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Beginn der Entscheidung

Gericht: Landesarbeitsgericht Düsseldorf
Urteil verkündet am 14.12.2005
Aktenzeichen: 12 (13) Sa 1262/05
Rechtsgebiete: TVG, BetrVG


Vorschriften:

TVG § 1
BetrVG § 77
BetrVG § 87 Abs. 1 Nr. 4
1. Zu einer - von den Tarifvertragsparteien gebilligten - Betriebsvereinbarung, nach der die Arbeitnehmer im Jahr 2005 100 Zusatzstunden ohne Entgeltanspruch zu leisten haben.

2. Zu einer Betriebsvereinbarung, die dem Arbeitgeber die Lohnzahlung bis zu einem Monat stundet.


LANDESARBEITSGERICHT DÜSSELDORF IM NAMEN DES VOLKES URTEIL

12 (13) Sa 1262/05

Verkündet am 14. Dezember 2005

In Sachen

hat die 12. Kammer des Landesarbeitsgerichts Düsseldorf auf die mündliche Verhandlung vom 14.12.2005 durch den Vorsitzenden Richter am Landesarbeitsgericht Dr. Plüm als Vorsitzenden sowie den ehrenamtlichen Richter Horst und den ehrenamtlichen Richter Alsdorf

für Recht erkannt:

Tenor:

Unter Abänderung des Urteils des Arbeitsgerichts Essen vom 28.07.2005 wird festgestellt,

1. dass der Kläger nicht verpflichtet ist, 100 unbezahlte Zusatzstunden gemäß der Betriebsvereinbarung vom 22.12.2004 zu erbringen,

2. dass die Beklagte kalendermäßig bestimmt verpflichtet ist, die Arbeitsvergütung des Klägers für den jeweils laufenden Monat zu 75 % am letzten Werktag des Monats und zu 25 % bis zum 6. Arbeitstag des Folgemonats abzurechnen und auszuzahlen.

Die Kosten des Rechtsstreits trägt die Beklagte.

Die Revision wird zugelassen.

Tatbestand:

Die Parteien streiten darum, ob der Kläger aufgrund einer ,Betriebsvereinbarung zur Arbeitszeitgestaltung vom 22.12.2004 im Jahr 2005 100 unbezahlte Zusatzstunden zu leisten hat und ob der Beklagten aufgrund einer weiteren Betriebsvereinbarung vom 22.12.2004 die Zahlung des Monatslohns bis zu einem Monat lang gestundet ist.

Der Kläger ist seit dem 02.07.1984 als gewerblicher Arbeitnehmer bei der Beklagten beschäftigt. Der Kläger ist nicht tarifgebunden. Die Beklagte ist Mitglied des Arbeitgeberverbandes der Deutschen Glasindustrie. Zu Beginn des Arbeitsverhältnisses wurden die Arbeitsbedingungen in einem Einstellungsbogen (Bl. 6 GA) festgehalten. Auf das Arbeitsverhältnis werden einvernehmlich alle für die Beklagte jeweils gültigen Tarifverträge und Betriebsvereinbarungen angewendet.

In einem für die Beschäftigten der Beklagten am 23.04.1993 geschlossenen Manteltarifvertrag (nachfolgend: MTV-S.) ist die regelmäßige wöchentliche Arbeitszeit auf 37,5 Stunden festgelegt (§ 3 I Nr. 1 a, Abs. 1) und bestimmt, dass die Entgeltabrechnungszeiträume mit dem Betriebsrat zu vereinbaren seien und einen Monat nicht überschreiten dürfen (§ 9 Nr. 1).

In einer Betriebsvereinbarung vom 11.06.1997 vereinbarten die Beklagte und der Betriebsrat mit dem Ziel der Beschäftigungssicherung und zur Personalkostensenkung die "Rückführung der regelmäßigen tariflichen Wochenarbeitszeit von 37,5 auf 40 Stunden gemäß tariflicher Öffnungsklausel". Danach arbeiteten die Beschäftigten der Beklagten ab dem 01.07.1997 ohne Lohnausgleich in einer Wochenarbeitszeit von 40 Stunden.

Am 20.07.1998 führten die Tarifvertragsparteien Tarifverhandlungen für die Beklagte. In der Niederschrift des 'Einigungsergebnisses' sind unter Nr. 4 Änderungen/Ergänzungen des MTV-S. und dessen Laufzeit bis zum 31.12.2000 vereinbart. Unter Nr. 6 heißt es: "Die betriebliche Arbeitszeit von 40 Stunden/Woche gemäß Betriebsvereinbarung vom 11. Juni 1997 wird durch Tarifvertrag konform geregelt."

Am 02.12.2002 schlossen die Tarifvertragsparteien einen bundesweit für die Glasindustrie geltenden Manteltarifvertrag (nachfolgend: MTV-Glasindustrie). Nach § 6 Nr. 3 "gelten als Mehrarbeit alle Stunden, die über die im Manteltarifvertrag geregelte wöchentliche Arbeitszeit unter Beachtung der betrieblichen Arbeitszeitregelungen hinausgehen." In Abs. 3 der Anlage 2 'Auslegungsrichtlinien' zu § 6 Nr. 4 Abs. 3 MTV-Glasindustrie ist ein Beispielsfall dazu gebildet, dass "der Arbeitsanfall konstant über die tarifliche wöchentliche Arbeitszeit von 37,5 Stunden hinausgeht". Nach § 7 Abs. 1 MTV-Glasindustrie treten mit Inkrafttreten zum 01.10.2003 "die inhaltlich entsprechenden in der Anlage 1 im Einzelnen genannten Vorschriften der räumlich oder fachlich spezielleren Tarifverträge außer Kraft." In Anlage 1 wird unter Nr. 8 für den MTV-S. auf Nr. 7 mit den dort erwähnten §§ 2, 4 II, 16, 17, 22 verwiesen.

Am 22.12.2004 schlossen die Beklagte und der Betriebsrat eine 'Betriebsvereinbarung zur Arbeitszeitgestaltung' (nachfolgend: BV-AZG). Dies bestimmt u.a.:

§ 2 Dauer der regelmäßigen Arbeitszeit

1. Für den Zeitraum vom 01.01.2005 bis 31.12.2005 sind über die tarifliche Arbeitszeit hinaus, zusätzlich 100 Stunden ohne Entgeltausgleich zu erbringen (Zusatzstunden). Darüber hinaus wird ein 25 %-Zuschlag als Zeitgutschrift gewährt. § 3 Arbeitszeitkonten 2. Ab dem Jahr 2005 werden die zu erbringenden Zusatzstunden von einem separaten Arbeitszeitkonto abgezogen.

Am 01. Januar des Jahres 2005 erfolgt der Abzug auf dem Arbeitszeitkonto in Höhe von 100 Jahresstunden (Zusatzstunden) ohne der Zeitgutschrift. Das Arbeitszeitkonto muss zum 31. Dezember des Jahres 2005 ausgeglichen sein.

Während des Jahres ausscheidende oder eintretende Mitarbeiter haben die Zusatzstunden zeitanteilig für jeden angefangenen Monat zu erbringen. Gleiches gilt für Teilzeitbeschäftigte.

§ 4 Ausgleich des Zeitguthabens 2. Sind zum 31.12.2005 die Zusatzstunden nicht bzw. nur teilweise erbracht worden, werden die Betriebsparteien eine einvernehmliche Lösung zum Ausgleich der Zeitschuld finden.

§ 5 Krankheit und Urlaub

1. Bei Urlaub und Urlaubsabgeltung, so wie Entgeltfortzahlung im Krankheitsfall, werden die Zusatzstunden nicht berücksichtigt.

2. Langzeitkranken wird für die Dauer ihrer Erkrankung zeitanteilig die Zusatzstunden auf dem Arbeitszeitkonto gutgeschrieben.

Als Langzeitkranker gilt der Mitarbeiter bei einer zusammenhängenden Erkrankung von länger als sechs Wochen im Kalenderjahr wegen derselben Erkrankung.

§ 6 Entscheidung über die Verwendung der erbrachten Zusatzstunden

Bis zum Ablauf dieser Betriebsvereinbarung hat der Vorstand, abhängig vom zu erwartenden Betriebsergebnis zu entscheiden, ob

a) die erbrachten Zusatzstunden abgegolten werden bzw. auf dem Freizeitkonto gutgeschrieben werden,

b) die Entscheidung über eine Abgeltung oder Freizeitgutschrift gem. Buchstabe a) auf einen zu bestimmenden Termin verschoben wird,

c) die erbrachten Zusatzstunden als Investitionsbeitrag der Mitarbeiter angenommen wird und damit eine Gegenleistung der S. entfällt.

§ 7 Geltungszeitraum

1. Diese Betriebsvereinbarung tritt am 01.01.2005 in Kraft und hat eine Laufzeit bis 31.12.2005 und entfaltet keine Nachwirkung.

Nach Abschluss der BV-AZG am 22.12.2004 erklärten beide Tarifvertragsparteien in Schriftform ihren Beitritt zu der Betriebsvereinbarung.

Am 20.10.2005 vereinbarten die Betriebsparteien in einer 'Regelung zur Umsetzung der Betriebsvereinbarung zur Arbeitszeitgestaltung vom 22.12.2004', dass "alle Beschäftigten, die zum Stichtag 30.09.2005 unter 40 Stunden auf ihr Arbeitszeitkonto Zusatzstunden erbracht haben, die noch zu erbringende Zeitschuld in Geldwert von der Entgeltabrechnung abgezogen werden" kann.

Die Beklagte nahm dementsprechend gegenüber dem Kläger, der im Jahr 2005 keine Zusatzstunden leistete, Lohnabzüge vor.

Am 22.12.2004 schlossen die Betriebsparteien außerdem eine Betriebsvereinbarung zur Änderung der Betriebsvereinbarung über 'Bargeldlose Entgeltzahlung vom 11.02.1975' (nachfolgend: ÄndBV-BE). Darin vereinbarten sie für die Monate Januar 2005 bis Juni 2006 die sukzessive Hinausschiebung der Anweisungszeitpunkte des Nettoarbeitsentgelts um schließlich einen Monat (Mai bis Dezember 2005) und die sukzessive Rückführung der Anweisungszeitpunkte auf das Monatsende (April 2006).

Die Beklagte hat nach Maßgabe der ÄndBV-BE gegenüber dem Kläger die Monatslöhne angewiesen. Die hinausgeschobenen Lohnzahlungen führten beim Kläger zu Kontoüberziehungen.

Mit der im März 2005 vor dem Arbeitsgericht Essen erhobenen Klage will der Kläger festgestellt wissen, dass er nicht verpflichtet ist, 100 unbezahlte Zusatzstunden zu leisten, und dass die Beklagte das Nettoarbeitsentgelt zu 75 % am Monatsende und zu 25 % bis zum 6. Arbeitstag des Folgemonats abzurechnen und auszuzahlen hat. Er vertritt die Auffassung, dass die Betriebsvereinbarungen vom 22.12.2004 unwirksam seien.

Durch Urteil vom 28.07.2005 hat das Arbeitsgericht die Klage abgewiesen. Die form- und fristgerecht eingelegte und begründete Berufung des Klägers greift das Urteil im wesentlichen mit Rechtsausführungen an.

Der Kläger beantragt, unter Abänderung des Urteils des Arbeitsgerichts Essen vom 28.07.2005

1. festzustellen, dass er nicht verpflichtet ist, 100 unbezahlte Zusatzstunden gemäß der Betriebsvereinbarung vom 22.12.2004 zu erbringen,

2. festzustellen, dass die Beklagte kalendermäßig bestimmt verpflichtet ist, die Arbeitsvergütung des Klägers für den jeweils laufenden Monat zu 75 % am letzten Werktag des Monats und zu 25 % bis zum 6. Arbeitstag des Folgemonats abzurechnen und auszuzahlen.

Die Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Sie sieht in der BV-AZG eine Tarifvereinbarung und verteidigt die Wirksamkeit dieser Vereinbarung sowie der ÄndBV-BE.

Wegen der Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Akteninhalt verwiesen.

Entscheidungsgründe:

I. Die Klage ist hinsichtlich beider Feststellungsanträge zulässig.

Nach § 256 Abs. 1 ZPO ist eine Klage auf Feststellung des Bestehens oder Nichtbestehens eines Rechtsverhältnisses nur zulässig, wenn der Kläger ein rechtliches Interesse hat, das Rechtsverhältnis durch richterliche Entscheidung alsbald feststellen zu lassen. Wird ein zunächst gegenwärtiges Rechtsverhältnis durch Zeitablauf während des Rechtsstreits zu einem vergangenen, bleibt eine Feststellungsklage nur zulässig, wenn sich aus der begehrten Feststellung noch Rechtswirkungen für die Zukunft ergeben können (BAG, Urteil vom 06.05.2003, 1 AZR 340/02, AP Nr. 80 zu § 256 ZPO 1977; vgl. Urteil vom 05.06.2003, 6 AZR 277/02, AP Nr. 81 zu § 256 ZPO 1977, zur Unzulässigkeit einer ausschließlich vergangenheitsbezogenen Feststellung ohne jeden Gegenwartsbezug). Das Feststellungsinteresse entfällt auch nicht dadurch, dass in zweiter Instanz eine Leistungsklage und die Aufspaltung in einen (vergangenheitsbezogenen) Leistungsantrag und einen (gegenwarts- bzw. zukunftsbezogenen) Feststellungsantrag möglich wird; vielmehr entspricht es der Prozessökonomie, wenn das Rechtsverhältnis insgesamt durch ein Feststellungsurteil geklärt wird (vgl. BAG, Urteil vom 22.02.2000, 3 AZR 39/99, AP Nr. 13 zu § 1 BetrAVG Beamtenversorgung, Urteil vom 01.08.2001, 4 AZR 388/99, AP Nr. 5 zu § 3 TVG Betriebsnormen).

II. Der Klageantrag zu 1. ist begründet. Der Kläger ist nicht verpflichtet, 100 unbezahlte Zusatzstunden zu leisten.

1. Allerdings geht die Kammer, wie sie im Hinweis vom 09.11.2005 (Bl. 135 f. GA) ausgeführt hat, davon aus, dass die Verlängerung der Arbeitszeit ohne Lohnausgleich, weil ausdrücklich von den Tarifvertragsparteien gebilligt, nicht die Regelungssperre des § 77 Abs. 3 BetrVG verletzt und ebenso wenig die Grundsätze der Verhältnismäßigkeit und des Vertrauensschutzes betroffen sind, weil im Dezember 2004 die Jahresarbeitszeit nur für die Zukunft, nämlich für das Jahr 2005, neu geregelt worden ist (Ablösungsprinzip).

2. Die Kammer kann offen lassen, ob die BV-AZG bzw. die Beitrittserklärung der Tarifvertragsparteien eine Verpflichtung zur Leistung von 100 Zusatzstunden über die Wochenarbeitszeit von 40 Stunden hinaus hergibt.

Dem Wortlaut nach geht es um die Erbringung der Zusatzstunden "über die tarifliche Arbeitszeit hinaus". Nach § 3 I Nr. 1 a MTV-S. beträgt die regelmäßige wöchentliche Arbeitszeit 37,5 Stunden. Die Tarifnorm ist nicht geändert worden. Der MTV-Glasindustrie enthält keine andere (höhere) Arbeitszeit. Daraus, dass § 7 Abs. 1 i. V. m. Anlage 1 Nr. 8, 7, nicht ausdrücklich auch § 3 I Nr. 1 a MTV-S. erwähnt, ist zu folgern, dass die Tarifvertragsparteien davon ausgingen, dass die regelmäßige wöchentliche Arbeitszeit bei der Beklagten 37,5 Stunden beträgt. Unter diesem Aspekt spiegelt der in Abs. 3 der Anlage 2 'Auslegungsrichtlinien' zu § 6 Nr. 4 Abs. 3 MTV-Glasindustrie gebildete Beispielsfall auch die Tariflage bei der Beklagten wider.

Zwar hielten die Tarifvertragsparteien in der Niederschrift des 'Einigungsergebnisses' vom 20.07.1998 unter Nr. 6 fest: "Die betriebliche Arbeitszeit von 40 Stunden / Woche gemäß Betriebsvereinbarung vom 11. Juni 1997 wird durch Tarifvertrag konform geregelt." Entgegen der Auffassung der Beklagten fehlt jedoch einer Ergebnisniederschrift im allgemeinen der Tarifnormcharakter (BAG, Urteil vom 27. 01.1988, 4 AZR 499/87, ZTR 1988, 339, Urteil vom 03.12.1986, 4 AZR 19/86, AP Nr. 6 zu § 51 TVAL II, Urteil vom 07.10.1992, 10 AZR 214/91, EEK I/1111; vgl. - zur "Protokollnotiz" - einerseits BAG, Urteil vom 24.11.1993, 4 AZR 402/92, AP Nr. 2 zu § 1 TVG Tarifverträge: Bergbau, andererseits BAG, Urteil vom 09.12.1997, 1 AZR 330/97, AP Nr. 3 zu § 77 BetrVG Regelungsabrede). Indem dies den Tarifvertragsparteien geläufig ist, äußern sie ihren endgültigen Normsetzungswillen erst in einem der Ergebnisniederschrift nachfolgenden Tarifvertrag. Allerdings können die Tarifvertragsparteien im Einzelfall ihren Normsetzungswillen auch dann hinreichend zum Ausdruck bringen, wenn sie den Begriff Tarifvertrag nicht verwenden (BAG, Urteil vom 25.06.2003, 4 AZR 405/02, AP Nr. 1 zu § 1 TVG Beschäftigungssicherung). So verhält es sich im Streitfall freilich nicht. Die Formulierung in Nr. 6 des 'Einigungsergebnisses' vom 20.07.1998 deutet nach Auffassung der Kammer eher darauf hin, dass die Tarifvertragsparteien die Abänderung des § 3 I Nr. 1 a MTV-S. einem noch abzuschließenden Tarifvertrag überlassen wollten. Andernfalls hätte es nahe gelegen, entweder die Regelung in Nr. 6 in Nr. 4 einzufügen oder zumindest das Inkrafttreten und die Laufzeit der tariflichen Arbeitszeiterhöhung festzulegen.

Es spricht viel dafür, dass die Betriebsparteien am 22.12.2004 die betriebliche Arbeitszeit von 40 Wochenstunden für die "tarifliche Arbeitszeit" hielten und hierauf die Zusatzstundenleistung aufbauten. Es ist jedoch auch unter Einbeziehung der Präambel nicht unzweifelhaft, ob sie ihren - vom Wortlaut abweichenden - Willen in der BV-AZG hinreichend zum Ausdruck gebracht haben (vgl. zur Auslegung von Betriebsvereinbarungen: BAG, Urteil vom 15.12.1998, 1 AZR 332/98, AP Nr. 126 zu § 112 BetrVG 1972) und ob beide Tarifvertragsparteien bei ihrem Beitritt zur BV-AZG erkannten, dass es um die unentgeltliche Leistung der 41. und 42. Wochenstunde (genauer: 100 Stunden jährlich) bei der Beklagten ging (zur Tarifauslegung: BAG, Urteil vom 13.04.2005, 5 AZR 475/04, AP Nr. 192 zu § 1 TVG Auslegung, Urteil vom 23.02.2005, 4 AZR 79/04, AP Nr. 12 zu § 1 TVG Tarifverträge: Verkehrsgewerbe). Dies gilt umso mehr, als es allen Beteiligten - hätten sie dies gewollt - ein Leichtes gewesen wäre und sich ihnen aufgedrängt hätte, die bei der Beklagten geltende "tarifliche Arbeitszeit" auszuweisen und klarstellend festzuschreiben, dass über eine Wochenarbeitszeit von 40 Stunden hinaus 100 Zusatzstunden erbracht werden sollten.

3. Die BV-AZG ist jedenfalls wegen Verstoßes gegen das für Rechtsnormen geltende Bestimmtheitsgebot (Art. 20 Abs. 3 GG) nichtig. Sie macht weder hinreichend deutlich, welche definitiven Folgen es hat, wenn Zusatzstunden geleistet werden: Insoweit überlässt sie es der Beklagten über einen etwaigen Ausgleich zu befinden (§ 6). Noch regelt sie die Konsequenzen, die die Nichtleistung von Zusatzstunden nach sich zieht, und überantwortet den Betriebsparteien eine bis zum 31.12.2005 zu findende Lösung. Damit lassen die BV-AZG und der "Beitritt" der Tarifvertragsparteien es an der durch das Bestimmtheitsgebot bezweckten Vorhersehbarkeit der Rechtsfolgen und an der durch eine exante Regelung gewährten Gerechtigkeit fehlen.

In diesem Zusammenhang hat die Kammer erhebliche Bedenken, ob die Tarifvertragsparteien mit dem Beitritt zur BV-AZG eine wirksame Vorabzustimmung zu einseitigen Entscheidungen der Beklagten (§ 6) oder zwischen ihr und dem Betriebsrat noch zu treffenden Durchführungsregelungen (§ 4 Nr. 2, § 7) geben konnten. Sie entäußern sich ihrer Normsetzungsbefugnis und entziehen sich ihrer damit verbundenen Regelungsaufgabe, indem sie Teile der tariflich geregelten und gestalteten Arbeitszeit und Arbeitsvergütung zur freien Disposition der Betriebsparteien stellen. Mit der Blankettermächtigung geben sie zudem aus der Hand, dass Gleichheitssatz und Verhältnismäßigkeitsgrundsatz beachtet werden. Diese Defizite haben sich in der von den die Betriebsparteien am 20.10.2005 getroffenen 'Regelung zur Umsetzung der Betriebsvereinbarung zur Arbeitszeitgestaltung vom 22.12.2004' realisiert. Sowohl der gegriffene Stichtag 30.09.2005 als auch die 40 Stunden-Grenze sind sachlich nicht begründbar. Mit dem Abzug der Minusstunden vom Arbeitslohn setzt die Regelung sich über zwingende Pfändungsschutzbestimmungen (§ 394 BGB, § 850 e, 850 ff. ZPO) hinweg.

4. Der Beklagten war - wie in der Verhandlung vor der Kammer deutlich geworden ist - bei der Ausgestaltung der Zusatzstundenregelung daran gelegen, dem hohen Krankenstand im Betrieb zu begegnen, und auch bei Urlaub oder unverschuldeter Nichtleistung sicherzustellen, dass entweder die Zusatzstunden nachgeleistet werden oder als Zeitschuld beim Arbeitsentgelt abgezogen werden können. Ihr Interesse hat in § 5 BV-AZG Eingang gefunden. Indessen ist es nicht nur gesetzeswidrig, die Zusatzstunden bei Arbeitsausfall wegen Urlaub und Arbeitsunfähigkeit unberücksichtigt zu lassen und ihre Nachleistung zu bestimmen. Es stellt auch einen Verstoß gegen den Gleichheitsgrundsatz dar, wenn Mitarbeitern, die länger als 6 Wochen arbeitsunfähig sind ("Langzeitkranker") für die gesamte Dauer der Erkrankung zeitanteilig die Zusatzstunden gutgeschrieben werden, wohingegen ein bis zu 6 Wochen erkrankter Mitarbeiter zur Nachleistung verpflichtet ist. Diese Differenzierung ist sachlich nicht zu rechtfertigen. Darüber hinaus fehlt eine Regelung für andere Fälle, in denen Arbeitnehmer unverschuldet Zusatzstunden nicht erbringen können. Die Feststellung, dass aus den vorgenannten Gründen die BV-AZG teilunwirksam ist, führt zu dem Befund der Unwirksamkeit der gesamten Betriebsvereinbarung: Der verbleibende Teil der Betriebsvereinbarung enthält - zumal im Hinblick auf die weiteren Regelungsdefizite - ohne die unwirksamen Bestimmungen nicht mehr eine sinnvolle und in sich geschlossene Regelung.

III. Der Klageantrag zu 2) ist ebenfalls begründet. Die ÄndBV-BE verstößt gegen § 9 Nr. 1 MTV-S. und hält auch nicht der gerichtlichen Billigkeitskontrolle nach § 75 BetrVG stand.

1. § 614 Satz 2 BGB ist abdingbar. Eine abweichende Fälligkeitsregelung ist daher rechtlich möglich (BAG, Urteil vom 15.01.2002,1 AZR 165/01, EzA Nr. 1 zu § 614 BGB).

2. § 9 Nr. 1 MTV-S. schränkt zwar nicht unmittelbar die Regelungsbefugnis der Betriebsparteien aus § 87 Abs. 1 Nr. 4 BetrVG ein, den Zeitpunkt der Auszahlung der Arbeitsentgelte zu bestimmen. Jedoch ist daraus, dass die (durch Betriebsvereinbarung festzulegenden) Entgeltabrechnungszeiträume einen Monat nicht überschreiten dürfen, zu folgern, dass der Zeitpunkt der Lohnzahlung sich zwangsläufig aus der dieser Art der Entgeltabrechnung ergeben muss (vgl. BAG, Beschluss vom 08.03.1977, 1 ABR 33/75, AP Nr. 1 zu § 87 BetrVG 1972 Auszahlung).

Daher ist das Arbeitsentgelt im Zusammenhang mit der (monatlichen) Abrechnung zu zahlen. Die Auszahlung des tariflichen Zeitlohns kann regelmäßig zum Monatsende dargestellt werden. Die Beklagte selbst trägt keine abrechnungstechnischen Gründe vor, die zu einer späteren Abrechnung oder Auszahlung nötigen.

3. Die durch die ÄndBV-BE bezweckte Lohnstundung vermag überdies die gerichtliche Billigkeitskontrolle nicht zu passieren. Einerseits ist nicht zu verkennen, dass die Stundung der Arbeitsvergütung um bis zu einem Monat angesichts der - vom Kläger nicht in Abrede gestellten - schwierigen wirtschaftlichen Situation der Beklagten dazu beitragen soll, deren Liquidität zu erhöhen.

Der Beklagten wird die Lohnschuld kreditiert und ermöglicht, die Nettolohnsumme für andere Ausgaben zu verwenden. Andererseits führt die Stundungsvereinbarung zu Einschränkungen der dem Arbeitnehmer zustehenden Freiheit, über seinen Lohn zu verfügen, und greift damit in seine außerbetriebliche Lebensgestaltung ein. Der Eingriff ist typischerweise gravierend, weil Mitarbeiter nicht stets über ausreichende Ersparnisse und Vermögen verfügen, sondern zur Bestreitung ihres Lebensunterhalts, etwa hinsichtlich der Wohnungsmiete oder der Rückzahlung von Krediten, darauf angewiesen sind, zum Ende des Entgeltabrechnungszeitraums das verdiente Nettoentgelt zu erhalten. Weil die ÄndBV-BE ausschließlich die Arbeitnehmer belastet, ist sie unbillig und daher unzulässig (vgl. BAG, Urteil vom 11.07.2000, 1 AZR 551/99, AP Nr. 16 zu § 87 BetrVG 1972 Sozialeinrichtung). Anzumerken ist, dass die ÄndBV-BE die Arbeitnehmer nicht vor dem Insolvenzrisiko schützt. Gerade wenn sich die Beklagte in einer schwierigen wirtschaftlichen Situation befindet, ist eine erhöhte Insolvenzgefahr gegeben. Damit hat kein Gläubiger Veranlassung, die Fälligkeit seiner Forderungen hinauszuschieben, ohne dass ihm seitens der Schuldnerin, der Beklagten, eine Sicherheit gestellt wird. Dieses Interesse der Arbeitnehmer bleibt in der ÄndBV-BE unberücksichtigt.

IV. Die Kosten des Rechtsstreits hat nach § 91 Abs. 1 Satz 1 ZPO die Beklagte zu tragen.

V. Die Kammer hat dem vorliegenden Rechtsstreit eine grundsätzliche Bedeutung beigemessen und daher für die Beklagte die Revision zugelassen, § 72 Abs. 2 Nr. 1, Abs. 1 ArbGG.

Ende der Entscheidung

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