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Beginn der Entscheidung

Gericht: Landesarbeitsgericht Düsseldorf
Urteil verkündet am 13.12.2000
Aktenzeichen: 12 Sa 1342/00
Rechtsgebiete: KSchG


Vorschriften:

KSchG § 1
Für die Frage, ob die bisher entstandenen und künftig zu erwartenden Entgeltfortzahlungskosten eine erhebliche betriebliche Beeinträchtigung bedeuten, kommt es auf den gesetzlichen 6-Wochen-Zeitraum an (BAG 06.09.1989, AP Nr. 23 zu § 1 KSchG 1969 Krankheit), hingegen nicht auf die Höhe der durch die Entgeltfortzahlung entstehenden wirtschaftlichen Belastungen. Die Teilnahme des Arbeitgebers am Lohnausgleichsverfahren schiebt daher die 6-Wochen-Grenze nicht hinaus, sondern kann nur im Rahmen der Interessenabwägung Berücksichtigung finden.
LANDESARBEITSGERICHT DÜSSELDORF IM NAMEN DES VOLKES URTEIL

Geschäftsnummer: 12 Sa 1342/00

Verkündet am: 13.12.2000

In dem Rechtsstreit

hat die 12. Kammer des Landesarbeitsgerichts Düsseldorf auf die mündliche Verhandlung vom 13.12.2000 durch den Vorsitzenden Richter am Landesarbeitsgericht Dr. Plüm als Vorsitzenden sowie den ehrenamtlichen Richter Klaes und die ehrenamtliche Richterin Bragenda für Recht erkannt:

Tenor:

Unter Abänderung des Urteils des Arbeitsgerichts Düsseldorf vom 15.08.2000 wird die Klage abgewiesen.

Die Kosten des Rechtsstreits trägt der Kläger.

Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand:

Der Kläger wendet sich gegen eine ordentliche, mit häufigen Krankheitszeiten begründete Kündigung der Beklagten.

Der Kläger, am 10.10.1967 geboren, war seit dem 16.09.1996 als Maler/Lackierer bei der Beklagten beschäftigt.

Der Kläger fehlte wegen krankheitsbedingter Arbeitsunfähigkeit im Jahr 1997 an 36 Arbeitstagen, im Jahr 1998 an 35 Arbeitstagen, im Jahr 1999 an 77 Arbeitstagen. Im Jahr 2000 war er vom 01.01. bis 04.04. krankgeschrieben. Wegen der einzelnen Krankheitszeiträume und Krankheitsursachen wird auf die vom Kläger überreichte Aufstellung der IKK Nordrhein (Bl. 63 ff.) und die von der Beklagten überreichten Arbeitsunfähigkeitsbescheinigungen und Anträge auf Lohnausgleich (Bl. 26 ff.) verwiesen.

Durch Schreiben vom 14.02.2000 kündigte die Beklagte mit der tariflichen Kündigungsfrist von 12 Werktagen des Arbeitsverhältnis ordentlich zum 25.02.2000. Der Kläger hat gegen die ihm am 25.02. ausgehändigte Kündigung Kündigungsschutzklage beim Arbeitsgericht Düsseldorf am 17.03.2000 eingereicht.

Er hat geltend gemacht, dass die Dermatitis, an der er vom 08.12.1999 bis 04.04.2000 erkrankt gewesen sei, auskuriert sei. Die Krankheitszeiten hätten im Übrigen auf völlig verschiedenen Erkrankungen beruht, auch auf zahlreichen Erkrankungen nach Arbeitsunfällen. Es sei nicht damit zu rechnen, dass er, der Kläger, in Zukunft übermäßig arbeitsunfähig sein würde. Aufgrund der Vielzahl der beschäftigten Aushilfskräfte hätten seine Krankheitszeiten zu keinen betrieblichen Beeinträchtigungen bei der Beklagten geführt.

Die Beklagte hat entgegengehalten, dass aufgrund der häufigen Krankheitszeiten in der Vergangenheit die Prognose zu stellen sei, dass der Kläger auch in Zukunft häufiger kurzzeitig erkranken werde. Aufgrund seiner krankheitsbedingten Arbeitsausfälle sei es immer wieder zu Arbeitsablaufstörungen in dem kleinen Betrieb gekommen. Im Übrigen hat die Beklagte auf die geleistete Entgeltfortzahlung und Umlage für das Lohnausgleichsverfahren verwiesen.

Durch Urteil vom 15.08.2000 hat das Arbeitsgericht Düsseldorf der Kündigungsschutzklage stattgegeben. Mit der form- und fristgerecht eingelegten und begründeten Berufung greift die Beklagte das Urteil, auf das hiermit zur weiteren Sachdarstellung Bezug genommen wird, in tatsächlicher und rechtlicher Hinsicht an. Sie beantragt die Abänderung des Urteils und Klageabweisung. Der Kläger verteidigt das erstinstanzliche Urteil und beantragt die Zurückweisung der Berufung.

Wegen der Einzelheiten des Parteivorbringens wird auf den vorgetragenen Inhalt der Schriftsätze mit den hierzu überreichten Anlagen Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

Das Arbeitsverhältnis der Parteien ist durch die Kündigung der Beklagten vom 14.02.2000 aufgelöst worden. Daher hat die Kündigungsschutzklage keinen Erfolg und ist ­ unter Abänderung des erstinstanzlichen Urteils ­ abzuweisen.

1. Die Prüfung, ob die Kündigung eines Arbeitnehmers aufgrund krankheitsbedingter Arbeitsunfähigkeit aus Gründen in der Person bedingt und deshalb sozial gerechtfertigt ist (§ 1 Abs. 2 Satz 1 KSchG), hat nach ständiger höchstrichterlicher Rechtsprechung in drei Stufen zu erfolgen: Zunächst ist eine negative Prognose hinsichtlich des voraussichtlichen Gesundheitszustandes erforderlich. Die bisherigen und nach der Prognose zu erwartenden Auswirkungen des Gesundheitszustandes des Arbeitnehmers müssen weiter zu einer erheblichen Beeinträchtigung der betrieblichen Interessen führen. Die Beeinträchtigungen können durch Störungen im Betriebsablauf oder wirtschaftlicher Belastungen hervorgerufen werden. In der dritten Stufe, bei der Interessenabwägung, ist schließlich zu prüfen, ob die erheblichen betrieblichen Beeinträchtigungen zu einer billigerweise nicht mehr hinzunehmenden Belastung des Arbeitgebers führen (BAG, Urteil vom 20.01.2000, 2 führen (BAG, Urteil vom 20.01.2000, 2 AZR 378/99, AP Nr. 38 zu § 1 KSchG 1969 Krankheit, zu B II 2 der Gründe, vgl. KR-Etzel, 5. Aufl., § 1 KSchG, Rz. 349 ff.).

2. Im Zeitpunkt des Kündigungszugangs ist aufgrund der außergewöhnlich häufigen Krankheitszeiten in der Vergangenheit, ihrer stark ansteigenden Tendenz in den Jahren 1999 und 2000 und der Diagnosen (insbesondere Hauterkrankungen [Dermatitis, Allergien, Urtikaria], Gastroenteritis/Gastritis, Lumbalgie, Bronchitis/Sinusits/Grippe) damit zu rechnen gewesen, dass der Kläger auch in Zukunft jährliche krankheitsbedingte Fehlzeiten in nicht unerheblichem Umfange aufweisen werde. Die über viele Jahre fortlaufend auftretenden zahlreichen Erkrankungen lassen gerade bei einem noch verhältnismäßig jungen Arbeitnehmer wie den Kläger auf die Gefahr sich ständig wiederholender Erkrankungen aus denselben oder aus ähnlichen Ursachen schließen. Der Kläger hat die Indizwirkung der bisherigen Fehlzeiten nicht durch entsprechenden Sachvortrag (vgl. BAG, Urteil vom 17.06.1999, 2 AZR 639/98, AP Nr. 37 zu § 1 KSchG 1969, Krankheit, zu II 2 b aa der Gründe) zu erschüttern vermocht. Sein Hinweis auf diverse Arbeitsunfälle betrifft lediglich wenige, kurzzeitige Erkrankungen (September 1997, Juli/August 1998), die nicht den Befund der konkreten Wiederholungsgefahr erschüttern. Seine Behauptung in der mündlichen Verhandlung, die Erkrankungsgefahr nun im Griff" zu haben, beruht auf einer subjektiven Einschätzung, die nicht die objektiv gegebene Negativprognose beseitigt. Ebenso wenig kommt es dabei darauf an, ob der Kläger in den Anschlussarbeitsverhältnissen, die er ab April 2000 eingegangen ist, häufiger erkrankt ist oder nicht, denn für die Beurteilung der sozialen Rechtfertigung der Kündigung ist auf den Kündigungszeitpunkt (Februar 2000) abzustellen. Im Übrigen traten beim Kläger auch im ersten halben Jahr seiner Beschäftigung bei der Beklagten nur geringe krankheitsbedingte Fehlzeiten (insgesamt sechs Arbeitstage) auf, so dass nicht auszuschließen ist, dass der (fehlende) Kündigungsschutz entweder das Verhalten des Klägers bei objektiv vorhandenen Gesundheitsstörungen oder seine subjektive Befindlichkeit bzw. Empfindlichkeit beeinflusst. Nach allem hat die Vorinstanz zu Recht im Fall des Klägers eine negative Gesundheitsprognose gestellt.

3. Nach der Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts (Urteil vom 20.01.2000, a.a.O., zu B II 4) stellen allein die entstandenen und künftig zu erwartenden Entgeltfortzahlungskosten, die jeweils für einen Zeitraum von mehr als sechs Wochen aufzuwenden sind, eine erhebliche Beeinträchtigung betrieblicher Interessen dar. Soweit die Vorinstanz in diesem Zusammenhang eine unzumutbare" Beeinträchtigung präsumiert, ist klarzustellen, dass die erhebliche" Beeinträchtigung betrieblicher Interessen in der zweiten Prüfungsstufe der krankheitsbedingten Kündigung ausreicht. Der Beklagten sind in der Vergangenheit Entgeltfortzahlungskosten entstanden, die jeweils den Zeitraum von sechs Wochen pro Jahr deutlich überstiegen. Angesichts des bisherigen Verlaufs des Arbeitsverhältnisses war im Kündigungszeitpunkt davon auszugehen, dass beim Kläger auch künftig Entgeltfortzahlungskosten für einen Zeitraum von mehr als sechs Wochen jährlich zu erwarten sind. Gerade die verschiedenen Krankheiten (Schriftsatz des Klägers vom 14.07.2000: völlig verschiedene Erkrankungen") in ihrer Häufigkeit lassen auf eine außergewöhnliche Krankheitsanfälligkeit beim Kläger und damit auf eine Wiederholungsgefahr mit der Konsequenz schließen, dass mit weiteren Erkrankungen jeweils ein neuer 6-Wochen-Zeitraum i. S. v. § 3 Abs. 1 Satz 1 EFZG beginnt.

Die Vorinstanz ist von dem Maßstab Entgeltfortzahlung für mehr als sechs Wochen" mit der Begründung abgewichen, dass die Krankenkasse die Entgeltfortzahlungskosten zu 70 % der Beklagten erstattet habe. Dieser Modifikation ist nicht beizupflichten. Sie entspricht auch nicht der höchstrichterlichen Judikatur, die auf den 6-Wochen- Zeitraum und nicht auf die Höhe der für diese Zeit zu leistenden Entgeltfortzahlung (vom 01.10.1996 bis 31.12.1998: 80 %, danach: 100 %) abstellt. Entscheidend ist, dass den gesetzlichen Entgeltfortzahlungsregelungen eine Grundwertung des Gesetzgebers entnommen werden kann, die dahingeht, dass Entgeltfortzahlungskosten für Ausfallzeiten bis zur gesetzlichen Mindestgrenze von insgesamt sechs Wochen im Jahr eine dem Arbeitgeber zuzumutende wirtschaftliche Belastung darstellt (BAG, Urteil vom 06.09.1989, 2 AZR 224/89, AP Nr. 23zu § 1 KSchG 1969 Krankheit, zu III 2 c bb, im Ergebnis ebenso: ErfK/Ascheid, § 1 KSchG, Rz. 251). Diese Begründung gilt auch für Betriebe, die am Lohnausgleichsverfahren teilnehmen. Hiermit sollen kleinere Betriebe vor unkalkulierbaren, u. U. existenzgefährdenden Risiken der ihnen durch die gesetzliche Entgeltfortzahlung auferlegten Kosten geschützt werden. Indem den Betrieben die Teilnahme an dem Lohnausgleichsverfahren eröffnet ist, trägt der Gesetzgeber dem Umstand Rechnung, dass in diesen Betrieben schon die Entgeltfortzahlungskosten für einen Zeitraum bis zu sechs Wochen eine erhebliche wirtschaftliche Belastung darstellt, die durch die Erstattung (i. c. von 70 %) auf ein tragbares Maß reduziert wird. Der Lohnausgleich ändert hingegen nichts daran, dass nach der Grundwertung des Gesetzgebers auch für kleinere Betriebe eine Entgeltfortzahlung für mehr als sechs Wochen eine erhebliche wirtschaftliche Belastung bedeutet. Bei der Beklagten verbleiben nach der Erstattung durch die IKK Nordrhein nicht nur 30 % der Entgeltfortzahlungskosten. Sie hat zudem die Umlagebeträge (§ 14 LFZG) von zur Zeit 2,4 % der Bruttolohnsumme zu entrichten und musste angesichts der hohen und im Jahr 1999 auf 77 Arbeitstage angestiegenen Krankheitszeiten des Klägers für die Zukunft mit Entgeltfortzahlungskosten von weit mehr als sechs Wochen pro Jahr rechnen.

4. Die gebotene Interessenabwägung fällt zu Lasten des Klägers aus. Die Dauer seiner Betriebszugehörigkeit ­ ca. 3 1/2 Jahre ­ ist nicht lang. Das Arbeitsverhältnis war in dieser Zeit durchgehend von erheblichen Ausfallzeiten gestört worden. Das Lebensalter ­ im Kündigungszeitpunkt 32 Jahre ­ ist ebenfalls nicht so hoch, dass es die Chancen des Klägers, auf dem Arbeitsmarkt eine andere Beschäftigung zu finden, vermindert. Allerdings ist aufgrund des relativ niedrigen Lebensalters des Klägers einerseits und der altersbedingt zunehmenden Verschlechterung der körperlichgesundheitlichen Belastbarkeit andererseits mit ähnlich hohen Krankheitszeiten wie in der Vergangenheit bzw. einer weiteren Steigerung der Krankheitszeiten zu rechnen, so dass unter diesem Aspekt das Interesse der Beklagten, das Arbeitsverhältnis mit dem Kläger zu beenden, zusätzliches Gewicht erhält. Die teilweise Erstattung von Entgeltfortzahlungskosten im Lohnausgleichsverfahren kommt, wie bereits ausgeführt, nicht dem Rechtsstandpunkt des Klägers zugute und ändert nichts an dem Befund, dass das Interesse der Beklagten überwiegt. Auf die Frage, ob die häufigen krankheitsbedingten Fehlzeiten des Klägers auch zu Betriebsablaufstörungen geführt haben bzw. führen, kommt es danach nicht mehr entscheidend an. Allerdings liegt, wie die Vorinstanz zutreffend angemerkt hat, bei einem kleinen Betrieb wie der Beklagten auf der Hand, dass jedenfalls beim Eintritt einer erneuten Erkrankung ­ im Jahr 1999 also 14-mal ­ der Arbeitsablauf dadurch gestört wird, dass entweder Arbeiten/Termine verschoben werden müssen oder für den ausgefallenen Kläger andere Arbeitnehmer Mehrarbeit leisten oder Aushilfskräfte gefunden werden müssen.

5. Die Kündigung ist schließlich nicht deshalb unwirksam, weil dem Kläger das Kündigungsschreiben erst am 25.02.2000 ausgehändigt worden ist. Der verspätete" Zugang des Kündigungsschreibens führt lediglich dazu, dass der benannte Kündigungstermin 29.02.2000" aufgrund Umdeutung in den 10.03.2000 abzuändern ist (§ 45 Nr. 1 RTV-Malerhandwerk). Dieser Abänderung hat, weil der 6-Wochen-Zeitraum abgelaufen und der Kläger weiter krank war, entgelt(fort)zahlungsrechtlich keine Bedeutung.

6. Die Kosten des Rechtsstreits hat gemäß § 91 Abs. 1 ZPO der Kläger zu tragen.

Gegen dieses Urteil ist kein Rechtsmittel gegeben. Für die Zulassung der Revision besteht kein gesetzlicher Grund. Wegen der Einzelheiten der Nichtzulassungsbeschwerde wird der Kläger auf § 72 a ArbGG hingewiesen.

Ende der Entscheidung

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