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Gericht: Landesarbeitsgericht Berlin
Urteil verkündet am 15.12.2006
Aktenzeichen: 6 Sa 1466/06
Rechtsgebiete: SGB III, EStG, ZPO
Vorschriften:
SGB III § 143 Abs. 3 Satz 1 | |
EStG § 3 Nr. 2 | |
ZPO § 53 |
Landesarbeitsgericht Berlin Im Namen des Volkes Urteil
Verkündet am 15.12.2006
In dem Rechtsstreit hat das Landesarbeitsgericht Berlin, Kammer 6, auf die mündliche Verhandlung vom 15.12.2006 durch den Vorsitzenden Richter am Landesarbeitsgericht C. sowie den ehrenamtlichen Richtern B. und Z.
für Recht erkannt:
Tenor:
1. Auf die Berufung der Klägerin wird das Urteil des Arbeitsgerichts Berlin vom 27.06.2006 - 84 Ca 7567/06 - geändert.
2. Der Beklagte wird verurteilt, an die Klägerin 4.679,41 € brutto (viertausendsechshundertneunundsiebzig, 41/100) abzüglich 4.222,39 € netto (viertausendzweihundertzweiundzwanzig, 39/100) nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz auf 457,02 € seit dem 29. April 2006 zu zahlen.
3. Der Beklagte hat die Kosten des Rechtsstreits zu tragen.
4. Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand:
Die Klägerin, die sich bis zum 11. August 2005 in Elternzeit befand, hat den Beklagten als Insolvenzverwalter über das Vermögen ihrer damaligen Arbeitgeberin auf eine korrigierte Lohnsteuerbescheinigung für die Dauer ihrer Kündigungsfrist vom 12. August bis 31. Oktober 2005 und für den Fall nicht rechtzeitiger Erfüllung auf eine Entschädigung in Höhe von 457,02 €, hilfsweise auf Schadenersatz in Höhe dieses Betrags, mit der Begründung in Anspruch genommen, dass ihr durch die Eintragung eines zu geringen Bruttolohns ein Anspruch auf Steuererstattung in dieser Höhe entgangen sei, da sie 2005 kein weiteres Einkommen erzielt habe.
Das Arbeitsgericht Berlin hat die Klage abgewiesen. Zur Begründung hat es, ohne die Frage der Zuständigkeit der Gerichte für Arbeitssachen für den erhobenen Berichtigungsanspruch oder dessen Klagbarkeit zu problematisieren, ausgeführt, der Beklagte habe das Arbeitsverhältnis korrekt abgerechnet, indem er ein fiktives Netto ermittelt habe, das aufgrund der Insolvenz nicht gezahlt worden sei. Auf der Lohnsteuerkarte seien nur der tatsächlich gezahlte steuerpflichtige Arbeitslohn und die davon einbehaltenen Lohnsteuern zu bescheinigen. Mangels solcher Zahlungen könne der Klägerin auch kein Verzugsschaden entstanden sein.
Gegen dieses ihr am 20. Juli 2006 zugestellte Urteil richtet sich die am 19. August 2006 eingelegte und am 27. September 2006 nach entsprechender Verlängerung der Begründungsfrist begründete Berufung der Klägerin. Sie meint, aus der Gleichwohlgewährung von Arbeitslosengeld und dessen Steuerfreiheit dürfe ihr kein Nachteil entstehen.
Unter Umstellung ihrer Klage beantragt die Klägerin,
den Beklagten unter Änderung des angefochtenen Urteils zu verurteilen, an sie 4.679,41 € brutto abzüglich 4.222,39 € netto zuzüglich Rechtshängigkeitszinsen auf 457,02 € zu zahlen.
Der Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Er ist der Ansicht, die Klägerin müsse die Konsequenzen aus ihrer Entscheidung für die Inanspruchnahme der Gleichwohlgewährung von Arbeitslosengeld tragen, nachdem er sie im Rahmen der Insolvenz bis zum Ablauf der Kündigungsfrist freigestellt habe.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Parteivorbringens wird auf den Tatbestand des angefochtenen Urteils und die in der Berufungsinstanz gewechselten Schriftsätze Bezug genommen.
Entscheidungsgründe:
1. Die Berufung ist zulässig. Insbesondere ist sie innerhalb der gemäß § 66 Abs. 1 Satz 5 ArbGG verlängerten Begründungsfrist ordnungsgemäß nach § 520 Abs. 3 ZPO, § 64 Abs. 6 Satz 1 ArbGG begründet worden.
2. Die Berufung ist auch begründet.
2.1 Die vorgenommene Klagänderung vom Berichtigungs- und hilfsweise erhobenen Schadenersatzanspruch zum Erfüllungsanspruch auf Zahlung ist gemäß § 533 ZPO zulässig. Sie erschien der Kammer sachdienlich (Nr. 1), weil damit der Streit der Parteien endgültig hat erledigt werden können; auch konnte sie auf dieselben Tatsachen gestützt werden, die der Verhandlung und Entscheidung über die Berufung ohnehin gemäß § 529 ZPO zugrunde zu legen waren (Nr. 2).
2.2 Die Leistungsklage ist zulässig. Es stand außer Streit, dass es sich bei der Forderung der Klägerin um eine gemäß § 53 InsO vorweg zu befriedigende Masseverbindlichkeit nach § 55 Abs. 1 Nr. 2 InsO handelt.
2.3 Die geänderte Klage ist begründet.
2.3.1 Die Klägerin hat für die Zeit vom 12. August bis 31. Oktober 2005 gemäß § 615 Satz 1 BGB Anspruch auf Zahlung ihrer im Arbeitsvertrag vereinbarten Vergütung in unstreitiger Höhe von insgesamt 4.679,41 € brutto abzüglich der darauf von der Bundesagentur für Arbeit erlangten bzw. von dieser für sie an Sozialversicherungsbeiträgen abgeführten Beträge und dem von dem Beklagten gezahlten Nettolohn in Höhe von
2.314,40 € Arbeitslosengeld
1.013,09 € Sozialversicherungsbeiträge
894,90 € Nettolohn
4.222,39 € netto
Dass die Klägerin wegen des Ausbleibens ihrer Gehaltszahlung gemäß § 143 Abs. 3 Satz 1 SGB III Arbeitslosengeld in Anspruch genommen hat, das gemäß § 3 Nr. 2 EStG als solches steuerfrei ist, konnte den Beklagten nicht entlasten. Für ihn hatte diese sog. Gleichwohlgewährung lediglich zur Folge, dass er der Bundesagentur für Arbeit gemäß § 115 Abs. 1 SGB X das in entsprechender Höhe auf diese übergegangene Nettogehalt der Klägerin zu zahlen und dieser die für die Klägerin geleisteten Sozialversicherungsbeiträge gemäß § 335 Abs. 3 Satz 1 und Abs. 5 SGB III zu erstatten hatte. Dies hat er inzwischen auch getan, weshalb der Leistungsnachweis für das Finanzamt über das gezahlte Arbeitslosengeld durch Bescheinigung vom 15. Februar 2006 (Abl. Bl. 58 d.A.) auf die Zeit ab 01. November bis 31. Dezember 2005 korrigiert worden ist. Eine zusätzliche Belastung ist für den Beklagten entgegen seiner Ansicht damit ebenso wenig verbunden wie eine Vergünstigung für die Klägerin.
2.3.2 Die Zinsforderung beruht auf §§ 288 Abs. 1 Satz 2, 291 BGB, § 253 Abs. 1, 261 Abs. 1, 495 ZPO, § 46 Abs. 2 Satz 1 ArbGG.
3. Nebenentscheidungen
3.1 Der Beklagte hat als unterlegene Partei gemäß § 91 Abs. 1 Satz 1 ZPO die Kosten des Rechtsstreits zu tragen. Dem hätte er nach vollzogener Klagänderung nur durch ein von der Kammer angeregtes sofortiges Anerkenntnis gemäß § 93 ZPO entgehen können.
Hinter der Klagänderung verbarg sich auch keine teilweise Rücknahme mit der Kostenfolge des § 269 Abs. 3 Satz 2 ZPO; vielmehr entsprach der Wert des in der Berufungsinstanz gestellten Zahlungsantrags mit (4.679,41 ./. 4.222,39 =) 457,02 € exakt dem Wert der erstinstanzlich gestellten und mit der Berufungsbegründung angekündigten Anträge der Klägerin, die wirtschaftlich identisch waren und deshalb denselben Gegenstand i.S.d. § 45 Abs. 1 Satz 3 GKG betrafen.
Schließlich waren auch die Voraussetzungen des § 97 Abs. 2 ZPO, um der Klägerin zumindest die Kosten des Berufungsverfahrens aufzuerlegen, nicht erfüllt. Die Klägerin hat nicht aufgrund neuen Vorbringens obsiegt, sondern lediglich auf Hinweis des Gerichts nach § 139 Abs. 1 Satz 2 ZPO einen ihrem bereits erstinstanzlich erkennbar gewordenen Begehren dienlichen Antrag gestellt.
3.2 Die Voraussetzungen des § 72 Abs. 2 ArbGG für eine Zulassung der Revision waren nicht erfüllt. Insbesondere kam der Rechtssache keine grundsätzliche Bedeutung i.S.d. Nr. 1 zu, weil mit ihr keine höchstrichterlich klärungsbedürftigen Fragen verbunden waren. Dass sich Beklagter und Arbeitsgericht durch die zunächst falsche Einkleidung des Begehrens der Klägerin auf Fragen im Schnittbereich von Arbeits- und Steuerrecht eingelassen haben, war angesichts dessen unerheblich, dass es für die Entscheidung allein auf die gewöhnliche Frage teilweiser Erfüllung und teilweisen Übergangs einer in ihrer Höhe unstreitigen Gehaltsforderung ging.
Ende der Entscheidung
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