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Beginn der Entscheidung

Gericht: Landesarbeitsgericht Berlin
Urteil verkündet am 09.07.2004
Aktenzeichen: 6 Sa 591/04
Rechtsgebiete: KSchG 1999, BetrVG


Vorschriften:

KSchG 1999 § 1 Abs. 2 Satz 1
KSchG 1999 § 1 Abs. 2 Satz 2 Nr. 1 lit A
KSchG 1999 § 1 Abs. 4
BetrVG § 95 Abs. 1 Satz 1
BetrVG § 102 Abs. 1
Bestimmt sich die Sozialauswahl nach einer Auswahlrichtlinie, so kann sich nur der Arbeitnehmer auf einen Auswahlfehler berufen, dessen Arbeitsverhältnis sonst nicht gekündigt worden wäre.
Landesarbeitsgericht Berlin Im Namen des Volkes Urteil

6 Sa 591/04

Verkündet am 9.7.04

In dem Rechtsstreit

hat das Landesarbeitsgericht Berlin, 6. Kammer, auf die mündliche Verhandlung vom 04.06.2004 durch den Vorsitzenden Richter am Landesarbeitsgericht Corts sowie die ehrenamtlichen Richter Vierthaler und Mohr

für Recht erkannt:

Tenor:

1. Auf die Berufung der Beklagten wird das Urteil des ArbG Berlin vom 04.02.2004 - 9 Ca 18097/03 - geändert.

2. Das Versäumnisurteil des ArbG Berlin vom 29.10.2003 wird aufgehoben und die Klage insoweit abgewiesen.

3. Die Klage wird auch hinsichtlich der begehrten Wiedereinstellung abgewiesen.

4. Die Beklagte wird verurteilt, der Klägerin ein Zeugnis zu erteilen, das sich auf Führung und Leistung erstreckt.

5. Die Kosten des Rechtsstreits haben die Klägerin zu 6/7 und die Beklagte zu 1/7 zu tragen.

6. Die Revision wird zugelassen.

Tatbestand:

Die am ........ 1960 geborene, ledige Klägerin stand seit dem 1. Oktober 1998 in den Diensten der Beklagten. Sie wurde zuletzt als Bürohilfskraft (Datenerfasserin) gegen eine Vergütung nach LG 4 des Lohntarifvertrags für die Arbeiter der Metall- und Elektroindustrie in Berlin und Brandenburg, Tarifgebiet I, in Höhe von rund 2.100,-- € brutto monatlich beschäftigt.

Am 14. Mai 2003 vereinbarte die Beklagte mit dem Betriebsrat des Beschäftigungsbetriebs der Klägerin einen Interessenausgleich (Abl. Bl. 33 - 37 d.A.), worin eine Personalreduzierung von 708 auf 600 Mitarbeiter bis Ende September 2003 vorgesehen war. Nach § 5 des zugleich geschlossenen Sozialplans (Abl. Bl. 39 - 46 d.A.) sollte die soziale Auswahl zwischen den Mitarbeitern der LG 1 bis 4 einerseits und der LG 5 bis 8 andererseits vorgenommen werden, wofür folgendes Punkteschema zur Bewertung der sozialen Kriterien vereinbart wurde:

- Dienstzeit: bis zu 10 Dienstjahren für jedes volle Dienstjahr ein Punkt; ab dem 11. Dienstjahr für jedes volle Dienstjahr 2 Punkte , wobei nur die Zeiten bis zum vollendeten 55. Lebensjahr berücksichtigt werden

- Lebensalter: für jedes volle Lebensjahr ein Punkt, wobei lediglich die Lebensjahre bis zum vollendeten 55. Lebensjahr berücksichtigt werden

- Unterhaltspflichten: je unterhaltsberechtigter Person 5 Punkte.

Als unterhaltsberechtigt im Sinne dieser Vereinbarung gelten

- Kinder, für die ein Elternteil Kindergeld bezieht

- Ehegatten ohne eigenes Einkommen. (Auswertung über Steuerklasse 3 und Befragung des MA. Die Nachweispflicht liegt beim Mitarbeiter)

Die Mitarbeiter sollten in der Reihenfolge der danach festgestellten Punktezahl ausgewählt werden, wobei für Härtefälle eine einvernehmliche Lösung zwischen der Beklagten, dem Mitarbeiter, dem Betriebsrat und dem Sozialdienst der Beklagten vorgesehen war. Nach der daraufhin aufgestellten Liste sämtlicher 179 Mitarbeiter des Betriebs in LG 1 bis 4 (Abl. Bl. 50 - 52 d.A.) befand sich die Klägerin mit 80 Sozialpunkten auf Platz 61.

Mit am folgenden Tag übergebenem Schreiben vom 17. Juni 2003 (Abl. 55 - 58 d.A.) hörte die Beklagte den Betriebsrat zur beabsichtigten Kündigung des Arbeitsverhältnisses der Klägerin und mindestens weiterer 67 Mitarbeiter an. Einige Kündigung hatte sie wegen der noch einzuholenden Zustimmung des Integrationsamtes zurückgestellt. In der Auswahlliste vom selben Tag (Abl. 230 - 232 d.A.) wurde die Klägerin mit Rücksicht darauf, dass diverse Mitarbeiter inzwischen höhergruppiert, als in Mutterschutz bzw. Elternzeit befindlich oder als Härtefälle anerkannt aus der Sozialauswahl herausgenommen worden waren, auf Platz 44 geführt.

Nach Einholung der Zustimmung des zuständigen Vorstandsmitglieds der Beklagten am 24. Juni 2003 (Bl. 151 d.A.) kündigte die Beklagte der Klägerin am nächsten Tag mit einem ihr per Boten am 26. Juni 2003 überbrachten Schreiben fristgemäß zum 31. März 2004.

Das Arbeitsgericht Berlin hat ein Versäumnisurteil vom 29. Oktober 2003 aufrecht erhalten, worin festgestellt worden ist, dass das Arbeitsverhältnis der Parteien durch die Kündigung der Beklagten nicht aufgelöst worden sei, und worin die Beklagte zugleich zur vorläufigen Weiterbeschäftigung der Klägerin und Erteilung eines qualifizierten Zwischenzeugnisses verurteilt worden ist. Einen Antrag der Beklagten auf Auflösung des Arbeitsverhältnisses gegen Zahlung einer Abfindung hat es zurückgewiesen.

Zur Begründung hat das Arbeitsgericht im Wesentlichen ausgeführt, die Beklagte habe nicht dargelegt, den Betriebsrat vor Ausspruch der Kündigung ordnungsgemäß angehört zu haben. Nach den zur Akte gereichten Unterlagen sei davon auszugehen gewesen, dass bei der schriftlichen Unterrichtung des Betriebsrats am 18. Juni 2003 die Liste der Härtefälle und spiegelbildlich dazu die Liste der zu entlassenden Mitarbeiter entgegen den Angaben im Anhörungsschreiben noch nicht in der zuletzt gültigen Fassung festgestanden habe. Dies sei vielmehr erst der Fall gewesen, als die Namensliste mit Stand vom 23. Juni 2003 (Abl. Bl. 53 u. 54 d.A.) von der Personalleiterin und dem Betriebsratsvorsitzenden unterzeichnet worden sei. Da sich die Klägerin jedenfalls hinter einer erst am 23. Juni 2003 als Härtefall anerkannten Mitarbeiterin auf ursprünglich Platz 23 befunden habe, handele es sich bei deren Anerkennung als sozial schutzwürdigere Person um einen wesentlichen neuen Gesichtspunkt, der dazu geführt habe, dass der Lauf der Anhörungsfrist erst an diesem Tag begonnen habe. Die Unterschriftsleistung des Betriebsratsvorsitzenden allein auf der endgültigen Liste könne mangels einer irgendwie gearteten Stellungnahme auch nicht als abschließend verstanden werden. Mündliche Äußerungen habe die Beklagte nicht vorgetragen.

Die Verurteilung zur Weiterbeschäftigung der Klägerin beruhe auf der Unwirksamkeit der Kündigung, ohne dass Umstände ersichtlich seien, die ein überwiegendes Interesse der Beklagten an einer Nichtbeschäftigung der Klägerin begründet hätten. Der Auflösungsantrag sei unzulässig, weil die Kündigung wegen Verstoßes gegen § 102 BetrVG als eine Arbeitnehmerschutznorm unwirksam sei.

Gegen dieses ihr am 13. Februar 2004 zugestellte Urteil richtet sich die am 10. März 2004 eingelegte und am 8. April 2004 begründete Berufung der Beklagten. Sie vertieft ihren Vortrag zu ihrer Planung von 318.000 Fertigungsstunden für das Geschäftsjahr 2003/04. Unter Berücksichtigung von 40 % Gemeinkostenstunden habe sich der Gesamtstundenbedarf auf 530.000 Stunden belaufen. Bei einer durchschnittlichen Arbeitszeit von 1.452 Stunden im Jahr pro Arbeitnehmer habe sich ein Personalbedarf von 365 Arbeitnehmern errechnet, den man auf 380 aufgerundet habe. Da die 40 % Gemeinkostentätigkeit künftig vollständig von den Mitarbeitern der LG 5 bis 8 hätten übernommen werden sollen und von den 60 % Fertigungstätigkeiten lediglich 40 % solche der LG 1 bis 4 gewesen seien, habe sich für diese Beschäftigtengruppe nur noch ein Bedarf von (380 x 60 % x 40 % =) 90 Mitarbeitern ergeben. Bei 172 Mitarbeitern in Lohngruppe 1 bis 4 sei abzüglich elf bereits feststehenden Abgängen und weiterer acht Abgänge nach Einleitung der Betriebsratsanhörung zuletzt noch ein Personalüberhang von 63 Mitarbeitern verblieben.

Freie Arbeitsplätze habe es nicht gegeben. Die von der Klägerin angeführten, nach Ausspruch der Kündigung in einem anderen Berliner Betrieb frei gewordenen Stellen seien mit dortigen Mitarbeitern besetzt worden. Leiharbeitnehmer seien seinerzeit nicht beschäftigt worden.

Da es sich bei den nach LG 1 bis 4 vergüteten Tätigkeiten durchweg um Anlern- bzw. Hilfsarbeiten handele, und der Lohnrahmentarifvertrag für die Arbeiter in der Berliner Metallindustrie vom 09. Januar 1986 Umgruppierungen auch ohne Änderungskündigung erlaube, sei die Sozialauswahl unter allen diesen Mitarbeitern durchgeführt worden. Von der Sozialauswahl seien neben 16 tarifvertraglich "unkündbaren" Mitarbeitern auf Platz 164 - 179 die in Elternzeit befindlichen und die zuletzt 14 Härtefälle ausgenommen worden, was man auf der Gesamtliste aller Mitarbeiter mit einem Punkt gekennzeichnet habe. Die Anerkennung als Härtefall sei nach Durchführung der Punktbewertung gemäß dem Sozialplan unter Beteilung des Betriebsrats aufgrund folgender Kriterien erfolgt:

1. alleinerziehend, mindestens 2 unterhaltspflichtige Kinder ohne eigenes Einkommen,

2. verheiratet, mindestens 3 unterhaltspflichtige Kinder ohne eigenes Einkommen, Ehemann ohne eigenes Einkommen oder arbeitslos oder

3. verheiratet, 2 Kinder, Ehemann ohne Einkommen und erkrankt/nicht arbeitsfähig, unverschuldete Privatinsolvenz läuft.

Diese Einzelfallbetrachtung habe zunächst zur Anerkennung von zehn Härtefällen geführt. Auf Betreiben des Betriebsrats seien nach Einleitung des Anhörungsverfahrens noch vier weitere Mitarbeiterinnen als Härtefall anerkannt worden, woraufhin der Betriebsratsvorsitzende am 23. Juni die Liste mit den endgültig ausgewählten Mitarbeitern (Abl. Bl. 53 u. 54 d.A.) gegengezeichnet habe. Dabei habe der Betriebsratsvorsitzende auch erklärt, dass es keine Stellungnahme des Betriebsrats mehr zu den beabsichtigten Kündigungen geben werde. Dass bereits in dem in Ablichtung zur Akte gereichten Anhörungsschreiben vom 17. Juni 2004 auf Seite 3 unter "Härtefälle" die Zahl 14 aufgeführt sei, lasse sich nur daraus erklären, dass die als Vorlage für dieses Schreiben dienende Textdatei auch für spätere, wegen der noch einzuholenden Zustimmung des Integrationsamtes zunächst noch zurückgestellte Kündigungen verwendet worden sei, wo man diese inzwischen bekannte Zahl eingetragen, dies dann aber bei der Zuordnung für die einzelnen Verfahren versehentlich nicht berücksichtigt habe.

Die hilfsweise begehrte Auflösung des Arbeitsverhältnisses rechtfertige sich daraus, dass die Klägerin bzw. deren Prozessbevollmächtigte als Härtefall anerkannten Mitarbeiterinnen und deren Ehegatten strafbare Handlungen unterstellt und private Informationen einem breiten Publikum offenbart hätten. Damit sei jegliche Grundlage für eine gedeihliche Zusammenarbeit der Beschäftigten zerstört worden.

Die Beklagte beantragt,

die Klage unter Änderung des angefochtenen Urteils abzuweisen,

hilfsweise das zwischen den Parteien bestehende Arbeitsverhältnis gegen Zahlung einer angemessen Abfindung aufzulösen.

Die Klägerin beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Sie tritt den Angriffen der Berufung im Einzelnen entgegen und beanstandet insbesondere die Berechnung des Personalbedarfs und die Anerkennung der Härtefälle, die sie auch hinsichtlich ihrer tatsächlichen Voraussetzungen teilweise infrage stellt. Unter Hinweis auf drei Stellenausschreibungen vom 25. August bzw. 15. September 2003 (Bl. 110 - 112 d.A.) meint die Klägerin, dass sie auf diesen Arbeitsplätzen habe weiterbeschäftigt werden können. Zumindest ergebe sich daraus für sie ein Anspruch auf Wiedereinstellung.

Dass die Beklagte die Unterschriftsleistung des Betriebsratsvorsitzenden auf der endgültigen Kündigungsliste selbst nicht als abschließend verstanden habe, ergebe sich aus ihrem erstinstanzlichen Vortrag, wonach sich der Betriebsrat zu den Kündigungen nicht geäußert habe. Zudem sei der Betriebsratsvorsitzende auch gar nicht zuständig gewesen, weil der Betriebsrat einen Personalausschuss gebildet habe, für den allein dessen Vorsitzende eine abschließende Stellungnahme habe abgeben können.

Eine Auflösung ihres Arbeitsverhältnisses sei schon deshalb nicht gerechtfertigt, weil sie sich bereits erstinstanzlich vom Vorwurf der Schwarzarbeit distanziert habe und von der Beklagten nicht vorgetragen worden sei, dass sich Mitarbeiterinnen geweigert hätten, künftig mit ihr zusammen zu arbeiten.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Parteivorbringens wird auf den Tatbestand des angefochtenen Urteils und die in der Berufungsinstanz gewechselten Schriftsätze nebst Anlagen Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

1. Die gemäß §§ 8 Abs. 2, 64 Abs. 1 und 2 ArbGG statthafte Berufung ist von der Beklagten fristgemäß und formgerecht eingelegt und begründet worden (§§ 519, 520 Abs. 1 u. 3 ZPO, § 66 Abs. 1 Satz 1 u. 2 ArbGG). Das Fehlen von Ausführungen zum Weiterbeschäftigungsantrag war unschädlich, weil es sich dabei um einen sog. Folgeanspruch handelte (vgl. BAG, Urteil vom 0.2.04.1987 - 2 AZR 418/86 - AP BGB § 626 Nr. 96 zu B I 1 der Gründe).

2. Die Berufung ist begründet.

Das Versäumnisurteil des Arbeitsgerichts Berlin vom 29. Oktober 2003 war auf den gemäß § 59 Satz 1 und 2 ArbGG ordnungsgemäß eingelegten Einspruch der Beklagten aufzuheben, weil die aufgrund der neuen Verhandlung zu erlassende Entscheidung damit nicht übereinstimmt (§§ 343, 495 ZPO, § 46 Abs. 2 Satz 1 ArbGG).

2.1 Das Arbeitsverhältnis der Klägerin ist durch die ordentliche Kündigung der Beklagten vom 25. Juni 2003 fristgemäß zum 31. März 2004 aufgelöst worden.

2.1.1 Die Kündigung des gemäß § 1 Abs. 1 KSchG unter Kündigungsschutz stehenden Arbeitsverhältnisses der Klägerin war nicht sozial ungerechtfertigt. Sie war vielmehr durch dringende betriebliche Erfordernisse bedingt, die ihrer Weiterbeschäftigung im Betrieb der Beklagten entgegenstanden (§ 1 Abs. 2 Satz 1 Alt. 3 KSchG).

2.1.1.1 Die Entscheidung des Arbeitgebers, den Personalbestand auf Dauer zu reduzieren, gehört zu den sog. unternehmerischen Maßnahmen, die zum Wegfall von Arbeitsplätzen führen und damit den entsprechenden Beschäftigungsbedarf entfallen lassen können. Das Vorliegen einer solchen Entscheidung und der Wegfall des Beschäftigungsbedarfs ist von den Gerichten für Arbeitssachen voll nachzuprüfen (BAG, Urteil vom 17.06.1999 - 2 AZR 522/98 - BAGE 92, 61 = AP KSchG 1969 § 1 Betriebsbedingte Kündigung Nr. 102 zu II 1 a der Gründe). Darüber hinaus ist eine unternehmerische Entscheidung hinsichtlich ihrer organisatorischen Durchführbarkeit und Dauerhaftigkeit durch entsprechenden Tatsachenvortrag zu verdeutlichen, um dem Gericht im Hinblick auf die Darlegungslast des Arbeitgebers gemäß § 1 Abs. 2 Satz 4 KSchG eine Überprüfung zu ermöglichen, ob sie nicht etwa offensichtlich unsachlich, unvernünftig oder willkürlich ist (BAG, Urteil vom 17.06.1999 - 2 AZR 141/99 - BAGE 92, 71 = AP KSchG 1969 § 1 Betriebsbedingte Kündigung Nr. 101 zu II 2 b der Gründe). Diesen Anforderungen hat die Beklagte genügt.

2.1.1.2 Die Beklagte hat anhand ihrer Zwölf-Monats-Planung (Abl. 148 d.A.) mit den Fertigungsstunden der einzelnen Bereiche nachvollziehbar dargelegt, wie sie unter Berücksichtigung eines hinzuzurechnenden Gemeinstundenanteils von 40 % der sich dadurch ergebenden Gesamtstundenzahl und vollständiger Übertragung dieses Anteils auf die Mitarbeiter der LG 5 bis 8 bei einer vertraglichen Jahresarbeitszeit des einzelnen Mitarbeiters von 1827 Stunden abzüglich 375 Ausfallstunden auf einen Bedarf von lediglich noch ca. 90 Mitarbeitern in LG 1 bis 4 gekommen ist. Dass sich die genaue Zahl auf 91,2 Mitarbeiter belief, war unschädlich, weil die Beklagte vorher einen deutlich höheren Aufschlag von 25 auf den ermittelten Gesamtbedarf von an sich nur 365 Mitarbeitern vorgenommen hatte.

Dafür, dass die Beklagte diese Daten nur für die Zwecke des Rechtsstreits manipuliert hätte und diese nicht die tatsächliche betriebliche Situation widerspiegelten, ist nichts hervorgegangen. Ihre darauf basierende unternehmerische Entscheidung, entsprechend vieler Arbeitsplätze in LG 1 bis 4 dauerhaft in Wegfall zu bringen, hat dann auch im Interessenausgleich mit dem mit den Gegebenheiten vertrauten Betriebsrat ihren Niederschlag gefunden.

Soweit die Klägerin beanstandet hat, die Beklagte habe bei der Ermittlung der Fertigungsstunden eine Position von 185.000 Stunden unberücksichtigt gelassen, hat sie übersehen, dass es sich dabei um die Summe aus 115.000 und 70.000 Stunden innerhalb derselben Produktgruppe handelte. Fehlerhaft war auch ihre Berechnung der verbleibenden Mitarbeiterzahl, aus der sie bei 63 Kündigungen auf eine personelle Unterbesetzung gekommen ist. 179 ./. 63 ./. 4 ./. 7 ./. 1 (SchrS. v. 26.04.2004 S. 7 = Bl 241 d.A.) ergibt 104 und nicht bloß 94. Bringt man dagegen von der richtigen Zahl die acht während der Kündigungsfrist der Klägerin oder kurz danach als ausscheidend bereits feststehende Mitarbeiter und fünf Höhergruppierungen in Abzug ergibt sich sogar noch eine Zahl von 91 Mitarbeitern. Dagegen waren die in Elternzeit befindlichen Mitarbeiter nicht in Abzug zu bringen, weil sie weiterhin zur Belegschaft gehörten und während ihrer Abwesenheit lediglich aus der mit ca. 5 % veranschlagten Personalreserve vertreten werden mussten.

2.1.1.3 Die gegen die Durchführbarkeit der unternehmerischen Entscheidung der Beklagten vorgebrachten Einwände der Klägerin waren nicht geeignet, diese als offensichtlich unsachlich, unvernünftig oder willkürlich erscheinen zu lassen. Weder war die prozentuale Aufteilung in Fertigungs- und Gemeinkostenstunden noch die vollständige Übertragung des restlichen Gemeinkostenanteils auf die Mitarbeiter der LG 5 bis 8 zu beanstanden. Sie erschien vielmehr angesichts des allgemeinen Arbeitsrückgangs zur Auslastung der qualifizierten Mitarbeiter ohne weiteres nachvollziehbar.

2.1.1.4 Es war nicht ersichtlich, dass die Kündigung durch eine Versetzung der Klägerin in einen anderen Betrieb der Beklagten in Berlin hätte vermieden werden können. Die drei von der Klägerin zur Akte gereichten Stellenausschreibungen (Abl. Bl. 110 - 112 d.A.) bezogen sich auf Arbeitsplätze, die in dem anderen Betrieb erst im Laufe der Kündigungsfrist frei geworden sind. Auf ihren Vortrag zu angeblich 20 Leiharbeitnehmern dort ist die Klägerin entgegen ihrer Ankündigung nicht mehr zurückgekommen, nachdem die Beklagte diesen als frei erfunden bezeichnet hat. Gegen eine weitere Beschäftigung von Leiharbeitnehmern sprach im Übrigen, dass die Beklagte damit gegen die entsprechende Zusicherung in § 3 des Interessenausgleichs verstoßen hätte, was einen Widerspruch des Betriebsrats gegen entsprechend viele Kündigungen hätte erwarten lassen.

2.1.1.5 Die Kündigung war nicht wegen Verstoßes gegen die im Rahmen des Sozialplans vom 14. Mai 2003 als dessen § 5 vereinbarter Auswahlrichtlinie als sozialwidrig anzusehen.

2.1.1.5.1 Soweit § 1 Abs. 2 Satz 2 Nr. 1 lit. a KSchG die Sozialwidrigkeit einer Kündigung bei einem Verstoß gegen eine Auswahlrichtlinie nach § 95 BetrVG vom Widerspruch des Betriebsrats abhängig macht, steht dies der Berücksichtigung eines solchen Verstoßes im Rahmen des Satzes 1 nicht entgegen. Mit § 1 Abs. 2 Satz 2 KSchG sollte eine Verbesserung des Kündigungsschutzes erreicht werden, weshalb die dort genannten Gründe zumindest insoweit auch weiterhin nach Satz 1 zu berücksichtigen sind, wie dies im Falle einer anderweitigen Beschäftigungsmöglichkeit schon bisher anerkannt war (BAG, Urteil vom 17.05.1984 - 2 AZR 109/83 - BAGE 46, 191 = AP KSchG 1969 § 1 Betriebsbedingte Kündigung Nr. 21 zu C II 3 d der Gründe). Dies soll aber mit Rücksicht auf die gesetzgeberische Zielvorstellung auch hinsichtlich solcher Gründe gelten, die nicht bereits vor Inkrafttreten des BetrVG 1972 bei der Prüfung der Sozialwidrigkeit zu berücksichtigen waren (KR/Etzel, 7. Aufl., 2004, § 1 KSchG R 708). Dafür spricht, dass Auswahlrichtlinien in Form von Betriebsvereinbarungen geschlossen werden, die gemäß § 77 Abs. 4 Satz 1 BetrVG unmittelbar und zwingend gelten (Kittner/Däubler/Zwanziger, Kündigungsschutzrecht, 6. Aufl., 2004, § 102 BetrVG R 241 u. 242).

2.1.1.5.2 Es war bereits zweifelhaft, ob die Kündigung gegen die Auswahlrichtlinie vom 14. Mai 2003 verstieß.

Die Auswahlrichtlinie sah ausdrücklich die Berücksichtigung von Härtefällen vor. Es erschien auch durchaus vertretbar, wenn die dafür eingesetzte Härtefallkommission auf Betreiben des Betriebsrats dem Umstand besonderes Gewicht beimaß, dass eine Mitarbeiterin nicht nur mindestens zwei Kindern unterhaltspflichtig war, sondern darüber hinaus alleinerziehend oder mit einem Mann verheiratet, der aufgrund seiner gesundheitlichen oder wirtschaftlichen Situation mangels eigener Einkünfte nichts zum Familieneinkommen beizutragen vermochte. Damit wurden entgegen der Ansicht der Klägerin die Unterhaltspflichten dieser Kolleginnen gerade nicht doppelt berücksichtigt, sondern dem Fehlen einer Entlastung durch einen weiteren Unterhaltspflichtigen Rechnung getragen. Hierbei handelte es sich durchaus auch um einen persönlichen Umstand dieser Kolleginnen (zu diesem Erfordernis BAG, Urteil vom 18.01.1990 - 2 AZR 357/89 - BAGE 64, 32 = AP KSchG 1969 § 1 Soziale Auswahl Nr. 19 zu II 5 der Gründe). Es verhielt sich insoweit nicht anders als bei der Möglichkeit, den Verdienst eines Ehegatten bei der Beurteilung der sozialen Schutzbedürftigkeit (negativ) zu berücksichtigen (dazu BAG, Urteil vom 05.12.2002 - 2 AZR 549/01 - NZA 2203, 791 zu B III 5 a.E. der Gründe).

2.1.1.5.3 Zumindest hätte ein Verstoß gegen die Auswahlrichtlinie in § 5 des Sozialplans sich allein keine weitergehende Wirkung entfalten können als ein deshalb erhobener Widerspruch des Betriebsrats.

2.1.1.5.3.1 Einem Betriebsrat ist es versagt, seinen Widerspruch wegen fehlerhafter Sozialauswahl gemäß § 102 Abs. 3 Nr. 1 BetrVG mehrfach auf die Weiterbeschäftigung desselben weniger schutzbedürftigen Arbeitnehmers zu stützen (BAG, Urteil vom 09.07.2003 - 5 AZR 305/02 - AP BetrVG 1972 Weiterbeschäftigung Nr. 14 zu I 2 b der Gründe). Gleiches gilt für einen Widerspruch gemäß § 102 Abs. 3 Nr. 3 BetrVG wegen der Möglichkeit einer Beschäftigung des Arbeitnehmers auf einem anderen Arbeitsplatz (so wohl BAG, Urteil 06.12.1984 - 2 AZR 542/83 - RzK III 1 e Nr. 3 zu B II 3 der Gründe). Dann kann aber auch im Falle des Widerspruchs wegen eines Verstoßes gegen eine Auswahlrichtlinie nichts anderes gelten mit der Folge, dass der Betriebsrat bei einer unzulässigen Begünstigung einzelner Arbeitnehmer mit seinem Widerspruch auch nur zu Gunsten der gerade deshalb nunmehr ausgewählten Arbeitnehmer intervenieren kann. Nur deren Kündigung verstieße gegen die Auswahlrichtlinie. Wer dagegen aufgrund der Auswahlrichtlinie ohnehin schon zu den zu entlassenden Arbeitnehmern gehörte, dessen Kündigung kann durch eine Herausnahme anderer nicht berührt werden.

Insoweit verhält es sich anders als bei einer nicht durch eine Auswahlrichtlinie vorgezeichneten Sozialauswahl. Hier müsste das Gericht, wenn der Arbeitgeber einen sozial weniger schutzbedürftigen Arbeitnehmer verschont und sich mehrere Arbeitnehmer darauf berufen können, seine eigene Wertung an die Stelle der Auswahlentscheidung des Arbeitgebers setzen, was als nicht angängig angesehen wird (dazu BAG Urteil vom 18.10.1984 - 2 AZR 543/83 - BAGE 47, 80 = AP KSchG 1969 § 1 Soziale Auswahl Nr. 6 zu B 4 d der Gründe; a.A. Wylka Bütefisch, Die Sozialauswahl, 2000, 354 ff; diff. KR/Etzel 7. Aufl., 2004, § 1 KSchG R 658).

Bei Anwendung einer Auswahlrichtlinie besteht zudem die Besonderheit, dass auf eine abschließende Einzelfallbeurteilung sogar verzichtet werden kann (Preis RdA 1999, 311, 320; Quecke RdA 2004, 86, 89).

2.1.1.5.3.2 Da sich die Klägerin bereits auf der ursprünglich in Anwendung der Auswahlrichtlinie erstellten Liste nur auf Platz 61 befunden hatte, konnte die Anerkennung der nur zum Teil vor, zum Teil aber auch hinter ihr rangierenden 14 Kolleginnen als Härtefall und deren deshalb erfolgter Streichung von der Liste keinen Einfluss auf die beabsichtigte Kündigung ihres Arbeitsverhältnisses haben. Dabei war die Platzierung der Klägerin entgegen ihrer Ansicht auch nicht deshalb fehlerhaft, weil sie aufgrund längerer Betriebszugehörigkeit und höheren Lebensalters drei zusätzliche Punkte erhalten hätte, wenn man dafür den Zeitpunkt des Ablaufs der Kündigungsfrist zugrunde zu legen hätte. Es war nicht zu beanstanden, dass die Beklagte auf Lebensalter und Betriebszugehörigkeit zur Zeit des Ausspruchs der Kündigung abgestellt hat, weil allein dies eine einheitliche Beurteilung ermöglichte. Dies erschien auch deshalb sachgerecht, weil die betroffenen Arbeitnehmer erst bis zu diesem Zeitpunkt Betriebstreue gezeigt hatten und sich ab jetzt schon um einen neuen Arbeitsplatz bemühen konnten.

2.1.2 Die Kündigung war nicht gemäß § 1 Abs. 3 Satz 1 Hs. 1 KSchG 1999 wegen unzureichender Berücksichtigung sozialer Gesichtspunkte bei der Auswahl der Klägerin sozial ungerechtfertigt.

2.1.2.1 Es war nicht zu beanstanden, dass die Beklagte alle Arbeitnehmer der LG 1 bis 4 in einen Gesamtvergleich einbezogen und nicht nach einzelnen Lohngruppen differenziert hat.

2.1.2.1.1 Dabei konnte dahinstehen, ob auch insoweit nur der Maßstab grober Fehlerhaftigkeit gemäß § 1 Abs. 4 KSchG 1999 anzulegen war (dafür LAG Hamm, Urteil vom 26.09.2001 - 3 Sa 916/01 - AP BetrVG 1972 Nr. 40 zu B I 3 c, cc der Gründe; insoweit nicht beanstandet von BAG, Urteil vom 05.12.2000 - 2 AZR 697/01 - AP KSchG 1969 Soziale Auswahl Nr. 60 zu B I 3 b, aa der Gründe; Kittner/Däubler/Zwanziger, Kündigungsschutzrecht, 6. Aufl., 2004, § 1 KSchG R 493c). Jedenfalls besteht bei entsprechenden Festlegungen durch die Betriebspartner eine erhöhte Richtigkeitsgewähr (BAG, Urteil vom 15.06.1989 - 2 AZR 580/88 - BAGE 62, 116 = AP KSchG 1969 § 1 Soziale Auswahl Nr. 18 zu B II 2 e, bb der Gründe).

2.1.2.1.2 Vorliegend kam hinzu, dass nach LG 1 bis 4 durchweg Hilfsarbeiten und Anlerntätigkeiten vergütet werden, wobei der LRTV Arb MetInd Bln für die Eingruppierung keine abstrakten Tätigkeitsmerkmale nennt, sondern es in Nr. 2.2 Abs. 2 bei einer Verweisung auf zwei Bände mit Tarifbeispielen gemäß dem gekündigten MTV Arbeiter vom 20. Oktober 1961 belassen hat, welche die heute anfallenden Tätigkeiten ohnehin nur völlig unzureichend erfassen, weshalb in den Betrieben vielfach eine Art Zeit- oder Bewährungsaufstieg praktiziert wird. Demgegenüber findet sich gemäß Nr. 2.1.2 LTV Arb MetInd BlnBrdbg I in LG 5 der sog. Ecklohn für entsprechend qualifizierte Arbeiter, weshalb die Klägerin nicht verlangen konnte, mit Mitarbeitern dieser Lohngruppe verglichen zu werden (eb. LAG Berlin, Urteil vom 10.05.2004 - 10 Sa 2597/03 - zu 2.3.1 der Gründe). Dass die Tätigkeit der Klägerin tatsächlich den Merkmalen der LG 5 entsprach, war ihrem Vortrag nicht zu entnehmen. Dieser bezog sich auf eine Tätigkeit an Prüfplätzen, die von der Klägerin indessen gar nicht verrichtet wurde.

2.1.2.1.3 Schließlich ergab sich aus der ursprünglichen Mitarbeiterliste, dass die Beklagte der Klägerin als einziger Bürohilfskraft in LG 4 gekündigt und zwei weitere Bürohilfskräfte in dieser Lohngruppe mit deutlich mehr Sozialpunkten weiterbeschäftigt hat, hinter denen die Klägerin auch bei einem auf die jeweilige Lohngruppe beschränkten Vergleich hätte zurücktreten müssen.

2.1.2.2 Soweit es im Vorfeld des Personalabbaus zu mindestens fünf Höhergruppierungen nach LG 5 gekommen war, ließ sich schon nicht erkennen, dass dies geschehen war, ohne dass die tarifvertraglichen Voraussetzungen hierfür erfüllt waren. Dagegen sprach bereits indiziell die gemäß § 99 Abs. 1 Satz 1 BetrVG vorgeschriebene Beteiligung des Betriebsrats.

Zudem waren diese Höhergruppierungen ohnehin nicht kausal für die Auswahl der Klägerin. Zum einen war die Klägerin bereits vor diesen Höhergruppierungen auf Platz 61 bei zuletzt immer noch 63 erforderlichen Kündigungen zu finden. Zum Anderen hätte sich ohne die Höhergruppierungen die Zahl der in LG 1 bis 4 zu Entlassenden entsprechend erhöht, um die unternehmerische Entscheidung der Beklagten zu realisieren, nur noch insgesamt 90 Arbeitnehmer in diesen Lohngruppen dauerhaft weiter zu beschäftigen.

2.1.2.3 Die soziale Auswahl war gemäß § 1 Abs. 4 KSchG 1999 nur auf grobe Fehlerhaftigkeit zu überprüfen.

2.1.2.3.1 Dass die von der Beklagten mit ihrem Betriebsrat vereinbarte Auswahlrichtlinie Bestandteil des Sozialplans vom 14. Mai 2003 war, war unschädlich. Auch ein Sozialplan hat gemäß § 112 Abs. 1 Satz 3 BetrVG die Wirkung einer Betriebsvereinbarung; lediglich die Tarifschranke des § 77 Abs. 3 BetrVG ist gemäß § 112 Abs. 1 Satz 4 BetrVG nicht zu beachten. Es wurde zum Teil sogar die Vereinbarung im Rahmen eines Interessenausgleichs für ausreichend erachtet (Preis RdA 1999, 311, 320).

2.1.2.3.2 Als grob fehlerhaft i.S.d. § 1 Abs. 4 KSchG 1999 war es anzusehen, wenn eine der unerlässlichen Sozialdaten Lebensalter, Betriebszugehörigkeit und Unterhaltspflichten unberücksichtigt blieb oder eindeutig unzureichend oder übermäßig berücksichtigt wurde (KR/Etzel, 6. Aufl., 2002, § 1 KSchG R 697). Dabei sollte auch die Auswahlentscheidung selbst diesem eingeschränkten Prüfungsmaßstab unterliegen (Lakies NJ 1999, 74, 76). Es mussten so erhebliche Fehler vorliegen, dass nicht mehr ernsthaft von einer Auswahl unter Berücksichtigung sozialer Gesichtspunkte gesprochen werden konnte (vgl. Gaul/Lunk NzA 2004, 184, 190).

2.1.2.3.3 Von grober Fehlerhaftigkeit der Auswahl der Klägerin konnte angesichts dessen, dass die Betriebszugehörigkeit ihrer als Härtefall anerkannten Kolleginnen durchweg ebenfalls im zweistelligen Bereich lag, diese ein Lebensalter von mindestens 40 Jahren erreicht und im Gegensatz zu ihr mehreren Personen rechtlich oder zumindest tatsächlich allein unterhaltspflichtig waren, keine Rede sein. Es kann einem Arbeitgeber nicht verwehrt werden, besonders schwerwiegende soziale Gesichtspunkte, die in der Auswahlrichtlinie keinen Niederschlag gefunden haben, zusätzlich zu berücksichtigen (KR/Etzel, 7. Aufl., 2004, § 1 KSchG R 699).

Soweit von der Klägerin in tatsächlicher Hinsicht bei einzelnen ihrer Kolleginnen das Vorliegen besonders belastender Umstände in Abrede gestellt worden ist, hat sie dafür entgegen § 1 Abs. 3 Satz 3 KSchG keinen Beweis angetreten bzw. war ihr Vortrag, die Ehemänner zweier Kolleginnen stünden wirtschaftlich auf eigenen Füßen, nicht substantiiert genug für eine Beweisaufnahme (§ 373 ZPO).

2.1.2.4 Selbst wenn man aber mit Rücksicht darauf, dass die Klägerin auf 16 Sozialpunkte mehr als eine als Härtefall anerkannte Kollegin mit 64 Punkten gekommen war, was einen Unterschied von 25 % ausmachte, doch von grober Fehlerhaftigkeit sprechen wollte, hätte dies gleichwohl auf die Kündigung ihres Arbeitsverhältnisses keinen Einfluss gehabt. Es galten insoweit dieselben Erwägungen, wie unter 2.1.1.5.3 dargestellt. Steht fest, dass sich ein Auswahlfehler nicht zu Gunsten eines Arbeitnehmers auswirken kann, ist es diesem nach Treu und Glauben gemäß § 242 BGB verwehrt, sich darauf zu berufen (LAG Hamm, Urteil vom 31.08.1999 - 10 (19) Sa 1907/93 - LAGE KSchG § 1 Soziale Auswahl Nr. 13 zu 2 c der Gründe; Kiel/Koch, die Betriebsbedingte Kündigung, 2000, R 401 ff).

2.1.3 Soweit die Klägerin, gestützt auf das Rundschreiben der Beklagten vom 23. Juli 1993 (Abl. 113 u. 114 d.A.), sog. Jubiläumskündigungsschutz für sich in Anspruch genommen hat, ist die danach vorgesehene Zustimmung des zuständigen Vorstandsmitglieds der Beklagten unter dem 24. Juni 2003 auf einem entsprechenden Antragschreiben (Abl. 151 d.A.) erteilt worden.

2.1.4 Die Kündigung war nicht wegen unzureichender Anhörung des Betriebsrats entsprechend § 102 Abs. 1 Satz 3 BetrVG unwirksam.

2.1.4.1 Der Betriebsrat ist am 18. Juni 2003 mit einem Schreiben vom Vortag über die beabsichtigte Kündigung des Arbeitsverhältnisses der Klägerin unterrichtet worden. Dass erst danach noch vier weitere ihrer Kolleginnen als Härtefall anerkannt worden sind, war entgegen der Ansicht des Arbeitsgerichts kein Gesichtspunkt, der für die beabsichtigte Entlassung der Klägerin von Bedeutung war. Abgesehen davon, dass zwei dieser Kolleginnen ohnehin eine höhere Punktzahl als die Klägerin aufwiesen, ist durch die Anerkennung der zusätzlichen vier Härtefälle nicht einmal ein weiterer in den Kreis der zu entlassenden Mitarbeiter nachgerückt, weil zugleich durch das einvernehmliche Ausscheiden acht anderer Mitarbeiter mit höherer Punktzahl im Ergebnis sogar vier Kündigungen weniger auszusprechen waren. Zudem wird allein dadurch, dass der Arbeitgeber bei im Übrigen korrekter Anhörung zu einer Mehrzahl von Kündigungen Änderungswunsche des Betriebsrats aufgreift und verwirklicht, keine erneute Anhörungspflicht begründet (BAG, Urteil vom 07.12.1995 - 2 AZR 1008/94 - AP KSchG 1969 Soziale Auswahl Nr. 29 zu II 1 b der Gründe).

2.1.4.2 Bei Übergabe des Kündigungsschreibens am 26. Juni 2003 war somit die Wochenfrist des § 102 Abs. 2 Satz 2 BetrVG abgelaufen (§§ 187 Abs. 1, 188 Abs. 2 Alt. 1 BGB), weshalb die Zustimmung des Betriebsrats gemäß § 102 Abs. 2 Satz 2 BetrVG als erteilt galt. Auf die Frage, ob in der Unterzeichnung der endgültigen Kündigungsliste durch den Betriebsratsvorsitzenden eine abschließende Stellungnahme des Betriebsrats zu sehen war, kam es deshalb nicht mehr an. Soweit die Klägerin die Zuständigkeit des Betriebsratsvorsitzenden unter Hinweis auf das Bestehen eines Personalausschusses i.S.d. § 28 Abs. 1 Satz 1 BetrVG in Abrede gestellt hat, war ihrem Vortrag jedenfalls nicht zu entnehmen, dass diesem Ausschuss die Wahrung der Mitbestimmungsrechte in personellen Angelegenheiten auch zur selbständigen Erledigung übertragen worden war (§ 28 Abs. 2 Satz 3 BetrVG).

2.1.4.3 Das Anhörungsschreiben vom 17. Juni 2003 entsprach auch inhaltlich den Anforderungen des § 102 Abs. 1 Satz 2 BetrVG.

2.1.4.3.1 Dass die Zustimmung des zuständigen Vorstandsmitglieds noch nicht vorgelegen hatte und deshalb dem Betriebsrat nicht mitgeteilt werden konnte, war entgegen der Ansicht der Klägerin unschädlich. Das Vorliegen dieser Zustimmung gehörte nicht zu den Gründen für die Kündigung, sondern stellte eine zusätzliche Wirksamkeitsvoraussetzung dar.

2.1.4.3.2 Dass dem Anhörungsschreiben die darin aufgeführten Unterlagen nicht beigelegen hätten, ist von der Klägerin ohne greifbare Anhaltspunkte offenbar ins Blaue hinein behauptet worden und war deshalb gemäß § 138 Abs. 1 ZPO unbeachtlich. Wie es zu der Angabe von bereits 14 Härtefällen gekommen ist, obwohl vier davon erst danach noch anerkannt worden sind, ist von dem zuständigen Personalsachbearbeiter im Verhandlungstermin mit der Fortschreibung der entsprechenden Textdatei anlässlich einiger zunächst zurückgestellter Kündigungen nachvollziehbar erklärt worden.

2.2 Über den Antrag auf vorläufige Weiterbeschäftigung der Klägerin war nicht mehr zu befinden, weil dieser nur für den Fall des Obsiegens mit ihrem Kündigungsschutzantrag gestellt war.

2.3 Auch der Auflösungsantrag der Beklagten ist nur hilfsweise für den Fall der Stattgabe des Kündigungsschutzantrags gestellt worden.

2.4 Die Klägerin hat keinen Anspruch auf Wiedereinstellung.

2.4.1 Ein solcher Anspruch kann sich zwar mit Rücksicht auf das Gebot von Treu und Glauben aus § 242 BGB ergeben, wenn der auf einer Prognose beruhende Kündigungsgrund im Laufe der Kündigungsfrist wegfällt, wozu auch die Möglichkeit der Beschäftigung des Arbeitnehmers auf einem anderen Arbeitsplatz gehören soll (BAG, Urteil vom 28.06.2000 - 7 AZR 904/88 - BAGE 95, 171 = AP KSchG 1969 § 1 Wiedereinstellung Nr. 6 zu II B 3 a der Gründe). Keinesfalls soll sich dieser Anspruch aber auf Abschluss eines Arbeitsvertrags für die Vergangenheit richten können (BAG, wie vor, zu I B der Gründe), wie dies aber von der Klägerin mit ihrem unverändert gebliebenen Antrag zuletzt begehrt worden ist.

2.4.2 Von den drei am 25. August bzw. 15. September 2003 in einem anderen Berliner Betrieb der Beklagten ausgeschriebenen Stellen schied eine von vornherein deshalb aus, weil sie lediglich bis zum Ablauf der Kündigungsfrist der Klägerin zu besetzen war. Hinsichtlich der beiden anderen Stellen war nicht erkennbar, dass ihre Besetzung mit Mitarbeitern des dortigen Betriebs eine treuwidrige Vereitelung des Wiedereinstellungsbegehrens der Klägerin darstellte. Ohnehin genießen Arbeitnehmer in noch ungekündigtem Arbeitsverhältnis Vorrang, selbst wenn der Wiedereinsetzung begehrende Arbeitnehmer sozial schutzbedürftiger ist. Im ungekündigten Arbeitsverhältnis befanden sich aber auch noch mehrere Kolleginnen der Klägerin, deren Kündigung mit Rücksicht auf die noch ausstehende Zustimmung des Integrationsamtes gemäß § 85 SGB IX zurückgestellt worden war. Schließlich hat die Klägerin nicht dargetan, weshalb ihr bei der Besetzung der beiden Stellen ein Vorrang gegenüber ihren zahlreichen ebenfalls entlassenen Kolleginnen mit mehr Sozialpunkten zukommen sollte, die durchweg ebenfalls ihre Weiterbeschäftigung verlangt haben, wie der Kammer aus diversen Parallelprozessen bekannt war.

3. Auf den erstinstanzlich gestellten und aufgrund des dortigen Obsiegens der Klägerin mit ihrem Hauptantrag von selbst in der Berufungsinstanz zur Entscheidung angefallenen Hilfsantrag (vgl. dazu BAG, Urteil vom 20.08.1997 - 2 AZR 620/96 - AP BGB § 626 Verdacht strafbarer Handlung Nr. 27 zu II 4 a der Gründe) war die Beklagte zur Erteilung eines qualifizierten Zeugnisses gemäß § 109 Abs. 1 GewO, § 630 Satz 4 BGB zu verurteilen.

4. Nebenentscheidungen

4.1 Die Kostenentscheidung beruht auf § 92 Abs. 1 Satz 1 ZPO.

Für die Ermittlung der Quote war davon auszugehen, dass neben dem gemäß § 3 Hs. 1 ZPO mit einem Monatseinkommen anzusetzenden Zeugnisanspruch das Kündigungsschutz- und das Wiedereinstellungsbegehren gemäß bzw. entsprechend § 12 Abs. 7 Satz 1 Hs. 1 ArbGG mit jeweils drei Monatseinkommen zu bewerten sind, auch wenn aufgrund wirtschaftlicher Identität und wechselseitigem Ausschluss bei der Festsetzung des Gebührenstreitwerts gemäß § 19 Abs. 1 Satz 3 GKG der Wert von drei Monatseinkommen nur einmal in Ansatz zu bringen sein wird.

4.2 Die Revision war gemäß § 72 Abs. 2 Nr. 1 ArbGG aufgrund diverser höchstrichterlich noch nicht geklärter Rechtsfragen wegen grundsätzlicher Bedeutung zuzulassen.

Ende der Entscheidung

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