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Beginn der Entscheidung

Gericht: Landesarbeitsgericht Bremen
Beschluss verkündet am 05.09.2008
Aktenzeichen: 4 Sa 110/08
Rechtsgebiete: KSchG, BetrVG


Vorschriften:

KSchG § 15
BetrVG § 25
1. Prozesskostenhilfe ist für die Berufungsinstanz dann nicht zu gewähren, wenn ein Rechtsmittel nur auf Grund neuen Vorbringens, das der Rechtsmittelführer auch in der Vorinstanz hätte geltend machen können, Aussicht auf Erfolg hat.

2. Macht ein Kläger den "Sonderkündigungsschutz" nach § 15 KSchG geltend, ist er darlegungs- und beweispflichtig dafür, dass die Vorraussetzungen dieser Vorschrift gegeben sind. Behauptet der klagende Arbeitnehmer, er habe als Ersatzmitglied an einer Sitzung des Betriebsrates teilgenommen und wird diese Tatsache vom Arbeitgeber substantiiert bestritten, muss der Kläger im Einzelnen darlegen, dass er unter Berücksichtigung der Vorschrift des § 25 BetrVG als Ersatzmitglied des Betriebsrates zu Recht herangezogen wurde. Dies gilt insbesondere dann, wenn nach dem eigenen Vortrag des Klägers an der Sitzung mehr als die erforderliche Anzahl von Ersatzmitgliedern teilgenommen haben (im vorliegenden Fall bei einem 5-köpfigen Betriebsrat 2 ordentliche und 4 Ersatzmitglieder).


LANDESARBEITSGERICHT BREMEN BESCHLUSS

4 Sa 110/08

In dem Rechtsstreit

Tenor:

Dem Kläger wird die Prozesskostenhilfe für die Berufungsinstanz verweigert. Ein Rechtsmittel gegen diesen Beschluss ist nicht gegeben.

Gründe:

I.

Die Parteien streiten um die Wirksamkeit einer fristgemäßen Kündigung und in diesem Zusammenhang insbesondere, ob der Kläger zum Kündigungszeitpunkt unter den Schutz des § 15 KSchG fiel.

Der am ... geborene, verheiratete und drei Kindern unterhaltspflichtige Kläger ist seit dem 01.09.2002 bei der Beklagten als Elektriker und Haustechniker zu einem monatlichen Entgelt in Höhe vom 1.750,00 € brutto beschäftigt. Die Beklagte betreibt ein Unternehmen im Bereich Metalltechnik und beschäftigt etwa 70 Arbeitnehmer. Ein Betriebsrat bestand zum Zeitpunkt der hier streitbefangenen Kündigung nicht mehr.

Bereits mehrfach zuvor hatte die Beklagte das Arbeitsverhältnis kündigen wollen, zuletzt mit Kündigung vom 31.05.2007, die Kündigung nach Erhebung der Kündigungsschutzklage unter dem Aktenzeichen 2 Ca 2180/07 jedoch zurück genommen und den Kläger weiter beschäftigt.

Unter dem Datum vom 6.11.2007 kündigte die Beklagte das Arbeitsverhältnis erneut zum 31.12.2007 aus verhaltensbedingten Gründen. Sie erklärte in der Güteverhandlung, die Kündigungsfrist sei fehlerhaft berechnet worden, so dass das Enddatum der 31.01.2008 sei. Das Arbeitsverhältnis wurde bis zu diesem Zeitpunkt durchgeführt. Nachdem der Kläger durchgehend seit dem 30.10.2007 seinem Arbeitsplatz unentschuldigt fern geblieben war, was die Beklagte zum Anlass für die vorliegende Kündigung nahm, arbeitete er vom 19.12. 2007 bis Ende Januar 2008.

Im Februar 2007 wurde bei der Beklagten ein Wahlvorstand zur Durchführung einer Betriebsratswahl gebildet, dessen Vorsitzender der Kläger war. In dem bereits - bis zum 31.05.2007 - bestehenden fünfköpfigen Betriebsrat war der Kläger fünftes Ersatzmitglied. Am 01.02.2007 fand nach Auffassung des Klägers eine Betriebsratssitzung statt, bei der streitig ist, ob es sich um eine ordnungsgemäß einberufene Betriebsratssitzung handelte. Unstreitig war der Kläger in diesem Termin anwesend.

Gegen die streitbefangene Kündigung wendet sich der Kläger mit der Klage vom 23.11. 2007, beim Arbeitsgericht Bremen - Bremerhaven eingegangen am 26.11.2007.

Der Kläger hat die Auffassung vertreten, ihm stehe für den Kündigungszeitpunkt der Schutz des § 15 KSchG zu, weil er als Ersatzmitglied tätig gewesen sei und in dieser Eigenschaft an der Betriebsratssitzung im Februar 2007 teilgenommen habe. Es habe sich um eine Betriebsratssitzung im Sinne vom § 16 BetrVG gehandelt, die unter anderem dem Zweck gedient habe, den Wahlvorstand für die anstehenden Betriebsratswahlen zu bestellen.

Der Kläger hat beantragt,

festzustellen, das die Kündigung der Beklagten vom 06.11.2007 zum 31.01.2008 unwirksam ist und das Arbeitsverhältnis zwischen den Parteien zu unveränderten Bedingungen fortbesteht.

Die Beklagte hat beantragt,

die Klage abzuweisen.

Die Beklagte hat die Auffassung vertreten, das Arbeitsverhältnis zwischen den Parteien ende auf Grund der Kündigung vom 06.11.2007 wegen unentschuldigten Fehlens aus verhaltensbedingten Gründen zum 31.01.2008. Der Kläger sei bereits mehrfach unentschuldigt dem Arbeitsplatz fern geblieben und habe dafür mehrere Abmahnungen erhalten - insoweit unstreitig -.

Die Beklagte hat weiter vorgetragen, der Kläger habe letztmalig am 12.07.2006 als Ersatzmitglied an einer Betriebsratssitzung teilgenommen, so dass sein Sonderkündigungsschutz nach § 15 Abs. 1 KSchG ein Jahr später geendet habe. Der Kläger habe als Bewerber für den zu bildenden Wahlvorstand an der Sitzung teilgenommen und nicht als Ersatzmitglied. Die Beklagte legt eine Bestätigung des Betriebsratsvorsitzenden über die ordnungsgemäße Besetzung des Betriebsrates ohne Ersatzmitglieder an jener Sitzung vom 01.02.2007 vor (Bl. 30 d. A.).

Das Arbeitsgericht Bremen-Bremerhaven hat in der Güteverhandlung dem Kläger aufgegeben zum Zeitpunkt der letzten Betriebsratstätigkeit unter Beweisantritt vorzutragen.

Es hat sodann folgendes Urteil verkündet:

1. Die Klage wird abgewiesen.

2. Der Kläger trägt die Kosten des Rechtsstreits.

3. Der Wert des Streitgegenstandes wird auf 5.250,00 € festgesetzt.

Zur Begründung hat das Arbeitsgericht ausgeführt, durch die zahlreichen unentschuldigten Fehlzeiten habe der Kläger Grund für die Kündigung gegeben. Der Sonderkündigungsschutz des § 15 KSchG habe dem Kläger nicht zugestanden, da er nicht als Ersatzmitglied an der Betriebsratssitzung teilgenommen habe. Er sei für das Vorliegen der Voraussetzungen des § 15 KSchG darlegungs- und beweispflichtig. Er habe weder zu seiner Funktion substantiiert vorgetragen, in derer an der Sitzung teilgenommen habe, auch sei nichts zur ordnungsgemäßen Besetzung des Betriebsrats gesagt worden.

Dieses Urteil wurde dem Kläger am 30. Mai 2008 zugestellt. Der Kläger hat mit einem am 27. Juni 2008 eingegangen Schriftsatz Berufung eingelegt und diese mit einem am 29. Juli 2008 eingegangen Schriftsatz begründet.

Der Kläger hat folgenden Antrag angekündigt:

Unter Aufhebung des Urteils erster Instanz festzustellen, dass die Kündigung der Beklagten vom 06.11.2007 unwirksam ist und das Arbeitsverhältnis zwischen den Parteien zu unveränderten Bedingungen fortbesteht und für die Durchführung der Berufung Prozesskostenhilfe beantragt.

Der Kläger trägt zur Begründung vor, er habe von Anfang des Prozesses an behauptet, dass er als Ersatzmitglied an der Sitzung teilgenommen habe. Die Beklagte habe innerhalb der vom Gericht gesetzten Frist lediglich behauptet, der Kläger habe an dieser Sitzung überhaupt nicht teilgenommen. Erst mit Schriftsatz vom 27.03.2008 habe die Beklagte erstmals behauptet, der Kläger habe an dieser Sitzung lediglich als Bewerber zum Wahlvorstand teilgenommen. Deshalb habe der Kläger nicht rechtzeitig Beweis antreten können; auch sei kein entsprechender Hinweis gegeben worden. Der Betriebsrat der Beklagten habe aus fünf ordentlichen und drei Ersatzmitgliedern bestanden. Am 01.02. seien lediglich drei ordentliche Betriebsratsmitglieder vor Ort gewesen, so dass eine ordnungsgemäße Besetzung des Betriebsrats nicht gewährleistet gewesen sei. An dieser Sitzung hätten sodann tatsächlich sechs Mitglieder teilgenommen. Der Kläger habe an dieser Sitzung als Ersatzmitglied des Betriebsrats teilgenommen.

Die Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Bei der Sitzung vom 01.02. habe es sich nicht um eine "echte Betriebsratssitzung" gehandelt, sondern um eine Zusammenkunft früherer Betriebsratsmitglieder und Bewerber zum Wahlvorstand für eine neue Betriebsratswahl. Der Betriebsrat habe sich bereits am 29.06.2006 aufgelöst. Vereinbart worden sei, dass ein neuer Betriebsrat gebildet wird. Der Kläger habe nicht in seiner Funktion als Ersatzmitglied, sondern als Wahlbewerber an der Sitzung teilgenommen. Die Sitzung sei auch nicht vom Vorsitzenden einberufen worden.

II.

Der Antrag auf Prozesskostenhilfe ist zurückzuweisen.

Gemäß 114 ZPO erhält eine Partei, die nach ihren persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnissen die Kosten der Prozessführung nicht, nur zum Teil oder nur in Raten aufbringen kann, auf Antrag Prozesskostenhilfe, wenn die beabsichtigte Rechtsverfolgung oder Rechtsverteidigung hinreichende Aussicht auf Erfolg bietet und nicht mutwillig erscheint. Gemäß § 119 Abs. 1 ZPO erfolgt die Bewilligung der Prozesskostenhilfe für jeden Rechtszug gesondert. Für die Gewährung von Prozesskostenhilfe des Rechtsmittelführers ist erforderlich, dass das Rechtsmittel Aussicht auf Erfolg hat und nicht mutwillig erscheint.

1. Prozesskostenhilfe ist jedoch immer dann nicht zu gewähren, wenn ein Rechtsmittel nur auf Grund neuen Vorbringens, das der Rechtsmittelführer auch in der Vorinstanz hätte geltend machen können, Aussicht auf Erfolg hat (vgl. LAG Bremen, Beschluss vom 25.07.2008 - 1 Sa 27/08; Zöller/Philippi, ZPO, 24. Aufl., § 119, Rdnr. 54; Baumbach/Lauterbach/Albers/Hartmann, ZPO, 64. Aufl., § 119 ZPO, Rdnr. 62 jeweils mit weiteren Nachweisen). In einem solchen Fall ist die Rechtsverfolgung in der Rechtsmittelinstanz mutwillig, denn diese hätte bei sorgfältiger Prozessführung vermieden werden können. Dies entspricht auch § 97 Abs. 2 ZPO, wonach der obsiegende Rechtsmittelführer in einem solchen Fall die Kosten des Rechtsmittelverfahrens zu tragen hat.

Auf der Grundlage des erstinstanzlichen Vortrags hat das Arbeitsgericht zu Recht die Klage abgewiesen.

Der Kläger hat nicht im Einzelnen substantiiert vorgetragen, dass er als Ersatzmitglied an einer Betriebsratssitzung im Februar 2007 teilgenommen hat. Zu Recht hat das Arbeitsgericht auch darauf hingewiesen, dass für diese Tatsache der Kläger darlegungs- und beweispflichtig ist (vgl. dazu BAG Urteil vom 12.02.2004, AP Nr. 1 zu § 15 KSchG 1969 "Ersatzmitglied"). Ein Beweisantritt ist schon gar nicht in der ersten Instanz erfolgt. Der Kläger irrt auch, wenn er meint, die Beklagte habe innerhalb der vom Gericht gesetzten Frist lediglich behauptet, der Kläger habe an der Sitzung des Betriebsrats vom 01.02.2007 nicht teilgenommen. Bereits im Schriftsatz vom 10. Januar 2008 hat die Beklagte vorgetragen "Der Kläger genoss keinen Sonderkündigungsschutz. Der Kläger war der 5. Nachrücker im Betriebsrat. Seine letzte Tätigkeit im Betriebsrat hat der Kläger am 12.07.2006 ausgeübt.". Und im Schriftsatz vom 16. Januar 2008 hat die Beklagte vorgetragen "Es ist keineswegs unstreitig, dass der Kläger in seiner Eigenschaft als 5. Ersatzmitglied des Betriebsrats an einer Betriebsratssitzung im Februar 2007 teilgenommen hat, richtig ist zwar, dass im Februar 2007 der Wahlvorstand im Sinne von § 16 BetrVG gebildet wurde, der Kläger war Bewerber zum Wahlvorstand, an der Sitzung gemäß § 16 BetrVG hat der Kläger in seiner Eigenschaft als Betriebsratsmitglied oder Ersatzmitglied des Betriebsrats jedoch nicht teilgenommen. Herr S. hat ausdrücklich erklärt, dass im Februar 2007 auch überhaupt keine Veranlassung bestand, den Kläger in seiner Eigenschaft als Ersatzmitglied des Betriebsrats bzw. Betriebsratsmitglied teilnehmen zu lassen, da der Betriebsrat vollständig und ordnungsgemäß besetzt war. Dementsprechend hat der Kläger auch auf der Teilnehmerliste nicht als Mitglied bzw. Ersatzmitglied des Betriebsrats unterschrieben.". Die Beklagte hat also sehr wohl lange vor dem Termin zur streitigen Verhandlung darauf hingewiesen, dass der Kläger zwar an der Sitzung teilgenommen habe, aber nicht in der Eigenschaft als Betriebsratsmitglied. Von daher hatte der Kläger allen Anlass der ihm erteilten Auflage im Termin vom 18. Dezember 2007 Folge zu leisten, wenn, wie der Kläger selbst im Schriftsatz vom 08.01.2008 mitteilt, handelt es sich nämlich bei der Frage, ob für den Kläger gemäß § 15 KSchG ein absoluter Kündigungsschutz besteht, "um das "eigentlich Rechtsproblem, das nach dem eigenen Vortrag des Klägers auch im Termin vom 18.12.2007 vor dem Arbeitsgericht diskutiert wurde, so dass es außer der Auflage keines weiteren Hinweises des Gerichtes bedurfte.

2. Der Kläger hat auch in der Berufungsinstanz nicht schlüssig dargelegt, dass er als Ersatzmitglied an der Sitzung teilgenommen hat. Der Kläger hat vorgetragen: "Der Betriebsrat der Beklagten bestand aus fünf ordentlichen und drei Ersatzmitgliedern. Am 01.02. waren lediglich drei ordentliche Betriebsratsmitglieder vor Ort, so dass eine ordnungsgemäße Besetzung des Betriebsrats gar nicht gewährleistet war. An dieser Sitzung haben sodann tatsächlich sechs Mitglieder teilgenommen, nämlich - Es folgen sechs Namen -. Der Kläger selbst hat an dieser Sitzung als Ersatzmitglied des Betriebs teilgenommen.".

Der Kläger hätte im Einzelnen darlegen müssen, dass die Voraussetzungen des § 25 BetrVG erfüllt sind. Nach dieser Vorschrift werden Ersatzmitglieder unter Berücksichtigung des § 15 Abs. 2 BetrVG der Reihe nach aus den nicht gewählten Arbeitnehmern derjenigen Vorschlagslisten entnommen, denen die zu ersetzenden Mitglieder angehören. Ist eine Vorschlagsliste erschöpft, so ist das Ersatzmitglied derjenigen Vorschlagsliste zu entnehmen, auf die nach den Grundsätzen der Verhältniswahl der nächste Sitz entfallen würde. Ist das ausgeschiedene oder verhinderte Mitglied nach den Grundsätzen der Mehrheitswahl gewählt, so bestimmt sich die Reihenfolge der Ersatzmitglieder unter Berücksichtigung des § 15 Abs. 2 BetrVG nach der Höhe der erreichten Stimmenzahl.

Da auch nach dem Vortrag des Klägers mindestens sechs Mitglieder an der Sitzung teilgenommen haben, aber nur fünf Mitglieder für eine ordnungsgemäß Betriebsratssitzung erforderlich waren, hätte der Kläger darlegen müssen, dass er nach den Bestimmungen des § 25 BetrVG als stellvertretendes Betriebsratsmitglied heranzuziehen war und die ordentlichen Mitglieder verhindert waren.

Bei dieser Sach- und Rechtslage kommt es weder darauf an, ob - wie die Beklagte behauptet - überhaupt noch ein Betriebsrat im Betrieb vorhanden war, die Beklagte weist darauf hin, dass am 29.06.2006 der Betriebsrat zurückgetreten war, noch kommt es darauf an, ob zu der Betriebsratssitzung ordnungsgemäß eingeladen wurde, was die Beklagte ebenfalls in Frage stellt.

3. Dass die Kündigung im Übrigen berechtigt war, hat das Arbeitsgericht zu Recht festgestellt. Auf die Urteilsgründe wird verwiesen. Im Übrigen stellt der Kläger das in der Berufungsinstanz auch nicht mehr in Frage.

Nach allem hat der Antrag auf Prozesskostenhilfe in der Berufungsinstanz keinen Erfolg; die Prozesskostenhilfe war zu verweigern.

Gegen diese Entscheidung ist ein Rechtsmittel nicht gegeben.

Bremen, den 05.09.2008

Ende der Entscheidung

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