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Beginn der Entscheidung

Gericht: Landesarbeitsgericht Berlin
Beschluss verkündet am 21.05.2003
Aktenzeichen: 3 Ta 942/03
Rechtsgebiete: ArbGG, ZPO


Vorschriften:

ArbGG § 46 Abs. 2
ArbGG § 78 Satz 1
ZPO § 216
ZPO § 271
ZPO § 567
ZPO § 569
Macht die Partei geltend, ihr Prozessbevollmächtigter habe beim Arbeitsgericht seit Jahren eine Klageschrift mit derselben Unterschrift versehen, so ist, wenn dies bislang nicht beanstandet worden ist, die Unterschrift als ordnungsgemäß zu behandeln, obwohl sie gemäß den Anforderungen, die die Rechtsprechung dazu gestellt hat, nicht als ausreichend angesehen werden kann.
Landesarbeitsgericht Berlin

3 Ta 942/03

Beschluss

In der Beschwerdesache

LArbG 32 Beschluss II. Instanz (19.10.00)

hat das Landesarbeitsgericht Berlin, 3. Kammer durch den Vorsitzenden Richter am Landesarbeitsgericht Baumann als Vorsitzenden

am 21. Mai 2003

beschlossen:

Tenor:

Auf die sofortige Beschwerde der Klägerin wird das Arbeitsgericht Berlin angewiesen, die Klageschrift vom 15. April 2003 - 42 Ca 10344/03 - unverzüglich zuzustellen und in der Sache alsbald Termin anzuberaumen.

Gründe:

I.

Die Klägerin, vertreten durch ihren Prozessbevollmächtigten Rechtsanwalt U. Th. H., hat beim Arbeitsgericht Berlin unter dem 15. April 2003 in Bezug auf die ihr am 28. März 2003 zugegangene Kündigung vom 24. März 2003 Kündigungsschutzklage eingereicht. Durch Verfügung vom 24. April 2003 hat der (stellvertretende) Vorsitzende der zuständigen Kammer darauf hingewiesen, dass auf die "Eingabe" vom 15. April 2003 nichts veranlasst werden könne, weil diese nicht ordnungsgemäß unterzeichnet worden sei.

Dagegen richtet sich die beim Arbeitsgericht am 5. Mai 2003 eingegangene Beschwerde der Klägerin. Die Unterschrift ihres Prozessbevollmächtigten erfülle die dafür von der Rechtsprechung entwickelten, notwendigen Merkmale; es liege ein individueller Schriftzug vor, der über eine "bloß gekrümmte oder geschlängelte Linie" hinausgehe. Ihr Prozessbevollmächtigter habe beim Arbeitsgericht Berlin im Übrigen wie in den vergangenen Jahren stets gleichermaßen unterschrieben, was nie beanstandet worden sei; damit könne er Vertrauensschutz für sich in Anspruch nehmen.

Durch Beschluss vom 5. Mai 2003 hat das Arbeitsgericht der Beschwerde nicht abgeholfen.

II.

1. Gegen die Ablehnung der Zustellung der Klageschrift und der Terminsbestimmung nach § 46 Abs. 2 ArbGG i.V.m. §§ 271, 216 ZPO ist die sofortige Beschwerde nach § 78 Abs. 1 i.V.m. 567 ZPO statthaft (vgl. Baumbach/Lauterbach/Albers/Hartmann ZPO 61. Aufl. § 216 Rnr. 27; Zöller/Stöber ZPO 23. Aufl. § 216 Rnr. 21). Die Klägerin hat das Rechtsmittel unbeschadet der von ihr vorgenommenen Bezeichnung als Beschwerde auch in zulässiger Weise eingelegt. Zwar bedarf auch das Rechtsmittel der sofortigen Beschwerde der ordnungsgemäßen Unterzeichnung, wenn es gemäß § 569 Abs. 2 ZPO durch Einreichung einer Beschwerdeschrift eingelegt wird; bedient sich der Rechtsmittelführer dabei eines Prozessbevollmächtigten, so gelten grundsätzlich dieselben Anforderungen an die Unterschrift, die die Rechtsprechung an die Unterschrift in Bezug auf einen bestimmenden Schriftsatz zu § 130 Ziff. 6 ZPO entwickelt hat (vgl. Zöller/Gummer ZPO § 569 Rnr. 7). Insoweit könnten Zweifel dagegen bestehen, dass der Prozessbevollmächtigte der Klägerin im Streitfall die Beschwerdeschrift ordnungsgemäß unterschrieben hat. Daraus kann jedoch der Klägerin vorliegend kein Nachteil erwachsen. Die Beschwerde ist hier aus den nachstehenden Gründen, die für die Unterzeichnung der Klageschrift gelten, als zulässig anzusehen, ohne dass sie mit der Begründung als unzulässig verworfen werden könnte, auch sie leide an dem Mangel der nicht ordnungsgemäßen Unterschrift.

2. Das Rechtsmittel ist begründet. Das Arbeitsgericht hat es im Ergebnis ohne ausreichenden Grund unterlassen, die Klageschrift vom 15. April 2003 der beklagten Partei zuzustellen und alsbald einen Termin anzuberaumen. Dies muss es unverzüglich nachholen.

a) Allerdings hat eine Terminsanberaumung u.a. dann zu unterbleiben, wenn die Klageschrift an einem rechtserheblichen Mangel leidet (vgl. Zöller/Stöber ZPO § 216 Rnr. 12; Baumbach/Lauterbach/Albers/Hartmann ZPO § 216 Rnr. 5). Dies hat das Arbeitsgericht vorliegend zutreffend als gegeben angenommen.

Die unter der Klageschrift geleistete Unterschrift erfüllt auch bei der gebotenen Großzügigkeit bei der Bewertung nicht die daran zu stellenden Anforderungen. Zwar ist es nicht erforderlich, dass die Unterschrift lesbar ist; jedoch muss sie ein individuelles Schriftbild mit charakteristischen Merkmalen aufweisen und sich als eine die Identität des Unterzeichnenden ausreichende Kennzeichnung des Namens darstellen, die von Dritten nicht ohne Weiteres nachgeahmt werden kann. Eine Paraphe, bei der offen bleibt, ob eine endgültige Erklärung gewollt ist, reicht nicht aus (vgl. BAG 5 AZR 576/94 vom 27. März 1996, NZA 96, 1115; KR-Friedrich KSchG 6. Aufl. § 4 Rnr. 165 m.w.N.). Deshalb muss sich aus dem äußeren Erscheinungsbild der Unterschrift ergeben, dass der Verfasser mit vollem Namen und nicht nur mit einer Abkürzung hat unterschreiben wollen (vgl. BGH NJW 99, 60), wobei auch insoweit ein großzügiger Maßstab anzulegen ist (vgl. BAG 5 AZB 17/00 vom 30. August 2000, NZA 00, 1248). Daran ändert es nichts, dass der Unterschrift ein maschinengeschriebener Name beigefügt ist (vgl. LAG Berlin AuR 02, 38).

Die Unterschrift des Prozessbevollmächtigten der Klägerin unter der Klageschrift gibt hier kein individuelles Schriftbild wieder, woraus ersichtlich werden könnte, dass der Verfasser nicht nur einen Anfangsbuchstaben niedergeschrieben hat, sondern mit vollem Namen hat unterschreiben wollen. Es ist - wie das Arbeitsgericht ausgeführt hat - in der Tat nur ein "schlingenförmiges Gebilde" gegeben, dem auch nicht ansatzweise entnommen werden kann, dass es sich dabei um die Wiedergabe des Namens und nicht nur um die einer Abkürzung handelt. Es liegt eine Auflösung des Schriftbildes in willkürlichen Linien vor, ohne dass irgendwelche für eine Namensunterzeichnung charakteristischen Merkmale erkennbar sind. Der maschinenschriftlich zugefügte Name des Prozessbevollmächtigten der Klägerin kann unmöglich aus dem Schriftbild herausgelesen werden.

Dieser Mangel ist auch nicht dadurch geheilt worden, dass der Klageschrift eine von der Klägerin eigenhändig unterzeichnete Prozessvollmacht beigelegen hat (vgl. KR-Friedrich KSchG § 4 Rnr. 166 m.w.N.).

b) Das Arbeitsgericht hätte jedoch aufgrund des Vorbringens der Klägerin in ihrer Rechtsmittelbegründung die Unterschrift als ordnungsgemäß behandeln müssen. Demzufolge hat der Prozessbevollmächtigte der Klägerin bei Unterschriftsleistung Vertrauensschutz gehabt. Danach hat der Prozessbevollmächtigte der Klägerin beim Arbeitsgericht bestimmende Schriftsätze, insbesondere Klageschriften, seit Jahren mit derjenigen Unterschrift eingereicht, womit er auch die hier vorliegende Klageschrift versehen hat, ohne dass zuvor das Arbeitsgericht jemals diese Unterschrift beanstandet hätte. Dies trifft zu; das Beschwerdegericht hat entsprechend die zitierten Verfahrensakten beigezogen.

In diesem Fall darf der Klägerin aus der bisher nicht beanstandeten und hier fortgeführten Praxis bei der Unterschriftsleistung ihres Prozessbevollmächtigten kein Nachteil erwachsen. Dies ist auf der Grundlage der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts mit ihrem Hinweis auf das Gebot des fairen Verfahrens (vgl. BVerfG NJW 88, 2787) nunmehr allgemein anerkannt (vgl. BAG 4 AZR 710/95 vom 18. Juni 1997, NZA 97, 1234; BGH NJW 99, 60; Zöller-Greger ZPO § 130 Rnr. 17). Bis zu einem gerichtlichen Hinweis darauf, dass die (bisherige) Handhabung bei der Unterschriftsleistung nicht (mehr) als den Anforderungen an eine Unterschrift genügend angesehen wird, darf der so unterschriebene bestimmende Schriftsatz nicht als prozessual unbeachtlich zurückgewiesen werden. Dies gilt sowohl für ein fristgebundenes Rechtsmittel (vgl. BAG a.a.O.) wie auch für die hier vorliegende, fristgebundene Kündigungsschutzklage.

Ob bei dieser Sachlage für die Klägerin ein Grund zur nachträglichen Zulassung der Klage nach § 5 KSchG gegeben ist, kann dahinstehen. Ist die Klageschrift als ordnungsgemäß unterzeichnet zu behandeln, ist hier kein Fristversäumnis eingetreten. Der Klägerin kann nicht vorgehalten werden, dass die vor Ablauf der Klagefrist des § 4 KSchG eingereichte Klageschrift nicht demnächst zugestellt worden ist (§ 167 ZPO). Die bisher unterlassene, von Amts wegen vorzunehmende Zustellung der Klage ist ihr nicht zuzurechnen und damit im Hinblick auf die Fristwahrung nach § 4 KSchG unschädlich (vgl. KR-Friedrich KSchG § 4 Rnr. 141 ff.).

Gegen diese Entscheidung ist ein Rechtsmittel nicht gegeben.

Ende der Entscheidung

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