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Beginn der Entscheidung

Gericht: Landesarbeitsgericht Berlin
Urteil verkündet am 06.01.2006
Aktenzeichen: 6 Sa 2021/05
Rechtsgebiete: BGB, ZPO


Vorschriften:

BGB § 613a Abs. 1 Satz 1
ZPO § 265 Abs. 2 Satz 1
ZPO § 256 Abs. 1
ZPO § 259
ZPO § 533 Nr. 2
1. Werden in einem Unternehmen mit zahlreichen Filialen zunächst ein Großteil davon geschlossen und die nach einer Sozialauswahl verbliebenen Arbeitnehmer auf die restlichen Filialen verteilt, so werden von einem Übergang dieser Filialen auf einen Erwerber auch die Arbeitsverhältnisse derjenigen Arbeitnehmer erfasst, deren Arbeitsverhältnis nicht wirksam gekündigt worden ist oder bei denen die Kündigungsfrist noch nicht abgelaufen war.

2. Ein Arbeitnehmer, der mit dem kündigenden Veräußerer des Betriebs im Kündigungsschutzprozess die Beendigung seines Arbeitsverhältnisses zu einem nach dem Betriebsübergang liegenden Zeitpunkt vereinbart, ist gehindert, gegenüber dem Erwerber einen Fortbestand über diesen Tag hinaus geltend zu machen.


Landesarbeitsgericht Berlin Im Namen des Volkes Urteil

6 Sa 2021/05

Verkündet am 06.01.2006

In dem Rechtsstreit

hat das Landesarbeitsgericht Berlin, 6. Kammer, auf die mündliche Verhandlung vom 06.01.2006 durch den Vorsitzenden Richter am Landesarbeitsgericht Corts sowie die ehrenamtlichen Richterinnen Aue und Unger

für Recht erkannt:

Tenor:

1. Auf die Berufung der Klägerin wird das Urteil des Arbeitsgerichts Berlin vom 30. September 2005 - 28 Ca 13727/05 - teilweise geändert.

2. Die Klägerin hat in der Zeit vom 01. bis 31. Mai 2005 in einem Arbeits-verhältnis zu den Bedingungen wie zwischen ihr und der Foto-Radio-W. Filial-GmbH & Co. KG zur Beklagten gestanden.

3. Die weitergehende Berufung wird zurückgewiesen.

4. Die Kosten des Rechtsstreits haben die Klägerin zu 3/4 und die Beklagte zu 1/4 zu tragen.

5. Die Revision wird zugelassen.

Tatbestand:

Die Klägerin stand seit dem 01. Januar 1999 als Filialleiterin in den Diensten der Foto-Radio-W. Filial-GmbH & Co. KG.

Gemäß einem Interessenausgleich vom 23./24. Februar 2005 (Abl. Bl. 80 - 85 d.A.) wurden 47 der 79 Filialen dieses Unternehmens geschlossen und zur Anpassung des Personalbestands eine filialübergreifende Sozialauswahl unter Aufstellung einer Namensliste der zu entlassenden Arbeitnehmer durchgeführt. Dementsprechend wurde der Klägerin, die in einer geschlossenen Filiale beschäftigt worden war, mit Schreiben vom 28. Februar 2005 durch den an diesem Tag bestellten Insolvenzverwalter über das Vermögen ihrer Arbeitgeberin zum 30. April 2005, hilfsweise zum nächstmöglichen Termin, gekündigt. Das Kündigungsschreiben ging der Klägerin am 01. März 2005 zu.

Mit Wirkung zum 01. Mai 2005 übernahm die Beklagte die noch verbliebenen 31 Filialen. Die Klägerin, die sich zunächst gegen die Kündigung ihres Arbeitsverhältnisses gewandt hatte, ist der Ansicht, dieses sei infolge Betriebsübergangs auf die Beklagte übergegangen.

Das Arbeitsgericht Berlin hat die entsprechende Feststellungsklage und den Antrag auf Weiterbeschäftigung abgewiesen. Zur Begründung hat es im Wesentlichen ausgeführt, die Klägerin habe nicht vortragen können, zuletzt in einer der 31 übernommenen Filialen eingesetzt gewesen zu sein. Folglich sei ihr Arbeitsverhältnis nicht vom Übergang der betrieblichen Organisationseinheit(en) betroffen gewesen. Ob ihre Arbeitgeberin oder der Insolvenzverwalter gehalten gewesen sei, sie vor der Veräußerung im Hinblick auf die Grundsätze der Sozialauswahl einer übernommenen Filiale durch eine Versetzung zuzuordnen, sei für den hiesigen Rechtsstreit ohne Belang.

Gegen dieses ihr am 07. Oktober 2005 zugestellte Urteil richtet sich die am 04. November 2005 eingelegte und am 25. November 2005 begründete Berufung der Klägerin. Sie ist der Ansicht, dass ihre Filiale Bestandteil der "W.-Filialkette" gewesen sei. Dieser Betrieb sei trotz Schließung von 47 Filialen als unverändertes Substrat auf die Beklagte übergegangen. Zudem habe der spätere Insolvenzverwalter bei Abschluss des Interessenausgleichs mit dem Betriebsrat die Zuordnung sämtlicher Mitarbeiter zu den jeweiligen Filialen nicht davon abhängig gemacht, in welcher dieser Filialen die Mitarbeiter zuletzt beschäftigt gewesen seien. Nach Durchführung der Sozialauswahl seien die verbliebenen Mitarbeiter auf die restlichen Filialen neu verteilt worden.

Die Klägerin beantragt

1. festzustellen, dass zwischen den Parteien ein Arbeitsverhältnis zu den Bedingungen wie zwischen ihr und der Foto-Radio-W. Filial-GmbH & Co. KG bestehe,

2. die Beklagte zu verurteilen, sie zu unveränderten Arbeitsbedingungen als Filialleiterin in Berlin weiterzubeschäftigen.

Die Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Sie meint, im Hinblick auf einen nach Einlegung der Berufung geschlossenen Prozessvergleich im Kündigungsschutzprozess, wonach das Arbeitsverhältnis der Klägerin am 31. Mai 2005 geendet habe, sei deren Rechtsschutzinteresse entfallen und könne diese auch keine Weiterbeschäftigung mehr verlangen. Zudem sei es zu keinem Betriebsübergang gekommen, weil sie lediglich 40 % der vormaligen Filialen ohne die Verwaltung übernommen habe. Auch ein Betriebsteilübergang liege nicht vor, weil die einzelnen Filialen keine wirtschaftliche Einheit darstellten. Jedenfalls habe die Klägerin zu keiner der übernommenen Filialen gehört.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Parteivorbringens wird auf den Tatbestand des angefochtenen Urteils und die in der Berufungsinstanz gewechselten Schriftsätze Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

1. Die Berufung ist teilweise begründet.

1.1 Die Klage ist nur teilweise zulässig.

1.1.1 Die Klägerin hat ein rechtsschutzwürdiges Interesse an der Feststellung eines Arbeitsverhältnisses zur Beklagten seit 01. Mai 2005 (§ 256 Abs. 1 ZPO). Nach Abschluss des Prozessvergleichs im Kündigungsschutzprozess, wonach ihr Arbeitsverhältnis am 31. Mai 2005 geendet hat, beschränkte sich dieses Interesse allerdings auf den Zeitraum bis zu diesem Termin. Dabei konnte dahinstehen, ob für den bisherigen Arbeitgeber der Klägerin noch eine entsprechende Regelungsmacht analog § 265 Abs. 2 Satz 1 ZPO bestanden hat (dafür LAG Köln, Urteil vom 19.10.1989 - 8 Sa 802/89 - LAGE BGB § 613a Nr. 17; LAG Düsseldorf, Urteil vom 23.06.2005 - 11 Sa 483/05 - DB 2005, 2696 zu A II 2 b der Gründe). Jedenfalls hat die Klägerin selbst ihr Arbeitsverhältnis auch gegenüber der Beklagten als Rechtsnachfolgerin ihrer Arbeitgeberin für beendet erachtet und lediglich deshalb von einer entsprechenden Einschränkung ihrer Anträge Abstand genommen, weil dies kostenrechtlich nicht mehr privilegiert sei und zu Problemen bei der Abrechnung mit der Rechtsschutzversicherung führen könne.

Die Klägerin brauchte entgegen der Ansicht der Beklagten ihren Feststellungsantrag nicht auf Zahlung sog. Verzugslohns für Mai 2005 umzustellen. Abgesehen davon, dass sich ihr Arbeitsverhältnis nicht in einem solchen Vergütungsanspruch erschöpfte, wäre eine entsprechende Klagänderung daran gescheitert, dass diese nicht allein auf Tatsachen hätte gestützt werden können, die das Berufungsgericht seiner Verhandlung und Entscheidung über die Berufung ohnehin nach § 529 ZPO hätte zugrunde legen müssen (§ 533 Nr. 2 ZPO, § 64 Abs. 6 Satz 1 ArbGG).

1.1.2 Der Beschäftigungsantrag ist gem. § 259 ZPO von Anfang an nur insoweit zulässig gewesen, wie er auf eine Beschäftigung bis zum rechtskräftigen Abschluss des Rechtsstreits gerichtet war. Dafür, dass zu besorgen war, die Beklagte werde sich im Falle einer rechtskräftigen Feststellung des Fortbestandes des Arbeitsverhältnisses zu ihr weiterhin einer Beschäftigung der Klägerin entziehen, hat diese nichts vorgebracht.

2. Die Klage ist teilweise begründet.

2.1 Das Arbeitsverhältnis der Klägerin hat in der Zeit vom 01. bis 31. Mai 2005 zur Beklagten bestanden, weil es gem. § 613a Abs. 1 Satz 1 BGB aufgrund Betriebsteilübergangs auf sie übergegangen ist.

2.1.1 Die von der Beklagten übernommenen 31 Filialen stellten zwar nicht den ganzen Betrieb der bisherigen Arbeitgeberin der Klägerin dar, zu dem auch die Verwaltung gehört hatte. Sie waren jedoch in ihrer Gesamtheit als Betriebsteil anzusehen. Darunter ist eine organisatorische Untergliederung des Gesamtbetriebes zu verstehen, mit der ein Teilzweck verfolgt wird (BAG, Urteil vom 09.02.1994 - 2 AZR 666/93 - AP BGB § 613a Nr. 105 zu II 3c der Gründe). Der Zweck dieser organisatorischen Untergliederung im Sinne einer abgrenzbaren wirtschaftlichen Einheit bestand vorliegend im Verkauf von Kameras und Rundfunkgeräten an Endverbraucher. Ihre Identität wurde durch ihre Übertragung auf die Beklagte nicht berührt (zu diesem Erfordernis MK-BGB/Müller-Glöge, 4. Aufl., 2005, § 613a R 17f; vgl. auch LAG Hamm, Urteil vom 21.08.1997 - 4 Sa 2245/96 - LAGE BGB § 613a Nr. 64 zu 2.1.2 und 2.1.3 der Gründe).

2.1.2 Dass die Klägerin zuletzt nicht in einer der übertragenen 31 Filialen beschäftigt worden war, stand dem Übergang ihres Arbeitsverhältnisses auf die Beklagte nicht entgegen. Es verhielt sich nämlich nicht etwa so, dass von den 79 Filialen lediglich diese 31 veräußert worden sind, sondern die Anzahl der Filialen war zuvor bereits unter Anpassung des Personalbestands auf 31 reduziert worden. In der aufgrund der entsprechenden Versetzungsbefugnis der damaligen Arbeitgeberin korrekterweise gem. § 1 Abs. 3 Satz 1 Hs.1 KSchG auf die Beschäftigten aller Filialen erstreckten Sozialauswahl lag zugleich eine Zuordnung aller Arbeitnehmer zu den fortgeführten Filialen mit der Folge, dass von ihrem Übergang auch diejenigen Arbeitsverhältnisse erfasst wurden, die wegen eines Fehlers bei der Sozialauswal nicht wirksam gekündigt worden waren oder bei denen die Kündigungsfrist noch nicht abgelaufen war. Die Arbeitsverhältnisse der zur Entlassung anstehenden Arbeitnehmer keiner Filiale oder der Verwaltung zuzuordnen, hatte nicht in der Regelungsmacht der damaligen Arbeitgeberin der Klägerin gelegen.

2.2 Beschäftigung kann die Klägerin von der Beklagten nicht mehr verlangen, weil der Zeitraum, für den ein Bestand ihres Arbeitsverhältnisses zur Beklagten festzustellen war, bereits abgelaufen ist.

3. Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 92 Abs. 1 Satz 1, 97 ZPO.

Die Revision war gem. § 72 Abs. 2 Nr. 1 ArbGG wegen grundsätzlicher Bedeutung entscheidungserheblicher Rechtsfragen zuzulassen.

Ende der Entscheidung

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