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Beginn der Entscheidung

Gericht: Landesarbeitsgericht Berlin
Urteil verkündet am 19.08.2005
Aktenzeichen: 6 Sa 1106/05
Rechtsgebiete: BGB


Vorschriften:

BGB § 158 Abs. 2
BGB § 305c Abs. 2
BGB § 306 Abs. 2
BGB § 307 Abs. 1 Satz 2
BGB § 308 Nr. 4
Ist eine Gratifikation nach einem Formularvertrag "eine jederzeit widerrufliche freiwillige Leistung, aus der ein Anspruch nicht hergeleitet werden kann", so begründet dies lediglich einen Widerrufsvorbehalt des Arbeitgebers für einen entsprechenden Anspruch des Arbeitnehmers
Landesarbeitsgericht Berlin Im Namen des Volkes Urteil

6 Sa 1106/05

Verkündet am 19.08.2005

In Sachen

hat das Landesarbeitsgericht Berlin, 6. Kammer, auf die mündliche Verhandlung vom 19.08.2005 durch den Vorsitzenden Richter am Landesarbeitsgericht Corts als Vorsitzenden sowie die ehrenamtlichen Richter Köster und Weißer

für Recht erkannt:

Tenor:

1. Die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des Arbeitsgerichts Berlin vom 07. April 2005 - 4 Ca 30743/04 - wird auf ihre Kosten zurückgewiesen.

2. Die Revision wird nicht zugelassen.

Beschluss

Der umseitige Tenor wird gemäß § 319 Abs. 1 ZPO wegen offensichtlicher Unrichtigkeit infolge einer Verwechselung der Parteirollen dahin berichtigt, dass Gegenstand der Zurückweisung die allein von der Klägerin eingelegte Berufung sein soll.

Diese Entscheidung ist nicht anfechtbar.

Tatbestand:

Die Klägerin nimmt die Beklagte auf Zahlung einer Weihnachtsgratifikation für das Jahr 2004 in rechnerisch unstreitiger Höhe von 1.662,-- € brutto in Anspruch. Nach Nr. 2.2 ihres Arbeitsvertrags vom 30. April 1990 ist diese Gratifikation "eine jederzeit widerrufliche freiwillige Leistung, aus der ein Anspruch nicht hergeleitet werden kann."

Mit Schreiben vom 24. November 2004 (Abl. Bl. 5 d.A.) teilte die Beklagte der Klägerin mit, ihre angespannte finanzielle Lage mache es ihr unmöglich, in diesem Jahr eine Weihnachtsgratifikation zu zahlen. Stattdessen händigte sie der Klägerin einen Warengutschein in Höhe von 350,-- € aus.

Das Arbeitsgericht Berlin hat die Klage abgewiesen. Zur Begründung hat es im Wesentlichen ausgeführt, der Klägerin stehe kein arbeitsvertraglicher Anspruch auf eine Weihnachtsgratifikation für 2004 zu. Die Parteien hätten im Arbeitsvertrag die Freiwilligkeit deren Zahlung vereinbart. Dies werde durch den Zusatz noch klargestellt, dass aus der Zahlung ein Rechtsanspruch nicht hergeleitet werden könne. Deshalb habe auch kein Anspruch aufgrund betrieblicher Übung entstehen können.

Gegen dieses ihr am 26. Mai 2005 zugestellte Urteil richtet sich die am 31. Mai 2005 eingelegte und zugleich begründete Berufung der Klägerin. Sie verweist darauf, dass ihr Arbeitsvertrag anders als in einer vom Arbeitsgericht herangezogenen Entscheidung des Bundesarbeitsgerichts keine Regelung enthalte, wonach auch die wiederholte freiwillige Leistung keinen Rechtsanspruch für die Zukunft begründe, und dass die jährlichen Zahlungen stets vorbehaltlos erfolgt seien. Von der Gutschrift habe sie inzwischen in Höhe von 110,95 € Gebrauch gemacht.

Die Klägerin beantragt,

die Beklagte unter Änderung des angefochtenen Urteils zu verurteilen, an sie 1.662,-- € brutto nebst Zinsen in Höhe von fünf Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit Klagezustellung (23.12.2004) zu zahlen.

Die Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Sie hält die arbeitsvertragliche Regelung für eindeutig. Zumindest sei sie zum Widerruf berechtigt gewesen. Nach einem Umsatzrückgang um 2 Mio. € in 2003 auf 72,323 Mio. € habe sie in 2004 nur noch einen Umsatz von 63,789 Mio. € erzielt, wie von der Klägerin unstreitig gestellt. Deshalb habe sie sich auch zur Schließung von vier Filialen entschlossen.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Parteivorbringens wird auf den Tatbestand des angefochtenen Urteils und die in der Berufungsinstanz gewechselten Schriftsätze Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

1. Die Berufung ist unbegründet.

Die Klägerin hat keinen Anspruch auf (restliche) Weihnachtsgratifikation für 2004.

1.1 Allerdings war ein solcher Anspruch zunächst durch den Arbeitsvertrag vom 30. April 1990 begründet worden. Dass die Weihnachtsgratifikation dort als freiwillige Leistung bezeichnet worden war, aus der ein Anspruch nicht hergeleitet werden könne, stand nicht entgegen.

Zwar bewirkt ein arbeitsvertraglicher Freiwilligkeitsvorbehalt, dass es zunächst zu keiner vertraglichen Bindung des Arbeitgebers kommt. Vielmehr kann der Arbeitgeber in jedem Jahr erneut entscheiden, ob, unter welchen Voraussetzungen und an welche Arbeitnehmer er eine Gratifikation zahlt. Ein Anspruch entsteht dann erst mit einer Zahlungsankündigung für das laufende Jahr oder mit der tatsächlichen Zahlung nach Maßgabe des arbeitsrechtlichen Gleichbehandlungsgrundsatzes (BAG Urteil vom 12.01.2000 - 10 AZR 840/98 - AP BGB § 611 Gratifikation Nr. 223 zu II 1 b der Gründe).

Vorliegend hat sich die Beklagte jedoch nicht darauf beschränkt, ihre Weihnachtsgratifikation als freiwillige Leistung zu deklarieren, sondern diese außerdem unter einen Widerrufsvorbehalt gestellt. Ein solcher Vorbehalt setzt aber denknotwendig das Bestehen eines Anspruchs voraus, auf den er sich bezieht und den er durch seine Ausübung zu Fall bringen soll.

Das Zusammentreffen von Freiwilligkeits- und Widerrufsvorbehalt lässt die betreffende Vertragsklausel bei ihrer Auslegung gemäß § 157 BGB als unklar erscheinen (Kania DB 1998, 2418, 2419). Daran ändert auch der Zusatz nichts, dass aus der Leistung kein Anspruch hergeleitet werden könne, weil darin ebenfalls nur die Vereinbarung eines Widerrufsvorbehalts gesehen werden kann (BAG, Urteil vom 22.10.1980 - 5 AZR 825/78 - zu I 1 der Gründe, n.v.).

Soweit in dem Hinweis auf eine jederzeitige Widerruflichkeit lediglich eine Klarstellung gesehen worden ist, dass es dem Arbeitgeber jährlich freigestellt sein solle, die bislang freiwillig gewährten Zahlungen nicht mehr zu erbringen, sie also zu "widerrufen" (BAG, Urteil vom 26.03.1997 - 10 AZR 612/96 - AP BGB § 242 Betriebliche Übung Nr. 50 zu II 4 der Gründe), mag dies vor dem Hintergrund zu sehen sein, dass die Leistung dort nicht in einer Vertragsurkunde geregelt, sondern durch Aushang jährlich stets aufs Neue angekündigt worden war. Derselbe Senat hat jedenfalls eine entsprechende Vertragsklausel auch dahin verstanden, dass es sich dabei (lediglich) um einen Widerrufsvorbehalt handelte (BAG, Urteil vom 10.05.1995 - 10 AZR 648/94 - AP BGB § 611 Gratifikation Nr. 174 zu II 3 der Gründe; ebenso Urteil vom 12.01.2005 - 5 AZR 364/04 - AP BGB § 308 Nr. 1 zu B I 3 der Gründe; für eine Betriebsvereinbarung LAG Rheinland-Pfalz, Urteil vom 19.11.1999 - 3 Sa 922/99 - NZA-RR 2000, 409 zu I 1 der Gründe).

1.2 Der Anspruch der Klägerin auf Zahlung einer Weihnachtsgratifikation für das Jahr 2004 ist durch Widerruf erloschen.

1.2.1 Bei einem vertraglichen Widerrufsvorbehalt handelt es sich um eine auflösende Potestativbedingung i.S.d. § 158 Abs. 2 BGB (Wohlgemuth AuR 1983, 286, 288). In Allgemeinen Geschäftsbedingungen ist seine Vereinbarung gemäß § 308 Nr. 4 BGB unwirksam, wenn sie für den Arbeitnehmer auch unter Berücksichtigung der Interessen des Arbeitgebers nicht zumutbar ist. Zumutbarkeit besteht, wenn sich der Widerrufsvorbehalt auf eine Zusatzleistung bezieht und diese dadurch im Hinblick auf die ungewisse wirtschaftliche Entwicklung flexibel gestaltet und durch Ausübung des Widerrufrechts nicht in dem Kernbereich des Arbeitsvertrags eingegriffen wird (BAG, Urteil vom 12.01.2005 - 5 AZR 364/04 - AP BGB § 308 Nr. 1 zu B I 4 c der Gründe). Dies war vorliegend der Fall, wo die Klägerin durch den Wegfall ihrer Weihnachtsgratifikation auch ohne Berücksichtigung des ihr überreichten Warengutscheins eine Einbuße von lediglich 7,69 % ihres Jahreseinkommens hat hinnehmen müssen.

1.2.2 Eine unangemessene Benachteiligung der Klägerin ergab sich jedoch gemäß § 307 Abs. 1 Satz 2 BGB daraus, dass in der Vertragsklausel nicht angegeben war, unter welchen Voraussetzungen die Beklagte von ihrem Widerrufsrecht Gebrauch machen wollte. Dies führte indessen nicht gemäß § 306 Abs. 2 BGB zu einem Wegfall des Widerrufsvorbehalts. Da es um einen sog. Altvertrag aus der Zeit vor Inkrafttreten des Schuldrechtsmodernisierungsgesetzes am 01. Januar 2002 handelte, durch das die frühere Bereichsausnahme des § 23 Abs. 1 AGB-G für das Gebiet des Arbeitsrechts aufgehoben wurde, erschien eine ergänzende Vertragsauslegung gemäß § 157 BGB dahin geboten, dass die Beklagte zumindest bei Verlusten oder wirtschaftlichen Schwierigkeiten zum Widerruf ihrer Gratifikationszusage berechtigt sein sollte. Eine solche Bestimmung ist für den Arbeitnehmer zumutbar (BAG, Urteil vom 12.01.2005 - 5 AZR 364/04 - AP BGB § 308 Nr. 1 B II 2 der Gründe). Dies ist auch von Klägerseite nicht in Abrede gestellt worden.

1.2.3 Die Voraussetzungen für einen Widerruf waren im Jahre 2004 erfüllt. Nachdem die Beklagte bereits 2003 einen Umsatzrückgang um 2 Mio. € auf 72,323 Mio. € zu verzeichnen hatte, gingen ihre Umsätze in 2004 noch stärker auf 63,789 Mio. €, mithin um weitere 11,8 %, zurück. Dieser Rückgang hatte nicht etwa auf bereits vollzogenen Filialschließungen beruht, sondern diese erst ab Ende 2004 nach sich gezogen, wovon insgesamt 27 Mitarbeiter betroffen waren. Darin zeigte sich die wirtschaftliche Krisensituation der Beklagten, die einen auf das laufende Jahr beschränkten Widerruf ihrer Gratifikationszusage als sachgerechte Reaktion erscheinen ließ.

1.2.4 Mit ihrem Schreiben vom 24. November 2004 hat die Beklagte von ihrem Widerrufsrecht konkludent Gebrauch gemacht. Die Ausführungen, wonach die angespannte finanzielle Lage es ihr unmöglich mache, in diesem Jahr die Weihnachtsgratifikation zu zahlen, waren nicht aus bloßer Hinweis auf eine objektive Unmöglichkeit zu verstehen, sondern als Entscheidung, dies aus dem genannten Grund nicht zu wollen (§ 133 BGB). Dies war auch noch rechtzeitig vor dem vereinbarten Fälligkeitstermin am 30. November des laufenden Jahres erfolgt (zu diesem Erfordernis BAG, Urteil vom 11.04.2000 - 9 AZR 255/99 - BAGE 94, 204 = AP BGB § 611 Gratifikation Nr. 227 zu I 1 d der Gründe).

2. Die Klägerin hat gemäß § 97 Abs. 1 ZPO die Kosten ihrer erfolglosen Berufung zu tragen.

Die Voraussetzungen des § 72 Abs. 2 ArbGG für eine Zulassung der Revision waren nicht erfüllt. Die Entscheidung beruhte weder auf der Beantwortung einer Rechtsfrage von grundsätzlicher Bedeutung noch auf einem divergierenden Rechtssatz.

Ende der Entscheidung

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