Judicialis Rechtsprechung

Mit der integrierten Volltextsuche, die vom Suchmaschinenhersteller "Google" zur Verfügung gestellt wird, lassen sich alle Entscheidungen durchsuchen. Dabei können Sie Sonderzeichen und spezielle Wörter verwenden, um genauere Suchergebnisse zu erhalten:

Zurück

Beginn der Entscheidung

Gericht: Landesarbeitsgericht Berlin
Urteil verkündet am 24.09.2004
Aktenzeichen: 6 Sa 685/04
Rechtsgebiete: BGB, BMTG II, ZPO, ArbGG


Vorschriften:

BGB § 275 Abs. 1
BGB § 275 Abs. 2
BGB § 626 Abs. 1
BMTG II § 54
ZPO § 156 Abs. 2 Nr. 1
ArbGG § 68
1. § 54 BMT-G II enthält in seiner Fassung ab 01. Januar 2002 kein zwingendes Schriftformerfordernis für eine Angabe des Kündigungsgrundes mehr.

2. Es ist dem Arbeitgeber zumutbar, das Arbeitsverhältnis mit einem Arbeitnehmer in Altersteilzeit noch 11 Monate bis zum Eintritt in die Freistellungsphase fortzusetzen, auch wenn er dessen Tätigkeit einem externen Dienstleister übertragen hat.

3. Der Erwerb eines Anspruchs gegen einen externen Dienstleister macht dem Arbeitgeber die Erfüllung des Beschäftigungsanspruchs seines Arbeitnehmers nicht unmöglich i.S.d. § 275 Abs. 1 BGB.


Landesarbeitsgericht Berlin Im Namen des Volkes Urteil

6 Sa 685/04

Verkündet am 24. Sept. 04

In dem Rechtsstreit

hat das Landesarbeitsgericht Berlin, 6. Kammer, auf die mündliche Verhandlung vom 03.09.2004 durch den Vorsitzenden Richter am Landesarbeitsgericht Corts sowie die ehrenamtlichen Richter Köster und Bräuer

für Recht erkannt:

Tenor:

1. Die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des Arbeitsgerichts Berlin vom 03.03.2004 - 37 Ca 521/04 - wird auf ihre Kosten zurückgewiesen.

2. Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand:

Der Kläger stand seit 1968 in den Diensten der Beklagten. Sein Monatslohn als Objektreiniger betrug zuletzt 1.926,-- € brutto.

Durch Vertrag vom 07. April 2003 über eine Beschäftigung in Altersteilzeit wurde für die Zeit ab 01. Juni 2005 eine Freistellung des Klägers unter Fortzahlung seiner Bezüge vereinbart.

Am 16. Dezember 2003 beschloss die Beklagte, die Arbeitsverhältnisse aller Objektreiniger, Büroreiniger und Hauswarte zu beenden und deren Aufgaben sukzessive, spätestens mit Wirkung zum 01. Juli 2004, an externe Dienstleister zu vergeben. Deshalb kündigte sie das Arbeitsverhältnis des Klägers mit Schreiben vom 29. Dezember 2003 außerordentlich mit einer sozialen Auslauffrist zum 30. Juni 2004, hilfsweise ordentlich zum selben Termin.

Das Arbeitsgericht Berlin hat festgestellt, dass das Arbeitsverhältnis zwischen den Parteien weder durch die außerordentliche noch durch die hilfsweise ordentliche Kündigung vom 29. Dezember 2003 beendet worden sei, und die Beklagte zugleich verurteilt, den Kläger bis zum rechtskräftigen Abschluss des Verfahrens zu den bisherigen Bedingungen als Objektreiniger weiter zu beschäftigen. Zur Begründung hat es im Wesentlichen ausgeführt, die Kündigung sei unwirksam, weil die Bezeichnung als "betriebsbedingte Kündigung" den Anforderungen des § 54 BMT-G II an eine Angabe des Kündigungsgrundes nicht genüge. Der Kläger habe gemäß §§ 611, 242 BGB i.V.m. Artt. 1 und 2 GG Anspruch auf Weiterbeschäftigung als Objektreiniger für die Dauer des Kündigungsschutzprozesses. Durch ihre Entscheidung, ab dem 01. Juli 2004 sämtliche Aufgaben im Bereich der Objektreiniger an externe Dienstleister zu vergeben, sei der Beklagten die Beschäftigung des Klägers nicht unmöglich geworden; vielmehr sei ihr eine Wiederherstellung des Zustands vor der Umorganisation zumutbar.

Gegen dieses ihr am 05. März 2004 zugestellte Urteil richtet sich die durch Schriftsätze vom 18. und 29. März 2004 eingelegte und am 08. Juni 2004 nach entsprechender Verlängerung der Begründungsfrist begründete Berufung der Beklagten. Sie verweist auf die Neufassung des § 54 BMT-G II ab dem 01. Januar 2002 und regt eine Zurückverweisung des Rechtsstreits an, weil ihr hinsichtlich der Prüfung der sozialen Rechtfertigungsgründe sonst eine Instanz verloren ginge. In Vollzug ihrer unternehmerischen Entscheidungen seien inzwischen diverse Vereinbarungen mit Dienstleistern getroffen worden, spätestens ab 01. Juli 2004 die Reinigung sämtlicher Objekte zu übernehmen. Die vom Kläger begehrte Weiterbeschäftigung als Objektreiniger sei deshalb auf eine unmögliche Leistung gerichtet. Auch für eine anderweitige Beschäftigung des Klägers bestehe keine Möglichkeit. Müsste sie den Kläger und die anderen sog. unkündbaren Arbeitnehmer weiter beschäftigen, wäre ihre unternehmerische Entscheidungsfreiheit nicht mehr gewährleistet, weil zu deren "Betreuung" dann auch eine erhöhte Anzahl kaufmännischer Mitarbeiter verbleiben müsste. Von 552 Beschäftigten in ihrem Unternehmen seien 337 unkündbar.

Die Beklagte beantragt,

die Klage unter Änderung des angefochtenen Urteils abzuweisen.

Der Kläger beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Er verteidigt das angefochtene Urteil, indem er die arbeitsvertragliche Bezugnahme auf den BMT-G II in dessen jeweils geltender Fassung mangels Tarifbindung des Klägers für lediglich statisch ansieht. Der Kläger ist weiterhin der Ansicht, dass die Beklagte notfalls einen Arbeitsplatz für ihn habe frei kündigen müssen. Dieses Erfordernis gelte jedenfalls, wenn der betreffende Arbeitnehmer von seiner Qualifikation her zur Übernahme der entsprechenden Tätigkeit in der Lage sei, wie dies bei ihm hinsichtlich eines Einsatzes als Hausbetreuer der Fall sei.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Parteivorbringens wird auf den Tatbestand des angefochtenen Urteils und die in der Berufungsinstanz gewechselten Schriftsätze nebst Anlagen Bezug genommen.

Die Beklagte hat nach Schluss der mündlichen Verhandlung deren Wiedereröffnung beantragt und dazu eine Verletzung von § 139 ZPO durch Unterbleiben eines Rechtsgesprächs über die Unmöglichkeit einer Weiterbeschäftigung des Klägers als Objektreiniger gerügt.

Entscheidungsgründe:

1. Die Berufung ist zulässig. Sie ist nach entsprechendem Hinweis des Gerichts innerhalb der einmonatigen Berufungsfrist des § 66 Abs. 1 Satz 1 ArbGG hinsichtlich der Person des Berufungsklägers klargestellt und innerhalb der verlängerten Begründungsfrist den Anforderungen des § 520 Abs. 3 ZPO, § 64 Abs. 6 Satz 1 ArbGG entsprechend ordnungsgemäß begründet worden.

2. Der Rechtsstreit ist gemäß § 300 Abs. 1 ZPO zur Endentscheidung reif gewesen. Es bestand kein Anlass gemäß § 156 Abs. 2 Nr. 1 ZPO, die mündliche Verhandlung wieder zu eröffnen. Die Rüge der Beklagten einer Verletzung der Hinweispflicht aus § 139 Abs. 1 ZPO geht fehl. Abgesehen davon, dass die Beklagte nicht dargetan hat, was sie auf einen Hinweis des Gerichts über ihren schriftsätzlichen Vortrag hinaus noch vorgebracht hätte, ist vom Vorsitzenden die Frage ausdrücklich angesprochen worden, dass der Abschluss eines weiteren Vertrags mit einem Dritten nicht zur Unmöglichkeit der schon bestehenden Beschäftigungspflicht gegenüber dem Arbeitnehmer führen könne.

3. Die Berufung ist unbegründet.

3.1 Das Arbeitsverhältnis des Klägers ist nicht durch die außerordentliche, hilfsweise ordentliche Kündigung der Beklagten vom 29. Dezember 2003 zum 30. Juni 2004 aufgelöst worden.

3.1.1 Allerdings ist der Beklagten zuzugeben, dass sich dies nicht bereits aus § 125 Satz 1 BGB i.V.m. § 54 BMT-G II ergibt.

3.1.1.1 Während diese Tarifnorm früher zwingend eine schriftliche Angabe des Grundes für Kündigungen des Arbeitgebers vorschrieb, sieht ihre Neufassung ab 01. Januar 2002 in Satz 2 Hs. 1 nur noch vor, dass dies geschehen solle. Eine bloße Sollvorschrift enthält jedoch gerade kein zwingendes Erfordernis mehr. Dies wird noch dadurch unterstrichen, dass gemäß Hs. 2 die Regelung in § 53 Abs. 2 Satz 3 BMT-G II unberührt bleibt, wonach (erst) auf Verlangen des Arbeitnehmers der Kündigungsgrund unverzüglich schriftlich mitzuteilen ist.

Weshalb die arbeitsvertragliche Bezugnahme auf den BMT-G II "in der jeweils geltenden Fassung" nur eine statische Verweisung auf die frühere Regelung beinhalten sollte, wie aber der Kläger gemeint hat, erschloss sich der Kammer nicht.

3.1.1.2 Der Fehler des Arbeitsgerichts hat nicht zu einer Zurückverweisung führen können. Eine solche ist gemäß § 68 ArbGG selbst wegen eines Mangels im Verfahren ausgeschlossen. Einer der Ausnahmefälle des § 538 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2-7 ZPO lag ebenfalls nicht vor. Die von der Beklagten herangezogene Entscheidung des LAG Hamm vom 24.11.1998 - 6 Sa 416/98 - wies die Besonderheit auf, dass die Vorinstanz den Rechtsstreit für teilweise erledigt erachtet und deshalb darüber insoweit überhaupt nicht in der Sache entschieden hat.

3.1.2 Die hilfsweise ordentliche Kündigung scheiterte daran, dass die ordentliche Kündbarkeit gemäß § 52 Abs. 1 BMT-G II ausgeschlossen war, weil der Kläger eine Beschäftigungszeit von mehr als 15 Jahren erreicht hatte.

3.1.3 Die außerordentliche Kündigung mit sozialer Auslauffrist ist nicht gemäß § 53 Abs. 1 Satz 1 BMT-G II wirksam, der inhaltlich § 626 Abs. 1 BGB entspricht. Es lagen keine Tatsachen vor, aufgrund deren der Beklagten eine Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses mit dem Kläger bis zum Beginn seiner Freistellungsphase unzumutbar war.

Zwar kann die außerordentliche Kündigung gegenüber einem tariflich unkündbaren Arbeitnehmer aus betriebsbedingten Gründen ausnahmsweise unter Einhaltung der ordentlichen Kündigungsfrist zulässig sein, wenn der Arbeitsplatz des Arbeitnehmers weggefallen ist und der Arbeitgeber ihn auch unter Einsatz aller zumutbaren Mittel, ggf. durch Umorganisation seines Betriebes, nicht weiter beschäftigen kann. Hinzukommen muss jedoch, dass der Arbeitgeber dem Arbeitnehmer über längere Zeit das Arbeitsentgelt weiter zahlen müsste, obwohl er für dessen Arbeitsleistung keine Verwendung mehr hat (BAG, Urteil vom 05.02.1998 - 2 AZR 227/97 - BAGE 88, 10 = AP BGB § 626 Nr. 143 zu II 3 b der Gründe). Davon kann im Fall des Klägers keine Rede sein, weil er bereits 11 Monate nach Umsetzung der unternehmerischen Entscheidung der Beklagten aufgrund der vereinbarten Altersteilzeit in die Freistellungsphase treten wird. Es verhält sich deshalb anders als in einem Fall, wo der Arbeitgeber über Jahre hinweg zur Zahlung des vereinbarten Entgelts verpflichtet bliebe (dazu BAG, Urteil vom 28.03.1985 - 2 AZR 113/84 - BAGE 48, 220 = AP BGB § 626 Nr. 86 zu B III 2 b der Gründe).

3.2 Der Kläger hat einen arbeitsvertraglich begründeten Anspruch auf vorläufige Weiterbeschäftigung für die Dauer des Rechtsstreits, den er wegen Besorgnis der Nichterfüllung gemäß § 259 ZPO im Wege einer Klage auf künftige Leistung hat verfolgen können.

3.2.1 Ein solcher Anspruch ergibt sich im Wege ergänzender Vertragsauslegung gemäß § 157 BGB mit Rücksicht auf die dabei zu beachtende Menschenwürde des Arbeitnehmers und sein Persönlichkeitsrecht aus Artt. 1 Abs. 1, 2 Abs. 1 GG. Dieser Anspruch kann auch für die Zeit eines Rechtsstreits über die Wirksamkeit einer Kündigung des Arbeitsverhältnisses geltend gemacht werden. Dies jedenfalls dann, wenn ein Gericht für Arbeitssachen auf eine entsprechende Kündigungsschutzklage hin gleichzeitig feststellt, dass das Arbeitsverhältnis durch die Kündigung nicht aufgelöst ist, ohne das besondere Umstände vorliegen, aus denen sich ein überwiegendes Interesse des Arbeitgebers ergibt, den Arbeitnehmer nicht zu beschäftigen (BAG, Beschluss vom 27.02.1985 - GS 1/84 - BAGE 84, 122 = AP BGB § 611 Beschäftigungspflicht Nr. 14 zu C I 2 der Gründe). Dabei können nur solche zusätzlichen Umstände ein überwiegendes Interesse des Arbeitgebers begründen, die ihn auch im streitlos bestehenden Arbeitsverhältnis zur vorläufigen Suspendierung des Arbeitnehmers berechtigten (BAG, Urteil vom 02.04.1987 - 2 AZR 418/86 - AP BGB § 626 Nr. 96 zu B III der Gründe). Dafür hat die Beklagte vorliegend nichts vorgebracht.

3.2.2 Der Umstand, dass die Beklagte durch Abschluss von Verträgen mit Dienst-leistern gegen diese Ansprüche auf Reinigungsleistung in ihren Objekten erworben hat, begründete kein höherwertiges Interesse an einer Nichtbeschäftigung des Klägers. Vielmehr ist der Beklagten entsprechend § 162 Abs. 1 BGB nach Treu und Glauben versagt, sich auf die Fremdvergabe sämtlicher Reinigungsarbeiten zu berufen. Inwieweit durch das Gebot, eine bestehende vertragliche Verpflichtung zu erfüllen, die unternehmerische Freiheit der Beklagten in unzulässiger Weise eingeschränkt sein soll, ist nicht ersichtlich.

3.2.3 Dass die Beklagte vertragliche Ansprüche auf Reinigung ihrer Objekte gegen dritte Dienstleister erworben hat, hat ihr die Erfüllung des Beschäftigungsanspruchs des Klägers mit der Folge dessen Ausschlusses gemäß § 275 Abs. 1 BGB nicht unmöglich gemacht. Die Beklagte hat auch nicht dargetan, dass die Beschäftigung des Klägers einen Aufwand erforderte, der unter Beachtung des Inhalts des Arbeitsverhältnisses und des Gebots von Treu und Glauben in einem groben Missverhältnis zum Leistungsinteresse des Klägers stünde, was ihr gemäß § 275 Abs. 2 Satz 1 BGB ein Leistungsverweigerungsrecht gegeben hätte. Bei den der Beklagten zuzumutenden Anstrengungen wäre im übrigen auch zu berücksichtigen gewesen, dass sie das Leistungshindernis selbst zu vertreten hat (§ 275 Abs. 2 Satz 2 BGB).

4. Die Beklagte hat gemäß § 97 Abs. 1 ZPO die Kosten ihrer erfolglosen Berufung zu tragen.

Die Voraussetzungen des § 72 Abs. 2 ArbGG für eine Zulassung der Revision waren nicht erfüllt.

Ende der Entscheidung

Zurück