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Gericht: Landesarbeitsgericht Düsseldorf
Urteil verkündet am 30.11.1998
Aktenzeichen: 10 Sa 1425/98
Rechtsgebiete: ArbGG, ZPO
Vorschriften:
ArbGG § 66 Abs. 1 S. 1 | |
ZPO § 518 | |
ZPO § 233 |
LANDESARBEITSGERICHT DÜSSELDORF IM NAMEN DES VOLKES URTEIL
Geschäfts-Nr.: 10 Sa 1425/98
Verkündet am: 30.11.1998
In dem Rechtsstreit
hat die 10. Kammer des Landesarbeitsgerichts Düsseldorf auf die mündliche Verhandlung vom 30.11.1998 durch den Vorsitzenden Richter am Landesarbeitsgericht Dr. Beseler als Vorsitzenden sowie den ehrenamtlichen Richter Klaes und die ehrenamtliche Richterin von Gehlen für Recht erkannt:
Tenor:
Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Arbeitsgerichts Wuppertal vom 17.06.1998 - 6 Ca 3829/97 v - wird kostenpflichtig als unzulässig verworfen.
Tatbestand:
Die Parteien streiten über die Rechtswirksamkeit einer ordentlichen, betriebsbedingten Kündigung der Beklagten vom 5.8.1997, dem Kläger am 15.8.1997 zugegangen, zum 31.12.1997.
Der 1943 geborene Kläger ist seit Anfang 1987 bei der Beklagten, in deren Betrieb rund 775 Arbeitnehmer beschäftigt sind, bzw. deren Rechtsvorgängerin als Konstrukteur mit der Entwicklung und Konstruktion von Baubeschlägen zu einem Bruttomonatsgehalt von zuletzt 6082.- DM beschäftigt gewesen.
Am 14.7.1997 unterzeichneten die Beklagte und der Betriebsratsvorsitzende einen Interessenausgleich und am 15.7.1997 einen Sozialplan sowie am gleichen Tag eine Namensliste der zu kündigenden Mitarbeiter Anlage zum Sozialplan", auf der der Name des Klägers genannt ist. Daraufhin kündigte die Beklagte das Arbeitsverhältnis mit dem Kläger mit Schreiben vom 5.8.1997 aus Rationalisierungsgründen.
Der Kläger hat gegen diese Kündigung Klage erhoben und vorgetragen, die Beklagte könne sich zur Begründung ihrer Kündigung nicht auf § 1 Abs. 5 KSchG berufen, weil zum einen der Interessenausgleich eine wirksam vereinbarte Namensliste nicht enthalte und zum anderen auch die Namensliste nicht von einem Beschluß des Betriebsrats gedeckt sei. Der Kläger hat in Abrede gestellt, daß es insoweit überhaupt Betriebsratssitzungen gegeben habe. Zudem hat der Kläger die ordnungsgemäße Betriebsratsanhörung nach § 102 BetrVG bestritten, die ordnungsgemäße Anzeige nach § 17 KSchG in Zweifel gezogen und die Sozialauswahl gerügt.
Der Kläger hat beantragt
1. festzustellen, daß die Kündigung vom 05.08.1997, dem Kläger
zugegangen am 15.08.1997, das Arbeitsverhältnis nicht beenden wird, sondern dieses ungekündigt fortbesteht.
hilfsweise,
2. für den Fall, daß der vorstehende Klageantrag zu Ziffer 1 Erfolg
hat (uneigentlicher Hilfsantrag):
die Beklagte zu verurteilen, an den Kläger am 31.01.1996 sowie jedem letzten Tag der Folgemonate, der vor rechtskräftiger Erledigung des vorstehenden Klageantrags zu Ziffer 1 liegt, je DM 6.082,00 brutto zuzüglich 4 % Jahreszinsen aus den vorgenannten Beträgen seit den vorgenannten Fälligkeitsdaten zu zahlen.
Die Beklagte hat beantragt,
die Klage abzuweisen.
Die Beklagte hat ihre Klageabweisung unter Hinweis auf § 1 Abs. 5 KSchG begründet. Sie hat vorgetragen, der Betriebsrat sei sowohl bei der Erstellung der Namensliste als auch bei der Kündigung ordnungsgemäß beteiligt worden, so daß auch die Sozialauswahl, die nach § 1 Abs. 5 KSchG nur auf grobe Fehlerhaftigkeit überprüft werden könne, nicht zu beanstanden sei.
Das Arbeitsgericht hat nach Beweisaufnahme die Klage durch Urteil vom 17.6.1998 abgewiesen. Wegen der Begründung des Arbeitsgerichts wird auf die Entscheidung des Arbeitsgerichts verwiesen.
Dem Klägervertreter ist am 27.7.1998 dieses Urteil zugestellt worden. Am 27.8.1998 warf der bei dem Klägervertreter beschäftigte Rechtsanwaltsfachangestellte D.rossa einen mit einem Sichtfenster versehenen Briefumschlag, der nicht nur die Berufungsschrift, sondern auch weitere Schreiben an das Arbeits- und das Landesarbeitsgericht Düsseldorf enthielt, in den gemeinsamen Nachtbriefkasten des Arbeitsgerichts Düsseldorf, des Landesarbeitsgerichts Düsseldorf, des Sozialgerichts Düsseldorf und des Finanzgerichts Düsseldorf. Der Briefumschlag wurde am gleichen Tag ausweislich des Vermerks des Pförtners des Gerichtsgebäudes dem Nachtbriefkasten entnommen und an das Arbeitsgericht Düsseldorf weitergeleitet. Auf den zu den Gerichtsakten gelangten Briefumschlag mit den entsprechenden Feststellungen (Bl. 120 GA) wird verwiesen. Der Berufungsschriftsatz wurde dort unter dem 27.8.1998 mit dem Vermerk Irrläufer" gestempelt und an das Landesarbeitsgericht weitergeleitet, das den Eingang am 28.8.1998 vermerkte.
Der Kläger trägt vor, es könne nicht mehr rekonstruiert werden, welcher Schriftsatz in dem Fensterumschlag oben gelegen habe. Dies sei auch unerheblich. Die Berufungsschrift sei bereits am 27.8.1998 mit dem Einwurf in den Nachtbriefkasten beim Landesarbeitsgericht staubhüllengeschützt durch den unbeschrifteten Umschlag eingegangen. Der Umschlag habe lediglich die Funktion gehabt, die Schriftstücke vor Verschmutzung und Eselsohren" zu bewahren. Als Grundlage einer Adressierung habe der Umschlag schon deshalb nicht zu dienen gebraucht, weil der Bote die Schriftstücke gebündelt an den Bestimmungsort, nämlich den gemeinsamen Nachtbriefkasten von Arbeits- und Landesarbeitsgericht gebracht habe. Durch die Einrichtung eines gemeinsamen Nachtbriefkastens hätten beide Gerichte zu erkennen gegeben, daß sie vor Mitternacht eingeworfene Schriftstücke noch an demselben Tag als in den Gewahrsam der zuständigen Stelle gelangt ansehen wollten. Die spätere erneute, behördeninterne Aufteilung der Eingangspost auf die im Gebäude ansässigen vier Gerichte könne nichts mehr daran ändern, daß sämtliche in dem Umschlag enthaltenen Schriftstücke bereits am 27.8.1998 zugegangen seien. Die Berufung als unzulässig zu verwerfen, hieße, die Verantwortung für die ordnungsgemäße Verteilung der Post innerhalb des Gerichts auf den Kläger abzuwälzen, obwohl dieser Vorgang gänzlich außerhalb seiner oder der Einflußsphäre seiner Prozeßbevollmächtigten liege.
Der Kläger beantragt vorsorglich,
ihm wegen der Versäumung der Berufungsfrist die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu gewähren und hierüber vorab zu entscheiden.
Im übrigen stellt der Kläger keinen Antrag.
Die Beklagte beantragt,
den Wiedereinsetzungsantrag und im übrigen die Berufung zurückzuweisen.
Nachdem durch Kammerbeschluß der Antrag des Klägers, das Verfahren auf die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu beschränken, gemäß § 238 Abs. 1 ZPO zurückgewiesen wurde, beantragt die Beklagte,
die Berufung im Wege des Versäumnisurteils zurückzuweisen.
Wegen des weiteren Parteivorbringens wird auf den vorgetragenen Akteninhalt Bezug genommen.
Entscheidungsgründe:
Die Berufung ist unzulässig, so daß die Berufung des Klägers durch Endurteil als sog. unechtes Versäumnisurteil gemäß § 66 Abs. 1 ArbGG, § 519 b Abs. 1 ZPO als unzulässig zu verwerfen war. Eine Versäumnisentscheidung gemäß dem Antrag der Beklagten hätte gegen den Kläger, der im Kammertermin keinen Antrag zur Hauptsache gestellt hat, nur ergehen dürfen, wenn die Berufung zulässig gewesen wäre (vgl. Baumbach/Lauterbach/Albers/Hartmann ZPO 55. Aufl. § 542 Anm. 1 a) m.w.N.). Dieses ist jedoch nicht der Fall; auch der Antrag des Klägers auf Wiedereinsetzung in vorigen Stand konnte kein Erfolg haben.
I.
Die Berufung ist verspätet, nämlich ausweislich des Eingangsstempels des Landesarbeitsgerichts statt am 27.8.1998 erst am 28.8.1998 beim erkennenden Landesarbeitsgericht eingegangen. Der Kläger hat nämlich bei der Einlegung der Berufung nicht die gesetzliche Rechtsmittelfrist des § 66 Abs. 1 Satz 1 ArbGG eingehalten. Da ihm das klageabweisende arbeitsgerichtliche Urteil am 27.7.1998 zugestellt wurde, lief die Monatsfrist am Donnerstag, dem 27.8.1998, ab (§ 222 Abs. 1 ZPO, 188 Abs. 2 BGB). Entgegen der Auffassung des Klägers ist die Berufung nicht bereits am 27.8.1998 durch den Einwurf in den gemeinsamen Nachtbriefkasten des Arbeits- und des Landesarbeitsgerichts sowie anderer Gerichte beim zuständigen Landesarbeitsgericht eingegangen.
1. Ein Schriftstück und damit auch eine Berufungsschrift ist bei Gericht eingegangen, wenn es in die Verfügungsgewalt des Gerichts gelangt ist. Zu Recht weist in diesem Zusammenhang der Kläger darauf hin, daß zur fristgerechten Einreichung eines fristwahrenden Schriftsatzes nicht mehr die Entgegennahme durch einen dazu befugten Beamten des betroffenen Gerichts erforderlich ist. Denn es ist nicht mit dem Grundgesetz vereinbar (Entscheidung des BVerfG vom 3.10.1979 - BVerfGE 52, 203), wenn ein Gericht den Eingang eines fristgebundenen Schriftsatzes in einem Zivilprozeß deshalb als verspätet ansieht, weil der rechtzeitig in die Verfügungsgewalt des Gerichts gelangte Schriftsatz nicht innerhalb der Frist von dem zu seiner Entgegennahme zuständigen Bediensteten der Geschäftsstelle amtlich in Empfang genommen worden ist. Der Zugang zur nächsten Instanz darf nicht in unzumutbarer, aus Sachgründen nicht zu rechtfertigender Weise erschwert werden. Es entspricht deshalb herrschender Rechtsauffassung (BGH Beschluß vom 10.2.1994 - VII ZB 30/93 - NJW 1994, 1354; BGH Urteil vom 12.10.1995 - VII ZR 8/95 - NJW-RR 1996, 443; BAG Beschluß vom 29.4.1986 - 7 AZB 6/85 - EzA § 519 b ZPO Nr. 4; Baumbach/Lauterbach/Albers/Hartmann a.a.O. § 518 ZPO RdNr. 5 m.w.N.), daß ein Rechtsmittel dann als eingegangen angesehen werden kann, wenn das Rechtsmittelgericht an dem entsprechenden Schriftsatz eigenen Gewahrsam begründet hat.
2. Entgegen der Auffassung des Klägers ist der Berufungsschriftsatz nicht bereits am 27.8.1998 in die Verfügungsgewalt des erkennenden Gerichts gelangt.
a) Der Kläger hat den Berufungsschriftsatz nicht lose außerhalb eines Umschlags in den gemeinsamen Nachtbriefkasten des Arbeits- und des Landesarbeitsgerichts Düsseldorf geworfen. In einem solchen Fall wäre ohne Rechtsbedenken der Schriftsatz mit dem Einwurf in den Nachtbriefkasten in die Verfügungsgewalt des Landesarbeitsgerichts gelangt.
b) Der Kläger, der für die Rechtzeitigkeit der Berufungseinlegung voll beweispflichtig ist (vgl. hierzu auch BGH Beschluß vom 16.2.1984 - IX ZB 172/83 - VersR 1984, 442, 443) hat auch nicht vortragen können, daß der Berufungsschriftsatz mit anderen an das Arbeits- und das Landesarbeitsgericht gerichteten Schriftsätzen in einem Umschlag steckte, der keinen Adressaten aufwies, so daß davon hätte ausgegangen werden müssen, daß die in dem Umschlag enthaltenen Schriftstücke mit dem Einwurf in den Nachtbriefkasten dem jeweiligen Adressaten zugegangen waren. Wäre dem Briefumschlag nicht zu entnehmen gewesen, an wen die ihn enthaltenen Schriftstücke gerichtet waren, hätte der Umschlag lediglich die Bedeutung einer Schutzhülle, die die Schriftsätze eselsohrenfrei" halten sollte.
c) Der Kläger hatte die Schriftstücke in einen Umschlag mit Sichtfenster gesteckt. Da der zu den Gerichtsakten gelangte Briefumschlag den Eingangsvermerk des Pförtners des Gerichtsgebäudes enthält, daß der Umschlag am 27.8.1998 eingegangen ist und die Poststelle des Arbeitsgerichts außerdem vermerkt hat, daß dieser Umschlag am gleichen Tag beim Arbeitsgericht eingegangen ist, muß davon ausgegangen werden, daß der oberste, hinter dem Sichtfenster liegende Schriftsatz an das Arbeitsgericht gerichtet war. Damit war der Umschlag mit allen ihn enthaltenen Schriftsätzen an das Arbeits- und nicht an das auf den einzelnen Schriftsätzen vermerkte und damit jeweilige Gericht gerichtet. Mit dem Einwurf in den Nachtbriefkasten ist der Umschlag einschließlich der in ihm enthaltenen Schriftsätze in die Verfügungsgewalt nur des Arbeits- und nicht des jeweils zuständigen Gerichts gelangt.
Denn die Prozeßpartei bestimmt, für wen fristwahrende Schriftstücke gedacht sind. Der gemeinsamen Einlaufstelle mehrerer Gerichte - hier dem Pförtner - obliegt deshalb grundsätzlich die Pflicht, einen einen Schriftsatz enthaltenden Brief, der in den gemeinsamen Nachbriefkasten mehrerer Gerichte geworfen wurde, an das von der Prozeßpartei auf dem Umschlag bezeichnete Gericht weiterzuleiten. In diese Freiheit der Prozeßpartei, selbst zu entscheiden, an wen ein Schriftstück weitergeleitet werden kann, darf die Einlaufstelle, damit auch nicht der Pförtner des Gerichtsgebäudes des Düsseldorfer Arbeits- und Landesarbeitsgerichts und kein bei der Gerichtsorganisation angestellter Bediensteter eingreifen. Dieses entspricht ganz herrschender Rechtsauffassung (vgl. BGH Urteil vom 10.2.1994 a.a.O; BAG Beschluß vom 14.7.1988 - 4 AZB 6/88 - EzA § 518 ZPO Nr. 34), von der abzuweichen die erkennende Kammer bereits aus Gründen der Rechtsklarheit und Rechtssicherheit keine Veranlassung sieht. Indem dem am 27.8.1998 in den gemeinsamen Nachtbriefkasten eingeworfenen Umschlag nur zu entnehmen war, daß der Brief einschließlich der ihn enthaltenen Schriftsätze an das Arbeitsgericht gerichtet war und an dieses weitergeleitet werden sollte und entsprechend auch verfahren wurde, ging der Berufungsschriftsatz mit dem Einwurf in den Nachtbriefkasten nur dem Arbeitsgericht und nicht dem zuständigen Landesarbeitsgericht innerhalb der Berufungsschrift zu.
II.
Die Kammer konnte wegen der versäumten Berufungsfrist dem Antrag des Klägers auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand nicht stattgeben (§ 233 ZPO). Denn der Kläger hat nicht dargelegt, daß er ohne Verschulden seines Prozeßvertreters, das er sich gemäß § 85 Abs. 2 ZPO zurechnen lassen muß, verhindert war, diese Notfrist (§ 516 ZPO) einzuhalten. Wie der Klägervertreter im Kammertermin auf gerichtliche Nachfrage bestätigte, hatte er jedenfalls bis zum 27.8.1998 keine generelle, auch den Rechtsanwaltsfachangestellten D.rosssa bindende Büroanweisung erteilt, Berufungsschriftsätze an das Landesarbeitsgericht entweder lose ohne Umschlag oder in einen ausdrücklich sei es durch entsprechende Aufschrift auf dem Briefkuvert oder unter Zuhilfenahme eines Umschlags mit Sichtfenster adressiert in den Nachtbriefkarten zu werfen sind. Dies ist bei der Rechtsauffassung des Klägervertreters durchaus folgerichtig. Andrerseits ist auch nicht erkennbar, daß der Prozeßvertreter des Klägers bei seiner rechtlichen Beurteilung ohne Verschulden gehandelt hat; die dargestellte Rechtsproblematik ist höchstrichterlich geklärt. Damit muß sich der Kläger die unzutreffende rechtliche Bewertung seines Prozeßvertreters anrechnen lassen.
III.
Da die Berufung des Klägers mit der Kostenfolge des § 97 ZPO als unzulässig verworfen werden mußte, konnte eine Entscheidung über die Berechtigung der Berufung nicht getroffen werden; dieses wäre nur möglich gewesen, wenn die Berufung zulässig gewesen wäre und ein entsprechender Berufungsantrag gestellt worden wäre.
Das Landesarbeitsgericht hat die Revision an das Bundesarbeitsgericht nicht gemäß § 72 Abs. 2 ArbGG zugelassen; wegen der Möglichkeit der Nichtzulassungsbeschwerde wird auf § 72 a ArbGG verwiesen.
Ende der Entscheidung
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