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Beginn der Entscheidung

Gericht: Landesarbeitsgericht Bremen
Beschluss verkündet am 04.04.2003
Aktenzeichen: 2 Ta 20/03
Rechtsgebiete: BGB, ZPO


Vorschriften:

BGB § 242
BGB § 315
BGB § 611
ZPO § 935
ZPO § 940
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
Landesarbeitsgericht Bremen BESCHLUSS

Aktenzeichen: 2 Ta 20/03

Bremen, den 04.04.2003

In dem einstweiligen Verfügungsverfahren

Tenor:

In Abänderung des Beschlusses des Arbeitsgerichts Bremen vom 03.04.2003 - Az. 2 Ga 37/03 - wird der Antragsgegnerin aufgegeben, den Antragsteller am 07.04.2003 in der Zeit von 07.00 Uhr bis 15.45 Uhr die Teilnahme der Sitzung des Ortsvorstands der IG Metall Bremen von der Arbeitsleistung zu gestatten.

Die Kosten des Verfahrens trägt die Antragsgegnerin.

Gründe:

I.

Der Antragsteller ist bei der Antragsgegnerin seit dem 02.09.1985 als Heizungs- und Lüftungsbauer beschäftigt. Er ist Mitglied im Ortsvorstand der IG Metall Bremen, er ist gleichzeitig ordnungsgemäß gewählter Vizepräsident der Handwerkskammer Bremen und Altgeselle der Innung und nimmt in diesen Funktionen diverse Aufgaben war. In seiner Funktion als Altgeselle hat er den Vorsitz des Gesellenausschusses der Innung Sanitär/Heizung/Klima inne.

Zu Beginn des jeweiligen Kalenderjahres werden vom Ortsvorstand der IG Metall Bremen die monatlichen Termine der Sitzungen des Ortsvorstandes für das Kalenderjahr festgelegt. Üblicherweise finden die Sitzungen am ersten Montag eines Monats statt. Die jeweiligen Einladungen werden dann ca. 1 Woche vor der Sitzung von der IG Metall Bremen verschickt. Die Einladung für die Ortsvorstandssitzung am 07.04.2003 erfolgte mit Schreiben vom 01.04.2003.

Aufgrund der Jahresplanung für die Ortsvorstandssitzung hatte der Antragsteller mit Telefaxschreiben vom 01.03.2003 seine Freistellung von der Arbeitsleistung am 07.04.2003, am 05.05.2003 und 02.06.2003 beantragt.

Mit Fax vom 05.03.2003 lehnte die Beklagte die Freistellung vorerst mit der Begründung ab, zum heutigen Zeitpunkt sei eine Einschätzung über evtl. betriebliche Notwendigkeiten nicht möglich. Über die Möglichkeiten einer Freistellung sei zeitnah vor den jeweiligen Terminen zu entscheiden. Im positiven Falle erhalte der Antragsteller unaufgefordert Nachricht.

Die Prozessbevollmächtigte des Antragstellers hat in der 13. Kalenderwoche mit dem Bevollmächtigten der Antragsgegnerin, Herrn von H. , vom Arbeitgeberverband Handwerk Bremen versucht, eine außergerichtliche Einigung bezüglich der Freistellung insbesondere zum 07.04.2003 zu erzielen. Anläßlich eines Gütetermins vom 01.04.2003 in einen zwischen den Parteien anhängigen weiteren Rechtsstreit wurde vom Prozessbevollmächtigten der Antragsgegnerin mitgeteilt, dass der Antragsteller für die Sitzungen des Ortsvorstandes der IG Metall Bremen nicht von der Arbeit freigestellt werde, die Antragsgegnerin möchte die Frage gerichtlich geklärt haben. Betriebliche Gründe wurden dabei nicht genannt.

Der Antragsteller sieht durch die verweigerte Freistellung das in Art. 9 Abs. 3 GG garantierte Recht der Koalitionsfreiheit, das auch das Recht des Einzelnen umfasse, sich koaliationsmäßig zu betätigen und am Koalitionsleben teilzunehmen verletzt.

Dem Antrag waren den Sachvortrag detailliert bestätigende eidesstattliche Versicherungen beigefügt.

Das Arbeitsgericht Bremen hat am 03.04.2003 - Az. 2 Ga 37/03 - den Antrag kostenpflichtig durch Beschluss ohne mündliche Verhandlung zurückgewiesen.

Zur Begründung hat es ausgeführt, dem Antragsteller sei seit Beginn des Jahres bekannt, an welchen Tagen im Jahre 2003 die Sitzungen des Ortsvorstandes der IG Metall Bremen stattfänden. Es wäre deshalb Sache des Antragstellers gewesen, sofort nach Festlegung dieser Termine die Antragsgegnerin zu informieren und die Freistellung dieser Tage zu beantragen. Er hätte dann eine erstinstanzliche Entscheidung im Hauptsacheverfahren erreichen können. Die Eilbedürftigkeit sei mithin selbst herbeigeführt. Dies führe zur Zurückweisung des Antrages.

Hingegen diesen Beschluss legte der Antragsteller sofortige Beschwerde mit Schriftsatz vom 04.04.2003 ein.

Das Arbeitsgericht Bremen half mit Beschluss vom 04.04.2003 der sofortigen Beschwerde nicht ab und legte sie zur Entscheidung dem Landesarbeitsgericht Bremen vor.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Vorbringens des Antragstellers wird auf den Inhalt der Antrags- und Beschwerdeschrift nebst den beigefügten eidesstattlichen Versicherungen des Antragstellers und seiner Prozessbevollmächtigten verwiesen.

II.

1. Die Beschwerde ist statthaft, sie ist form- und fristgerecht eingelegt worden und somit insgesamt zulässig.

2. Die Beschwerde ist auch begründet.

a) Es besteht ein Verfügungsgrund.

Wenn der Antragsteller ohne Freistellung durch den Arbeitgeber trotz dessen ausdrückliche Erklärung, er wolle Freistellung nicht gewähren, der Arbeit fernbleibt, so kann dies als Arbeitsvertragsverletzung - eigenmächtige Urlaubsnahme - gewertet werden, mit der Folge, dass die Antragsgegnerin berechtigt ist, arbeitsrechtliche Konsequenzen zu ergreifen. Aus der Rechtsprechung des BAG zur eigenmächtigen Urlaubsnahme kann abgeleitet werden, dass sich die Verletzung der arbeitsvertraglichen Pflichten nicht dadurch relativiert, dass hinterher festgestellt wird, der Arbeitgeber wäre verpflichtet gewesen, freizustellen.

Aus dem Sachvortrag des Antragstellers und den beigefügten eidesstattlichen Versicherungen ist nicht ersichtlich, dass die Eilbedürftigkeit durch den Antragsteller schuldhaft herbeigeführt worden ist. Die Mitteilung der Termine für die Monate April bis Juni am Anfang März 2003 hat der Antragsgegnerin ausreichend Zeit gegeben, sich auf die vom Antragsteller wahrzunehmenden Termine im Rahmen seiner Funktion als Mitglied des Ortsvorstandes der IG Metall Bremen einzustellen. Deren Mitteilung, sie könne sich jetzt noch nicht entscheiden, zwingt nicht dazu, ein gerichtliches Verfahren einzuleiten. Die Bemühungen um eine außergerichtliche Einigung sind insoweit vorrangig, weil sie das Arbeitsverhältnis weniger belasten als eine weitere Klage, die zumindest was die späteren Termine im Jahr angeht, der ggf. im Einzelfall vorzunehmende Abwägung der berechtigen Bedürfnisses des Antragstellers, an den Vorstandssitzungen teilzunehmen und der betrieblichen Erfordernisse nicht Rechnung tragen kann.

b) Es besteht ebenfalls ein Verfügungsanspruch.

Zwar enthält weder das BGB noch der MTV für Lohnempfänger im Sanitär/Heizungs- und Klimabereich in Bremen eine ausdrückliche Regelung über Ansprüche auf unbezahlte Freistellung, wie sie vom Antragsteller geltend gemacht werden. Er kann jedoch aus Art. 9 Abs. 3 GG in Verbindung mit allgemeinen Rechtsgrundsätzen über die wechselseitige Rücksichtnahme im Arbeitsverhältnis abgeleitet werden. So hat das LAG Köln in seiner Entscheidung vom 11.01.1990 (Az. 8 Sa 1020/89 = LAGE BGB § 611, 20 Fürsorgepflicht) den Anspruch auf Teilnahme am Gewerksschaftstag eines Delegierten aus § 242 BGB abgeleitet, aus dem allgemein ein Anspruch auf Fürsorge im Arbeitsverhältnis hergeleitet wird.

Ein derartiger Anspruch ergibt sich hier aus dem Umstand, dass der Kläger wegen seiner ehrenamtlichen Verpflichtungen in einen Konflikt gerät zwischen den Zwängen, die dieses Amt mit sich bringt und seinen arbeitsvertraglichen Pflichten. Ist eine derartige Konfliktsituation für den Arbeitnehmer nicht aus eigener Kraft lösbar - dieses ist hier der Fall, weil er die Termine für die Ortsvorstandssitzung nicht festlegen kann -, so ist der Arbeitgeber gehalten, im Rahmen des Möglichen dazu beizutragen, dass diese Konfliktlage aufgelöst wird. Er kann dies in unterschiedlicher Form tun. Etwa durch Freistellung, wie sie vom Antragsteller verlangt wird oder durch eine Vereinbarung mit dem Arbeitnehmer darüber, wann und wie etwa ausgefallene Arbeitszeit nachgeholt wird; auch denkbar ist, dass eine Vereinbarung über die Anrechnung von Urlaub abgeschlossen wird oder ähnliches. Zumindest ist zu verlangen, dass der Arbeitgeber in einer derartigen Situation ihm, sollte er aus nachvollziehbaren betrieblichen Gründen gehindert sein, dem Antragsteller die Teilnahme an der Ortsvorstandssitzung zu ermöglichen, die Gründe hierfür mitteilt. Dies ist, wie sich aus der eidesstattlichen Versicherung der Prozessbevollmächtigten des Antragstellers ergibt, nicht erfolgt. Bei der im Rahmen der Festlegung aus der Fürsorgepflicht des Arbeitgebers abgeleiteter konkreter Verhaltenspflichten vorzunehmenden Interessenabwägung ist Art. 9 Abs. 3 GG angemessen zu berücksichtigen.

Einer vom Antragsteller beantragten Klarstellung, dass die Freistellung ohne Fortzahlung der Bezüge erfolgen solle, bedurfte es im Rahmen einer einstweiligen Verfügung nicht. Es bleibt den Parteien vorbehalten, sich darüber zu vereinbaren, wie der Arbeitsausfall zu bewerten ist. Eine derartige generelle Vereinbarung scheint schon deswegen geboten, weil es bereits gerichtliche Verfahren wegen ähnlicher Verpflichtungen des Klägers gegeben hat. Mit diesem Beschluss kann einer solchen Regelung nicht vorgegriffen werden.

Die Entscheidung beruht auf den §§ 935, 940 ZPO, §§ 242,315, 611 BGB sowie Art. 9 Abs. 3 GG.

III.

Die Kostenentscheidung erfolgt aus § 91 ZPO.

Ende der Entscheidung

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