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Gericht: Landesarbeitsgericht Berlin
Urteil verkündet am 06.12.2005
Aktenzeichen: 3 Sa 1640/05
Rechtsgebiete: BVG, KSchG


Vorschriften:

BVG § 102
KSchG § 1 Abs. 3
KSchG § 15
KSchG § 23
1. Der Arbeitgeber hat den Betriebsrat zu der von ihm vorgenommenen Sozialauswahl auch dann anzuhören, wenn nach objektiver Rechtslage keine Auswahl erforderlich ist.

2. Im Falle einer beabsichtigten Kündigung wegen Stilllegung eines Betriebsteils, der betriebsverfassungsrechtlich als eigenständiger Betrieb anzusehen ist, ist eine Sozialauswahl auf die Arbeitnehmer des Betriebes im Sinne des § 23 KSchG zu erstrecken, worauf sich das Betriebsratsmitglied ungeachtet der Regelung des § 15 Abs. 4 KSchG berufen kann. Die betriebsverfassungsrechtliche Eigenständigkeit einzelner Betriebsteile steht einer betriebsübergreifenden Sozialauswahl nicht im Wege (BAG 2 AZR 577/03 vom 03.06.2004, NZA 05, 175).


Landesarbeitsgericht Berlin Im Namen des Volkes Urteil

3 Sa 1640/05

Verkündet am 06.12.2005

In Sachen

hat das Landesarbeitsgericht Berlin, 3. Kammer, auf die mündliche Verhandlung vom 06. Dezember 2005 durch den Vorsitzenden Richter am Landesarbeitsgericht Baumann als Vorsitzenden sowie die ehrenamtlichen Richter Goedecke und Schmidt

für Recht erkannt:

Tenor:

I. Auf die Berufung des Klägers wird das Urteil des Arbeitsgerichts Berlin vom 02. Juni 2005 - 4 Ca 27131/04 - abgeändert:

1. Es wird festgestellt, dass das Arbeitsverhältnis des Klägers durch die Kündigung seitens der Beklagten vom 20. Oktober 2004 nicht aufgelöst worden ist.

2. Die Beklagte wird verurteilt, den Kläger bis zum rechtskräftigen Abschluss des Rechtsstreits als Bankangestellten zu den Bedingungen des Arbeitsvertrags vom 20. Februar 1995 weiterzubeschäftigen.

3. Die Kosten des Rechtsstreits trägt die Beklagte.

II. Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand:

Die Parteien streiten über die Rechtswirksamkeit einer dem Kläger erklärten ordentlichen Kündigung und über den vom Kläger damit verbundenen Antrag auf vorläufige Weiterbeschäftigung.

Der am ..... 1965 geborene Kläger war bei der Beklagten auf der Grundlage des Arbeitsvertrags vom 20. Februar 1995 seit dem 13. Februar 1995 als Mitarbeiter in deren Berliner Filiale beschäftigt; ihren Sitz hat die Beklagte in F. Gemäß § 2 des Arbeitsvertrags wurde der Kläger in den Bereichen Kontoführung/Kundenschalter und Inlandzahlungsverkehr eingesetzt; dies war verknüpft mit einer tätigkeits- und ortsbezogenen Versetzungsklausel. Der Kläger erhielt zuletzt Vergütung nach Vergütungsgruppe 6/11 der geltenden Tarifverträge für das private Bankgewerbe, deren Bestimmungen auf das Arbeitsverhältnis subsidiär Anwendung finden (§ 1 Abs. 2). In der Berliner Filiale der Beklagten waren zuletzt neben der Filialleiterin noch drei weitere Mitarbeiter beschäftigt; es war ein Betriebsobmann gewählt, dessen Stellvertreter der Kläger ist.

Die Beklagte unterhält im Bundesgebiet neben der Berliner Filiale noch weitere Filialen. Gemäß einem Protokoll über eine Gesellschafterversammlung vom 29. Juni 2004 entschied sie sich zur Schließung der Filialen in Berlin und Stuttgart. Im Rahmen eines Beschlussverfahrens vor dem Arbeitsgericht Berlin übertrug der in der Berliner Filiale gebildete Betriebsrat dem bei der Beklagten bestehenden Gesamtbetriebsrat die Führung der Verhandlungen über den Abschluss eines Interessenausgleichs und eines Sozialplans. Dazu gab es in der Zeit seit Juni 2004 mehrere Sitzungen, an denen zum Teil auch der Berliner Betriebsrat in der Person des Betriebsobmanns oder des Klägers als dessen Stellvertreter teilnahm.

Am 8. Oktober 2004 kam sodann ein mit dem Gesamtbetriebsrat abgeschlossener Interessenausgleich zustande; die dazugehörige Namensliste hinsichtlich der betroffenen Mitarbeiter enthält auch denjenigen des Klägers. Mit Schreiben vom selben Tag hörte daraufhin die Beklagte den Berliner Betriebsrat zur beabsichtigten ordentlichen Kündigung des Klägers an; mit Schreiben vom 15. Oktober 2004 widersprach der Betriebsrat, worauf Bezug genommen wird. Unter dem 20. Oktober 2004 kündigte die Beklagte sodann dem Kläger zum 31. März 2005. Nach diesem Termin ist die Beklagte in den von ihr in Berlin angemieteten Geschäftsräumen nicht mehr unternehmerisch tätig.

Der Kläger hat die Auffassung vertreten, die Kündigung sei rechtsunwirksam, weil

a) die Voraussetzungen des § 15 Abs. 4/Abs. 5 KSchG nicht vorgelegen hätten und - wenn doch -

b) die Kündigung an § 1 KSchG zu messen sei; daher sei sie auch wegen bestehender, anderweitiger Beschäftigungsmöglichkeit und wegen fehlerhafter Sozialauswahl nicht unwirksam. Selbst wenn sich die Beklagte auf die Regelung des § 1 Abs. 5 KSchG berufen könnte und ein ordnungsgemäß zustande gekommener Interessenausgleich vorläge, verändere dies nichts, da die Auswahl grob fehlerhaft sei, weil die Beklagte sie nur auf die Mitarbeiter der Berliner Filiale erstreckt habe. Es gebe aber auch an anderen Standorten vergleichbare Mitarbeiter, die erheblich weniger sozial schutzbedürftig seien als er.

Die Kündigung sei auch wegen fehlerhafter Anhörung des Betriebsrats rechtsunwirksam. An der maßgeblichen Sitzung vom 3. August 2004, in der es angeblich um die Einzelheiten zur sozialen Auswahl gegangen sei, habe für den Berliner Betriebsrat niemand teilgenommen. Der Betriebsratsvorsitzende habe sich noch in der Sitzung vom 8. Oktober 2004 nach den Kriterien erkundigen wollen, nach denen die Namensliste erstellt worden sei; er habe aber vom Gesamtbetriebsrat keine Antwort erhalten.

Seinen Weiterbeschäftigungsanspruch stütze er auch auf den ordnungsgemäßen Widerspruch des Betriebsrats.

Hinsichtlich des weiteren Tatbestandes erster Instanz wird auf denjenigen des angefochtenen Urteils Bezug genommen.

Durch ein am 2. Juni 2005 verkündetes Urteil hat das Arbeitsgericht die auf Feststellung der Unwirksamkeit der Kündigung und auf Verurteilung zur Weiterbeschäftigung gerichtete Klage abgewiesen. Da im Rahmen des § 15 Abs. 4 KSchG von dem betriebsverfassungsrechtlichen Begriff des Betriebs auszugehen sei, die Berliner Filiale der Beklagten einen solchen im Sinne des § 4 BVG darstelle und die Beklagte ihre Filiale zum 31. März 2005 geschlossen habe, habe sie dem Kläger zulässig zu diesem Termin kündigen können. Zwar müsse auch im Rahmen des § 15 Abs. 4 KSchG die Frage des Bestehens einer anderweitigen Beschäftigungsmöglichkeit in einem anderen Betrieb des Unternehmens geprüft werden; dazu habe der Kläger aber nicht ausreichend vorgetragen. Auch die Anhörung des Betriebsrats sei ordnungsgemäß erfolgt. Der Kündigungssachverhalt werde im Anhörungsschreiben ausreichend umschrieben. Auch in Bezug auf die nach Darstellung der Beklagten von ihr angestellten Überlegungen zur sozialen Auswahl sei die Anhörung nicht fehlerhaft. Ob dazu der Berliner Betriebsrat - was der Kläger bestreite - Kenntnis erhalten habe, sei unerheblich, weil eine soziale Auswahl tatsächlich nicht durchzuführen gewesen sei. Auf einen Verstoß gegen die § 17 ff. KSchG könne sich der Kläger nicht berufen. Ein Weiterbeschäftigungsanspruch ungeachtet der rechtswirksamen Kündigung gemäß § 102 BVG komme nicht in Betracht, da der Betriebsrat nicht ordnungsgemäß widersprochen habe. Wegen der Einzelheiten der Begründung wird auf die Entscheidungsgründe des angefochtenen Urteils Bezug genommen.

Gegen das dem Kläger am 4. August 2005 zugestellte Urteil richtet sich seine beim Landesarbeitsgericht am 24. August 2005 eingegangene Berufung, die er am 4. Oktober 2005 begründet hat.

Selbst bei Annahme der Stilllegung der Berliner Filiale, was er bestreite, müsse auf § 1 KSchG zurückgegriffen werden, da die Amtsträger kündigungsrechtlich nicht schlechter gestellt werden dürften als andere Arbeitnehmer. Dem kündigungsschutzrechtlichen Betriebsbegriff gemäß sei die Berliner Filiale aber nicht als ein eigenständiger Betrieb, sondern lediglich als ein Betriebsteil anzusehen. Damit habe die Beklagte eine notwendige soziale Auswahl in Bezug auf alle mit ihm vergleichbaren Arbeitnehmer, die an anderen Standorten beschäftigt seien, unterlassen. Derartige Überlegungen habe es bei der Beklagten entgegen ihrem Vorbringen in Bezug auf die Sitzung mit dem Gesamtbetriebsrat vom 3. August 2004 nicht gegeben. Soweit es auf die Namensliste ankomme, sei sowohl die Beschränkung der Sozialauswahl auf die Berliner Filiale als auch die Auswahl selbst bei objektiver Betrachtungsweise offensichtlich fehlerhaft, da es mehrere Mitarbeiter gegeben habe, die eine vergleichbare Tätigkeit ausgeübt hätten und erheblich weniger sozial schutzbedürftig seien.

Die Anhörung des Betriebsrats sei nicht ordnungsgemäß verlaufen. Der Berliner Betriebsrat hätte zu den sozialen Gesichtspunkten, die zu der Namensliste geführt hätten, unterrichtet werden müssen.

Entgegen der Auffassung des Arbeitsgerichts hätte es einer Massenentlassungsanzeige vor Ausspruch der Kündigung bedurft; auf die Verhältnisse im Betriebsteil, der Berliner Filiale, allein komme es dabei nicht an. Der zur Begründung des Weiterbeschäftigungsanspruchs herangezogene Widerspruch des Betriebsrats sei ordnungsgemäß ergangen; und zwar insbesondere hinsichtlich seiner Ausführungen zur Fehlerhaftigkeit der sozialen Auswahl.

Der Kläger beantragt,

unter Abänderung des Urteils des Arbeitsgerichts Berlin vom 2. Juni 2005 - 4 Ca 27131/04 -

1. festzustellen, dass sein Arbeitsverhältnis durch die Kündigung der Beklagten vom 20. Oktober 2004 nicht mit Ablauf des 31. März 2005 aufgelöst worden ist, sondern darüber hinaus ungekündigt fortbesteht,

2. die Beklagte zu verurteilen, ihn bis zum rechtskräftigen Abschluss des Verfahrens als Bankangestellten zu den Bedingungen des Arbeitsvertrages vom 20. Februar 1995 weiterzubeschäftigen.

Die Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Die Beklagte verteidigt das angefochtene Urteil.

Selbst wenn sich der Kläger auch auf die Geltung des § 1 Abs. 2, Abs. 3 KSchG berufen könne, obwohl die Kündigung nach § 15 Abs. 4 KSchG als zulässig anzusehen sei, gelte dann auch die Regelung des § 1 Abs. 5 KSchG. Eine grob fehlerhafte soziale Auswahl liege jedoch nicht vor; und zwar schon deshalb nicht, weil sie nicht auf Arbeitnehmer außerhalb der Berliner Filiale habe erstreckt werden müssen. Darüber habe sie in einem "zweiten Schritt" vor Abschluss des Interessenausgleichs/Sozialplans gemeinsam mit dem Gesamtbetriebsrat Gruppen vergleichbarer Arbeitnehmer gebildet, innerhalb deren die Mitarbeiter nach Betriebszugehörigkeit, Lebensalter und Unterhaltspflichten verglichen worden seien. Der Kläger sei der Gruppe "Privatkundengeschäft/Kundenbetreuung" zugeordnet worden; er und zwei andere Mitarbeiter seien entlassen worden. Die vom Kläger benannten Mitarbeiter, die nach seiner Auffassung vor ihm hätten entlassen werden müssen, seien entweder wegen anderweitiger Eingruppierung oder wegen anderweitiger Tätigkeiten mit ihm nicht vergleichbar oder seien wegen besonderer Kenntnisse und Fähigkeiten sowie der bestehenden Kundenkontakte aus dem Auswahlkreis herausgenommen worden.

Die Anhörung des Betriebsrats sei ordnungsgemäß erfolgt. Der Berliner Betriebsrat sei über alles in Kenntnis gesetzt worden. Dies gelte auch für die Auswahlüberlegungen des zweiten Schritts. Zudem müsse sich der Berliner Betriebsrat den Inhalt der Verhandlungen über den Interessenausgleich/Sozialplan als bekannt zurechnen lassen, da er den Gesamtbetriebsrat zur Verhandlungsführung beauftragt habe.

Sie habe mit Schreiben vom 22. Oktober 2004 vorsorglich bei der Bundesagentur für Arbeit die Massenentlassung angezeigt und darauf die Antwort erhalten, es ergehe kein besonderer Bescheid, da eine Anzeigepflicht nicht bestehe.

Wegen des weiteren Vorbringens der Parteien in beiden Rechtszügen wird auf die zwischen ihnen gewechselten Schriftsätze sowie auf den sonstigen Akteninhalt Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

Die gemäß § 64 Abs. 2 ArbGG statthafte Berufung hat der Kläger form- und fristgerecht eingelegt und auch ordnungsgemäß und rechtzeitig begründet.

Das Rechtsmittel hat in der Sache auch Erfolg.

Die streitbefangene Kündigung vom 20. Oktober 2004 hat das Arbeitsverhältnis des Klägers zur Beklagten nicht rechtswirksam aufgelöst. Damit besteht der vom Kläger geltend gemachte Anspruch auf vorläufige Weiterbeschäftigung bis zum rechtskräftigen Abschluss des Rechtsstreits, ohne dass es darauf ankommt, ob sich der Kläger insoweit auch auf die Regelungen des § 102 Abs. 5 Satz 1 BVG stützen kann.

I.

1.

Das Berufungsgericht hat nicht darüber entscheiden müssen, ob die Kündigung deswegen gegen das Verbot des § 15 Abs. 1 KSchG verstoßen hat, weil - wie das Arbeitsgericht gemeint hat - die Berliner Bankfiliale der Beklagten unter Heranziehung des betriebsverfassungsrechtlichen Begriffs als ein Betrieb im Sinne des § 15 Abs. 4 KSchG anzusehen und die Kündigung daher wegen Stilllegung zum 31. März 2005 zulässig gewesen ist. Damit erübrigt sich in diesem Zusammenhang ein Eingehen darauf, ob und in welchem Umfang sich der Kläger auch auf die Schutzwirkungen des § 1 Abs. 2, Abs. 3 KSchG berufen kann.

2.

Die Kündigung ist allein schon deswegen unwirksam, weil ihr eine fehlerhafte Anhörung des Berliner Betriebsrats vorausgegangen ist; eine Anhörung nach § 102 BVG ist aber bei einer beabsichtigten ordentlichen Kündigung eines Betriebsratsmitglieds wegen Betriebsstilllegung gemäß § 15 Abs. 4 KSchG notwendig (vgl. ErfK-Ascheid 6. Aufl. KSchG § 15 Rdnr. 43 m.w.N.). Gemäß § 102 Abs. 2 BVG ist eine Kündigung auch dann unwirksam, wenn die Anhörung des Betriebsrats zwar nicht gänzlich unterblieben ist, der Arbeitgeber aber soweit seinen Unterrichtungspflichten nicht ordnungsgemäß nachgekommen ist. Letzteres ist hier nach dem dafür zugrunde zu legenden Sachvortrag der darlegungspflichtigen Beklagten der Fall. Dabei macht es keinen Unterschied, ob im Streitfall die Regelung des § 1 Abs. 5 KSchG anwendbar ist oder nicht, weil dem Arbeitgeber auch bei Vorliegen eines Interessenausgleichs mit Namensliste keine erleichterten Anforderungen bei seiner Anhörungspflicht zugute kommen (vgl. BAG - 2 AZR 377/02 - vom 28. August 2003, AP Nr. 134 zu § 102 BVG).

a) Soweit das Arbeitsgericht die Anhörung des Betriebsrats auf der Grundlage des Anhörungsschreibens vom 8. Oktober 2004 hinsichtlich der Unterrichtung in Bezug auf den Kündigungssachverhalt, der beabsichtigten Stilllegung der Berliner Filiale, für ausreichend gehalten hat, ist dies entgegen der Auffassung des Klägers nicht zu beanstanden. Das Berufungsgericht folgt jedoch nicht dem Arbeitsgericht darin, dass die Beklagte den Berliner Betriebsrat nicht auch von den von ihr angestellten und mit dem Gesamtbetriebsrat besprochenen und mit ihm abgestimmten Überlegungen zur sozialen Auswahl hat informieren müssen, weil eine Sozialauswahl tatsächlich, d. h. aus Rechtsgründen, nicht erforderlich war.

Aus dem Grundsatz der subjektiven Determinierung der Anhörung ergibt sich, dass der Arbeitgeber dasjenige mitzuteilen hat, das für seinen Kündigungsentschluss (mit-)bestimmend ist. Bei einer betriebsbedingten Kündigung gehören dazu auch diejenigen Kriterien, die der Arbeitgeber einer durchgeführten sozialen Auswahl zugrunde gelegt hat (ständige Rechtsprechung des BAG, vgl. etwa BAG - 2 AZR 385/99 - vom 21. September 2000, NZA 01, 535). Selbst wenn also für den Arbeitgeber eine Rechtspflicht zur sozialen Auswahl nicht bestanden hat, wovon im Streitfall das Arbeitsgericht ausgegangen ist, war der Berliner Betriebsrat zu den Auswahlüberlegungen doch zu hören.

Eine andere Betrachtungsweise wäre mit dem Sinn und Zweck der Anhörung des Betriebsrats nicht vereinbar. Diese dient nach der Rechtsprechung gerade dazu, den Betriebsrat in die Lage zu versetzen, diejenigen Kündigungstatsachen, worauf der Arbeitgeber abstellen will, in Bezug auf ihre Stichhaltigkeit zu überprüfen und anhand dieses Kündigungssachverhalts eine eigene Bewertung der beabsichtigten Kündigung vorzunehmen; ggf. soll die darauf aufbauende Stellungnahme des Betriebsrats den Arbeitgeber davon abhalten, an seiner Kündigungsabsicht festzuhalten. Diesen Zweck kann die Anhörung durch den Arbeitgeber nur erfüllen, wenn sie den aus der Sicht des Arbeitgebers maßgebenden Kündigungssachverhalt umfassend wiedergibt, auch wenn ein bestimmter Gesichtspunkt für die Beurteilung der Kündigung objektiv kündigungsrechtlich nicht maßgeblich ist, der Arbeitgeber also insoweit - bewusst oder unbewusst - eine freiwillige soziale Auswahl ohne rechtliche Verpflichtung vornimmt.

b) Es mag sein, dass die Beklagte mit dem Gesamtbetriebsrat, der dazu vom Berliner Betriebsrat beauftragt gewesen ist, im Rahmen der Verhandlungen über den Abschluss eines Interessenausgleichs/Sozialplans in einem sog. zweiten Schritt auch hinsichtlich der Arbeitnehmer der Berliner Filiale Gruppen vergleichbarer Arbeitsplätze/Arbeitnehmer gebildet und anhand der gesetzlichen Kriterien der Betriebszugehörigkeit, des Lebensalters und der Unterhaltspflichten - so die Beklagte - innerhalb der Vergleichsgruppen die Auswahl getroffen hat, deren Ergebnis die Namensliste geworden ist. Die Beklagte hat aber übersehen, dass sie dies im Rahmen des individuellen Anhörungsverfahrens gemäß § 102 BVG dem Berliner Betriebsrat hätte mitteilen müssen. Die in der mündlichen Verhandlung vor dem Berufungsgericht vertretene Auffassung der Beklagten, darauf komme es nicht an, weil der Berliner Betriebsrat sich aufgrund dessen, dass er dem Gesamtbetriebsrat den Verhandlungsauftrag zum Abschluss eines Interessenausgleichs erteilt habe, die Kenntnis des Gesamtbetriebsrats zurechnen lassen müsse, verfängt nicht. Das Interessenausgleichsverfahren und das Anhörungsverfahren gemäß § 102 BVG sind zwei für sich zu beurteilende, selbständige Verfahren; durch den entsprechenden Auftrag hat sich der Berliner Betriebsrat keinesfalls seiner Informationsrechte im Rahmen der Anhörung begeben. Dies hat die Beklagte offensichtlich zunächst ebenso gesehen, da sie sonst zumindest die Anlage zum Anhörungsschreiben vom 8. Oktober 2004 nicht hätte fertigen und dem Betriebsrat nicht überreichen müssen.

Zwar trifft es zu, dass es einer Anhörung nicht bedarf, soweit der Betriebsrat zum Zeitpunkt der Einleitung des Anhörungsverfahrens über den Kündigungssachverhalt schon in Kenntnis gesetzt ist, wie die Beklagte unter Hinweis auf die Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts vorgebracht hat. Der Kläger hat jedoch bestritten, dass der Berliner Betriebsrat über die Überlegungen zur sozialen Auswahl informiert gewesen ist; danach hat niemand für den Berliner Betriebsrat an der Sitzung vom 3. August 2004 teilgenommen, in der es nach dem Vorbringen der Beklagten um die Einzelheiten der sozialen Auswahl gegangen ist. Selbst anlässlich der maßgeblichen Sitzung vom 8. Oktober 2004, als es um die Beschlussfassung über den Entwurf eines Interessenausgleichs nebst Namensliste gegangen ist, hat er nach seinem Vortrag keinerlei Kenntnis von den Auswahlkriterien erlangt.

Ihre Ausführungen unter Ziffer 6 der Berufungserwiderung, die die Anhörung betreffen, schließt die Beklagte mit dem unzutreffenden Hinweis, der Kläger sei in die Verhandlungen involviert gewesen und habe auch ansonsten über die Maßnahmen und Inhalte Kenntnis erlangt, so obliege es ihm, eine angeblich grobe Sozialauswahl darzulegen. Die Darlegung der ordnungsgemäßen Anhörung und damit auch die der bestandenen, anderweitigen Kenntnis des Betriebsrats vom Kündigungssachverhalt obliegt aber dem Arbeitgeber.

c) Selbst wenn der Auffassung des Arbeitsgerichts zu folgen wäre, die Anhörung des Betriebsrats sei deswegen nicht fehlerhaft, weil eine soziale Auswahl objektiv nicht erforderlich gewesen sei, ändert sich nichts am Ergebnis.

Auch wenn der Betriebsbegriff des § 15 KSchG mit dem des Betriebsverfassungsgesetzes identisch ist und damit die Stilllegung eines Betriebsteils, der nach § 4 BVG betriebsverfassungsrechtlich als eigenständiger Betrieb anzusehen ist, "an sich" die Kündigung nach § 15 Abs. 4 KSchG zulässt, führt dies nicht dazu, dass sich das Betriebsratsmitglied nicht auch auf den Schutz des § 1 Abs. 2, Abs. 3 KSchG berufen kann. Der Amtsträger kann kündigungsrechtlich nicht schlechter gestellt werden, als der Arbeitnehmer ohne den besonderen Kündigungsschutz. Nach der Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts können aber ein Hauptbetrieb und eine räumlich weit entfernte Betriebsstätte im Sinne des § 4 Abs. 1 Satz 1 Ziff. 1 BVG einen Betrieb im Sinne des § 23 KSchG bilden; die Regelung des § 23 KSchG differenziert nicht zwischen Betrieben und räumlich entfernten Betriebsteilen, die als selbständige Betriebe im Sinne des BVG gelten. Eine mögliche betriebsverfassungsrechtliche Eigenständigkeit einzelner Betriebsteile steht daher einer betriebsteilübergreifenden Sozialauswahl nicht im Wege (vgl. BAG - 2 AZR 577/03 - vom 3. Juni 2004, NZA 05, 175). Einen eigenständigen Betrieb im Sinne des § 23 KSchG stellt aber die Berliner Filiale der Beklagten nicht dar, ohne dass das Berufungsgericht dies hätte noch einmal näher ausführen müssen.

Da der Kläger arbeitsvertraglich einer umfassenden Versetzungsklausel unterworfen gewesen ist, kann die Vergleichbarkeit dementsprechend nicht nur auf die Beschäftigten dieses Betriebsteils, der Berliner Filiale, beschränkt werden (vgl. BAG a.a.O.). Mithin war die Beklagte kündigungsrechtlich verpflichtet, die soziale Auswahl des sog. zweiten Schritts durchzuführen. Die unterlassene Information des Berliner Betriebsrats über ihre Auswahlüberlegungen kann daher nicht mit dem Argument abgetan werden, eine Unterrichtung sei objektiv gar nicht erforderlich gewesen.

d) Hat die Kündigung schon wegen fehlerhafter Anhörung des Berliner Betriebsrats das Arbeitsverhältnis des Klägers nicht rechtswirksam aufgelöst, hat das Berufungsgericht sich nicht mit der Rüge des Klägers befassen müssen, die Kündigung sei entgegen der Auffassung des Arbeitsgerichts auch wegen Verstoßes gegen die Bestimmungen zur Massenentlassung gemäß §§ 17 ff. KSchG rechtsunwirksam.

e) Den im Klageantrag zu 1 enthaltenen Fortbestehenszusatz hat das Berufungsgericht nicht als selbständige Feststellungsklage nach § 256 ZPO aufgefasst (vgl. ErfK-Ascheid, KSchG § 4 Rdnr. 86); eine diesbezügliche, auf ein entgegenstehendes Klageziel schließende Begründung hat der Kläger zu keinem Zeitpunkt vorgenommen. Einer Klageabweisung insoweit hat es daher nicht bedurft.

II.

Als Folge der rechtsunwirksamen Kündigung hat die Beklagte den Kläger auf der Grundlage der arbeitsvertraglichen Vereinbarungen vom 20. Februar 1995 bis zum rechtskräftigen Abschluss des Kündigungsrechtsstreits weiterzubeschäftigen (sog. allgemeiner vorläufiger Beschäftigungsanspruch). Entgegen dem in der Berufungserwiderung erhobenen, aber nicht weiter begründeten Einwand der Beklagten, ist der Antrag keineswegs wegen nicht ausreichender Bestimmtheit unzulässig. Der Kläger begehrt die Weiterbeschäftigung, wie es der Arbeitsvertrag vorgibt, und damit auch in einer anderweitigen Betriebsstätte der Beklagten nach Maßgabe ihres in § 2 Abs. 2 des Arbeitsvertrags vertraglich ausgestalteten Direktionsrechts.

Das Bestehen überwiegender, gegenteiliger Interessen hat die Beklagte demgegenüber nicht geltend gemacht. Aus ihrem Sachvortrag ergibt sich insbesondere nicht, dass ihr eine Beschäftigung des Klägers objektiv unmöglich ist.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 91 ZPO.

Für die Zulassung der Revision hat es keinen gesetzlich begründeten Anlass gegeben. Es handelt sich um eine Einzelfallentscheidung ohne grundsätzliche Bedeutung; eine rechtserhebliche Divergenz ist nicht erkennbar.

Ende der Entscheidung

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