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Beginn der Entscheidung

Gericht: Landesarbeitsgericht Berlin
Urteil verkündet am 04.03.2003
Aktenzeichen: 3 Sa 2286/02
Rechtsgebiete: BGB


Vorschriften:

BGB § 242
BGB § 315
BGB § 1004
Der Arbeitgeber hat bei einer von ihm für die Mitarbeiter seines Betriebes eingeführten Lernkontrolle hinsichtlich der Beantwortung bestimmter Kundenfragen im Einzelhandel nach billigem Ermessen darüber zu befinden, ob diese vom Arbeitnehmer im Einzelfall abverlangt werden kann.
Landesarbeitsgericht Berlin Im Namen des Volkes Urteil

3 Sa 2286/02

Verkündet am 04.03.2003

In Sachen

pp

hat das Landesarbeitsgericht Berlin, 3. Kammer, auf die mündliche Verhandlung vom 04.03.2003 durch den Vorsitzenden Richter am Landesarbeitsgericht Baumann als Vorsitzenden sowie die ehrenamtlichen Richter Walther und Kerpa

für Recht erkannt:

Tenor:

I. Die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des Arbeitsgerichts Berlin vom 11. Oktober 2002 - 3 Ca 15445/02 - wird auf ihre Kosten zurückgewiesen.

II. Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand:

Die Parteien streiten über die Rechtswirksamkeit dreier dem Kläger erklärter Abmahnungen.

Der am 9. März 1943 geborene Kläger war bei der Beklagten bzw. deren Rechtsvorgängerin seit dem 1. Dezember 1990 auf der Grundlage des Arbeitsvertrags vom 7. April 1992 als Verkäufer in einem der seitens der Beklagten betriebenen Baumärkte beschäftigt; und zwar im Baumarkt Berlin-M. in der B. Straße. Mit Wirkung zum 1. April 2002 vereinbarten die Parteien Altersteilzeit mit der Maßgabe, dass die Arbeitsphase des Klägers Ende März 2004 enden sollte.

In einer Betriebsversammlung vom 17. Januar 2002 wurden den Mitarbeitern des Baumarkts - so auch dem Kläger - diverse, von der Beklagten ohne Beteiligung des Betriebsrats erarbeitete Arbeitsunterlagen überreicht; und zwar mit der Anweisung, sich die Inhalte anzueignen und sie umzusetzen, sowie mit der Ankündigung, sie werde im Februar 2002 entsprechende Prüfungen durchführen. Darunter befand sich auch ein Fragen-Antworten-Katalog der Beklagten, der zehn häufig gestellte Kundenfragen betrifft.

Nach einer vom Kläger am 19. März 2002 abgelehnten Wissensprüfung durch ihren Marktleiter und einer darauf erteilten, in der Folgezeit aber wieder zurückgenommenen Abmahnung vom 23. März 2002 kam es zwischen dem Marktleiter und dem Kläger am 23. April 2002 erneut zu einer Unterredung, in deren Verlauf der Kläger eine Zielvereinbarung unterzeichnete, auf deren Inhalt verwiesen wird (Bl. 45 d.A.). Der Marktleiter brachte dabei gegenüber dem Kläger zum Ausdruck, dass es insoweit zu einem Prüfungsgespräch kommen werde. Dagegen wandte sich der Prozessbevollmächtigte des Klägers mit Schreiben vom 26. April 2002 (Bl. 46-47 d.A.).

In der Folgezeit versuchte der Marktleiter der Beklagten, den Kläger am 30. April, am 21. Juni und am 10. Juli 2002 in Anwesenheit eines Betriebsratsmitglieds zur Einwilligung in eine Lernkontrolle hinsichtlich der Zielvereinbarung vom 23. April 2002 zu bewegen, was erfolglos blieb und jeweils zu einer Abmahnung führte; und zwar unter dem 27. Mai, unter dem 31. Juni und unter dem 10. Juli 2002.

Dagegen hat sich der Kläger mit der vorliegenden Klage gewandt. Er hat die von ihm abverlangte Lernkontrolle für rechtswidrig gehalten und die Entfernung der Abmahnungen geltend gemacht.

Hinsichtlich des weiteren Tatbestandes erster Instanz wird auf denjenigen des angefochtenen Urteils Bezug genommen.

Durch ein am 11. Oktober 2002 verkündetes Urteil hat das Arbeitsgericht der Klage mit dem Antrag, die Beklagte zu verurteilen, die dem Kläger mit Schreiben vom 27. Mai 2002, 21. Juni 2002 und 10. Juli 2002 erteilten Abmahnungen aus der Personalakte des Klägers zu entfernen, stattgegeben. Die Beklagte habe mit der Anordnung zur mündlichen Wissensprüfung ihr Direktionsrecht überschritten und es nicht nach billigem Ermessen ausgeübt. Ein solches Prüfungsgespräch und dessen Belastungen brauche der 59-jährige Kläger mit seiner knapp zwölfjährigen, beanstandungsfreien Tätigkeit nicht über sich ergehen zu lassen. Der Beklagten hätten andere Mittel der Kontrolle zur Verfügung gestanden. Auch aus der Unterschriftsleistung des Klägers unter die Zielvereinbarung könne die Beklagte für die Zulässigkeit des Prüfungsgesprächs nichts herleiten. Wegen der weiteren, sehr sorgfältigen Begründung des Arbeitsgerichts wird auf dessen Entscheidungsgründe im angefochtenen Urteil verwiesen.

Noch vor Zustellung des vollständigen Urteils kam es am 27. November 2002 erneut zu einem seitens der Beklagten veranlassten Prüfungsgespräch. Wegen der seitens des Klägers erneut erklärten Weigerung kündigte die Beklagte nunmehr mit Schreiben vom 10. Dezember 2002 zum 30. Juni 2003; dem schloss sich eine weitere Kündigung vom 17. Januar 2003 zum 31. Juli 2003 an, die die Beklagte mit der Schließung des Baumarkts in M. begründete. In Bezug auf beide Kündigungen ist in erster Instanz beim Arbeitsgericht ein Kündigungsrechtsstreit zu 2 Ca 35850/02 anhängig.

Gegen das der Beklagten am 3. Dezember 2002 zugestellte Urteil richtet sich ihre beim Landesarbeitsgericht am 11. Dezember 2002 eingegangene Berufung, die sie am 20. Januar 2003 begründet hat.

Die Beklagte sieht in der Weigerung des Klägers, an einer Lernkontrolle in Bezug auf die Kundenfragen teilzunehmen, eine arbeitsvertragliche Pflichtverletzung, wobei sie sich auf ihr arbeitgeberseitiges Direktionsrecht und die vom Kläger unterzeichnete Zielvereinbarung stützt.

Als Inhaberin von Baumärkten beschäftige sie den Kläger als Fachverkäufer, von dem die Kunden eine angemessene fachliche Beratung erwarteten. Sie habe daher ein berechtigtes Interesse daran zu kontrollieren, ob der Kläger das von ihr erstellte Frage- und Antwort-Programm beherrsche. Sie müsse nicht erst etwa abwarten, bis sich Kunden über den Kläger beschwerten oder ohne dem den Baumarkt einfach verließen, um zu einem Wettbewerber zu gehen.

Auf die Einschaltung eines Testkäufers oder auf die Überwachung eines vom Kläger geführten Kundengesprächs brauche sie sich nicht verweisen zu lassen.

Außerdem habe sich der Kläger durch seine Unterschriftsleistung einzelvertraglich zur Beantwortung der Fragen in einem Prüfungsgespräch verpflichtet, was sich auch aus dem Schreiben des Klägers vom 26. April 2002 ergebe. Damit seinen sämtliche Abmahnungen zu Recht ergangen.

Zum Zeitpunkt der weiteren Pflichtverletzung des Klägers am 27. November 2002 habe eine Betriebsvereinbarung mit entsprechendem Regelungsgegenstand existiert, die einen weiteren Rechtsgrund für die Teilnahmepflicht des Klägers an der Lernkontrolle abgebe. Sie habe daraufhin zu Recht verhaltensbedingt gekündigt.

Die Beklagte beantragt,

das Urteil des Arbeitsgerichts Berlin vom 11. Oktober 2002 - 3 Ca 15445/02 - abzuändern und die Klage in vollem Umfang abzuweisen.

Der Kläger beantragt,

die Berufung der Beklagten zurückzuweisen.

Das Verhalten der Beklagten ihm gegenüber, vertreten durch den Marktleiter, sei schikanös und entbehre jeder Rechtsgrundlage. Für einen 59-jährigen Fachverkäufer mit langjähriger Praxiserfahrung sei es nicht zumutbar, in einer kompromittierenden Prüfungssituation dem Marktleiter Rede und Antwort zu stehen. Eine Kontrolle seiner Tätigkeit vor Ort sei im Übrigen viel geeigneter, sein fachliches Können zu überprüfen. Mit einer solchen Maßnahme wäre er jederzeit einverstanden gewesen.

Bis heute habe er ein Exemplar über eine angebliche Betriebsvereinbarung über die im Streit befindliche Lernkontrolle weder von der Beklagten noch vom Betriebsrat erhalten.

Wegen des weiteren Vorbringens der Parteien in beiden Rechtszügen wird auf die zwischen ihnen gewechselten Schriftsätze sowie auf den sonstigen Akteninhalt Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

Die gemäß §§ 8 Abs. 2, 64 Abs. 1 ArbGG statthafte und nach § 64 Abs. 2 ArbGG auch sonst zulässige Berufung hat die Beklagte form- und fristgerecht eingelegt, und auch ordnungsgemäß und rechtzeitig begründet.

Das Rechtsmittel hat in der Sache aber keinen Erfolg.

Das Arbeitsgericht hat zu Recht erkannt, dass die Beklagte die angegriffenen Abmahnungen aus der Personalakte des Klägers zu entfernen hat.

I.

Der Anspruch des Klägers ist in entsprechender Anwendung der Bestimmungen der §§ 242, 1004 BGB gegeben. Das mit den Abmahnungen gerügte, wiederholte Fehlverhalten des Klägers anlässlich der Prüfungsgespräche vom 30. April, vom 21. Juni und vom 10. Juli 2002 liegt nicht vor; die jeweilige Weigerung des Klägers ist nicht vertragswidrig gewesen. Beinhaltet die Abmahnung eine unzutreffende rechtliche Bewertung des Verhaltens des Arbeitnehmers seitens des Arbeitgebers, so ist sie zu entfernen (vgl. BAG 9 AZR 464/00 vom 11.12.2001, NZA 02, 965).

Dem stehen die dem Kläger zwischenzeitlich erklärten Kündigungen nicht entgegen. Zwar kann ein Rechtsschutzinteresse an der Entfernung einer rechtswidrigen Abmahnung dann entfallen, wenn es zur Auflösung des Arbeitsverhältnisses gekommen ist (vgl. BAG 5 AZR 632/93 vom 14.9.1994, NZA 95, 220; vgl. zum laufenden Kündigungsschutzverfahren: LAG Berlin BB 99, 2305). Hingegen hat das Arbeitsverhältnis des Klägers zur Zeit der letzten mündlichen Verhandlung vor dem Berufungsgericht unstreitig noch bestanden, da die Kündigungen erst zum 30. Juni bzw. zum 31. Juli 2003 ausgesprochen worden sind.

II.

Das Bundesarbeitsgericht hat sich erneut in seiner Entscheidung vom 11. Dezember 2001 mit den Grundlagen und Voraussetzungen eines Anspruchs auf Entfernung einer Abmahnung aus der Personalakte des Arbeitnehmers befasst. Darauf wird Bezug genommen (BAG a.a.O.; vgl. auch BAG 6 AZR 537/95 vom 30.5.1996, NZA 97, 145); von einer Wiedergabe der Gründe, denen sich das Berufungsgericht anschließt, wird abgesehen.

1.

Es kommt zwar für die Beurteilung der Rechtmäßigkeit einer Abmahnung nicht darauf an, ob dem ein subjektiv vorwerfbarer Pflichtenverstoß des Arbeitnehmers zugrunde liegt und dieser einen ausreichenden Grund für eine verhaltensbedingte Kündigung im Wiederholungsfall abgeben könnte (vgl. dazu BAG 5 AZR 74/91 vom 13.11.1992, NZA 92, 690). Hingegen kann nach Abwägung der beiderseitigen Interessenlage keine Vertragsverletzung seitens des Klägers festgestellt werden. Das Berufungsgericht schließt sich den zutreffenden und ausführlichen Ausführungen des Arbeitsgerichts im angefochtenen Urteil an und macht sie sich zu eigen (§ 69 Abs. 2 ArbGG). Die Berufungsbegründung der Beklagten rechtfertigt keine andere Beurteilung der Rechtslage.

2.

a)

Für die Anordnung, der Aufforderung zur Teilnahme an einer Lernkontrolle hinsichtlich des dem Kläger vorgegebenen Frage- und Antwort-Katalogs im Wege eines Prüfungsgesprächs Folge zu leisten, kann sich die Beklagte nicht auf ihr arbeitgeberseitiges Direktionsrecht stützen.

aa)

Soweit das arbeitgeberseitige Direktionsrecht besteht und nicht durch Gesetz, Tarifvertrag, Betriebsvereinbarung oder Einzelarbeitsvertrag eingeschränkt ist, hat es der Arbeitgeber nach billigem Ermessen auszuüben (ständige Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts; vgl. etwa BAG 6 AZR 444/99 vom 7.12.2000, NZA 01, 790). Eine arbeitsvertragliche Weisung des Arbeitgebers erfüllt die Voraussetzungen dann, wenn bei der Maßnahme die wesentlichen Umstände des Falles abgewogen und die beiderseitigen Interessen angemessen berücksichtigt worden sind (vgl. BAG a.a.O.). Dies hat die Beklagte im Streitfall nicht beachtet.

Vorbehaltlich des Bestehens eines Mitbestimmungsrechts des Betriebsrats ist es der Beklagten allerdings unbenommen, für die Mitarbeiter verbindliche, allgemeine Verhaltensregeln aufzustellen und das jeweilige Anforderungsprofil der Tätigkeit des Verkaufspersonals in ihren Baumärkten zu bestimmen. Teil des Anforderungsprofils ist hier die inhaltliche Festlegung der Beantwortung bestimmter Kundenfragen durch den Verkäufer. Unabhängig von der Regelung zu § 21 des Arbeitsvertrages, der sich ganz offensichtlich nicht auf die hier in Streit stehende Wissensprüfung bezieht, kann zugunsten der Beklagten davon ausgegangen werden, dass es dem Arbeitgeber im Rahmen seines Direktionsrechts zusteht, die Arbeitnehmer standarisierten Lernkontrollen zu unterziehen. Es spricht grundsätzlich nichts gegen die Annahme einer arbeitsvertraglichen Pflicht zur Teilnahme des Arbeitnehmers an einem darauf beruhenden Prüfungsgespräch. Auch ist durchaus ein berechtigtes Interesse des Arbeitgebers anzunehmen, alle betroffenen Arbeitnehmer im Betrieb dieser Lernkontrolle zu unterziehen. Welche arbeitsvertraglichen Konsequenzen ein (teilweises) Versagen des Arbeitnehmers im Prüfungsgespräch haben könnte, ist eine andere Frage, die hier nicht zur Entscheidung angestanden hat.

bb)

Das Arbeitsgericht ist mit Hilfe einer eingehenden und zutreffenden Begründung zu dem Ergebnis gelangt, dass die Beklagte im konkreten Fall des Klägers nicht nach billigem Ermessen gehandelt hat, weil sie die beiderseitigen Interessen nicht angemessen gegeneinander abgewogen hat.

Zwar lässt das Argument des Klägers, er sei seit seiner Einstellung im Jahre 1990 stets seinen arbeitsvertraglichen Pflichten in der Beratung der Kunden beanstandungsfrei nachgekommen, es habe nie eine Beschwerde eines Kunden gegeben, nicht von vornherein die Annahme zu, die Beklagte hätte bei ihm hinsichtlich der von ihr beabsichtigten und betrieblich allgemein eingeführten Lernkontrolle absehen müssen. Jedoch hätte die Beklagte die konkrete, persönliche Situation des Klägers berücksichtigen und erkennen müssen, dass ihm gerade deswegen eine theoretische Wissensprüfung nicht zuzumuten gewesen ist.

Der Kläger ist 59 Jahre alt, er hat viele Jahre beanstandungsfrei als (Fach-) Verkäufer für die Beklagte gearbeitet, seine berufliche Tätigkeit für die Beklagte war aufgrund der vereinbarten Altersteilzeit auf die Zeit bis zum 31. März 2004, also für die Dauer noch eines Jahres begrenzt. Wenn der Kläger unter diesen Voraussetzungen für ihn keine sachliche Notwendigkeit sah, sich den Belastungen eines Prüfungsgesprächs, das für ihn auch dann negativ hätte ausgehen können, wenn er den ihm von der Beklagten abverlangten Frage- und Antworten-Katalog inhaltlich beherrscht, so hätte dies die Beklagte bedenken und ihn von der theoretischen Lernkontrolle ausnehmen müssen. Die Drucksituation der sich ein "Prüfling" in einer Lernkontrolle auszusetzen hat, ist wesentlich gravierender als diejenige, die für den Verkäufer im Rahmen seiner Ausübung der von ihm verlangten Verkaufstätigkeit bei Beachtung des ihm vorgegebenen Inhalts der Beantwortung bestimmter, sich häufig wiederholender Kundenfragen entsteht.

Die Beklagte hatte keine Anhaltspunkte dafür, dass der Kläger dem von ihr eingeführten Anforderungsprofil als Fachverkäufer in einem Baumarkt nicht entsprochen hat. Der Kläger hat weder zu erkennen gegeben, dass er die Maßgaben der Beklagten nicht beachten kann oder will, noch hat er zum Ausdruck gebracht, dass er sich einer anderweitigen Kontrolle "vor Ort" nicht unterziehen will. Darauf hätte die Beklagte eingehen müssen. Der Umstand, dass - wie die Beklagte vorträgt - sie es im Falle einer Kontrolle auf der Basis der Teilnahme eines dritten Beobachters an einem Kundengespräch riskieren würde, dass dieses für den Kunden negativ ausgeht, weil der Kläger die ihm abverlangten Antworten nicht beherrscht, überzeugt nicht. Dieses Risiko hätte die Beklagte auch dann eingehen müssen, wenn der Kläger die theoretische Prüfung aus ihrer Sicht nicht bestanden hätte, wenn sie nicht den Kläger in diesem Fall mit sofortiger Wirkung von der Arbeit freigestellt hätte, wofür nichts vorgetragen worden ist.

Auch hätte die Beklagte ihr Ziel erreichen können, wenn sie einen Testkäufer eingesetzt hätte, was die Beklagte - wie der Kläger unbestritten vorgetragen hat - auch in anderen Bereichen ihres Betriebes praktiziert. Da der Kläger im Rechtsstreit gerade auf diese Möglichkeit verwiesen hat, spricht nichts dafür, dass er sich auf Befragen seitens der Beklagten mit dieser Verfahrensweise seinerzeit nicht einverstanden erklärt hätte. Der Einwand der Beklagten, sie habe gerade im Interesse der Verkäufer vom Einsatz von anonymen Testkäufern absehen wollen, verfängt gegenüber dem Kläger gerade nicht.

Nach alledem ist festzustellen, dass es zwar der Beklagten unbenommen ist, im Interesse der Durchsetzung des von ihr festgelegten Anforderungsprofils eines Fachverkäufers im Baumarkt generelle Lernkontrollen einzuführen, sie aber dabei nicht bedacht hat, in jedem Einzelfall zu prüfen, ob die Anordnung einer solchen Lernkontrolle gegenüber einem bestimmten Mitarbeiter billigem Ermessen entspricht, sie also ausreichend auch die entgegenstehenden Interessen des Mitarbeiters berücksichtigt hat. Dies hat sie im Falle des Klägers missachtet.

b)

Der Hinweis auf die vom Kläger am 23. April 2002 unterzeichnete Zielvereinbarung nützt der Beklagten nichts. Eine Vereinbarung darüber, dass eine Wissensprüfung erfolgen wird, ergibt sich aus der Zielvereinbarung selbst nicht, wie das Arbeitsgericht zutreffend ausgeführt hat.

Richtig ist zwar, dass für die Auslegung einer vertraglichen Abrede auch deren Begleitumstände heranzuziehen sind (vgl. etwa BAG 8 AZR 95/00 vom 8.5.2001; BAG 2 AZR 269/92 vom 10.12.1992, NZA 93, 552). Insoweit verweist die Beklagte im Ausgangspunkt zutreffend darauf, dass der Kläger selbst einräumt, der Marktleiter habe ihm gegenüber bei Übergabe der Zielvereinbarung zum Ausdruck gebracht, es werde zu einem Prüfungsgespräch kommen, was der Kläger in der mündlichen Verhandlung vor dem Berufungsgericht auch erneut zu Protokoll erklärt hat. Aus dem fehlenden, ausdrücklichen Widerspruch des Klägers hat die Beklagte aber keineswegs sein konkludent erklärtes Einverständnis herleiten können.

Der Kläger hat im Schreiben seines Prozessbevollmächtigten vom 4. April 2002 unmissverständlich klargestellt, dass er auf dem Standpunkt stehe, es könne von ihm nicht abverlangt werden, die "Dienstanweisungen" auswendig aufzusagen. Von einem Sinneswandel des Klägers in diesem Punkt hat die Beklagte am 23. April 2002 allein dadurch, dass der Kläger die Zielvereinbarung unterzeichnete und widerspruchslos die Erklärungen des Marktleiters dazu zur Kenntnis nahm, unter diesen Voraussetzungen nicht ausgehen können. Die Frage, ob der Kläger verpflichtet ist, ein Prüfungsgespräch über sich ergehen zu lassen, ist vielmehr vom Kläger am 23. April 2002 nicht im Sinne der Beklagten beantwortet worden. Es blieb mithin bei der bloßen, einseitigen Ankündigung einer solchen Prüfung.

Daran ändert entgegen der Auffassung der Beklagten auch nichts der Inhalt des Schreibens des Prozessbevollmächtigten des Klägers vom 26. April 2002. Darin befasst sich dieser allein damit, wie es zur Unterschrift des Klägers unter die Zielvereinbarung gekommen ist, ohne in Abweichung zu seinem bisher dargelegten Standpunkt der Beklagten zuzugeben, der Kläger habe sich am 23. April 2002 über den Inhalt der Zielvereinbarung hinaus gegenüber dem Marktleiter mit einem Prüfungsgespräch einverstanden erklärt.

Hat der Kläger nach alledem weder am 30. April 2002 noch am 21. Juni 2002 noch am 10. Juli 2002 dadurch, dass er sich weigerte, sich prüfen zu lassen, seine arbeitsvertraglichen Pflichten verletzt, ist die in den angegriffenen Abmahnungen enthaltene Bewertung seines Verhaltens seitens der Beklagten unzutreffend. Die Abmahnungen sind daher aus der Personalakte des Klägers zu entfernen.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 97 ZPO.

Für die Zulassung der Revision hat es keinen gesetzlich begründeten Anlass gegeben. Es handelt sich um eine Einzelfallentscheidung ohne grundsätzliche Bedeutung; eine rechtserhebliche Divergenz ist nicht erkennbar.

Ende der Entscheidung

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