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Gericht: Landesarbeitsgericht Berlin
Urteil verkündet am 01.11.2002
Aktenzeichen: 19 Sa 1498/02
Rechtsgebiete: BGB, SGB IX, KSchG
Vorschriften:
BGB § 611 | |
SGB IX §§ 85 ff | |
KSchG § 2 |
Landesarbeitsgericht Berlin Im Namen des Volkes Urteil
Verkündet am 01.11.2002
In Sachen
pp
hat das Landesarbeitsgericht Berlin, 19. Kammer, auf die mündliche Verhandlung vom 01.11.2002 durch den Vorsitzenden Richter am Landesarbeitsgericht Dr. Fenski als Vorsitzenden sowie die ehrenamtlichen Richter Preuß und Crantz
für Recht erkannt:
Tenor:
1. Die Berufungen der Beklagten und der Klägerin gegen das Urteil des Arbeitsgerichts Berlin vom 26. Juni 2002 - 37 Ca 34790/01 - werden zurückgewiesen.
2. Die Kosten der Berufung tragen die Klägerin zu 1/4 und die Beklagte zu 3/4 bei einem Streitwert von 8.000,-- EUR.
3. Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand:
Die Parteien streiten um die Wirksamkeit einer Änderungskündigung und um die Weiterbeschäftigung der Klägerin zu den bisherigen Arbeitsbedingungen.
Die am 07.03.1940 geborene Klägerin ist bei der Beklagten, die regelmäßig mehr als fünf Arbeitnehmer beschäftigt, bzw. deren Rechtsvorgängern seit dem 01.05.1980 als Krankengymnastin angestellt. Kraft einzelvertraglicher Inbezugnahme gelten für das Arbeitsverhältnis die Arbeitsvertragsrichtlinien des D. Werkes - Innere Mission und Hilfswerk - der E. Kirche in Deutschland (AVR) in der jeweils gültigen Fassung. Danach gelten für die Kündigung eines Mitarbeiters nach einer Beschäftigungszeit von 15 Jahren, frühestens jedoch nach Vollendung des 40. Lebensjahres besondere Kündigungsbedingungen, unter anderem ist die ordentliche Kündigung grundsätzlich ausgeschlossen (vgl. §§ 30-32 AVR).
Auf Antrag der Klägerin, beim Versorgungsamt am 20.08.2001 eingegangen, stellte das Versorgungsamt rechtskräftig einen Grad der Behinderung von 50 mit Bescheid vom 28.03.2002 fest (vgl. dazu die Kopie des Bescheides Bl. 200 f. d. A.).
Mit Schreiben vom 29.11.2001, der Klägerin am 30.11.2001 zugegangen, sprach die Beklagte der Klägerin gegenüber eine Änderungskündigung zum 30.06.2001 aus. Inhalt des Änderungsangebots war eine Weiterbeschäftigung der Klägerin als Pflegehilfskraft unter Beibehaltung der bisherigen Vergütungsgruppe.
Mit Schreiben vom 12. 01. im Original und per Fax nahm die Klägerin das Änderungsangebot unter dem Vorbehalt an, dass die Kündigung nicht sozial ungerechtfertigt sei, und teilte der Beklagten mit, dass sie schwerbehindert wäre und einen Antrag auf Zuerkennung der Schwerbehinderteneigenschaft gestellt hätte (vgl. dazu die Kopie des Schreibens Bl. 16-17 d. A.).
Mit Schreiben vom selben Tag, beim Arbeitsgericht Berlin am 12.12.2001 per Fax eingegangen, hat sich die Klägerin gegen die Änderungskündigung vom 29.11.2001 gewendet und ihre vorläufige Weiterbeschäftigung als Krankengymnastin verlangt.
Das Arbeitsgericht Berlin hat mit Urteil vom 26.06.2002 festgestellt, dass die Änderung der Arbeitsbedingungen durch die Änderungskündigung vom 29.11.2001 unwirksam ist, im Übrigen die Klage wegen der vorläufigen Weiterbeschäftigung abgewiesen. Zur Begründung hat es im Wesentlichen ausgeführt, dass die Beklagte aufgrund der Regelung des § 30 Abs. 4 AVR der Klägerin lediglich eine ordentliche Änderungskündiung gemäß § 31 AVR oder eine außerordentliche Änderungskündigung hätte aussprechen können. Das Kündigungsschreiben vom 29.11.2001 enthalte nach Auslegung des Schreibens eine ordentliche Kündigung, ohne dass die Voraussetzungen nach § 31 AVR vorlägen. Einen Anspruch auf vorläufige Weiterbeschäftigung zu den alten Bedingungen bei Ausspruch einer Änderungskündigung gebe es auch unter Berücksichtigung der Entscheidung des Großen Senats des Bundesarbeitsgerichts zum Weiterbeschäftigungsanspruch vom 27.02.1985 nicht.
Wegen der konkreten Begründung und des Vortrags der Parteien in der ersten Instanz wird auf das Urteil vom 26.06.2002 Bl. 120-133 d. A. verwiesen.
Gegen dieses ihnen jeweils am 09.07.2002 zugestellte Urteil haben beide Parteien jeweils mit am 08.08.2002 beim Landesarbeitsgericht Berlin eingegangenen Schriftsätzen Berufung eingelegt und diese jeweils mit am 09.09.2002 beim Landesarbeitsgericht Berlin eingegangenen Schriftsätzen begründet.
Die Beklagte ist der Auffassung, dass das Schreiben vom 29.11.2001 eine außerordentliche Änderungskündigung mit sozialer Auslauffrist darstelle. Diese sei wirksam, da die Voraussetzungen dafür nach §§ 30 ff. AVR vorlägen. Auf den Schwerbehindertenschutz der Klägerin geht die Beklagte in der zweiten Instanz nur im Rahmen des Weiterbeschäftigungsanspruches der Klägerin ein.
Die Beklagte beantragt,
das Urteil des Arbeitsgerichts Berlin vom 26.06.2002 - AZ 37 Ca 34790/01 - teilweise abzuändern und die Klage insgesamt abzuweisen sowie die Berufung der Klägerin kostenpflichtig zurückzuweisen.
Die Klägerin beantragt,
das Urteil des Arbeitsgerichts Berlin abzuändern und die Beklagte zu verurteilen, sie bis zum rechtskräftigen Abschluss des vorliegenden Kündigungsrechtsstreits zu den bisherigen arbeitsvertraglichen Bedingungen als Krankengymnastin weiter zu beschäftigen,
hilfsweise,
die Klägerin ausschließlich in der Früh- oder in der Spätschicht (ohne Schichtwechsel) einzusetzen und beantragt ferner, die Berufung der Beklagten zurückzuweisen.
Die Klägerin meint, dass die Kündigung wegen der Nichtbeteiligung des Integrationsamtes bereits unwirksam wäre. Damit wäre auch das Änderungsangebot von vornherein unwirksam gewesen, so dass es zu keinem bedingten Vertragsschluss kommen konnte. Hilfsweise verlangt sie jedenfalls wegen ihrer Gesundheitsbeeinträchtigung ausschließlich in der Früh- oder in der Spätschicht (ohne Schichtwechsel) eingesetzt zu werden.
Wegen des weiteren konkreten Vortrags in der zweiten Instanz wird auf die Schriftsätze der Beklagten vom 09.09.2002 (Bl. 166 ff. d. A.), 23.09.2002 (Bl. 212 f. d. A.) und 23.10.2002 (Bl. 220 ff. d. A.) sowie auf die Schriftsätze der Klägerin vom 09.09.2002 (Bl. 195 ff. d. A.), 17.10.2002 (Bl. 236 ff. d. A.) und 24.10.2002 (Bl. 252 ff. d. A.) verwiesen.
Durch Gerichtsbeschluss vom 11.09.2002 sind die beiden Berufungsverfahren miteinander verbunden worden.
Entscheidungsgründe:
I.
Beide Berufungen sind gemäß §§ 8 Abs. 2, 64 Abs. 1, Abs. 2 Buchst. c, Abs. 6; 66 Abs. 1 S. 1 ArbGG; §§ 519, 520 Abs. 1 u. Abs. 3 ZPO zulässig, insbesonders formgerecht und fristgemäß eingelegt und begründet worden.
II.
In der Sache haben die Berufungen jedoch keinen Erfolg.
1. Die Berufung der Beklagten hat keinen Erfolg, weil die Kündigung vom 29.11.2001 - gleich, ob diese eine außerordentliche Änderungskündigung mit Auslauffrist oder eine ordentliche Änderungskündigung darstellt - wegen Verstoßes gegen die §§ 85 ff. SGB IX unwirksam ist, da die Beklagte unstreitig vor der Änderungskündigung das Integrationsamt nicht um Zustimmung zur Kündigung der schwerbehinderten Klägerin ersucht hat. Dem steht nicht entgegen, dass die Beklagte zum Zeitpunkt der Kündigung nicht von der Schwerbehinderung der Klägerin wußte.
a. Denn nach ständiger Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts, dem sich die erkennende Kammer anschließt, treten die rechtlichen Wirkungen der Schwerbehinderteneigenschaft, obwohl der Feststellungsbescheid des Versorgungsamtes keine rechtsbegründende (konstitutive) sondern lediglich eine erklärende (deklaratorische) Wirkung hat, im Fall des Sonderkündigungsschutzes nicht ohne weiteres, also bei bloß bestehender objektiver Schwerbehinderteneigenschaft ein. Voraussetzung ist vielmehr, dass vor Zugang der Kündigung ein Bescheid über die Schwerbehinderteneigenschaft ergangen ist oder jedenfalls ein entsprechender Antrag gestellt ist (siehe nur BAG 17.02.1977 BAGE 29, 17 = EzA SchwbG § 12 Nr. 2; BAG 20.10.1977 BAGE 29, 331 = AP SchwbG § 12 Nr. 2; BAG 23.02.1978 BAGE 30, 141 = AP SchwbG § 12 Nr. 3; BAG 30.06.1983 BAGE 43, 148 = AP SchwbG § 12 Nr. 11; BAG 31.08.1989 AP SchwbG § 12 Nr. 16; BAG 05.07.1990 NZA 1991 667; BAG 16.08.1991 EzA SchwbG 1986 § 15 Nr. 5; BAG 07.03.2002 NZA 2002 1145, 1146).
Auch wenn der Arbeitgeber im Zeitpunkt der Kündigung von dem anhängigen Verfahren keine Kenntnis hat, steht dem Zustimmungsverfahren jedenfalls kein objektives Hindernis entgegen. Der Arbeitgeber hat allerdings erst dann Anlass eine Zustimmung zu beantragen, wenn der Arbeitnehmer nachträglich unter Hinweis auf das bereits eingeleitete Feststellungsverfahren seinen besonderen Kündigungsschutz geltend macht. Dieser Umstand rechtfertigt es in der Regel nicht, dem Schwerbehinderten den besonderen Kündigungsschutz zu versagen, wenn er jedenfalls rechtzeitig die Geltendmachung des besonderen Kündigungsschutzes vorbereitet hat. Wenn der Arbeitgeber nach der Kündigung von dem anhängigen Feststellungsverfahren erfährt, kann er nunmehr die Zustimmung beantragen, allerdings nur zu einer erneuten Kündigung. Der Arbeitnehmer muss sich dann aber innerhalb einer Regelfrist von einem Monat gegenüber dem Arbeitgeber auf das Feststellungsverfahren berufen, weil das Gebot der Rechtssicherheit im Kündigungsrecht eine zeitliche Begrenzung auch bei der Geltendmachung des Kündigungsschutzes durch den Arbeitnehmer erfordert (std. Rechtsprechung des BAG vgl. nur BAG EzA SchwbG 1986 § 15 Nr. 3 u. 4 ; BAG 07.03.2002, a.a.O., 1146 f.).
b. Nach diesen Grundsätzen ist die Kündigung unwirksam, da der Feststellungsbescheid vom 28.02.2003 auf den Zeitpunkt der Antragstellung zurückwirkt, die Klägerin vor der Änderungskündigung vom 29.11.2001 den Antrag auf Feststellung der Schwerbehinderteneigenschaft vor dem Versorgungsamt in B. im August 2001 gestellt hat und sie dem Beklagten innerhalb der Monatsfrist, nämlich per Fax am 12.12.2001, auf die Schwerbehinderteneigenschaft und das Schwerbehinderungsfeststellungsverfahren hingewiesen hat.
2. Die Berufung der Klägerin hat ebenfalls keinen Erfolg.
a. Zu Recht hat das Arbeitsgericht darauf hingewiesen, dass es im Änderungskündigungsschutzverfahren keinen Weiterbeschäftigungsanspruch gibt. Auch dies entspricht der ständigen Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts, der Instanzgerichte und der herrschenden Meinung im Schrifttum, dem sich das Landesarbeitsgericht anschließt (siehe nur BAG 18.01.1990 EZA § 1 KSchG Betriebsbedingte Kündigung Nr. 65, zu B II 2 a - c der Gründe m.w.N.; KR-Rost 6. Auflage, § 2 KSchG Rz. 158a m.w.N.).
b. Der in der zweiten Instanz erstmalig geltend gemachte Hilfsanspruch ist als Klageerweiterung in der zweiten Instanz zwar zulässig, da sachdienlich, in der Sache jedoch ebenfalls erfolglos. Denn auch er wird nur (und kann auch nur) als Weiterbeschäftigungsanspruch geltend gemacht (werden), so dass für ihn das unter II 2 a ausgeführte gilt.
Einen Beschäftigungsanspruch kann erst nach Rechtskraft der vorliegenden Entscheidung geltend gemacht werden. Zu welchen Bedingungen dieser Beschäftigungsanspruch angesichts des Wegfalls des Krankengymnastinnenarbeitsplatzes und der Einschränkung der Arbeitskraft der Klägerin besteht, war nicht zu entscheiden, hätte aber auf Anregung des Gerichts in der mündlichen Verhandlung am 01.11.2002 vergleichsweise geregelt werden können, wozu sich die Parteien jedoch nicht in der Lage sahen.
III.
Die Kostenentscheidung folgt aus §§ 97 Abs. 1, 92 Abs. 1 ZPO bei gleichem Streitwert wie in der ersten Instanz, da der Hilfsantrag nicht streitwerterhöhend gegenüber dem Weiterbeschäftigungsantrag wirkt.
IV.
Eine Zulassung der Revision kam nicht in Betracht, da die Voraussetzungen des § 72 Abs. 2 ArbGG weder hinsichtlich der Berufung der Klägerin noch hinsichtlich der Berufung der Beklagten vorlagen.
Ende der Entscheidung
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