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Gericht: Landesarbeitsgericht Berlin
Urteil verkündet am 25.01.2007
Aktenzeichen: 6 Sa 1245/06
Rechtsgebiete: BGB
Vorschriften:
BGB § 626 Abs. 1 |
Landesarbeitsgericht Berlin Im Namen des Volkes Urteil
Verkündet am 25.01.2007
In dem Rechtsstreit
hat das Landesarbeitsgericht Berlin, Kammer 6, auf die mündliche Verhandlung vom 08.12.2006 durch den Vorsitzenden Richter am Landesarbeitsgericht C. sowie die ehrenamtliche Richterin U. und den ehrenamtlichen Richter Sch.
für Recht erkannt:
Tenor:
1. Die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des Arbeitsgerichts Berlin vom 24.05.2006 - 39 Ca 3345/06 - wird auf ihre Kosten zurückgewiesen.
2. Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand:
Die am ..... 1960 geborene Klägerin ist schwerbehindert. Sie trat am 10. Dezember 1979 in ein Arbeitsverhältnis als Reinigungskraft zu einem Rechtsvorgänger der Beklagten, auf das kraft arbeitsvertraglicher Bezugnahme der Bundesmanteltarifvertrag für die Arbeiter gemeindlicher Verwaltungen und Betriebe (BMT-G) Anwendung fand. Die Klägerin erhielt zuletzt ein monatliches Entgelt von 2.029,63 € brutto.
Die Klägerin hatte folgende krankheitsbedingte Fehlzeiten:
1980 17 Kalendertage
1981 53 Kalendertage
1982 9 Kalendertage
1983 19 Kalendertage
1984 55 Kalendertage
1985 122 Kalendertage
1986 99 Kalendertage
1987 46 Kalendertage
1988 125 Kalendertage
1989 89 Kalendertage
1990 91 Kalendertage
1991 140 Kalendertage
1992 71 Kalendertage
1993 25 Kalendertage
1994 90 Kalendertage
1995 71 Kalendertage
1996 42 Kalendertage
1997 79 Kalendertage
1998 24 Kalendertage
1999 62 Kalendertage
2000 80 Kalendertage
2001 97 Kalendertage
2002 85 Kalendertage
2003 70 Kalendertage
2004 77 Kalendertage
2005 257 Kalendertage nebst 29 Kalendertagen Reha-Maßnahme
2006 fehlte die Klägerin vom 01. bis 06. Januar.
Am 07. Dezember 2005 beschloss die Geschäftsführung der Beklagten, ab 01. Januar des Folgejahres für den Bereich Reinigung kein eigenes Personal mehr vorzuhalten. Vielmehr sollten die Reinigungsarbeiten nur noch von der OHH I. S. GmbH, einer hundertprozentigen Tochtergesellschaft, durchgeführt werden, die dort bereits seit Oktober 1999 mit ihren Mitarbeitern und den ihr unterstellten klinikeigenen Reinigungskräften tätig war.
Nach jeweiliger Anhörung des Betriebsrats und Zustimmung des Integrationsamtes kündigte die Beklagte der Klägerin mit Schreiben vom 03. Februar 2006 aus betriebsbedingten Gründen und mit Schreiben vom 17. Februar 2006 aus krankheitsbedingten Gründen außerordentlich mit einer Auslauffrist zum 30. September 2006.
Das Arbeitsgericht Berlin hat festgestellt, dass das Arbeitsverhältnis durch keine der beiden Kündigungen aufgelöst worden sei. Zur Begründung hat es im Wesentlichen ausgeführt, die erste Kündigung sei unwirksam, weil die Beklagte die Reinigungskräfte der OHH in die Sozialauswahl hätte einbeziehen müssen, weil sie mit dieser einen Gemeinschaftsbetrieb geführt habe. Die zweite Kündigung scheitere daran, dass zwar mit künftigen krankheitsbedingten Fehlzeiten von mehr als elf Kalenderwochen im Jahr zu rechnen gewesen sei. Diese und die damit zu erwartenden Belastungen der Beklagten mit Entgeltfortzahlungskosten genügten aber trotz des Umstandes, dass das Arbeitsverhältnis bereits seit 25 Jahren überdurchschnittlich mit Fehlzeiten belastet gewesen sei und die Klägerin bis zum Erreichen des gesetzlichen Rentenalters noch mehr als 20 Jahre zurückzulegen habe, zur Überzeugung der Kammer noch nicht, um ein derart krasses Missverhältnis zwischen zu erwartender Arbeitsleistung und zu erwartenden Entgeltleistungen zu begründen, dass von einem "sinnentleerten" Arbeitsverhältnis gesprochen werden könnte, dessen Fortsetzung der Beklagten evident unzumutbar wäre.
Gegen dieses ihr am 21. Juni 2006 zugestellte Urteil richtet sich die am 19. Juli 2006 eingelegte und am 21. September 2006 nach entsprechender Verlängerung der Begründungsfrist begründete Berufung der Beklagten, soweit das Arbeitsgericht die Unwirksamkeit der zweiten Kündigung festgestellt hat. Die Beklagte meint, aus der Diagnoseliste der Klägerin (Abl. Bl. 82 und 83 d.A.) ergebe sich, dass die Klägerin chronisch krank sei, wobei die Erkrankungen vorwiegend den Bewegungsapparat beträfen. Keine ihrer verschiedenen Erkrankungen sei als geheilt anzusehen, wofür spreche, dass die Klägerin auch nach den von ihr vorgelegten Attesten Bücken und Tragen von mehr als 10 kg vermeiden solle, beides aber gerade zum Berufsbild einer Reinigungskraft gehöre. Die Diagnoseliste zeige zudem eine auffällige Häufung von Virusinfektionen und Bronchitis. Die Fehlzeiten der Klägerin überschritten jedes Jahr deutlich die Erheblichkeitsschwelle von 30 Arbeitstagen, was unzumutbare Entgeltfortzahlungskosten in den nächsten 20 Jahren befürchten lasse. Es bestünden im Betrieb weder Schonarbeitsplätze noch solche einer Stationsassistentin.
Die Beklagte beantragt,
die Klage unter Aufhebung des angefochtenen Urteils abzuweisen.
Die Klägerin beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Sie meint, es habe bei Ausspruch der Kündigung schon keine negative Gesundheitsprognose gestellt werden können. Nach einer stationären Reha-Maßnahme im August 2005 habe sie auf ärztliches Anraten noch eine ambulante Reha-Maßnahme beantragt, die aufgrund später Bewilligung erst Ende November 2005 habe begonnen werden können. Als sie kurz vor deren Abschluss am 17. Dezember 2005 ihre Arbeit wieder aufgenommen habe, sei sie bis zum 06. Januar 2006 an Grippe erkrankt. Seitdem sei es zu keinen Fehlzeiten mehr gekommen. Ihre Muskulatur habe so gekräftigt werden können, dass sich die Beschwerden reduziert hätten. Die Klägerin bestreitet, eine erheblich höhere Krankheitsquote als ihre Kolleginnen gehabt zu haben. Ihre hohen Fehlzeiten in den achtziger Jahren seien auf zwei Risikoschwangerschaften zurückzuführen gewesen; außerdem habe sich eine Depression eingestellt, nachdem ihr drittes Kind kurz nach der Geburt gestorben sei.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Parteivorbringens wird auf den Tatbestand des angefochtenen Urteils und die in der Berufungsinstanz gewechselten Schriftsätze Bezug genommen.
Entscheidungsgründe:
1. Die auf die Entscheidung über die außerordentliche Kündigung vom 17. Februar 2006 beschränkte, innerhalb der verlängerten Begründungsfrist ordnungsgemäß begründete Berufung der Beklagten ist in der Sache unbegründet.
Das Arbeitsverhältnis der Klägerin ist durch die außerordentliche Kündigung der Beklagten vom 17. Februar 2006 nicht aufgelöst worden. Die Voraussetzungen für eine gemäß § 52 Abs. 1 BMT-G II allein zugelassene außerordentliche Kündigung aus wichtigen Grund gemäß § 53 Abs. 1 Satz 1 BMT-G II, der mit § 626 Abs. 1 BGB inhaltsgleich ist, lagen nicht vor.
1.1 Krankheitsbedingte Gründe vermochten die Kündigung nicht zu rechtfertigen.
1.1.1 Die außergewöhnlich hohen Fehlzeiten der Klägerin und die zugrunde liegenden Krankheiten waren zwar grundsätzlich geeignet, eine negative Prognose hinsichtlich der weiteren Entwicklung zu stellen. Die Beklagte hat jedoch den falschen Zeitpunkt für den Ausspruch ihrer Kündigung gewählt. Die Klägerin war nämlich zuletzt durchgängig vom 01. Juni bis 16. Dezember 2005 krankgeschrieben, wobei in diese Zeit eine stationäre und später noch eine ambulante Reha-Maßnahme fielen. Dabei hatte die Klägerin ausweislich des Ärztlichen Entlassungsberichts vom 05. September 2005 (Abl. Bl. 86 bis 89 d.A.) ihr Gewicht um beachtliche 4,3 kg reduzieren können, und war das Reha-Ziel einer Kräftigung der paravertebralen Muskulatur erreicht worden, auch wenn eine anhaltende Beschwerdereduktion noch nicht eingetreten war. Unter diesen Umständen erschien es der Beklagten zumutbar, zunächst die weitere Fehlzeitenentwicklung abzuwarten, bevor sie das durch den Ausschluss der ordentlichen Kündbarkeit besonders geschützte Arbeitsverhältnis der Klägerin auflösen durfte.
Daran änderte nichts, dass die Klägerin vom 20. Dezember 2005 bis 06. Januar 2006 erneut krankgeschrieben war, weil dies auf einer Virusinfektion beruhte, mag es daneben auch zu einer depressiven Episode, Gelenkschmerzen und einer Zervikalbrachialgie gekommen sein. Immerhin hatte die Klägerin in der Folgezeit bis zum Ausspruch der Kündigung und dann auch bis zum Ablauf der Kündigungsfrist über einen Zeitraum von rund neun Monaten keine krankheitsbedingten Fehlzeiten mehr aufzuweisen, was die Relativierung der negativen Prognose aufgrund der Reha-Maßnahmen bestätigte. Auch wenn für die Beurteilung einer Kündigung auf den Zeitpunkt ihres Zugangs abzustellen ist, kann die spätere Entwicklung Berücksichtigung finden, soweit diese die Prognose bestätigt (BAG, Urteil vom 13.05.2004 - 2 AZR 36/04 - AP BGB § 626 Krankheit Nr. 12 zu III der Gründe).
1.1.2 Gegen eine Beendigung des Arbeitsverhältnisses aus krankheitsbedingten Gründen sprach außerdem, dass die Beklagte nach ihrer Begründung der unmittelbar vorangegangenen Kündigung aus betriebsbedingten Gründen ohnehin keine Beschäftigungsmöglichkeit mehr für die Klägerin im Bereich der Reinigung hatte. Dann hätte aber durch weitere Krankheitszeiten der Klägerin weder der Betriebsablauf gestört werden können, noch wäre von der damit verbundenen Entgeltfortzahlung eine selbständige wirtschaftliche Belastung ausgegangen, weil die Beklagte der Klägerin ohnehin die vertragliche Vergütung gemäß § 615 Satz 1 BGB oder §§ 275 Abs. 1, 326 Abs. 2 Satz 1 BGB auch ohne Arbeitsleistung zu zahlen hatte (vgl. zum Zusammentreffen von Produktionsdrosselung oder Kurzarbeit BAG, Urteil vom 24.03.1983 - 2 AZR 21/82 - BAGE 42, 151 = AP KSchG 1969 Betriebsbedingte Kündigung Nr. 12 zu C III der Gründe und Urteil vom 12.04.1984 - 2 AZR 77/83 - DB 1985, 873 zu B II 2 b, bb der Gründe; zur Situation eines im Betrieb überflüssigen Arbeitnehmers BAG, Urteil vom 12.01.2006 - 2 AZR 242/05 - AP BGB § 626 Krankheit Nr. 13 zu B II 4 der Gründe).
1.2 Auf betriebsbedingte Gründe konnte die Kündigung nicht gestützt werden. Insoweit hatte die Beklagte ihren Betriebsrat nur zu der vorangegangenen außerordentlichen Kündigung vom 03. Februar 2006 angehört, was ein Nachschieben in dem auf die außerordentliche Kündigung vom 17. Februar 2006 beschränkten Berufungsverfahren ausschloss (vgl. BAG, Urteil vom 26.09.1991 - 2 AZR 132/91 - AP KSchG 1969 Krankheit Nr. 28 zu A III 1 b der Gründe).
2. Die Beklagte hat gemäß § 97 Abs. 1 ZPO die Kosten ihrer erfolglosen Berufung zu tragen.
Die Voraussetzungen des §§ 72 Abs. 2 ArbGG für eine Zulassung der Revision waren nicht erfüllt.
Ende der Entscheidung
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