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Beginn der Entscheidung

Gericht: Landesarbeitsgericht Berlin
Urteil verkündet am 21.06.2005
Aktenzeichen: 6 Sa 1714/04
Rechtsgebiete: VTV Bau


Vorschriften:

VTV Bau § 1 Abs. 2
Es stellt eine eigene baugewerbliche Tätigkeit dar, wenn der Arbeitgeber seine Arbeitnehmer überwiegend zur Überwachung von Nachunternehmern einer GmbH einsetzt, die er eigens dafür gegründet hat, Aufträge über Bauarbeiten an Nachunternehmer zu vergeben.
Landesarbeitsgericht Berlin Im Namen des Volkes Urteil

6 Sa 1714/04

Verkündet am 21.06.2005

In dem Rechtsstreit

hat das Landesarbeitsgericht Berlin, 6. Kammer, auf die mündliche Verhandlung vom 21.01.2005 durch den Vorsitzenden Richter am Landesarbeitsgericht Corts sowie die ehrenamtlichen Richter Kotzwich und Feiertag

für Recht erkannt:

Tenor:

1. Auf die Berufung des Klägers wird das Urteil des Arbeitsgerichts Berlin vom 24.06.2004 - 70 Ca 64321/03 - teilweise geändert.

2. Der Beklagte wird verurteilt, an den Kläger 15.079,00 € (fünfzehntausendneunundsiebzig 00/100) zu zahlen.

3. Im Übrigen ist das angefochtene Urteil wirkungslos.

4. Die Kosten des Rechtsstreits haben der Kläger zu 20,65 % und der Beklagte zu 79,35 % zu tragen.

5. Die Revision wird zugelassen.

Tatbestand:

Die Parteien streiten darüber, ob der Beklagte von Dezember 1998 bis Dezember 2000 einen Betrieb des Baugewerbes i.S.d. Verfahrenstarifvertrags über das Sozialkassenverfahren (VTV) unterhielt.

Das Arbeitsgericht Berlin hat die ursprünglich auf Zahlung sog. Mindestbeiträge für die Zeit von Dezember 1998 bis November 1999 und Auskunft für die anschließende Zeit bis Dezember 2000 gerichtete Klage abgewiesen. Zur Begründung hat es im Wesentlichen ausgeführt, der Kläger habe nicht konkret vorgetragen, dass baugewerbliche Tätigkeiten im Rahmen der Arbeitszeit der Arbeitnehmer des Beklagten überwogen hätten. Vielmehr habe er sich damit begnügt, den Text des VTV zu wiederholen, indem er behauptet habe, der Beklagte habe Hilfstätigkeiten, insbesondere Reinigungs- und Entsorgungsarbeiten erbracht, welche der Erstellung, Instandsetzung und -haltung, Änderung oder Beseitigung von Bauwerken dienten.

Gegen dieses ihm am 21. Juli 2004 zugestellte Urteil richtet sich die am 10. August 2004 eingelegte und am 15. Oktober 2004 nach entsprechender Verlängerung der Begründungsfrist begründete Berufung des Klägers. Er verweist darauf, dass der Beklagte nicht die Durchführung der von ihm behaupteten baulichen Leistungen als solchen bestritten habe, sondern lediglich eine Beschäftigung der von ihm benannten Arbeitnehmer mit Ausnahme des vom Beklagten als Angestellten bezeichneten Vorarbeiters. Laut seinem Schreiben vom 15. März 2000 (Abl. Bl.65 f. d.A.) habe der Beklagte in seinem Betrieb neben einer geringfügig beschäftigten Sachbearbeiterin den Vorarbeiter mit Bauleitertätigkeit und Montagehilfsleistungen für Installation und Innenausbau beschäftigt. Nach seinen weiteren Angaben anlässlich eines Betriebsbesuchs habe der Beklagte 1997 die M. W. Bauträger GmbH gegründet, die Objekte aufgekauft, Sanierungsmaßnahmen geplant, die Finanzierung sichergestellt und die sanierten Objekte als Ganzes oder als Eigentumswohnungen wieder veräußert habe. Das Einzelunternehmen des Beklagten sei seitdem zumindest bis zur Gründung einer weiteren, am 16. Mai 2000 ins Handelsregister eingetragenen HM H. GmbH ausschließlich für die Bauträger GmbH tätig geworden. Dazu habe der Beklagte zwei Maurer, zwei Isolierer/Abdichter und einen Bauhelfer während unterschiedlicher Zeiträume beschäftigt. Demgegenüber habe er für die Bauträger GmbH bewusst keine Arbeitnehmer eingestellt. Auch der Vorarbeiter habe überwiegend Montagehilfsleistungen erbracht, während die üblichen "Schreibtischarbeiten" nach eigener Angabe vom Beklagten selbst verrichtet worden seien.

Nach Erhebung einer weiteren, der Verjährungshemmung dienenden Mindestbeitrittsklage für die Zeit von Dezember 1999 bis Dezember 2000 beantragt der Kläger nur noch,

die Beklagte unter Änderung des angefochtenen Urteils zur Zahlung von 15.079,-- € an ihn zu verurteilen,

und erklärt im Übrigen den Rechtsstreit in der Hauptsache für erledigt.

Der Beklagte schließt sich der Erklärung einer teilweisen Hauptsacheerledigung an und beantragt im Übrigen,

die Berufung zurückzuweisen.

Er beanstandet, dass der Kläger keine konkreten Tätigkeiten bestimmter Arbeitnehmer geschildert habe. Zudem sei dem Kläger sein jetziger Vortrag bereits erstinstanzlich innerhalb der ihm gesetzten Ausschlussfrist möglich gewesen, weshalb dieser nun nicht mehr zuzulassen sei. Mit der Sanierung der Objekte habe die Bauträger GmbH andere Bauunternehmer beauftragt, weil er mit seinen wenigen Arbeitnehmern dazu überhaupt nicht in der Lage gewesen sei. Deren Tätigkeit habe sich auf Nebenleistungen für diese Nachunternehmer wie Beschaffung und Transport von Material und Montagehilfsleistungen sowie auf die Überwachung der Bauarbeiten beschränkt, ohne dass sie den Arbeitnehmern der beauftragten Unternehmen gegenüber weisungsbefugt gewesen seien. Zu 30 bis 50 % der Arbeitszeit im Jahr sei er auch für andere Auftraggeber tätig gewesen. Mit Rücksicht auf das zurückgehende Geschäft habe sich dieser Anteil im Jahre 2000 und in den Folgejahren immer mehr vergrößert.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Parteivorbringens wird auf den Tatbestand des angefochtenen Urteils und die in der Berufungsinstanz gewechselten Schriftsätze nebst Anlagen Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

1. Die fristgemäß und formgerecht eingelegte Berufung des Klägers ist innerhalb der verlängerten Begründungsfrist ordnungsgemäß begründet worden.

2. Soweit die Parteien den Rechtsstreit hinsichtlich der ursprünglichen Auskunftsklage für erledigt erklärt haben und deshalb gemäß § 91a Abs. 1 ZPO insoweit nur noch über die Kosten zu entscheiden war, ist das angefochtene Urteil wirkungslos. Dies ergab sich aus einer analogen Anwendung der Regelung über eine (teilweise) Klagerücknahme in § 269 Abs. 3 Satz 1 Hs. 2 ZPO (vgl. BGH, Beschluss vom 18.02.2002 - II ZR 331/00 - NZA 2002, 405 zu I der Gründe).

3. Die Berufung ist im verbliebenen Umfang begründet.

3.1 Die Erhebung einer sog. Mindestbeitragsklage, die sich der Sache nach als Teilklage darstellt, ist gemäß § 253 Abs. 2 Nr. 2 ZPO zulässig.

3.2 Der Kläger hat gemäß § 48 Abs. 1 VTV 1986, § 5 Abs. 4 TVG gegen den Beklagten einen Anspruch auf Zahlung von Sozialkassenbeiträgen in rechnerisch unstreitiger Höhe von 15.079,-- €, weil der Betrieb des Beklagten in dieser Zeit als ein Betrieb des Baugewerbes i.S.d. § 1 Abs. 2 VTV dem betrieblichen Geltungsbereich dieses für allgemeinverbindlich erklärten Tarifvertrags unterfiel.

3.2.1 Sowohl aus der Darstellung des Klägers, die mangels einer konkreten erstinstanzlichen Auflage nach § 56 Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 ArbGG nicht gemäß § 67 Abs. 2 Satz 1 ArbGG zurückzuweisen war, als auch aus der zweitinstanzlichen Einlassung des Beklagten ergab sich, dass dieser im streitigen Zeitraum mindestens so viele gewerbliche Arbeitnehmer mit baugewerblichen Tätigkeiten beschäftigte, wie der Kläger seiner Berechnung zugrunde gelegt hat.

3.2.2 Dass der Beklagte in seinem Betrieb bis zu fünf bei der zuständigen Innungskrankenkasse als Maurer, Isolierer/Abdichter und Bauhelfer gemeldete Arbeitnehmer beschäftigt hat, war zuletzt unstreitig. Dabei war davon auszugehen, dass auch der vom Beklagten als Maurer gemeldete Vorarbeiter nicht als Angestellter beschäftigt wurde, nachdem der Beklagte mit seiner Berufungserwiderung bloß noch allgemein behauptet hat, alle seine gewerblichen Arbeitnehmer hätten sich auf Nebentätigkeiten für Nachunternehmen der Bauträger GmbH und darauf beschränkt zu kontrollieren, ob die Beschäftigten dieser Nachunternehmen die geschuldeten Bauleistungen fachgerecht ausführten.

3.2.3 Dass die vom Beklagten eingeräumten Hilfsleistungen bauliche Tätigkeiten darstellten, stand außer Frage. Dies gilt auch für Transportleistungen, die mit baulichen Leistungen des Betriebs im Zusammenhang stehen (BAG, Urteil vom 20.03.2002 - 10 AZR 458/01 - AP TVG § 1 Tarifverträge: Bau Nr. 253 zu II 3 a der Gründe). Aber auch die Einweisung, Überwachung und Kontrolle von Arbeitnehmern eines Nachunternehmers ist als eigene baugewerbliche Tätigkeit anzusehen, wenn die kontrollierten Arbeitnehmer Arbeiten ausführen, die vom gewerblichen Geltungsbereich des VTV erfasst werden, der Nachunternehmer vom Inhaber des Betriebs mit diesen Arbeiten beauftragt worden ist und ohne die Tätigkeit des Nachunternehmens die Bauarbeiten von eigenen Arbeitnehmern hätten ausgeführt werden müssen (BAG, Urteil vom 11.06.1997 - 10 AZR 525/96 - AP TVG § 1 Tarifverträge: Bau Nr. 200 zu II 2 a der Gründe). Dabei ist es unerheblich, ob die Beaufsichtigung werk- oder personenbezogen erfolgt (BAG, Urteil vom 20.09.2000 - 4 ABR 63/98 - BAGE 95, 339 = AP TVG § 1 Tarifverträge: Bau Nr. 238 zu B II 2 b (2)). Es konnte auch keinen Unterschied machen, dass der Beklagte seine Arbeitnehmer nicht zur Überwachung der Ausführung eigener Aufträge, sondern solcher der von ihm hierfür eigens gegründeten Bauträger GmbH eingesetzt hat. Diese Konstruktion behielt ihren Charakter einer rechtlich unbeachtlichen, weil nur künstlichen Aufspaltung jedenfalls so lange, wie der Beklagte seine Arbeitnehmer nur zu weniger als der Hälfte ihrer Arbeitszeit mit der Überwachung der ordnungsgemäßen Durchführung von Aufträgen dritter Auftraggeber betraute, was nach seiner Schilderung bis 1999 der Fall war.

3.2.4 Gegen die Richtigkeit der Berechnung der Höhe der Klageforderung ist nichts hervorgegangen. Auch waren die vom Kläger zugrunde gelegten Berechnungsgrößen nicht zu beanstanden. Zwar waren die Lohntarifverträge im Baugewerbe im streitigen Zeitraum nicht allgemeinverbindlich, und waren auch die Voraussetzungen des § 612 Abs. 2 BGB nicht erfüllt (a.A. BAG, Urteil vom 11.06.1997 - 10 AZR 525/96 - AP TVG § 1 Tarifverträge: Bau Nr. 200 zu II 3 a der Gründe), weil die Höhe der Vergütung der Arbeitnehmer des Beklagten durchaus bestimmt, nur dem Kläger nicht bekannt war. Es war jedoch unschädlich, dass der Kläger deshalb, gestützt auf einen bloßen Durchschnittswert, seine Zahlenangaben "ins Blaue hinein" gemacht hat. Denn der Beklagte verstieß dadurch gegen Treu und Glauben (§ 242 BGB analog), dass er aus der Verletzung seiner materiell-rechtlichen Auskunftspflicht gemäß § 49 VTV 1986 bzw. § 21 VTV 1999 einen prozessualen Vorteil ziehen wollte, indem er sich darauf beschränkte, die monatlichen Bruttozahlungen in Höhe der Angaben des Klägers zu bestreiten.

4. Nebenentscheidungen

4.1 Die Kostenentscheidung beruht auf § 91 Abs. 1 Satz 1 ZPO, soweit der Beklagte zur Zahlung verurteilt worden ist. Dem Kläger insoweit die Kosten der Berufungsinstanz gemäß § 97 Abs. 2 ZPO aufzuerlegen, bestand kein Anlass.

Soweit die Parteien den Rechtsstreit hinsichtlich des Auskunftsantrags übereinstimmend für erledigt erklärt haben, waren die Kosten gemäß § 91a Abs. 1 ZPO nach dem bisherigen Sach- und Streitstand ebenfalls dem Beklagten aufzuerlegen, soweit sich das Auskunftsbegehren auf den Monat Dezember 1999 bezog. Für die Zeit ab Januar 2000 hatte dagegen der Kläger die anteiligen Kosten zu tragen, weil sein Bestreiten eines inzwischen überwiegenden Einsatzes der Arbeitnehmer des Beklagten im Zusammenhang mit der Überwachung der Durchführung von Aufträgen Dritter angesichts der ihn treffenden Beweislast nicht genügte.

4.2 Die Revision war gemäß § 72 Abs. 2 Nr. 1 ArbGG wegen grundsätzlicher Bedeutung zuzulassen.

Dagegen erschien die Zulassung der Rechtsbeschwerde hinsichtlich der Kostenentscheidung im Umfang der übereinstimmenden Hauptsacheerledigungserklärungen nicht gemäß § 78 Satz 2 ArbGG geboten.



Ende der Entscheidung

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