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Beginn der Entscheidung

Gericht: Landesarbeitsgericht Berlin
Urteil verkündet am 24.10.2002
Aktenzeichen: 18 Sa 1251/02
Rechtsgebiete: BGB, InsO


Vorschriften:

BGB § 273
BGB § 274
InsO § 50
InsO § 51
InsO § 55
InsO § 209
InsO § 210
Ein auf § 273 BGB gestütztes Zurückbehaltungsrecht eines Massegläubigers i.S.d. § 209 Abs. 1 Ziff. 3 InsO entfaltet jedenfalls nach Anzeige der Masseunzulänglichkeit keine Wirkung, da dies dem Grundsatz der gleichmässigen Befriedigung der Massegläubiger zuwiderliefe.
Landesarbeitsgericht Berlin Im Namen des Volkes Urteil

18 Sa 1251/02

Verkündet am 24.10.2002

In Sachen

hat das Landesarbeitsgericht Berlin, 18. Kammer, auf die mündliche Verhandlung vom 24.10.2002 durch die Vorsitzende Richterin am Landesarbeitsgericht Staudacher als Vorsitzende sowie die ehrenamtlichen Richter Herr Ritthaler und Frau Zielke

für Recht erkannt:

Tenor:

I. Auf die Berufung der Beklagten wird das Urteil des Arbeitsgerichts Berlin vom 18. April 2002 - 50 Ca 35708/01 - unter Zurückweisung der Berufung im Übrigen teilweise abgeändert und aus Klarstellungsgründen vollständig neu formuliert:

1) Die Beklagte wird verurteilt, an den Kläger den Pkw BMW 318i, Fahrzeug-Ident-Nummer: AC 36795, amtliches Kennzeichen: ......., nebst Fahrzeugpapieren und den dazugehörigen Schlüsseln herauszugeben.

Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.

2) Die Kosten des Rechtsstreits haben der Kläger zu 26 % und die Beklagte zu 74 % zu tragen.

II. Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand:

Die Parteien streiten darüber, ob der Kläger, der der Insolvenzverwalter der ehemaligen Arbeitgeberin der Beklagten ist, Anspruch auf Herausgabe eines der Beklagten zur Nutzung im Rahmen des zum 31. Dezember 2001 beendeten Arbeitsverhältnisses überlassenen PKW sowie Anspruch auf Nutzungsentschädigung für die Zeit vom 1. November bis 20. Dezember 2001 in Höhe von 2.428,64 EUR hat oder der Beklagten ein Zurückbehaltungsrecht an dem Fahrzeug hat wegen ausstehender Gehälter sowie Reparatur- und Instandhaltungskosten an dem Fahrzeug zusteht.

Die Klägerin war bei der Firma R. Re. Projektentwicklungsgesellschaft mbH seit dem 7. Januar 1994 als Leiterin Projektmanagement mit einer monatlichen Bruttovergütung von zuletzt 6.716,24 EUR (13.135,82 DM) beschäftigt.

Über das Vermögen der Arbeitgeberin der Beklagten ist am 1. Januar 2001 das Insolvenzverfahren eröffnet und der Kläger zum Insolvenzverwalter bestellt worden.

Infolge einer Vereinbarung zwischen der Beklagten, dem Kläger und dem ehemaligen Geschäftsführer der Arbeitgeberin erhielt die Klägerin, die ihr zuvor als Dienstwagen genutztes Leasingfahrzeug abgeben musste, den BMW 318i A mit dem amtlichen Kennzeichen ...... zur Nutzung während der weiteren Dauer ihrer Tätigkeit. An diesem Fahrzeug ließ sie ausweislich der Rechnung vom 1. Januar 2001 (Bl. 93 und 94 d. A.) am 30. Mai 2001 eine Inspektion sowie Reparaturen durchführen (= 1.907,60 DM), schaffte Winterreifen an (Rechnung vom 4.10.2001 - 1.554,40 DM, Bl. 95 d. A.) und ließ die TÜV-Untersuchung durchführen (Rechnung vom 11.1.20002 - 105,41 EUR, Bl. 96 d. A.).

Mit Schreiben vom 17. Juli 2001 kündigte der Kläger das mit der Klägerin bestehende Arbeitsverhältnis zum 31. Oktober 2001 und stellte sie ab dem 1. August 2001 von der Arbeitsleistung frei.

Am 10. September 2001 zeigte der Kläger gegenüber dem zuständigen Amtsgericht Charlottenburg Masseunzulänglichkeit an.

Nachdem die Beklagte den ihr überlassenen PKW mit Ende des Arbeitsverhältnisses nicht herausgegeben hatte, forderte der Kläger die Beklagte mit Schreiben vom 27. November 2001 und 13. Dezember 2001 zur Herausgabe auf.

Die Beklagte kam dieser Aufforderung nicht nach, sondern machte mit Schreiben vom 6. Dezember 2001 ein Zurückbehaltungsrecht wegen offener Gehaltsansprüche für die Monate Juli bis Oktober 2001 sowie wegen der auf das Fahrzeug gemachten Verwendungen geltend. Durch die Nichtherausgabe des PKW war der Kläger an der Verwertung gehindert; der Wert des Fahrzeuges ist mit 13.500,-- DM vom Auktionshaus D., H., geschätzt worden.

Mit seiner bei Gericht am 19. Dezember 2001 eingegangenen Klage begehrt der Kläger die Herausgabe des Fahrzeuges sowie Nutzungsentschädigung für die Zeit vom 1. November bis 20. Dezember 2001.

Er hat die Meinung vertreten, ein Zurückbehaltungsrecht bestehe in der Insolvenz und insbesondere bei Masseunzulänglichkeit nicht.

Der Kläger hat beantragt,

1. die Beklagte zu verurteilen, an den Kläger den PKW BMW 318i, Fahrzeug-Ident-Nummer: AC 36795, amtliches Kennzeichen ........, nebst Fahrzeugpapieren und den dazugehörigen Schlüsseln herauszugeben,

2. die Beklagte zu verurteilen, an den Kläger 2.428,64 EUR zu zahlen.

Die Beklagte hat beantragt,

die Klage abzuweisen.

Wegen der Einzelheiten des Vorbringens der Parteien in erster Instanz wird auf die zwischen ihnen gewechselten Schriftsätze nebst Anlagen Bezug genommen.

Durch Urteil vom 18. April 2002 hat das Arbeitsgericht Berlin der Klage stattgegeben und unter Hinweis auf § 210 InsO, der die Vollstreckung nach Anzeige der Masseunzulänglichkeit ausschließt, ein Zurückbehaltungsrecht verneint und dem Kläger eine Nutzungsentschädigung nach den im Verkehrsunfallrecht maßgeblichen Tabellen in Höhe von 95,-- DM pro Tag zugesprochen. Wegen der Einzelheiten der Begründung der erstinstanzlichen Entscheidung wird auf die dortigen Gründe (Bl. 56 u. 57 d. A.) Bezug genommen.

Gegen dieses ihr am 4. Juni 2002 zugestellte Urteil hat die Beklagte mit am 4. Juli 2002 bei dem Landesarbeitsgericht eingegangenem Schriftsatz Berufung eingelegt und diese nach Verlängerung der Berufungsbegründungsfrist bis zum 4. September 2002 mit am 4. September 2002 eingegangenem Schriftsatz begründet.

Sie vertritt weiter die Auffassung, ihr stehe wegen der offenen Gehaltsansprüche und der auf das Fahrzeug gemachten Verwendungen ein Zurückbehaltungsrecht zu, da es sich zumindest bei ihren Gehaltsforderungen um Masseverbindlichkeiten im Sinne des § 209 Abs. 1 Ziff. 3 InsO handele.

Eine Nutzungsentschädigung könne der Kläger keinesfalls fordern, da er unstreitig das Fahrzeug nicht habe nutzen, sondern verwerten wollen. Daher stünde ihm ggf. ein Schadensersatzanspruch zu, sofern der Erlös geringer ausfalle wegen der verspäteten Herausgabe, nicht jedoch eine Nutzungsentschädigung.

Die Beklagte und Berufungsklägerin beantragt,

das Urteil des Arbeitsgerichts Berlin vom 18. April 2002 - 50 Ca 35708/01 - aufzuheben und die Klage abzuweisen.

Der Kläger und Berufungsbeklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Er verteidigt die erstinstanzliche Entscheidung und tritt den Ausführungen der Beklagten entgegen.

Wegen der Einzelheiten des Vorbringens der Parteien in der Berufungsinstanz wird auf den Berufungsbegründungsschriftsatz der Beklagten vom 4. September 2002 und den Berufungsbeantwortungsschriftsatz des Klägers vom 10. Oktober 2002 Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

I.

Die Berufung ist zulässig.

Sie ist gemäß den §§ 8 Abs. 2, 64 Abs. 1 und 2 b ArbGG statthaft und frist- und formgerecht im Sinne der §§ 66 Abs. 1, 64 Abs. 6 ArbGG, 519, 520 ZPO eingelegt und begründet worden.

II.

Die Berufung hat in der Sache jedoch nur zum Teil Erfolg.

Der Kläger hat gegen die Beklagte Anspruch auf Herausgabe des im Tenor näher bezeichneten Kraftfahrzeuges nebst Fahrzeugpapieren und Schlüsseln gemäß § 985 BGB. Ein insolvenzfestes Zurückbehaltungsrecht steht der Beklagten insoweit nicht zu (1).

Der Kläger hat dagegen keinen Anspruch auf Zahlung einer Nutzungsentschädigung gegen die Beklagte gemäß den §§ 284 Abs. 1 und 2, 286, 249 ff. BGB a.F., da er nicht den Willen zur Nutzung des Fahrzeuges während der Zeit des Vorenthaltens hatte (2).

1.

Der Beklagten steht gegenüber dem Herausgabeverlangen des Klägers ein insolvenzbeständiges Leistungsverweigerungsrecht nicht zu.

Zwar sieht § 51 Nr. 2 und 3 InsO bestimmte insolvenzfeste Zurückbehaltungsrechte vor. Ein solches greift jedoch vorliegend nicht ein.

Das sog. kaufmännische Zurückbehaltungsrecht scheidet ohne weiteres aus, § 51 Nr. 3 InsO, und hinsichtlich des Zurückbehaltungsrechtes wegen wertbeständiger Verwendungen auf eine Sache, die zur Insolvenzmasse gehört, § 51 Nr. 2 InsO, hat die Beklagte nicht ausreichend dargelegt, dass ihre Verwendungen auf das Fahrzeug der Insolvenzmasse überhaupt einen messbaren Vorteil und ggf. in welcher Höhe gebracht haben. Dies wäre aber erforderlich gewesen, da nur der "Mehrwert" ein Recht auf abgesonderte Befriedigung begründet (vgl. BGH vom 7. März 2002, BB 2002, 1116 ff.).

Das auf § 273 Abs. 1 BGB gestützte Zurückbehaltungsrecht der Klägerin entfaltet auch soweit sie Massegläubigerin ist nach Anzeige der Masseunzulänglichkeit keine Wirkungen. Denn das Zurückbehaltungsrecht stellt ein Zwangsmittel zur Durchsetzung einer Gegenforderung dar, das nach Anzeige der Masseunzulänglichkeit infolge des Vollstreckungsverbots gemäß § 210 InsO nicht zugelassen werden kann, da es dem Grundsatz der gleichmäßigen Befriedigung der Massegläubiger entgegenstünde.

Die Gegenforderung der Beklagten auf ausstehende Gehaltszahlungen für die Zeit von Juli bis Oktober 2001 sind Masseverbindlichkeiten im Sinne des § 209 Abs. 1 Nr. 3 InsO und würden damit vom Vollstreckungsverbot des § 210 InsO erfasst.

Es handelt sich nämlich weder um Massekosten im Sinne des § 209 Abs. 1 Nr. 1 InsO noch um Masseverbindlichkeiten im Sinne des § 209 Abs. 1 Nr. 2 i.V.m. § 209 Abs. 2 Nr. 2 oder Nr. 3 InsO. Das Arbeitsverhältnis der Beklagten war zur Zeit der Anzeige der Masseunzulänglichkeit am 10. September 2001 bereits gekündigt, so dass ein Fall des § 209 Abs. 2 Nr. 2 InsO ausscheidet und der Insolvenzverwalter hat die Arbeitsleistungen der Klägerin nach der Anzeige der Masseunzulänglichkeit nicht entgegengenommen, § 209 Abs. 2 Nr. 3 InsO.

Handelt es sich also bei den Gehaltforderungen um sonstige Masseverbindlichkeiten im Sinne des § 209 Abs. 1 Nr. 3 InsO führt der Sinn und Zweck des Vollstreckungsverbotes des § 210 InsO, nämlich eine nicht quotengerechte Befriedigung einzelner Massegläubiger zu verhindern, dazu, dass auch ein Zurückbehaltungsrecht, das im Ergebnis ebenfalls eine nicht quotengerechte Befriedigung zulassen würde, dazu, dass das Zurückbehaltungsrecht gemäß § 273 BGB wirkungslos bleiben muss.

Dies zeigt auch eine rein pragmatische Betrachtungsweise, denn gemäß § 274 BGB wäre bei wirksamer Ausübung des Zurückbehaltungsrechtes die Beklagte zur Herausgabe Zug um Zug gegen Erfüllung der Gegenleistung zu verurteilen. Solange jedoch noch nicht feststeht, ob und ggf. in welcher Höhe die Beklagte aus der Masse befriedigt werden kann, mit anderen Worten ob und ggf. welche Quote auf die sonstigen Masseverbindlichkeiten entfällt, wäre eine Zug-um-Zug-Verurteilung, also eine Verurteilung zur Leistung, nicht möglich.

2.

Der Kläger hat gegen die Beklagte keinen Anspruch auf Ersatz der durch das Vorenthalten des Fahrzeuges entgangenen Nutzung, denn er hatte in dieser Zeit unstreitig nicht den erforderlichen Willen, das Fahrzeug zu nutzen. Vielmehr ist und war ausschließlich beabsichtigt, das Fahrzeug durch Verkauf oder Versteigerung zu verwerten.

Der Anspruch auf Nutzungsentschädigung setzt aber den Nutzungswillen voraus (vgl. BGH Großer Senat vom 9. Juli 1986, BGHZ 98, 212 ff.; LAG Rheinland-Pfalz vom 23. März 1990, LAGE § 249 BGB Nr. 4).

Sollte durch die zeitlich verzögerte Verwertung des Fahrzeuges ein Schaden entstehen, müsste der Kläger diesen gesondert geltend machen.

Nach alledem war auf die Berufung der Klägerin das erstinstanzliche Urteil abzuändern, im übrigen jedoch die Berufung zurückzuweisen.

III.

Die Kostenentscheidung folgt aus §§ 92, 97 ZPO.

IV.

Gegen diese Entscheidung ist ein Rechtsmittel nicht gegeben. Für die Zulassung der Revision gemäß § 72 ArbGG bestand kein rechtlich begründeter Anlass.

Ende der Entscheidung

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