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Beginn der Entscheidung

Gericht: Landesarbeitsgericht Brandenburg
Urteil verkündet am 17.05.2000
Aktenzeichen: 7 Sa 113/00
Rechtsgebiete: BGB, RTV, ZPO


Vorschriften:

BGB § 174
BGB § 174 Satz 2
BGB § 193
RTV § 54
RTV § 27
ZPO § 97
ZPO § 543
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
Landesarbeitsgericht Brandenburg Im Namen des Volkes Urteil

7 Sa 113/00

verkündet am: 17.05.2000

In dem Rechtsstreit

hat die 7. Kammer des Landesarbeitsgerichts Brandenburg auf die mündliche Verhandlung vom 17.05.2000 durch den Vorsitzenden Richter am LAG als Vorsitzenden sowie die ehrenamtliche Richterin und den ehrenamtlichen Richter

für Recht erkannt:

Tenor:

1. Die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des Arbeitsgerichts Cottbus vom 17.01.2000 - 4 Ca 3486/99 - wird auf ihre Kosten zurückgewiesen.

2. Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand:

Die Parteien streiten darüber, ob der Kläger eine dem Grunde und der Höhe nach unstreitige Lohnforderung innerhalb der tariflichen Ausschlussfristen geltend gemacht hat.

Der Kläger war vom 04.01. bis 15.07.1999 bei der Beklagten, die ein Dachdeckerhandwerk betreibt, beschäftigt. Das Arbeitsverhältnis unterlag dem allgemein verbindlichen Rahmentarifvertrag für gewerbliche Arbeitnehmer im Dachdeckerhandwerk - Dach-, Wand- u. Abdichtungstechnik - vom 27.11.1990 i. d. F. vom 26.06.1998 bzw. vom 18.06.1999 (im Folgenden: RTV).

Für die Zeit vom 01.06. bis zum 15.07.1999 entstand ein Vergütungsanspruch in Höhe von 5.280,00 DM brutto, den die Beklagte nicht erfüllte.

Mit Schreiben vom 09.09.1999 machte die IG Bau, deren Mitglied der Kläger ist, gegenüber der Beklagten die Zahlung dieses Betrages geltend, ohne dem Schreiben eine Originalvollmacht beizufügen. Dieses Schreiben ging der Beklagten am 13.09.1999 zu. Mit Telefax vom 21.09.1999 wiesen die Prozessbevollmächtigten der Beklagten die Geltendmachung mangels Vorlage einer Vollmacht zurück. Am 11.10.1999 übersandte daraufhin die IG Bau kommentarlos eine Originalvollmacht des Klägers.

Mit Klage vom 16.11.1999, die am selben Tag beim Arbeitsgericht in Cottbus einging und der Beklagten am 22.11.1999 zugestellt wurde, hat der Kläger den genannten Betrag geltend gemacht.

Er hat die Auffassung vertreten, § 174 BGB finde keine Anwendung, da allgemein bekannt sei, dass die IG Bau aufgrund Satzung berechtigt sei, die wirtschaftlichen Interessen ihrer Mitglieder gegenüber Arbeitgebern zu vertreten.

Der Kläger hat beantragt,

die Beklagte zu verurteilen, an ihn 5.280,00 DM brutto nebst 4 % Zinsen aus dem sich daraus ergebenden Nettobetrag ab 23.11.1999 zu zahlen.

Die Beklagte hat beantragt,

die Klage abzuweisen.

Sie hat die Auffassung vertreten, der Kläger habe die tarifliche Ausschlussfrist nicht gewahrt.

Wegen des weiteren Vorbringens der Parteien in der ersten Instanz wird auf den Tatbestand des angefochtenen Urteils Bezug genommen.

Mit Urteil vom 17.01.2000 hat das Arbeitsgericht Cottbus der Klage stattgegeben und den Wert des Streitgegenstandes auf 5.280,00 DM festgesetzt.

Gegen das ihr am 07.02.2000 zugestellt Urteil hat die Beklagte am 29.02.2000 Berufung eingelegt und diese am 29.03.2000 begründet.

Sie trägt vor: Die vom Arbeitsgericht Cottbus als zu lang angesehene Frist der Rüge der fehlenden Vollmacht von 8 Tagen befinde sich im Rahmen mit 2 Wochen anzunehmenden ausreichenden Überlegungsfrist, die § 174 BGB einer rechtsunkundigen Person zugestehe. Der Beklagten könne auch nicht der Vorwurf gemacht werden, sie habe die Rügefrist bewusst "ausgereizt", um sich einen rechtlichen Vorteil zu verschaffen. Denn der Kläger habe erst am letzten Tag der tariflichen Ausschlussfrist seinen Vergütungsanspruch geltend gemacht, so dass auch bei einer sofortigen Rüge eine ordnungsgemäße Geltendmachung nicht mehr hätte erfolgen können.

Die Beklagte beantragt,

das Urteil des Arbeitsgerichts Cottbus vom 17.01.2000 - 4 Ca 3486/99 - abzuändern und die Klage abzuweisen.

Der Kläger beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Er vertritt die Auffassung, § 174 BGB finde auf die Geltendmachung i. S. einer tariflichen Ausschlussklausel keine Anwendung, da die Geltendmachung keine Willenserklärung sei. Im Übrigen habe die Beklagte die Geltendmachung nicht unverzüglich zurückgewiesen, da die Einholung rechtskundigen Rates sobald als möglich zu erfolgen habe und eine pauschale Überlegungsfrist von 2 Wochen mit dem Gesetz nicht vereinbar sei.

Wegen des weiteren Vorbringens der Parteien im Einzelnen wird auf die gewechselten Schriftsätze nebst Anlagen, die Gegenstand der mündlichen Verhandlung waren, Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

I.

Die Berufung ist zulässig. Sie ist statthaft, nach dem Beschwerdewert zulässig sowie form- und fristgerecht eingelegt und begründet worden.

II.

Die Berufung ist jedoch nicht begründet. Die dem Grunde und der Höhe nach unstreitige Forderung des Klägers ist nicht erloschen. Der Kläger hat die Forderung rechtzeitig und ordnungsgemäß innerhalb der tariflichen Ausschlussfrist geltend gemacht.

1. § 54 RTV lautet:

"1. Beiderseitige Ansprüche aus dem Arbeitsverhältnis und solche, die mit dem Arbeitsverhältnis in Verbindung stehen, verfallen, wenn sie nicht innerhalb von 2 Monaten nach der Fälligkeit gegenüber der anderen Vertragspartei schriftlich geltend gemacht werden.

2. Lehnt die Gegenpartei den schriftlich geltend gemachten Anspruch ab oder erklärt sie sich nicht innerhalb von 2 Wochen nach der Geltendmachung des Anspruchs, so verfällt dieser, wenn er nicht innerhalb von 2 Monaten nach der Ablehnung oder den Fristablauf schriftlich geltend gemacht wird."

§ 27 RTV lautet:

"Der Arbeitslohn wird grundsätzlich im Einvernehmen mit dem Betriebsrat monatlich bargeldlos gezahlt. In diesem Falle ist der Lohn auf das von dem Arbeitnehmer benannten Konto so rechtzeitig zu überweisen, dass der Arbeitnehmer spätestens am 10. Werktag des folgenden Monats über den überwiesenen Betrag verfügen kann.

..."

2. Der Kläger hat die 1. Stufe der tariflichen Ausschlussfrist durch das Geltendmachungsschreiben vom 09.09.1999, das der Beklagten am 13.09.1999 zuging, rechtzeitig geltend gemacht. Das Arbeitsgericht hat zutreffend entschieden, dass § 27 RTV die Fälligkeit der Vergütungszahlung regelt und dass die Frist zur Geltendmachung gemäß § 54 RTV hinsichtlich der Vergütung für Juni 1999 am 12.07.1999 begann. Sie endete gemäß § 193 BGB am Montag, dem 13.09.1999. Wegen der Einzelheiten nimmt die Berufungskammer Bezug auf die zutreffenden Ausführungen des arbeitsgerichtlichen Urteils unter II. 1. und 2. der Entscheidungsgründe, § 543 ZPO. Hiergegen wendet sich die Berufung auch nicht.

3. Die Zurückweisung der Geltendmachung durch die Beklagte wegen fehlender Vorlage der Vollmacht greift nicht durch, da es jedenfalls der Vorlage gemäß § 174 Satz 2 BGB nicht bedurfte.

a) Gemäß § 174 Satz 2 BGB ist eine Zurückweisung ausgeschlossen, wenn der Vollmachtgeber den Anderen von der Bevollmächtigung in Kenntnis gesetzt hat. Der Erklärungsempfänger soll nach § 174 BGB nur dann zur Zurückweisung der Erklärung befugt sein, wenn er keine Gewissheit hat, ob der Erklärende wirklich bevollmächtigt ist und der Vertretene die Erklärung gegen sich gelten lassen muss (vgl. BAG 29.10.1992 AP BGB § 174 Nr. 10 für den Fall der Kündigung). Dies ergibt sich" auch aus den Motiven zum BGB (Motive zum BGB I, Seite 240, § 122 Entwurf des BGB). Darin wird zur Begründung der Regelung ausgeführt, wenn jemand ein einseitiges Rechtsgeschäft gegenüber einem Beteiligten als Bevollmächtigter im Namen eines Anderen vornehme, ohne sich über die erteilte Vollmacht auszuweisen, gerate der Beteiligte insofern in eine ungünstige Lage, als er keine Gewissheit darüber habe, ob das Rechtsgeschäft von einem wirklich Bevollmächtigten ausgehe und der Vertretene dasselbe gegen bzw. für sich gelten lassen müsse.

Eine solche Ungewissheit, ob der Erklärende wirklich bevollmächtigt war und der Vertretene diese Erklärung gegen sich gelten lassen muss, kann dann nicht bestehen, wenn der Gläubiger den Schuldner allgemein darüber in Kenntnis gesetzt hat, dass eine bestimmte Person oder Institution zu derartigen Erklärungen bevollmächtigt ist. Im Falle einer Kündigung kann dies dadurch geschehen, dass ein Mitarbeiter in eine Stellung berufen wird, mit der das Kündigungsrecht regelmäßig verbunden wird (vgl. BAG 30.05.1972 AP BGB § 174 Nr. 1; BAG 06.02.1997 AP BGB § 620 Kündigungserklärung Nr. 10). Stets ist auf der Grundlage der Umstände des Einzelfalles festzustellen, wie sich die Position des Erklärenden für einen objektiven Betrachter darstellt, ob also mit einer derartigen Stellung z. B. die Kündigungsbefugnis verbunden zu sein pflegt (BAG 20.08.1997 AP BGB § 620 Kündigungserklärung Nr. 11).

b) Nach diesen Grundsätzen konnte aufgrund der Besonderheiten im Entscheidungsfall bei der Beklagten eine Ungewissheit darüber, ob die IG Bau wirklich bevollmächtigt war und der Kläger die Geltendmachung durch die IG Bau für und gegen sich gelten lassen musste, nicht bestehen.

Die Beklagte hat von Anfang an keinen Zweifel daran geäußert, dass der Kläger Mitglied der IG Bau war.

Den am Arbeitsleben Beteiligten ist regelmäßig bekannt, dass Gewerkschaften nach ihrem Selbstverständnis und satzungsgemäß verpflichtet sind, die Interessen ihrer Mitglieder wahrzunehmen, und dass sie zu diesem Zwecke Rechtsschutz gerichtlich und außergerichtlich gewähren und Ansprüche für ihre Mitglieder geltend machen. Auf Einzelheiten der Satzungen sowie auf die Ausgestaltung der Gewährung des gerichtlichen Rechtsschutzes im Einzelnen kommt es dabei nicht an. Die Beklagte hat auch nicht behauptet, dass ihr diese Stellung und Aufgabe der Gewerkschaften im Allgemeinen und der IG Bau im Besonderen nicht bekannt gewesen seien. Besondere Umstände, aufgrund derer sie daran Zweifel haben konnte, ob die Geltendmachung von einem wirklich Bevollmächtigten vorgenommen worden war, hat die Beklagte nicht dargetan. Auch aufgrund der sonstigen Umstände des Einzelfalles musste für die Beklagte feststehen, dass die IG Bau nicht ohne Vollmacht des Klägers gehandelt haben konnte. Insbesondere die Details in dem Geltendmachungsschreiben konnten nur von dem Kläger selbst stammen.

Dass die Beklagte selbst im konkreten Fall der Geltendmachung durch das Schreiben vom 09.09.1999 keinerlei Zweifel an der Bevollmächtigung der IG Bau hatte, hat sie im Schriftsatz v. 28.03.2000 eingeräumt; erst ihr Prozessbevollmächtigter erkannte die Möglichkeit, die begründete Forderung des Klägers durch die Rüge der nicht vorgelegten Vollmacht zu Fall zu bringen.

4. Auf die Fragen, ob die Beklagte die Geltendmachung unverzüglich zurückgewiesen hat und ob § 174 BGB auf die Geltendmachung innerhalb einer tariflichen Ausschlussfrist überhaupt anzuwenden ist, kommt es daher nicht an.

III.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 97 ZPO.

IV.

Die Voraussetzungen für die Zulassung der Revision lagen nicht vor.

Die Entscheidung ist am Einzelfall orientiert.

Ende der Entscheidung

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