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Gericht: Landesarbeitsgericht Brandenburg
Urteil verkündet am 16.09.2005
Aktenzeichen: 5 Sa 229/05
Rechtsgebiete: ArbGG, ZPO, BAT-O, TVG
Vorschriften:
ArbGG § 8 Abs. 2 | |
ArbGG § 64 Abs. 1 | |
ArbGG § 64 Abs. 2 lit. b) | |
ArbGG § 64 Abs. 6 Satz 1 | |
ArbGG § 66 Abs. 1 Satz 1 | |
ArbGG § 66 Abs. 1 Satz 2 | |
ZPO § 519 | |
ZPO § 520 | |
BAT-O § 1 | |
BAT-O § 1 Abs. 1 b) | |
TVG § 4 |
Landesarbeitsgericht Brandenburg IM NAMEN DES VOLKES URTEIL
verkündet am 16.09.2005
In dem Rechtsstreit
hat die 5. Kammer des Landesarbeitsgerichts Brandenburg auf die mündliche Verhandlung vom 16.09.1005 durch die Vorsitzende Richterin am LAG K. als Vorsitzende sowie den ehrenamtlichen Richter F. und die ehrenamtliche Richterin F.
für Recht erkannt:
Tenor:
Die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des Arbeitsgerichts Brandenburg a. d. H. vom 06.04.2005 - 4 Ca 1911/04 - wird auf ihre Kosten zurückgewiesen.
Die Revision wird zugelassen.
Tatbestand:
Die tarifgebundenen Parteien streiten über die Frage, ob sich die Vergütung der Klägerin seit dem 01.02.2003 nach dem Bundes-Angestelltentarifvertrag (BAT) oder nach dem Tarifvertrag zur Anpassung des Tarifrechts - Manteltarifliche Vorschriften (BAT-O) richtet.
Die Klägerin, die von 1997 bis 2000 bei der W.- und S. Ost eine Ausbildung zur Vermessungstechnikerin absolviert hatte, war ab 27.07.2000 als vollbeschäftigte angestellte bei der W.- UND S. Mitte in H. beschäftigt aufgrund mehrerer befristeter Verträge. Während der Laufzeit des letzten für die Zeit von 01.09.2002 bis 31.08.2003 nach SR 2y BAT befristeten Vertrages bewarb sich die Klägerin erfolgreich auf eine Stelle beim W. (W.) B..
Die W.- UND S. Mitte ordnete die Klägerin zunächst ab 01.12.2002 ab und versetzte sie mit der Verfügung vom 20.01.2003 mit Wirkung vom 01.02.2003. Den ihr vorgelegten Arbeitsvertrag mit einer Bezugnahme auf den BAT-O unterzeichnete die Klägerin am 11.04.2003 mit dem Vorbehalt, dass sie der Eingruppierung in BAT-O vorbehaltlich der Klärung "im laufenden Verfahren" zustimme. Zuvor hatte der Personalrat beim W. B. mit Schreiben vom 13.02.2003, auf das Bezug genommen wird (Bl. 56 d.A.), mitgeteilt, dass er der Versetzung nicht zugestimmt habe, weil nach seiner Meinung auf das Arbeitsverhältnis der BAT anzuwenden sei. Ob das personalvertretungsrechtliche Verfahren im Nichteinigungsfall weiter betrieben wurde, ist streitig.
Auf die am 06.12.2004 beim Arbeitsgericht Brandenburg a. d. Havel eingegangene Klage hat das Arbeitsgericht durch das am 06.04.2005 verkündete Urteil, auf dessen Tatbestand zur weiteren Darstellung des erstinstanzlichen Sach- und Streitstandes Bezug genommen wird (Bl. 65 bis 66 d.A.), festgestellt, dass die Beklagte verpflichtet ist, der Klägerin ab 01.02.2003 Vergütung nach Vergütungsgruppe VI b BAT zu zahlen. Zur Begründung hat es im Wesentlichen ausgeführt: Auf das Arbeitsverhältnis finde der BAT Anwendung, da es nicht im Beitrittsgebiet begründet worden sei. Wo die Ausbildung absolviert worden ist, sei unerheblich. Ebenso komme es für die Anwendung des BAT nicht darauf an, dass die Klägerin bei er W.- UND S. Mitte aufgrund befristeter Verträge beschäftigt gewesen sei.
Gegen dieses ihr am 25.04.2005 zugestellte Urteil hat die Beklagte mit dem am 02.05.2005 beim Landesarbeitsgericht eingegangenen Schriftsatz Berufung eingelegt und diese am 16.06.2005 begründet.
Sie trägt vor: Mit dem Abschluss des Arbeitsvertrages vom 11.04.2003 sei ein Arbeitsverhältnis im Beitrittsgebiet begründet worden. Eine stillschweigende Entfristung des zuvor bei einem anderen Arbeitgeber bestandenen befristeten Arbeitsverhältnisses habe es nicht gegeben. Für sie habe die Übertragung des Dienstpostens auf die Klägerin unter der Maßgabe gestanden, dass der BAT-O Anwendung finde. Mit der Bewerbung auf die so ausgeschriebene Stelle habe die Klägerin kundgetan, dass sie ein dauerhaftes Arbeitsverhältnis nach BAT-O begründen möchte, welches sie dem nach SR 2 y befristeten Arbeitsverhältnis vorgezogen habe. Bei den W.- UND S. Mitte und Ost handele es sich um unterschiedliche Behörden mit eigenständiger Personalhoheit.
Der Entstehungsgrund für das Arbeitsverhältnis liege im Beitrittsgebiet. Aufgrund der Befristung des vorangegangenen Arbeitsverhältnisses sei kein schutzwürdiges Vertrauen der Klägerin in die weitere Verwendung außerhalb des Beitrittsgebietes begründet worden. Es fehle insbesondere an der Identität der jeweiligen Rechtsverhältnisse. Die Tätigkeit der Klägerin in H. habe für die Auswahlentscheidung keine Rolle gespielt. Ein Sachzusammenhang könne allenfalls mit dem vorangegangenen Ausbildungsverhältnis hergestellt werden.
Die Beklagte beantragt,
das Urteil des Arbeitsgerichts Brandenburg a. d. Havel vom 06.04.2005 - 4 Ca 1911/04 - abzuändern und die Klage abzuweisen.
Die Klägerin beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Sie verteidigt die angefochtene Entscheidung mit Rechtsausführungen.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Parteivorbringens in der Berufungsinstanz wird auf den vorgetragenen Inhalt der gewechselten Schriftsätze nebst Anlagen Bezug genommen.
Entscheidungsgründe:
1. Die gemäß §§ 8 Abs. 2, 64 Abs. 1 statthafte und nach dem Beschwerdewert gemäß § 64 Abs. 2 lit. b) ArbGG zulässige Berufung der Beklagten ist form- und fristgerecht eingelegt und begründet worden, §§ 66 Abs. 1 Satz 1 und 2, 64 Abs. 6 Satz 1, §§ 519, 520 ZPO.
2. In der Sache hat die Berufung keinen Erfolg. Auf das Arbeitsverhältnis der Parteien finden kraft beiderseitiger Tarifbindung die Vorschriften des BAT und nicht die des BAT-O Anwendung, da die Klägerin nicht unter den Geltungsbereich nach § 1 Abs. 1 b) BAT-O fällt.
2.1 Nach der ständigen Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts zu § 1 BAT-O, der sich die Kammer anschließt, ist ein Arbeitsverhältnis in dem in Art. 3 des Einigungsvertrages genannten Gebiet (Beitrittsgebiet) begründet, wenn dort der Grund der Entstehung des Arbeitsverhältnisses liegt und der Bezug zum Beitrittsgebiet gegenwärtig noch besteht. Wird ein Arbeitnehmer für eine Tätigkeit im Beitrittsgebiet eingestellt und dort auf unbestimmte Zeit beschäftigt - maßgeblich ist die Lage des Arbeitsplatzes -, sind diese Voraussetzungen gegeben. In diesem Fall gilt bei einer vorübergehenden Tätigkeit im Geltungsbereich westlichen Tarifrechts der BAT nur für die Dauer dieser Tätigkeit. Bei einer Rückkehr auf einen Arbeitsplatz im Beitrittsgebiet unterfällt das Arbeitsverhältnis wieder dem östlichen Tarifrecht (vgl. insgesamt BAG, Urt. v.18.01.2001 - 6 AZR 530/99 - Rdnr. 12, m.w.N.).
2.2 Bei Anwendung dieser Grundsätze ergibt sich, dass das Arbeitsverhältnis der Parteien nicht im Beitrittsgebiet begründet worden ist.
2.2.1 Von einer Begründung des Arbeitsverhältnisses im Beitrittsgebiet ist nicht bereits deshalb auszugehen, weil die Klägerin dort ihre Ausbildung absolviert hat. Das Ausbildungsverhältnis stellt kein Arbeitsverhältnis im Sinne der Tarifnorm dar, so dass es für die Begründung eines Arbeitsverhältnisses auf die erstmalige Verwendung nach Abschluss des Ausbildungsverhältnisses ankommt (vgl. BAG, Urt. v.10.07.2003 - 6 AZR 348/02). Da die Klägerin ihren ersten Anstellungsvertrag im Geltungsbereich des BAT abgeschlossen und ihre Tätigkeit dort ausgeübt hat, ist sie nicht als "Rückkehrerin" im Sinne der BAG-Rechtsprechung anzusehen.
2.2.2 Die Begründung des Arbeitsverhältnisses ist weder durch die Befristung des ursprünglichen Arbeitsvertrages noch durch nachfolgende vertragliche Vereinbarungen der Parteien entfallen.
2.2.2.1 Für die Frage des Entstehungsgrundes des Arbeitsverhältnisses ist es grundsätzlich unerheblich, ob dieses Arbeitsverhältnis zunächst befristet war wenn die unbefristete Beschäftigung in einem inneren Zusammenhang mit dem befristeten Arbeitsverhältnis steht (vgl. BAG, Urt. v. 18.01.2001 - 6 AZR 530/99). . 2.2.2.2 Vorliegend kann dahingestellt bleiben, wie zu entscheiden gewesen wäre, wenn die Klägerin erst nach Auslaufen ihres befristeten Vertrages mit der W.- UND S. Mitte bei der W. in B. a. d. Havel eingestellt worden wäre. Aufgrund der Versetzung während der Laufzeit des befristeten Vertrages besteht ein - rechtlicher - Zusammenhang, der einer Neubegründung des Arbeitsverhältnisses im Beitrittsgebiet entgegensteht. Auf die Frage, ob die Tätigkeit der Klägerin in H. bei der Auswahlentscheidung eine Rolle gespielt hat, ob also ein faktischer Zusammenhang besteht, kommt es deshalb nicht an.
Mit der einvernehmlichen Versetzung der Klägerin zum 01.02.2003 auf die Stelle beim W. ging die Vereinbarung einer Änderung des Arbeitsvertrages einher. Neben der Veränderung des Arbeitsortes und der Absenkung der Vergütungsgruppe von V c auf VI b ist auch von einer Aufhebung der Befristungsvereinbarung auszugehen. Mit der Versetzung auf den neuen Arbeitsplatz war der Befristungsgrund der Vertretung entfallen. Eine zunächst nur befristete Tätigkeit auf der neuen Stelle war zu keinem Zeitpunkt beabsichtigt. Einer hiernach anzunehmenden konkludenten Veränderung des der Beschäftigung zugrunde liegenden Arbeitsvertrages steht ein Schriftformerfordernis nicht entgegen, da sich diese auf die vertraglichen Hauptpflichten bezieht.
Es ist auch nicht ansatzweise erkennbar, dass die Versetzung nur vorläufigen Charakter haben und vom Abschluss eines neuen Arbeitsvertrages abhängig gemacht werden sollte.
Entgegen der Ansicht der Beklagten war damit auch die Identität des Rechtsverhältnisses gewahrt - das am 27.07.2000 begründete Arbeitsverhältnis wurde - mit geänderten Arbeitsbedingungen - fortgeführt. Dem steht die eigenständige Personalhoheit der jeweiligen W.- UND S. nicht entgegen. Ein Arbeitgeberwechsel hat nicht stattgefunden.
2.2.2.3 Der nachträglichen Unterzeichnung des Arbeitsvertrages vom 16.04.2003 kommt hiernach nur deklaratorische Bedeutung zu. Aufgrund der normativen und zwingen Wirkung der Tarifbestimmungen nach § 4 TVG stellt sich auch nicht die Frage, ob die Geltung des BAT-O hätte vereinbart werden können, wie der Vorbehalt der Klägerin rechtlich einzuordnen ist und ob - wie der Personalrat in seinem Schreiben vom 27.05.2003 behauptet hat - bereits beim Vorstellungsgespräch der BAT als Grundlage angesehen worden war.
2.2.2.4 Angesichts der konkreten Vertragsgestaltung - Versetzung während des noch laufenden Arbeitsverhältnisses statt Neueinstellung nach Ablauf des befristeten Arbeitsverhältnisses bei der W.- UND S. Mitte - kann auch die Argumentation der Beklagten mit dem Schutzzweck der Regelungen zur Abgrenzung des Geltungsbereichs zwischen BAT und BAT-O nicht greifen. Durch die Regelungen haben die Tarifvertragsparteien nicht nur dem Zweck des BAT-O Rechnung getragen, die Schaffung und Erhaltung von Arbeitsplätzen in dem wirtschaftlich schwächer eingeschätzten Beitrittsgebiet zu fördern, sondern auch verhindert, dass Angestellte, deren Arbeitsverhältnisse zunächst ohne jeglichen Bezug zum Beitrittsgebiet entstanden sind, bei einer Umsetzung in das Beitrittsgebiet Arbeitsbedingungen hinzunehmen haben, die für sie ungünstiger sind und mit denen sie zuvor nicht rechnen mussten (BAG, Urt. v. 18.01.2001 - 6 AZR 530/99 - Rdnr. 15). Eines solchen Schutzes bedarf auch ein Angestellter, dessen Arbeitsverhältnis außerhalb des Beitrittsgebietes begründet worden ist, selbst wenn lediglich ein befristeter Arbeitsvertrag der Tätigkeit zugrunde liegt. Der Schutz kann hier nicht auf die - fiktive - Dauer der Befristung beschränkt sein, wie die Beklagte hilfsweise in der letzten mündlichen Verhandlung eingewandt hat. Die Befristung ist im Zusammenhang mit der Versetzung der Klägerin gegenstandslos geworden. Zu diesem Zeitpunkt befand sich die Klägerin in einem Arbeitsverhältnis mit den Arbeitsbedingungen des BAT, auf deren Weitergeltung ein schutzwürdiges Vertrauen bestand. Da es unerheblich ist, auf wessen Initiative es zu einem Wechsel in das Tarifgebiet Ost kommt (vgl. BAG, Urt. v. 10.07.2003 - 6 AZR 348/02), ist vorliegend auch nicht entscheidend, dass die Stelle nach BAT-O ausgeschrieben war. Im Übrigen steht einer Begrenzung der Anwendung des BAT auf den Zeitraum der zuletzt vorgesehenen Vertragslaufzeit auch entgegen, dass ein Ende des Arbeitsverhältnisses ohne Versetzung der Klägerin nicht sicher gewesen wäre. Der Personalrat jedenfalls ging in seinen Stellungnahmen davon aus, dass eine Verlängerung wegen weiteren Vertretungsbedarfs erfolgt wäre.
2.3 Da hiernach die Regelungen des BAT und der ihn ergänzenden Tarifverträge normativ und zwingen auf das Arbeitsverhältnis anzuwenden sind, hat die Beklagte auch die hiernach geschuldete Vergütung zu zahlen, so dass das Arbeitsgericht die entsprechende Feststellung zu Recht getroffen hat.
3. Die Kostenentscheidung beruht auf § 97 Abs. 1 ZPO. Die Kammer hat die Revision wegen grundsätzlicher Bedeutung zugelassen.
Ende der Entscheidung
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