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Beginn der Entscheidung

Gericht: Landesarbeitsgericht Berlin
Urteil verkündet am 12.03.2004
Aktenzeichen: 6 Sa 2593/03
Rechtsgebiete: BGB, BetrVG, KSchG, ZPO


Vorschriften:

BGB § 177 Abs. 1
BGB § 180 Satz 2
BetrVG § 102 Abs. 1
KSchG § 1 Abs. 2 Satz 1 Alt 3
ZPO § 286 Abs. 1 Satz 1
1. In der Mitunterzeichnung des Kündigungsschreibens durch einen weiteren Gesamtprokuristen liegt zumindest die konkludente Genehmigung der vom Personalleiter als Gesamtprokuristen allein durchgeführten Betriebsratsanhörung.

2. Zum Wegfall einer Hierarchie-Ebene aufgrund unternehmerischer Entscheidung.


Landesarbeitsgericht Berlin Im Namen des Volkes Urteil

6 Sa 2593/03

Verkündet am 12.03.2004

In dem Rechtsstreit

hat das Landesarbeitsgericht Berlin, 6. Kammer, auf die mündliche Verhandlung vom 12.03.2004 durch den Vorsitzenden Richter am Landesarbeitsgericht Corts sowie die ehrenamtlichen Richter Ostrop und Schmidt

für Recht erkannt:

Tenor:

1. Auf die Berufung der Beklagten wird das Urteil des Arbeitsgerichts Berlin vom 18. November 2003 - 5 Ca 18514/03 - geändert.

2. Die Beklagte wird verurteilt, dem Kläger ein Zeugnis zu erteilen, das sich auf Führung und Leistung erstreckt.

3. Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.

4. Die Kosten des Rechtsstreits haben der Kläger zu 3/4 und die Beklagte zu 1/4 zu tragen.

5. Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand:

Der am 14. Juli 1959 geborene Kläger stand seit dem 1. April 2000 als Leiter des Bereichs Financial Controlling in den Diensten der Beklagten. Sein monatliches Gehalt betrug zuletzt 7.243,50 € brutto.

Mit Schreiben vom 18. Juni 2003, das dem Kläger am Folgetag ausgehändigt wurde, kündigte die Beklagte sein Arbeitsverhältnis fristgemäß zum 30. September 2003 und stellte den Kläger anschließend von der Arbeit frei.

Auf die fristgemäß erhobene Klage hat das Arbeitsgericht Berlin festgestellt, dass das Arbeitsverhältnis des Klägers durch die Kündigung vom 18. Juni 2003 nicht aufgelöst worden sei. Zugleich hat es die Beklagte verurteilt, den Kläger bis zum rechtskräftigen Abschluss des Verfahrens weiter zu beschäftigen und ihm ein Zwischenzeugnis zu erteilen, das sich auf Führung und Leistung erstreckt. Zur Begründung hat es im Wesentlichen ausgeführt, die Kündigung sei sozial ungerechtfertigt, weil es sich nicht davon habe überzeugen können, dass der Geschäftsleiter Finanzen künftig die Tätigkeit sowohl des Klägers als auch die des nach Angaben der Beklagten ebenfalls entlassenen Leiters des Bereichs Commercial Controlling übernehmen könne. Die Unwirksamkeit der Kündigung ziehe einen Anspruch des Klägers auf vorläufige Weiterbeschäftigung nach sich. Sein Anspruch auf ein (Zwischen-)Zeugnis ergebe sich aus § 630 Satz 1 und 2 BGB.

Gegen dieses ihr am 28. November 2003 zugestellte Urteil richtet sich die am 22. Dezember 2003 eingelegte und am 28. Januar 2004 begründete Berufung der Beklagten. Sie beanstandet, das Arbeitsgericht habe unberücksichtigt gelassen, dass ihre Geschäftsführer am 17. Juni 2003 entschieden hätten, die bis Anfang 2000 im Bereich Finanzen/Rechnungswesen bestehende Leitungsstruktur wieder herzustellen. Der Geschäftsleiter Finanzen habe seit dem 1. August 2003 genau die Position wieder inne, die er bis Anfang 2000 ausgeübt habe. Dabei habe der Geschäftsführer M. W. nach seiner Rückkehr wieder den Bereich "Verhandlung/Vermieter/Restrukturierung" übernommen, was zu einer entsprechenden Entlastung des Geschäftsleiters Finanzen geführt habe. Der nunmehr das Zimmer des Klägers benutzende Mitarbeiter sei bereits mit Vertrag vom 18. Februar 2003 (Abl. Bl. 145 - 150 d.A.) ab Anfang dieses Monats als Assistent der Geschäftsleitung eingestellt worden und habe die Aufgabe, das Sanierungsprojekt zu koordinieren.

Der Betriebsratsvorsitzenden sei das Anhörungsschreiben (Abl. Bl. 32 f d.A.) am 17. Juni 2003 übergeben und von dieser nach Zustimmung des Betriebsrats am Nachmittag des 18. Juni 2003 dem Personalleiter zurückgereicht worden.

Die Beklagte beantragt,

die Klage unter Änderung des angefochtenen Urteils abzuweisen.

Der Kläger, der erstinstanzlich hilfsweise Verurteilung der Beklagten zur Erteilung eines qualifizierten Zeugnisses begehrt hat, beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Er bestreitet das Vorbringen der Beklagten zur Reorganisation des Unternehmens mit Nichtwissen und behauptet, der als Geschäftsleitungsassistent eingestellte Mitarbeiter übe seine bisherige Tätigkeit aus und sei Vorgesetzter seiner früheren Untergebenen. Die Betriebsratsanhörung sei unzureichend gewesen und auch insoweit fehlerhaft, wie das Anhörungsschreiben außer von einer sonstigen Angestellten vom Personalleiter als einem nur gesamtvertretungsberechtigten Prokuristen unterzeichnet worden sei.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Parteivorbringens wird auf den Tatbestand des angefochtenen Urteils und die in der Berufungsinstanz gewechselten Schriftsätze Bezug genommen.

Die Kammer hat die Zeugen W. und M. uneidlich vernommen. Wegen des Ergebnisses der Beweisaufnahme wird auf die Sitzungsniederschrift vom 12. März 2004 (Bl. 161 - 163 d.A.) verwiesen.

Entscheidungsgründe:

1. Die Berufung ist begründet.

1.1 Das Arbeitsverhältnis des Klägers ist durch die ordentliche Kündigung der Beklagten vom 18. Juni 2003 fristgemäß zum 30. September 2003 aufgelöst worden.

1.1.1 Die Kündigung war nicht wegen unzureichender Betriebsratsanhörung entsprechend § 102 Abs. 1 Satz 3 BetrVG unwirksam.

1.1.1.1 Dass dem Mitunterzeichner des Anhörungsschreibens lediglich Gesamtprokura verliehen worden war, stand einer ordnungsgemäßen Vertretung der Beklagten nicht entgegen. Abgesehen davon, dass nicht erkennbar war, dass durch die Verleihung von Gesamtprokura die mit der Erfüllung der Aufgaben eines Personalleiters notwendigerweise verbundene Vertretungsmacht (vgl. dazu BAG, Urteil vom 15.03.1995 - 7 AZR 737/94 - BAGE 79, 275 = AP BAT § 2 SR 2y Nr. 10 zu II 2 der Gründe) hatte beschränkt werden sollen, hat jedenfalls der Betriebsrat die Anhörung nicht aus diesem Grunde zurückgewiesen. Nach §§ 177 Abs. 1, 180 Satz 2 BGB, die auf geschäftsähnliche Handlungen entsprechend anwendbar sind, kann in einem solchen Fall das einseitige Rechtsgeschäft noch genehmigt werden, was vorliegend anlässlich der Mitunterzeichnung des Kündigungsschreibens durch einen weiteren gesamtvertretungsberechtigten Prokuristen der Beklagten geschehen ist.

1.1.1.2 Die Anhörung des Betriebsrats war vor Ausspruch der Kündigung abgeschlossen.

Zwar hat der Kläger bestritten, dass der handschriftliche Vermerk auf dem Anhörungsschreiben "Abschließend beraten und zugestimmt. 18.6.03" von der Betriebsratsvorsitzenden stammte. Dies hat der als Zeuge vernommene Personalleiter der Beklagten jedoch bestätigt. Dass der Zeuge meinte, der Betriebsratsvorsitzenden das auf den 17. Juni 2003 datierte Anhörungsschreiben an einem Mittwoch, dem üblichen Sitzungstag des Betriebsrats, übergeben und von dieser am Folgetag gegen 14.00 Uhr zurück erhalten zu haben, davon dann aber nach Hinweis darauf wieder abgerückt ist, dass der 17. Juni 2003 auf einen Dienstag gefallen sei, stand der Überzeugungsbildung gemäß § 286 Abs. 1 Satz 1 ZPO nicht entgegen. Zum einen traf der den Zeugen irritierende Vorhalt des Klägers, das Kündigungsschreiben am 19. Juni 2003 zwischen 12.30 Uhr und 13.00 Uhr erhalten zu haben, nicht zu, wie sein eigener Vermerk "14:00" belegte, wobei durch die beiden Nullen die ursprüngliche Angabe einer noch späteren Minutenzahl offensichtlich sogar überschrieben worden war. Zum anderen hat der sicher auftretende Zeuge keinen Zweifel daran gelassen, das Kündigungsschreiben jedenfalls erst nach Rückgabe des Anhörungsschreibens fertigen lassen zu haben. Angesichts dessen, dass für die Wahrung der Kündigungsfrist von drei Monaten zum Quartal noch anderthalb Wochen Zeit war, hatte auch keinen Grund zu besonderer Eile bestanden, der Anlass zu Fehlern im Ablauf hätte geben können. Mit Rücksicht auf das hohe Überführungsrisiko im Falle gegenteiliger Bekundungen der Betriebsratsvorsitzenden war auch die Glaubwürdigkeit des Zeugen wegen seiner Stellung als Vertreter der Beklagten nicht in Zweifel zu ziehen.

1.1.3 Schließlich war die Anhörung des Betriebsrats auch inhaltlich nicht zu beanstanden.

Dass das Eintrittsdatum des Klägers mit dem 1. Mai 2000 fälschlich um einen Monat nach vorn verlegt worden ist, war unerheblich. In der Sache hat die Beklagte dem Betriebsrat deutlich gemacht, im Hinblick auf die äußerst angespannte wirtschaftliche Situation ihres Unternehmens die Leitungspositionen des Klägers und seines Kollegen im Bereich Controlling abschaffen und die in diesem Bereich beschäftigten Arbeitnehmer wie früher wieder direkt dem Geschäftsleiter Finanzen zu unterstellen. Damit hatte der Betriebsrat eine hinreichende Grundlage für seine Stellungnahme, insbesondere ob er gegen die geplante Kündigung Widerspruch erheben wollte.

1.1.2 Die Kündigung ist nicht gemäß § 1 Abs. 1 KSchG unwirksam. Sie war vielmehr gemäß § 1 Abs. 2 Satz 1 Alt. 3 KSchG durch dringende betriebliche Gründe bedingt, die einer Weiterbeschäftigung des Klägers entgegenstanden.

1.1.2.1 Aufgrund der Vernehmung des Geschäftsleiters Finanzen stand zur Überzeugung der Kammer fest, dass auf der Grundlage eines von ihm zusammen mit den neuen Geschäftsführern gefassten Beschlusses die organisatorische Struktur im Bereich Controlling wieder auf den früheren Stand hatte zurückgeführt werden sollen, was auf eine Einsparung der Hierarchie-Ebene des Klägers und des Leiters Commercial Controlling hinaus lief. Zur Realisierbarkeit dieser Maßnahme hat der Zeuge anschaulich geschildert, dass allein die Wochenberichte gegenüber der zwischenzeitlichen Muttergesellschaft mit einer Dicke von 5 bis 6 cm etwa 50 - 60 % der Arbeitszeit des Klägers ausgemacht hätten. Daneben seien häufig Sonderauswertungen gefahren worden, habe es einen ebenfalls zu unterrichtenden Beirat gegeben und habe man wiederholt eine Unternehmensberatung im Haus gehabt, die ebenfalls mit Zahlen habe versorgt werden müssen. Diese Angaben hinterfragende Vorhalte hat der Kläger dem Zeugen nicht gemacht.

Hinzu kam, dass nach Darstellung des Zeugen die EDV-mäßige Unterstützung verbessert wurde und das Berichtswesen unter den neuen Geschäftsführern sehr schlank sei, wobei er sich auf einen 20-minütigen Vortrag in der monatlichen Sitzung der Geschäftsleitung zu beschränken pflege. Der Zeuge hat schließlich bestätigt, dass er wegen der vorgenommenen Restrukturierung im Bereich Controlling keine Überstunden in der Folgezeit habe leisten müssen.

Für die Richtigkeit seiner Schilderung sprach auch, dass sich die Beklagte in der Lage sah, den Kläger gleich nach Ausspruch der Kündigung ein viertel Jahr lang von der Arbeit freizustellen, obwohl üblicherweise in einer Phase der Reorganisation noch mit erhöhtem Arbeitsaufwand zu rechnen ist.

1.1.2.2 Dem Wegfall des Arbeitsplatzes des Klägers stand nicht entgegen, dass die Beklagte mit Vertrag vom 18. Februar 2003 einen früheren Beschäftigten wieder als Assistenten der Geschäftsleitung eingestellt hatte. Wie der Zeuge M. anschaulich geschildert hat, wurde dieser Mitarbeiter als Leiter des Sanierungsprojekts beschäftigt und war zugleich sein Assistent. Dabei könne es vorgekommen sein, dass dieser als solcher für ihn Aufgaben in den ohnehin von 15 oder 16 auf nur noch sieben Mitarbeiter reduzierten Bereich Controlling getragen und nach Rücksprache mit ihm auch Urlaubsanträge unterzeichnet habe. Deshalb kam es auf den erstinstanzlichen Beweisantritt des Klägers nicht an, der lediglich als Assistent bezeichnete Mitarbeiter sei bei den Sitzungen der Geschäftsleitung anwesend und ordne anschließend die erforderlichen Maßnahmen an, wobei zwei ihm früher unterstellt gewesene Mitarbeiter nunmehr "für" diesen die Aufträge ausführten.

Selbst wenn aber diesem Mitarbeiter eigene Weisungsbefugnisse eingeräumt worden sein sollten, hätte sich dies als bloße Umverteilung eines Teils der verbliebenen Restaufgaben des Klägers auf einen Mitarbeiter mit im Übrigen ganz anderen Aufgaben dargestellt. Für eine Weiterbeschäftigung des Klägers hätte dies jedoch keinesfalls ausgereicht.

Gegen eine Austauschkündigung sprach schließlich, dass dieser Mitarbeiter seine Tätigkeit bereits Anfang Februar 2003 aufgenommen und seitdem bereits vollzeitig beschäftigt worden war.

1.1.2.3 Dass die neuen Geschäftsführer, die als Gesellschafter auch selbst wieder im Hause präsent waren, auf das aufwändige Berichtswesen der vom Ausland agierenden zwischenzeitlichen Muttergesellschaft verzichtet haben, konnte nicht als offensichtlich willkürlich angesehen werden, selbst wenn es nach Ansicht des Klägers gerade für die einschneidenden Restrukturierungs- und Kostensenkungsmaßnahmen im Unternehmen der Beklagten eines Financial und Personal Controllings bedurft hatte.

1.1.2.4 Es war der Beklagten schließlich nicht analog § 162 Abs. 1 BGB versagt, sich darauf zu berufen, dass sie dem Kläger keine andere freie Stelle zu geänderten Bedingungen hat anbieten können. Da sie den früheren Assistenten der Geschäftsleitung bereits zum 1. Februar 2003 wieder eingestellt und mit der Überwachung des Sanierungsprojekts betraut hatte, war nicht erkennbar, dass sie damit die erst 4 1/2 Monate später aktuell gewordene Suche nach einer Weiterbeschäftigungsmöglichkeit für den Kläger treuwidrig vereitelt hat.

1.2 Über die Anträge des Klägers auf Verurteilung der Beklagten zur vorläufigen Weiterbeschäftigung und Erteilung eines Zwischenzeugnisses war nicht mehr zu befinden, weil diese Anträge nur für den Fall des Obsiegens mit dem Kündigungsschutzantrag gestellt worden sind.

1.3 Auf den erstinstanzlich gestellten und aufgrund des dortigen Obsiegens des Klägers mit seinem Hauptantrag von selbst in der Berufungsinstanz zur Entscheidung angefallenen Hilfsantrag (vgl. dazu BAG, Urteil vom 20.8.1997 - 2 AZR 620/96 - AP BGB § 626 Verdacht strafbarer Handlung Nr. 27 zu II 4a der Gründe) war die Beklagte zur Erteilung eines qualifizierten Zeugnisses gemäß § 109 Abs. 1 Gew0, § 630 Satz 4 BGB zu verurteilen.

2. Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 92 Abs. 1 Satz 1, 97 Abs. 1 ZPO. Für eine Anwendung des § 97 Abs. 2 ZPO war kein Raum, weil das Arbeitsgericht es versäumt hat, die Beklagte anlässlich der Anberaumung des zweiten Kammertermins auf Mängel in ihrem Vortrag gemäß § 139 Abs. 1 ZPO hinzuweisen.

Die Voraussetzungen des § 72 Abs. 2 ArbGG für eine Zulassung der Revision waren nicht erfüllt.

Ende der Entscheidung

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