern sie hat für den Fall der Ablehnung dieses Angebots ausdrücklich eine Änderungskündigung angekündigt. Die Klägerin musste nach diesem Schreiben nur noch damit rechnen, dass die Beklagte die vermutete Unterstützung ihres Ehemannes bei einer Konkurrenztätigkeit zum Anlass für eine Änderung der arbeitsvertraglichen Bedingungen nehmen werde, die von ihr nach § 2 KSchG unter Vorbehalt angenommen und einer gerichtlichen Überprüfung unterzogen werden konnte. Demgegenüber stand für die Klägerin der Bestand ihres Arbeitsverhältnisses nicht in Frage. Die genannte Erklärung der Beklagten erfolgte im Zuge der Auseinandersetzung der Parteien über die Berechtigung der gegen die Klägerin gerichteten Vorwürfe und die sich daraus für die Klägerin ergebenden Konsequenzen. Sie war für die Klägerin, die sich zu dem Weiterbeschäftigungsangebot der Beklagten verhalten musste und für die ihr langjähriges Arbeitsverhältnis auf dem Spiel stand, naturgemäß von entscheidender Bedeutung. So ist es ohne weiteres nachvollziehbar, dass die Klägerin sich gegen eine Annahme des Weiterbeschäftigungsangebots entschied, weil sie um den Bestand des Arbeitsverhältnisses nicht fürchten musste. Dieses im rechtsgeschäftlichen Bereich geweckte Vertrauen in einen Fortbestand des Arbeitsverhältnisses - zu welchen Bedingungen auch immer - hat die Beklagte durch den Ausspruch der Beendigungskündigung vom 20. August 2003 verletzt. Sie hat auch nach der Stellungnahme der Klägerin vom 24. Juni 2003 nicht deutlich gemacht, nunmehr komme für sie eine Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses nicht mehr in Betracht, sondern die Klägerin weiterhin in dem Glauben gelassen, ihr drohe allenfalls eine Änderung der Arbeitsbedingungen. Die Beklagte kann in diesem Zusammenhang auch nicht mit Erfolg geltend machen, die Sachlage habe sich nach ihrem Schreiben vom 18. Juni 2003 in einer Weise geändert, die ihr nunmehr eine Beendigungskündigung erlaube. Zwar fehlt es an einer Treuwidrigkeit der genannten Art, wenn der Arbeitgeber die Änderung seines Verhaltens auf neue Umstände stützen kann; denn der Arbeitnehmer darf bei einer veränderten Sachlage nicht darauf vertrauen, dass es bei der bisherigen Entscheidung des Arbeitgebers bleibt. Im vorliegenden Fall stützt sich die streitbefangene Kündigung jedoch auf die Vorfälle, die auch Gegenstand des Personalgesprächs vom 17. Juni 2003 waren. Nach dem Inhalt der Betriebsratsanhörung vom 4. August 2003 ergab sich für die Beklagte der gegen die Klägerin gerichtete Verdacht aus fünf Vorkommnissen, nämlich der versuchten Abwerbung der Spedition A. am 11. Dezember 2002, der Abwerbung der P. GmbH, der Abwerbung der F.-T. GmbH & Co., der versuchten Abwerbung der F. K. am 20. März 2003 und einer möglichen Abwerbung der Fa. B.. Diese Vorfälle wurden ausweislich der Betriebsratsanhörung und des Kündigungsschreibens mit der Klägerin u.a. in dem Personalgespräch am 17. Juni 2003 erörtert. Die Klägerin hat zu diesen Vorwürfen teilweise vor Ausspruch der Kündigung Stellung genommen; auch hat die Beklagte nicht behauptet, sie habe erst nach dem letzten Personalgespräch neue Erkenntnisse erhalten, die sie dann zu einer Ablehnung der Weiterbeschäftigung der Klägerin bewogen. Die Beklagte mag nach dem Eingang der eidesstattlichen Versicherung ihres Mitarbeiters B. vom 4. Juli 2003 angenommen haben, sie könne die Berechtigung eines gegen die Klägerin gerichteten Verdachts nunmehr leichter nachweisen. Dies stellt jedoch keine rechtserhebliche Änderung der Sachlage dar. Die Beklagte hatte der Klägerin mit ihrem Schreiben vom 18. Juni 2003 eine Änderungskündigung nicht angedroht, weil sie eine Beendigungskündigung für nicht durchsetzbar hielt, sondern weil sie diese Maßnahme offenbar als ausreichend ansah, um auf die Störung des Arbeitsverhältnisses zu reagieren. An dieser Erklärung muss sich die Beklagte nach Treu und Glauben festhalten lassen.
2.
Die Klägerin kann von der Beklagten die Zahlung der begehrten tariflichen Zuwendung nebst Zinsen verlangen. Die Berufungskammer folgt insoweit den Ausführungen des Arbeitsgerichts unter II.2. der Entscheidungsgründe des angefochtenen Urteils und sieht von einer eigenen, lediglich wiederholenden Darstellung ab (§ 69 Abs. 2 ArbGG).
3.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 97 Abs. 1 ZPO.
4.
Die gesetzlichen Voraussetzungen für die Zulassung der Revision lagen nicht vor.
Ende der Entscheidung
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