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Beginn der Entscheidung

Gericht: Landesarbeitsgericht Düsseldorf
Beschluss verkündet am 30.08.2005
Aktenzeichen: 16 Ta 452/05
Rechtsgebiete: VV RVG


Vorschriften:

VV RVG Nr. 1000
Eine Einigungsgebühr i. S. d. Nr. 1000 VV RVG entsteht auch dann, wenn die Parteien eines Kündigungsrechtsstreits sich per Vergleich darauf verständigen, dass ihr Arbeitsverhältnis ungekündigt fortbesteht.
LANDESARBEITSGERICHT DÜSSELDORF BESCHLUSS

16 Ta 452/05

In dem Verfahren

hat die 16. Kammer des Landesarbeitsgerichts Düsseldorf am 30.08.2005 durch den Vorsitzenden Richter am Landesarbeitsgericht Dr. Kaup

beschlossen:

Tenor:

1. Auf die befristete Beschwerde des Antragstellers vom 05.07.2005 wird der (richterliche) Beschluss des Arbeitsgerichts Duisburg vom 01.07.2005 - 5 Ca 979/05 - , zugestellt am 05.07.2005, aufgehoben.

2. Der Zurückweisungs-Beschluss des Arbeitsgerichts vom 08.06.2005 wird (teilweise) abgeändert, soweit das Arbeitsgericht die beantragte Einigungsgebühr nebst anteiliger Mehrwertsteuer außer Ansatz gelassen hat.

3. Das Verfahren wird zur Neuentscheidung über den Vergütungsfestsetzungsantrag des Antragstellers/Beschwerdeführers an das Arbeitsgericht Duisburg/Urkundsbeamter der Geschäftsstelle zurückverwiesen.

4. Die Entscheidung ergeht gerichtsgebührenfrei. Kosten werden nicht erstattet.

5. Für die Antragsgegnerin wird die Rechtsbeschwerde zugelassen.

Gründe:

I.

Mit Kündigungsschutzklage vom 05.04.2005 und Klageerweiterung vom 27.04.2005 wandte sich der Kläger des Ausgangsrechtsstreits gegen die Beendigung seines Arbeitsverhältnisses mit den Anträgen,

1. festzustellen, dass das Arbeitsverhältnis der Parteien durch die Kündigung vom 31.03.2005 nicht aufgelöst worden ist, sondern weiterhin fortbesteht;

2. festzustellen, dass das Arbeitsverhältnis der Parteien auch nicht durch sonstige Beendigungstatbestände aufgelöst worden ist, sondern weiterhin fortbesteht;

3. festzustellen, dass das Arbeitsverhältnis auch durch die Kündigung der Beklagten vom 26.04.2005 nicht aufgelöst worden ist, sondern weiterhin fortbesteht.

Zugleich stellte er Antrag auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe, dem das Arbeitsgericht entsprach. Im nachfolgenden Gütetermin erklärte die Beklagte zu Protokoll, aus den streitgegenständlichen Kündigungen keinerlei Rechte mehr herzuleiten. Die Kündigungen seien gegenstandslos. Sodann schlossen die Parteien folgenden Vergleich:

1. Zwischen den Parteien besteht Einigkeit, dass das Arbeitsverhältnis ungekündigt fortbesteht und die ausgesprochenen Kündigungen gegenstandslos sind.

2. Damit ist der vorliegende Rechtsstreit erledigt.

Im vorliegenden Verfahren auf Festsetzung der Anwaltsvergütung im PKH-Verfahren (§ 55 RVG) hat das Arbeitsgericht in Übereinstimmung mit der Auffassung des Bezirksrevisors die Festsetzung einer Einigungsgebühr abgelehnt. Hiergegen richtet sich die Beschwerde des Antragstellers, der das Arbeitsgericht nicht abgeholfen hat.

II.

1. Die (befristete) Beschwerde des Antragstellers gegen den richterlichen Beschluss des Arbeitsgerichts ist zulässig: Sie ist nach §§ 56 Abs. 2 Satz 1, 33 Abs. 3 Satz 1 RVG statthaft. Der Wert des Beschwerdegegenstandes für die außer Ansatz gelassene Einigungsgebühr übersteigt 200,00 €. Die gemäß §§ 56 Abs. 2 Satz 1, 33 Abs. 3 Satz 3 RVG einzuhaltende Rechtsmittelfrist von zwei Wochen ab Zustellung ist gewahrt.

2. Das Rechtsmittel hat auch in der Sache Erfolg. Entgegen der Auffassung des Bezirksrevisors und des Arbeitsgerichts im angefochtenen Beschluss ist im vorliegenden Fall eine Einigungsgebühr (Nr. 1000, 1003 VV RVG) entstanden. Sie entsteht nach Nr. 1000 Abs. 1 Satz 1 VV RVG für die Mitwirkung beim Abschluss eines Vertrags, durch den der Streit oder die Ungewissheit der Parteien über ein Rechtsverhältnis beseitigt wird, es sei denn, der Vertrag beschränkt sich ausschließlich auf ein Anerkenntnis oder einen Verzicht.

a) Dass es sich bei der Einigung der Parteien über die Fortsetzung ihres Arbeitsverhältnisses um einen Vertrag handelt, durch den sie ihren Streit über ein Rechtsverhältnis beseitigt haben, ist unzweifelhaft. Der Streit zwischen ihnen über die Rechtswirksamkeit der Kündigung und über den Fortbestand ihres Arbeitsverhältnisses wurde einvernehmlich beigelegt.

b) Diese vertragliche Einigung beschränkte sich auch nicht ausschließlich auf ein Anerkenntnis oder auf einen Verzicht einer der beiden Parteien. Zunächst fehlt es insoweit bereits an entsprechenden Erklärungen. Insbesondere hat die Beklagte des Ausgangsrechtsstreits den prozessualen Anspruch des dortigen Klägers nicht anerkannt (vgl. § 307 Abs. 1 ZPO). Darüber hinaus haben die Parteien hier mit ihrer Vereinbarung über den Fortbestand und die Fortsetzung ihres Arbeitsverhältnisses mehr geregelt, als es der Beklagten einseitig etwa durch ein Anerkenntnis möglich gewesen wäre, indem sie beispielsweise die Kündigung als rechtsunwirksam anerkannt und zurückgenommen hätte. Da es sich bei der Kündigung um eine einseitige, empfangsbedürftige Willenserklärung handelt, kann sie nach Zugang vom Kündigenden nicht mehr einseitig zurückgenommen werden (vgl. u. a. BAG vom 19.08.1982 - 2 AZR 230/80 - AP § 9 KSchG 1969 Nr. 9, zu II 2 a der Gründe). Um das hiermit angestrebte Ziel zu erreichen, bedarf es der Zustimmung des Kündigungsempfängers, etwa in Form der hier zwischen den Parteien getroffenen Vereinbarung über den Fortbestand ihres Arbeitsverhältnisses. Außerdem begibt sich der Arbeitnehmer mit einer solchen Einigung der für ihn im Einzelfall bestehenden Rechte aus §§ 9, 12 KSchG. Entsprechend löst eine derartige Einigung die Einigungsgebühr im Sinne der Nr. 1000 Abs. 1 Satz 1 VV RVG aus (ebenso LAG Niedersachsen vom 18.02.2005 - 10 Ta 129/05 - [Juris]; LAG Berlin vom 08.06.2005 - 17 Ta 6023/05 - [Juris]; Beschluss der Kammer jeweils vom 15.08.2005 - 16 Ta 363/05 - und 16 Ta 433/05 -).

c) Hinzu kommt, dass nach der Begründung des Gesetzgebers (BT-Drucks. 15/1971 S. 171) die Einigungsgebühr die bis dahin geltende Vergleichsgebühr des § 23 BRAGO ersetzen und diese gleichzeitig erweitern sollte. Während die Vergleichsgebühr des § 23 BRAGO durch Verweisung auf § 779 BGB ein gegenseitiges Nachgeben voraussetzte, soll die Einigungsgebühr jegliche vertragliche Beilegung eines Streits der Parteien honorieren, lediglich mit Ausnahme eines vollständigen Anerkenntnisses eines Anspruchs oder eines vollständigen Verzichts auf einen Anspruch. Durch den Wegfall der Voraussetzung des gegenseitigen Nachgebens sollte insbesondere der in der Vergangenheit häufige Streit darüber vermieden werden, welche Abreden noch und welche nicht mehr als gegenseitiges Nachgeben zu bewerten waren (vgl. auch Göttlich/Mümmler/Rehberg/Xanke, RVG 1. Aufl. 2004, "Einigungsgebühr", S. 245).

Darüber hinaus ist die Einigungsgebühr wie die bisherige Vergleichsgebühr eine Erfolgsgebühr. Sie soll auch den Erfolg honorieren, die Gerichte durch gütliche Beilegung eines Rechtsstreits zu entlasten (vgl. Gerold/Schmidt/von Eicken/Müller-Rabe, RVG 16. Aufl. 2004, VV 1000 Rdn. 5). Beide Intentionen des Gesetzgebers lassen es als folgerichtig erscheinen, in größerem Umfang als bisher zu § 23 BRAGO von einer Einigung der Parteien und einer daraus resultierenden Einigungsgebühr im Sinne der Nr. 1000 VV RVG auszugehen.

3. Die Zurückverweisung zur erneuten Entscheidung/Festsetzung des Urkundsbeamten (§ 55 Abs. 1 Satz 1 RVG) erfolgt nach § 572 Abs. 3 ZPO). Hinsichtlich der Gebührenfreiheit und des Ausschlusses der Kostenerstattung wird auf § 56 Abs. 2 Satz 2 und 3 RVG verwiesen. Die Zulassung der Rechtsbeschwerde erfolgt nach § 78 Satz 1 und 2, 72 Abs. 2 Nr. 1 ArbGG i. V. m. § 574 Abs. 1 Nr. 2 ZPO.

Ende der Entscheidung

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