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Beginn der Entscheidung

Gericht: Landesarbeitsgericht Düsseldorf
Beschluss verkündet am 04.09.1998
Aktenzeichen: 11 TaBV 44/98
Rechtsgebiete: BGB, KSchG, BetrVG, EGZPO, ZPO


Vorschriften:

BGB § 626
KSchG § 15
BetrVG § 103
EGZPO § 14
ZPO § 322
1. Ist in einem Zustimmungsersetzungsverfahren nach § 103 Abs. 2 S. 1 BetrVG rechtskräftig entschieden worden, daß die vom Arbeitgeber vorgebrachten Gründe eine außerordentliche Kündigung eines Betriebsratsmitglieds gemäß § 15 Abs. 1 S. 1 KSchG i. V. m. § 626 Abs. 1 BGB nicht rechtfertigen, ist hieran das Arbeitsgericht in einem nachfolgenden Zustimmungsersetzungsverfahren, das auf dieselben Kündigungsgründe gestützt wird, gebunden.

2. Diese Bindungswirkung tritt nicht ein, wenn der Arbeitgeber seinen erneuten Zustimmungsersetzungsantrag nach § 103 Abs. 2 S. 1 BetrVG mit neuen Tatsachen begründet, die einen wichtigen Grund i. S. von § 626 Abs. 1 BGB darstellen sollen. Hierfür reicht allerdings allein eine zwischenzeitlich erfolgte, zudem nicht rechtskräftige strafrechtliche Verurteilung des Betriebsratsmitglieds nicht aus, wenn dem ersten Zustimmungsersetzungsantrag eine vom Arbeitgeber beabsichtigte Tatkündigung zugrunde lag.


LANDESARBEITSGERICHT DÜSSELDORF IM NAMEN DES VOLKES BESCHLUSS

Geschäfts-Nr.: 11 TaBV 44/98

Verkündet am: 04.09.1998

In der Beschlußsache

hat die 11. Kammer des Landesarbeitsgerichts Düsseldorf in dem Anhörungstermin am 04.09.1998 durch den Vorsitzenden Richter am Landesarbeitsgericht Dr. Vossen als Vorsitzenden sowie die ehrenamtliche Richterin Sander und die ehrenamtliche Richterin Deubner

beschlossen:

Tenor:

Die Beschwerde der Arbeitgeberin gegen den Beschluß des Arbeitsgerichts Wuppertal vom 27.01.1998 - 8 BV 46/97 - wird zurückgewiesen.

Die Rechtsbeschwerde wird zugelassen.

Gründe:

I. Die antragstellende Arbeitgeberin ist ein Einzelhandelsunternehmen mit einer Vielzahl von Filialen. Antragsgegner ist der bei ihr gebildete Betriebsrat. Der am 05.07.1945 geborene Beteiligte zu 3) (im folgenden: Herr M.ai) trat am 06.11.1972 als Kraftfahrer in die Dienste der Arbeitgeberin. Seit 1978 ist er Mitglied des Betriebsrates und seit 1980 dessen Vorsitzender.

Bereits mit einem am 30.06.1995 beim Arbeitsgericht Wuppertal eingereichten Antrag begehrte die Arbeitgeberin die Zustimmung des Betriebsrats zur außerordentlichen Kündigung des Herrn M.ai wegen angeblicher sexueller Belästigung mehrerer ihrer Mitarbeiterinnen. Dabei stützte sie sich auf zwei eidesstattliche Versicherungen der Bezirksleiterinnen B.rachettund S.au vom 21.06.1995 und legte im Verlaufe des damaligen Zustimmungsersetzungsverfahrens noch eidesstattliche Versicherungen der Mitarbeiterinnen A.ckerscho, R.appenbe und J.rge über Vorgänge aus den Jahren 1978 bis 1981, 1994 bzw. 1982 bis 1984 vor. Den Zustimmungsersetzungsantrag wies das Arbeitsgericht Wuppertal nach Vernehmung von insgesamt 14 Zeugen durch Beschluß vom 05.12.1995 - 4 BV 94/95-2 - zurück. Die hiergegen seitens der Arbeitgeberin eingelegte Beschwerde wies das Landesarbeitsgericht Düsseldorf durch Beschluß vom 24.06.1996 - 14 TaBV 11/96 - zurück, weil auch die zweitinstanzlich durchgeführte Vernehmung von sieben Zeugen nicht den Beweis für die Richtigkeit der Herrn M.ai gegenüber erhobenen Vorwürfe erbracht habe.

Nachdem Herr M.ai am 03.11.1997 durch das Amtsgericht Wipperfürth - 2 Ls 43 Js 164/95 - 49/97 - wegen sexueller Belästigung von Mitarbeiterinnen der Arbeitgeberin in drei (minderschweren) Fällen zu einer Geldstrafe von 180 Tagessätzen zu je DM 110,-- DM verurteilt worden war, leitete die Arbeitgeberin mit Schreiben vom 10.11.1997 ein neues Zustimmungsverfahren bei ihrem Betriebsrat zwecks Ausspruchs einer fristlosen Kündigung sowie einer vorsorglichen und hilfsweisen beabsichtigten außerordentlichen Kündigung unter Einhaltung der ordentlichen Kündigungsfrist ein. Ihrem Schreiben fügte sie eidesstattliche Versicherungen von Frau J.ürge vom 05.07.1995, von Frau A.ckerscho vom 14.07.1995 sowie von Frau R.enbe aus dem Jahre 1995 bei. Der Betriebsrat verweigerte schriftlich unter dem 13.11.1997 die begehrte Zustimmung mit dem Hinweis darauf, daß die Arbeitgeberin bereits wegen identischer Vorwürfe ein Zustimmungsersetzungsverfahren gem. § 103 BetrVG eingeleitet und verloren habe und außerdem das Urteil des Amtsgerichts Wipperfürth falsch sei.

Mit ihrem beim Arbeitsgericht Wuppertal am 17.11.1997 eingereichten Antrag begehrt die Arbeitgeberin erneut die Ersetzung der Zustimmung des Betriebsrats zur außerordentlichen, fristlosen Kündigung, hilfsweise zur außerordentlichen, fristgemäßen Kündigung des Herr M.ai.

Die Arbeitgeberin hat die Auffassung vertreten, das durch die Verurteilung durch das Amtsgericht Wipperfürth belegte Verhalten des Herrn M.Maie rechtfertige dessen außerordentliche, fristlose Kündigung aus wichtigem Grund.

Die Arbeitgeberin hat beantragt,

1. die Zustimmung des Betriebsrats zur außerordentlichen, fristlosen Kündigung des Beteiligten M.ai zu ersetzen;

2. hilfsweise die Zustimmung des Betriebsrats zur außerordentlichen, fristgemäßen Kündigung des Beteiligten M.ai zu ersetzen.

Der Betriebsrat sowie Herr M.Maie haben beantragt,

die Anträge zurückzuweisen.

Sie haben die Ansicht vertreten, dem Antrag stehe der rechtskräftige Beschluß des Landesarbeitsgericht Düsseldorf vom 24.06.1996 - 14 TaBV 11/96 - entgegen, außerdem sei das Urteil des Amtsgerichts Wipperfürth nicht rechtskräftig.

Das Arbeitsgericht hat durch Beschluß vom 27.01.1998 den Antrag der Arbeitgeberin zurückgewiesen. Dabei hat es dahinstehen lassen, ob nicht bereits die Rechtskraft der erst- und zweitinstanzlichen Beschlüsse im Vorverfahren den Rückgriff auf die abgehandelten Sachverhalte ausschließen würde. Selbst wenn man davon ausginge, daß eine strafrechtliche Verurteilung als solche ein neuer Sachverhalt sei, auf den eine Kündigung gestützt werden könnte, so müsse diese doch zumindest rechtskräftig sein. Dies sei jedoch im Zeitpunkt der letzten mündlichen Verhandlung nicht der Fall gewesen.

Gegen den ihr am 24.04.1998 zugestellten Beschluß hat die Arbeitgeberin mit einem bei Gericht am 25.05.1998 (Montag) eingegangenen Schriftsatz Beschwerde eingelegt und diese mit einem bei Gericht am 22.06.1998 eingereichten Schriftsatz begründet.

Die Arbeitgeberin macht unter teilweiser Wiederholung ihres erstinstanzlichen Vorbringens geltend:

Der angefochtene Beschuß könne keinen Bestand haben, weil - unstreitig - die Berufung des Herrn M.ai gegen das Urteil des Amtsgerichts Wipperfürth durch Urteil des Landgerichts Köln vom 17.06.1998 - 152-231/97 - verworfen worden sei. Dadurch sei ein neuer Sachverhalt gesetzt worden mit der Folge, daß der rechtskräftige Beschluß des Arbeitsgericht Wuppertal vom 05.12.1995 - 4 BV 94/95 -2 - der begehrten Zustimmungsersetzung nicht entgegenstehe. Bei Herrn M.ai handele es sich um ein sowohl in erster wie auch in zweiter Instanz wegen sexueller Nötigung in drei Fällen verurteilten Straftäter, woran sich nach ihrer Überzeugung auch unter Berücksichtigung der von ihm - unstreitig - eingelegten Revision nichts ändern werde. Sie stütze nunmehr ihre begehrte Zustimmung zur Kündigung des Herrn M.ai auf die Vorwürfe in der Sache selbst und seine den vorgetragenen Sachverhalt betreffende strafrechtliche Verurteilung.

Die Arbeitgeberin beantragt,

unter Aufhebung des Beschlusses des Arbeitsgerichts Wuppertal vom 27.01.1998

1. die Zustimmung des Betriebsrates zur außerordentlichen, fristlosen Kündigung des Beteiligten M.ai zu ersetzen,

2. hilfsweise: die Zustimmung des Betriebsrats zur außerordentlichen, fristgerechten Kündigung des Beteiligten M.ai zu ersetzen.

Der Betriebsrat und Herr M.ai beantragen,

die Beschwerde zurückzuweisen. Sie verteidigen den angefochtenen Beschluß und führen unter teilweiser Wiederholung ihres erstinstanzlichen Vorbringens ergänzend aus:

Eine Gerichtsentscheidung könne kein wichtiger Grund an sich" im Sinne des § 626 Abs. 1 BGB sein, wenn, wie im Streitfall, die zugrundeliegenden Tatsachen in einem zivilrechtlichen Verfahren bereits abschließend beurteilt und rechtskräftig entschieden worden seien. Im übrigen liege nach wie vor keine rechtskräftige strafrechtliche Verurteilung des Herrn M.ai vor.

Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf den vorgetragenen Inhalt der von den Beteiligten gewechselten Schriftsätze und den übrigen Akteninhalt verwiesen.

II.

1. Die Beschwerde der Arbeitgeberin ist zulässig. Sie ist nämlich an sich statthaft (§ 87 Abs. 1 ArbGG) sowie in gesetzlicher Form (§ 89 Abs. 1 und Abs. 2 Satz 1 ArbGG, § 518 Abs. 1 und Abs. 2 Satz 1 ArbGG, § 518 Abs. 1 und 2 ZPO i. V. m. §§ 64 Abs. 6 Satz 1, 87 Abs. 2 Satz 1 ArbGG) und Frist (§§ 64 Abs. 6 Satz 1, 66 Abs. 1 Satz 1 ArbGG, §§ 222 Abs. 2, 523 ZPO i. V. m. § 87 Abs. 2 Satz 1 ArbGG) eingelegt und innerhalb der Frist (§ 519 Abs. 2 Satz 2 2. Halbs. ZPO i. V. m. §§ 64 Abs. 6 Satz 1, 66 Abs. 1 Satz 1, 87 Abs. 2 Satz 1 ArbGG) begründet worden.

2. Die Beschwerde der Arbeitgeberin ist jedoch unbegründet. Zu Recht hat die Vorinstanz den Haupt- und Hilfsantrag der Arbeitgeberin auf Ersetzung der Zustimmung zur außerordentlichen Kündigung des Herrn M.ai zurückgewiesen, da eine derartige Kündigung nicht nach § 15 Abs. 1 Satz 1 KSchG i. V. m. § 626 Abs. 1 BGB gerechtfertigt wäre.

a) In § 15 Abs. 1 Satz 1 KSchG sind ohne eigenständige Definition die in § 626 Abs. 1 BGB verwandten Formulierungen übernommen worden. Da der Gesetzgeber in § 626 Satz 1 BGB geregelt hat, unter welchen Voraussetzungen eine Kündigung aus wichtigem Grund ohne Einhaltung einer Kündigungsfrist" gerechtfertigt ist, sind die in dieser Vorschrift enthaltenen und daraus abgeleiteten Regeln zur Zulässigkeit einer außerordentlichen Kündigung eines Betriebsratsmitglieds auch im Rahmen des § 15 Abs. 1 Satz 1 KSchG anzuwenden (BAG v. 18.02.1993 - 2 AZR 526/92 - EzA § 15 KSchG n. F. Nr. 40; BAG v. 21.06.1995 - 2 ABR 28/94 - EzA § 15 KSchG n. F. Nr. 43).

b) Die Prüfung, ob im konkreten Streitfall ein wichtiger Grund für eine fristlose Kündigung vorliegt, hat nach der ständigen Rechtsprechung des BAG (vgl. z.B. BAG v. 24.03.1958 - 2 AZR 587/55 - AP Nr. 5 zu § 626 BGB Verdacht strafbarer Handlung; BAG v. 17.05.1984 - 2 AZR 3/83 - AP Nr. 14 zu § 626 BGB Verdacht strafbarer Handlung; BAG v. 21.02.1991 - 2 AZR 449/90 - AP Nr. 35 zu § 123 BGB), der das Schrifttum im wesentlichen gefolgt ist (vgl. KR-Hillebrecht, 4. Aufl. 1995, § 626 BGB Rdz. 58 ff.) in zwei systematisch zu trennenden Abschnitten zu erfolgen. Zunächst ist festzustellen, ob ein bestimmter Sachverhalt ohne die besonderen Umstände des Einzelfalls an sich" geeignet ist, einen wichtigen Kündigungsgrund abzugeben. Dabei genügt allerdings nicht die abstrakte Erheblichkeit" eines Kündigungssachverhaltes zur Begründung der Unzumutbarkeit. Vielmehr muß bereits auf der ersten Stufe festgestellt werden, ob der an sich zur außerordentlichen Kündigung geeignete Sachverhalt im Streitfall zu einer konkreten Beeinträchtigung des Arbeitsverhältnisses geführt hat (vgl. BAG v. 15.11.1984 - 2 AZR 613/83 - EzA § 626 BGB n.F. Nr. 95; BAG v. 17.03.1988 - 2 AZR 576/87 - EzA § 626 BGB n.F. Nr. 116). Erst dann ist in zweiten Stufe zu untersuchen, ob nach Abwägung aller in Betracht kommender Interessen der Parteien des Arbeitsverhältnisses die Kündigung gerechtfertigt ist (vgl. BAG v. 17.03.1988 - 2 AZR 576/87 - a.a.O.; BAG v. 02.03.1989 - 2 AZR 280/88 - AP Nr. 101 zu § 626 BGB). Dabei ist im Rahmen der Interessenabwägung zu beachten, daß bei der Prüfung, ob dem Arbeitgeber nach § 15 Abs. 1 Satz 1 KSchG, § 626 Abs. 1 BGB die Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses mit einem Betriebsratsmitglied zumutbar oder unzumutbar ist, von der Kündigungsfrist auszugehen ist, die ohne den besonderen Kündigungsschutz des § 15 KSchG für eine ordentliche Kündigung gelten würde (BAG v. 02.04.1987 - 2 AZR 418/86 - EzA § 626 BGB n. F. Nr. 108; BAG v. 18.02.1993 - 2 AZR 526/92 - EzA § 15 KSchG n. F. Nr. 40).

c) Im Streitfall ist die erkennende Kammer aufgrund des rechtskräftigen Beschlusses des Arbeitsgerichts Wuppertal vom 05.12.1995 - 4 BV 94/95-2 - an der Feststellung gehindert, daß vorliegend ein an sich" geeigneter Kündigungsgrund vorliegt.

aa) Beschlüsse im arbeitsgerichtlichen Beschlußverfahren, durch die eine betriebsverfassungsrechtliche Frage materiell-rechtlich entschieden wird, sind der formellen und materiellen Rechtskraft fähig (BAG v. 01.02.1983 - 1 ABR 33/78 - EzA § 322 ZPO Nr. 4; BAG v. 20.03.1996 - 7 ABR 41/95 - EzA § 322 ZPO Nr. 10; BAG v. 10.03.1998 - 1 AZR 658/97 - in der Fachpresse noch unveröffentlicht). Folge der materiellen Rechtskraft ist, daß erneute abweichende Entscheidungen desselben oder eines anderen Gerichts innerhalb bestimmter objektiver, subjektiver und zeitlicher Grenzen ausgeschlossen sind (BAG v. 27.08.1968 - 1 ABR 6/68 - AP Nr. 4 zu § 80 ArbGG 1953; BAG v. 20.03.1996 - 7 ABR 41/95 - a. a. O.). Selbst wenn der Beschluß des Arbeitsgerichts Wuppertal vom 05.12.1995 unrichtig wäre, würde seine Rechtskraft und deren Wirkung davon nicht berührt. Auch ein sachlich unrichtiger Beschluß bindet im Umfang seiner Rechtskraft. Die Rechtskraft verbietet es, die Frage der Richtigkeit oder Unrichtigkeit nochmals aufzuwerfen (vgl. BVerfGE 60, 253, 268; BAG v. 12.06.1990 - 3 AZR 524/88 - EzA § 322 ZPO Nr. 8, BAG v. 20.03.1996 - 7 ABR 41/95 - a. a. O.).

bb) Aus der zeitlichen Rechtskraftgrenze folgt, daß jede Partei gestützt auf neue Tatsachen in einem neuen Prozeß eine Änderung der Rechtslage zu ihren Gunsten geltend machen und das Gericht folglich neu abweichend entscheiden kann (BGHZ 37, 375, 377; BGH v. 11.03.1983 - V ZR 287/81 - NJW 1984, 126, 127). Entsprechendes gilt für das arbeitsgerichtliche Beschlußverfahren (vgl. BAG v. 27.01.1981 - 6 ABR 68/79 - AP Nr. 2 zu § 80 ArbGG 1979). Im Streitfall hat die Arbeitgeberin ihren erneuten Zustimmungsersetzungsantrag nach § 103 Abs. 2 Satz 1 BetrVG im Vergleich zu dem früheren Antrag nicht auf neue Tatsachen gestützt.

(1) Zunächst ist darauf hinzuweisen, daß die gegenüber Herrn M.ai erhobenen Vorwürfe der sexuellen Belästigung von Mitarbeiterinnen der Arbeitgeberin dieselben sind, die bereits den gerichtlichen Beschlüssen des Vorverfahrens zugrunde lagen. Zudem ergibt sich aus § 14 Abs. 2 Nr. 1 EGZPO, daß die Zivilgerichte nicht an strafgerichtliche Urteile gebunden sind. Sie müssen sich eine eigene Überzeugung bilden (BAG v. 26.03.1992 - 2 AZR 519/91 - EzA § 626 BGB Verdacht strafbarer Handlung Nr. 4; BAG v. 22.01.1998 - 2 AZR 455/97 - EzA § 580 ZPO Nr. 3). Dem entspricht es, daß es bei einer außerordentlichen Kündigung nicht auf die strafrechtliche Wertung, sondern darauf ankommt, ob dem Arbeitgeber wegen des Verhaltens des Arbeitnehmers nach dem gesamten Sachverhalt die Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses noch zuzumuten ist (BAG v. 22.12.1956 - 3 AZR 91/56 - AP Nr. 13 zu § 626 BGB; BAG v. 05.11.1992 - 3 AZR 147/92 - EzA § 626 BGB n. F. Nr. 143).

(2) Nicht berücksichtigt werden kann im vorliegenden Verfahren der Umstand, daß das Landgericht Köln durch Urteil vom 18.06.1998 die Berufung des Herrn M.ai gegen das Urteil des Amtsgerichts Wipperfürth zurückgewiesen hat. Diese Tatsache war nicht Gegenstand des Antrags der Arbeitgeberin auf Zustimmung des Betriebsrats zur beabsichtigten außerordentlichen Kündigung des Herrn M.ai. Nach Abschluß des Zustimmungsverfahrens entstandene Kündigungsgründe sind vom Gericht im Verfahren nach § 103 Abs. 2 BetrVG nur zu berücksichtigen, wenn der Arbeitgeber deswegen zuvor den Betriebsrat vergeblich um seine Zustimmung zur Kündigung ersucht hat (BAG v. 27.01.1977 - 2 ABR 77/76 - EzA § 103 BetrVG 1972 Nr. 16 m. w. N.). Dies ist im vorliegenden Verfahren nicht geschehen. Vielmehr hat die Arbeitgeberin das Berufungsurteil des Landgerichts Köln vom 18.06.1998 zum Gegenstand eines eigenständigen Zustimmungsverfahrens nach § 103 BetrVG gemacht. Durch Beschluß vom 25.08.1998 - 2 BV 57/98-6 - hat das Arbeitsgericht Wuppertal den Zustimmungsantrag der Arbeitgeberin zurückgewiesen.

(3) Die Verurteilung des Herrn M.ai durch das Amtsgericht Wipperfürth stellt gegenüber dem früheren Zustimmungsersetzungsverfahren keine neue Tatsache für einen Kündigungsgrund nach § 626 Abs. 1 BGB dar. Anders wäre es nur dann, wenn die Arbeitgeberin im Vorverfahren die Zustimmung des Betriebsrats mit dem gegen Herrn M.ai gehegten Verdacht einer strafbaren Handlung begründet hätte. In diesem Fall wäre die Verurteilung des Herrn M.ai, d. h. die Feststellung der Strafbarkeit seines Verhaltens durch die dafür zuständigen und sachverständigen Strafgerichte, eine gegenüber der auf den Verdacht einer strafbaren Handlung gestützten Kündigungsabsicht neue Tatsache (vgl. BAG v. 26.08.1993 - 2 AZR 159/93 - EzA § 322 ZPO Nr. 9, BAG v. 14.02.1996 - 2 AZR 274/95 - EzA § 626 BGB n. F. Nr. 160). So ist die Rechtslage jedoch im Streitfall nicht. Die Arbeitgeberin hat auch in dem vorherigen Zustimmungsverfahren nach § 103 BetrVG ihre Kündigungsabsicht nicht auf den Verdacht einer strafbaren Handlung des Herrn M.ai, sondern auf eine in ihren Augen erwiesene Straftat gestützt.

(4) Aber selbst dann, wenn man die strafrechtliche Verurteilung des Herrn M.ai durch das Amtsgericht Wipperfürth wegen des mit einer Bestrafung verbundenen negativen Werturteils als neue Tatsache gegenüber dem früheren rechtskräftig zu Lasten des Arbeitgebers abgeschlossenen, auf einer beabsichtigten Tatkündigung beruhenden Zustimmungsersetzungsverfahrens ansehen würde, könnte im vorliegenden Verfahren nicht zugunsten der Arbeitgeberin von einem an sich" geeigneten Kündigungsgrund gemäß § 626 Abs. 1 BGB ausgegangen werden. Denn die u. a. im Rechtsstaatsprinzip des Art. 20 Abs. 3 GG begründete Unschuldsvermutung" schließt es aus, einen nicht rechtskräftig verurteilten Bürger als schuldig zu behandeln (vgl. nur BVerfGE 22, 254, 265). Auf diesen Grundsatz kann sich Herr M.ai berufen, da infolge der von ihm gegen das Urteil des Landgerichts Köln vom 18.06.1998 eingelegten Revision das Urteil des Amtsgerichts Wipperfürth vom 03.11.1997 noch nicht rechtskräftig ist.

Die Kammer hat die Rechtsbeschwerde nach § 72 Abs. 2 Nr. 1 ArbGG i. V. m. § 92 Abs. 1 Satz 2 ArbGG zugelassen.

Ende der Entscheidung

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