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Gericht: Landesarbeitsgericht Düsseldorf
Urteil verkündet am 13.05.1998
Aktenzeichen: 12 (13) Sa 237/98
Rechtsgebiete: KSchG, GG


Vorschriften:

KSchG § 1 n.F.
GG Art. 3
GG Art. 12
GG Art. 20
1. Der Arbeitgeber hat unter den vergleichbaren Arbeitnehmern zunächst eine Sozialauswahl gem. § 1 Abs. 3 Satz 1 KSchG zu treffen. Nur soweit durch die danach schutzwürdigen Arbeitnehmer die "berechtigten betrieblichen Interessen" nicht abgedeckt werden, kommt nach Satz 2 die Weiterbeschäftigung von sozial weniger schutzwürdigen Arbeitnehmern in Betracht.

2. Ist der Arbeitgeber bei den Auswahlüberlegungen falsch verfahren, spricht eine tatsächliche Vermutung dafür, daß die Auswahlentscheidung i.S. von § 1 Abs. 3 Satz 1 KSchG fehlerhaft bzw. i.S. von § 1 Abs. 5 Satz 2 KSchG grob fehlerhaft ist. Der Arbeitgeber kann diese Vermutung entkräften, indem er die ausreichende Berücksichtigung der sozialen Grunddaten des Satzes 1 oder die tatbestandlichen Voraussetzungen der Option des Satzes 2 näher darlegt.


LANDESARBEITSGERICHT DÜSSELDORF IM NAMEN DES VOLKES URTEIL

Geschäfts-Nr.: 12 (13) Sa 237/98

Verkündet am: 13.05.1998

In dem Rechtsstreit

hat die 12. Kammer des Landesarbeitsgerichts Düsseldorf auf die mündliche Verhandlung vom 13.05.1998 durch Vorsitzenden Richter am Landesarbeitsgericht Dr. Plüm als Vorsitzenden sowie den ehrenamtlichen Richter H.-P. Schmidt und die ehrenamtliche Richterin Röckendorf für Recht erkannt:

Tenor:

Die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des Arbeitsgerichts Wuppertal vom 09.12.1997 wird kostenfällig zurückgewiesen. Die Revision wird zugelassen.

Tatbestand:

Die Parteien streiten über die soziale Rechtfertigung einer betriebsbedingten Kündigung, insbesondere darüber, ob die in einem Interessenausgleich mit Namensliste vorgenommene Leistungsauswahl" einer Auswahl nach sozialen Gesichtspunkten vorgeht.

Die Klägerin, am 3o.o3.1955 geboren, verheiratet, gegenüber einem Kind unterhaltspflichtig, ist seit dem o9.o8.1972 als Maschinenarbeiterin in der Lohngruppe 3 bei der Beklagten beschäftigt. Sie wird in der Montageabteilung eingesetzt.

Die Beklagte ist Zulieferer für die Automobilindustrie und beschäftigt in ihrem Werk in R.emsche über 750 Arbeitnehmer (Stand: Mitte 1997). Im Jahre 1997 beschloß sie, aus wirtschaftlichen Gründen die Fertigung mittlerer und kleiner Serien / Profilteile" und die Produktionspalette N.iss" zum 31.12.1997 ins Ausland zu verlagern. Sie behält die zwei großen Abteilungen Presserei und Montage" und Profilscharniere" sowie eine kleine Abteilung zur Teilefertigung für S.a und läßt fortan nur noch in Gruppenarbeit arbeiten. Bei der Auswahl der 125 zu kündigenden Mitarbeiter verfuhr sie wie folgt: Sie erstellte ein Werkerprofil", nach dessen Vorgaben die Vorgesetzten in einem persönlichen Profil die Leistungen, Fähigkeiten, Kenntnisse und sonstigen Eigenheiten (z. B. Krankheitszeiten, Belastbarkeit) eines jeden Mitarbeiters zu beurteilen hatten. Entsprechend der individuellen Erfüllung des Werkerprofils wählte die Beklagte die Mitarbeiter aus: Die günstig beurteilten Mitarbeiter wurden im Umfang des nach der Betriebsänderung verbleibenden Personalbedarfs nicht zur Kündigung vorgesehen; die übrigen, schlechter beurteilten Mitarbeiter wurden auf eine Namensliste gesetzt. In den Verhandlungen über einen Interessenausgleich erhob der Betriebsrat gegen die Namensliste in sechs Fällen Einwände. Danach kam am 30.06.1997 der Interessenausgleich mit der Namensliste, in der auch die Klägerin aufgeführt ist, zustande.

Mit Schreiben vom o4.08.1997 sprach die Beklagte gegenüber der Klägerin die ordentliche Kündigung des Arbeitsverhältnisses zum 31.03.1998 aus. Hiergegen richtet sich die am 26.08.1997 beim Arbeitsgericht Wuppertal eingereichte Kündigungsschutz- und Weiterbeschäftigungsklage.

Die Klägerin hat die Betriebsbedingtheit der Kündigung bestritten, die fehlende Sozialauswahl gerügt, die Beklagte aufgefordert, die Gründe für die soziale Auswahl mitzuteilen, und zahlreiche Mitarbeiter namentlich benannt, die mit ihr vergleichbar, aber sozial weit weniger schutzbedürftig seien.

Die Beklagte hat die betrieblichen Gründe und deren Auswirkungen auf den Personalbestand erläutert. Sie hat des weiteren geltend gemacht, daß soziale Gesichtspunkte bei der Auswahl nicht mehr zum Tragen gekommen seien, weil die Weiterbeschäftigung der nicht gekündigten Arbeitnehmer im Interesse des Betriebes gelegen habe, und gemeint, daß der Gesetzgeber in § 1 Abs. 3 Satz 2 KSchG die Weiterbeschäftigung der leistungsfähigen Arbeitnehmer zur Regel gemacht habe. Keinesfalls sei die mit Billigung des Betriebsrats vorgenommene Auswahl grob fehlerhaft i. S. v. § 1 Abs. 5 Satz 2 KSchG.

Schließlich hat die Beklagte auf das Werkerprofil" für die Klägerin (Bl. 54) verwiesen und behauptet, daß die Klägerin - im Gegensatz zu den weiterbeschäftigten Arbeitnehmern - die Anforderungen des Werkerprofils nicht erfülle und sie es an der Bereitschaft habe fehlen lassen, sich an andere Maschinen versetzen zu lassen. Darüber hinaus habe die Klägerin in der Zeit vom o1.o1.1994 bis 3o.o6.1997 an 111 Arbeitstagen gefehlt.

Die Klägerin hat entgegengehalten, die Anforderungen nach dem Werkerprofil" zu erfüllen, und eine Unterschriftenliste von Arbeitskollegen (Bl. 4o) vorgelegt.

Durch Urteil vom o9.12.997 hat das Arbeitsgericht der Kündigungsschutz- und Weiterbeschäftigungsklage stattgegeben. Mit der form- und fristgerecht eingelegten und begründeten Berufung greift die Beklagte das Urteil mit Rechtsausführungen an. Sie ist der Ansicht, daß es ein berechtigtes betriebliches Interesse i.S.v. § 1 Abs. 3 Satz 2 KSchG darstelle, wenn in dem verbleibenden Mitarbeiterstamm sich die Fehlzeitenquote bei 5 % einpendele. Die Ausfallquote der Klägerin habe demgegenüber 14,1 % ausgemacht.

Die Beklagte beantragt,

das Urteil des Arbeitsgerichts Wuppertal vom o9.12.1997 abzuändern und die Klage insgesamt abzuweisen.

Die Klägerin beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Sie verteidigt das Urteil und meint, daß krankheitsbedingte Fehlzeiten nur zu berücksichtigen seien, wenn sie für eine Kündigung aus personenbedingten Gründen ausreichten.

Mit Schriftsatz vom 17.o3.1998 hat die Beklagte die Fehlzeiten aufgelistet und ausgeführt, daß eine betriebliche Verursachung der Krankheitszeiten, bedingt durch die Zwangshaltung an der Maschine, nur teilweise erkannt werden konnte.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den von den Parteien vorgetragenen Inhalt ihrer Schriftsätze verwiesen.

Entscheidungsgründe:

Die Berufung ist unbegründet. Das Arbeitsgericht hat zu Recht die getroffene Auswahl nach § 1 Abs. 3 Satz 1, Abs. 5 Satz 2 KSchG beanstandet und die Rechtsunwirksamkeit der Kündigung festgestellt. Entgegen der Auffassung der Beklagten gestattet es § 1 Abs. 3 Satz 2 KSchG dem Arbeitgeber nicht, der Leistungsauswahl den generellen Vorrang vor der Sozialauswahl zu geben. Die soziale Auswahl ist - bezogen auf die Klägerin - grob fehlerhaft i. S. v. § 1 Abs. 5 Satz 2 KSchG.

I. Allerdings ist mit dem Arbeitsgericht davon auszugehen, daß die Kündigung durch dringende betriebliche Erfordernisse i. S. v. § 1 Abs. 2 Satz 1 KSchG bedingt ist. Auf Bestreiten der Klägerin hat die Beklagte die unternehmerische Entscheidung (Verlagerung von Teilen der Produktion ins Ausland) und deren Auswirkungen auf die Weiterbeschäftigungsmöglichkeiten der Arbeitnehmer, namentlich der Klägerin, im Werk R.Remschei erläutert. Der Sachvortrag der Klägerin ist nicht geeignet, die Vermutung des § 1 Abs. 5 Satz 1 KSchG zu entkräften. Sie hat für ihr Vorbringen zur fehlenden Betriebsbedingtheit auch keinen Beweis angeboten.

1. Die tatbestandlichen Voraussetzungen für die gesetzliche Vermutung nach § 1 Abs. 5 Satz 1 KSchG sind gegeben. Am 30.06.1997 ist zwischen der Beklagten und dem Betriebsrat ein Interessenausgleich zustande gekommen. Bestandteil des Interessenausgleichs ist eine Namensliste, in der die zu entlassenden Arbeitnehmer, darunter die Klägerin, aufgeführt sind. Der Interessenausgleich betrifft eine Betriebsänderung. Infolge Verlagerung wesentlicher Produktionsteile ins Ausland schränkt die Beklagte den Betrieb in R.Remschei wesentlich ein (§ 111 Satz 2 Nr. 1 BetrVG). Es sollen deutlich mehr als 10 % der Arbeitnehmer, nämlich 125 von ca. 750, entlassen werden (§ 112 a Abs. 1 Satz 1 Nr. 4 BetrVG). Damit greifen zu Gunsten der Beklagten die Vermutung der Betriebsbedingtheit (§ 1 Abs. 5 Satz 1 KSchG) und die auf grobe Fehlerhaftigkeit beschränkte Prüfung der sozialen Auswahl (Satz 2) ein.

2. In der Rechtsprechung der Instanzgerichte und in der Literatur ist umstritten, inwieweit sich die Vermutung des Satzes 1 auf die Verteilung und den Umfang der Darlegungslast auswirkt.

a) Einerseits wird vertreten, daß bloßes Bestreiten der Betriebsbedingtheit durch den Arbeitnehmer den Arbeitgeber nicht zur substantiierten Darlegung des kündigungsrelevanten Sachverhaltes nötige; vielmehr müsse der Arbeitnehmer seinerseits substantiiert die Tatsachen vortragen, aus denen sich das Fehlen eines betriebsbedingten Kündigungsgrundes ergebe (LAG Köln, Urteil vom 01.08.1997, LAGE Nr. 1 zu § 1 KSchG Interessenausgleich, bestätigt von BAG, Urteil vom o7.o5.1998, 2 AZR 536/97, Pressemitteilung Nr. 29/98; ferner Schiefer, DB 1997, 2177, Sowka/Meisel, Kündigungsschutzgesetz, § 1 Rz. 567). Für diese Auffassung streitet die aus § 292 ZPO abgeleitete Regelung, daß derjenige, dem eine gesetzliche Vermutung zugute kommt, die Tatsache bzw. die das Recht begründenden Tatsachen nicht einmal zu behaupten braucht, sondern der Gegner die volle Darlegungslast trägt. Teilt man den ebenso tradierten wie romantischen Ansatz, daß der Gesetzgeber weiß, was er tut, und dies auch will, indiziert die Vermutung des § 1 Abs. 5 Satz 1 KSchG den gesetzgeberischen Willen, auch die nach § 292 ZPO typische Verteilung der Darlegungslast in Anwendung zu bringen. Des weiteren legt der Gesetzeszweck, die bessere Berechenbarkeit der betriebsbedingten Kündigung für den Arbeitgeber zu erreichen, die Annahme nahe, daß der Arbeitgeber möglichst wenig darzulegen hat. Weil alles, was er sagt, gegen ihn verwendet werden könnte, besteht sein Interesse darin, nichts sagen zu müssen. Solange er über die betriebsbedingten Gründe schweigt, tappt der Arbeitnehmer meist im Dunkeln und ist zu substantiiertem Vortrag außerstande. Auch der Betriebsrat, der den Interessenausgleich mit Namensliste und nachfolgend die Kündigung des Arbeitnehmers gebilligt hat, wird aufgrund voraufgegangenen Tuns kaum geneigt sein, dem Arbeitnehmer als Auskunftsstelle für eine Argumentation gegen die Kündigung zur Verfügung zu stehen.

b) Andererseits wird befürwortet, bei Bestreiten der Betriebsbedingtheit dem Arbeitgeber die Pflicht aufzuerlegen, den kündigungsrelevanten Sachverhalt substantiiert vorzutragen (Preis, NZA 1997, 1086, Zwanziger, DB 1997, 2175, Kohte, BB 98, 949 f.; vgl. Fischermeier, NZA 1997, 1097). Dabei wird neben dem verfassungsrechtlichen Aspekt der Rechtsschutzgarantie und des sozialstaatlich beeinflußten Schutzes der Berufsfreiheit die Sphärentheorie herangezogen und aus der Sachnähe des Arbeitgebers abgeleitet, daß er - als Ausnahme zur regelmäßigen Kongruenz von Darlegungsund Beweislast - die betriebsbedingten Gründe darzulegen habe. Freilich bleibt zweifelhaft, ob die Sphärentheorie allein ausreicht, die Darlegungspflichtigkeit des Arbeitgebers zu begründen. So verlangt etwa die BAG-Judikatur zu § 7 Abs. 3 Satz 2 BUrlG dem Arbeitnehmer die Darlegung dringender betrieblicher Gründe ab, ohne auf die damit verbundenen Schwierigkeiten überhaupt einzugehen (vgl. Urteil vom 23.06.1992, 9 AZR 57/91, AP Nr. 22 zu § 1 BUrlG).

c) Nach Auffassung der Kammer hat das Folgende zu gelten.

Aufgrund des sich aus dem Rechtsstaatsprinzip ergebenden Gebotes, wirksamen Rechtsschutz zu gewähren, ist dem gekündigten Arbeitnehmer ein substantiieller Anspruch auf eine tatsächlich wirksame gerichtliche Kontrolle zuzugestehen (vgl. Urteil der Kammer vom 25.02.1998, Geschäfts-Nr. 12 (13) Sa 2121/97, zu 6 der Gründe).

Eine derartige Kontrolle wäre nicht gegeben, wenn der Arbeitgeber zu den betriebsbedingten Gründen keine Angaben zu machen bräuchte. Dem Arbeitnehmer sind regelmäßig die in der Sphäre des Arbeitgebers liegenden Gründe, insbesondere die Unternehmerentscheidung und die daraus folgenden Auswirkungen auf die Weiterbeschäftigungsmöglichkeiten im Betrieb, unbekannt. Daher ist er praktisch außerstande, einen substantiierten Tatsachenvortrag zu bringen, um die Vermutung des § 1 Abs. 5 Satz 1 KSchG zu widerlegen.

Richtig ist, daß der Gesetzgeber, um die bessere Berechenbarkeit der betriebsbedingten Kündigung für den Arbeitgeber zu erreichen, die prozessual- und materiellrechtlichen Angriffsflächen der Kündigung verringern wollte. In dem Maße, wie die Chancen des gekündigten Arbeitnehmers, mit der Klage gegen eine möglicherweise sozialwidrige Kündigung zu obsiegen, schwinden, erhöht sich die Aussicht des Arbeitgebers auf Bestandskraft der Kündigung. Aus der Begründung des Regierungsentwurfs zu § 125 InsO ergibt sich, daß Korrektiv für die Herabsetzung des gerichtlichen Rechtsschutzes der zwischen Arbeitgeber und Betriebsrat vereinbarte Interessenausgleich mit Namensliste sein soll ( Denn es kann als Regelfall angenommen werden, daß der Betriebsrat seine Verantwortung gegenüber den Arbeitnehmern wahrnimmt, nur unvermeidbaren Entlassungen zustimmt und darauf achtet, daß bei der Auswahl der ausscheidenden Arbeitnehmer soziale Gesichtspunkte ausreichend berücksichtigt werden", RegE zu § 128). Die vorgerichtliche Einigung der Betriebspartner soll den Arbeitnehmern Sicherung sein vor nicht betriebsbedingten und sozial unausgewogenen Kündigungen. Die Wahrnehmung individueller Bestandsschutzinteressen wird dem Betriebsrat als Repräsentanten der Belegschaft anvertraut.

Der Skepsis gegen diese Regelungsvorstellung des Gesetzgebers liegt die Erkenntnis zugrunde, daß der vom Betriebsrat gebilligte Interessenausgleich mit Namensliste nicht den Richtigkeitsvorschuß verdient, der ihm im Hinblick auf die einzelnen Kündigungen zugedacht wird. Der Betriebsrat ist durchweg überfordert. Ihm kann es an der fachlichen, z. B. juristischen oder berufskundlichen Kompetenz fehlen, ebenso an betrieblichen, organisatorischen und technischen Kenntnissen und betriebswirtschaftlichem Wissen oder an dem Überblick über vergleichbare Arbeitsplätze, über die Qualifikationen von Arbeitnehmern oder über Beurteilungsgrundlagen, die etwa die Herausnahme von Arbeitnehmern nach § 1 Abs. 3 Satz 2 KSchG rechtfertigen sollen. Neben möglichen, selbst verschuldeten oder vom Arbeitgeber verursachten Informationsdefiziten können Betriebsräte mit unterschiedlichem Engagement die Verhandlungen über den Interessenausgleich und die Namensliste führen. Hinzu kommt der zeitliche und sachliche Entscheidungsdruck, zumal wenn der Arbeitgeber den Fortbestand des Betriebes oder von Betriebsteilen mit dem raschen Zustandekommen des Interessenausgleichs verknüpft. Die Betriebsratsmitglieder sind zudem persönlich überfordert. In dem Konflikt, Vertreter aller Arbeitnehmer zu sein, mit der Zustimmung zur Namensliste aber die Entlassung von Arbeitskollegen zu präjudizieren, können persönliche Abhängigkeiten, Sympathie, Gleichgültigkeit und Antipathie gegenüber einzelnen Arbeitnehmern oder Gruppen einfließen (Giesen, ZfA 1997, 175) oder zu Koppelungsgeschäften mit dem Arbeitgeber führen. Wenn Betriebsratsmitglieder selbst von der Betriebsänderung betroffen sind, bietet es sich für den Arbeitgeber, um den Weg zum Interessenausgleich zu ebnen, im Vorfeld an, die persönlichen Expektanzen der Betriebsratsmitglieder abzuklären. Nach allem ist die dem Interessenausgleich mit Namensliste beigelegte Richtigkeitsgewähr für die einzelne Kündigung eine Chimäre. Die Betriebsvereinbarung kann keine Art Schiedsgutachten sein und die Rechtmäßigkeit der Kündigung präjudizieren (vgl. auch BAG, Urteil vom 18.12.1980, 2 AZR 934/78, AP Nr. 4 zu § 1 TVG Tarifverträge: Bundesbahn, Kohte, a.a.O., 952 f.).

Die substantielle Rechtsschutzverlagerung von den Gerichten auf die Betriebspartner ist allerdings nur zu beanstanden, wenn der Gesetzgeber von Verfassungs wegen überhaupt gehalten ist, gegen eine ordentliche betriebsbedingte Kündigung (Mindest-)Schutz zu gewähren. Wäre dies nicht so, ist der Schutz des Interessenausgleichs mit Namensliste noch immer besser als gar kein Schutz. Der sozialstaatlich beeinflußte Schutz der Berufsfreiheit gebietet zwar keine bestimmte Ausgestaltung des Kündigungsschutzes, insbesondere nicht die vorgängige Kontrolldichte gegen betriebsbedingte Kündigungen. Jedoch ist der Arbeitnehmer vor willkürlicher und rechtsmißbräuchlicher Kündigung zu schützen, dies jedenfalls dann, wenn das auf unbestimmte Zeit eingegangene Arbeitsverhältnis eine Zeitlang bestanden und der Arbeitnehmer also seine Lebensführung und -planung hierauf eingerichtet hat(vgl. BVerfG, Beschluß vom 27.o1.1998, 1 BvL 15/87, DB 1998, 826 ff., zu B I 3 b cc, unter Hinweis auf Preis NZA 1997, 1269, und Oetker, AuR 1997, 53) und wenn - wie bei einer Massenentlassung - das Interesse des Arbeitsplatzinhabers nicht mit dem Interesse von Arbeitsuchenden kollidiert. Die Ausgestaltung des Kündigungsschutzes liegt im Ermessensspielraum des Gesetzgebers. Allerdings hat er sich mit der im Kündigungsschutzgesetz vorgenommenen Konkretisierung, nämlich den in § 1 Abs. 2 Satz 1 gebildeten Fallgruppen, selbst dergestalt gebunden, daß prinzipiell Kündigungsschutz besteht und es (vom Arbeitgeber darzulegender und zu beweisender) Gründe in der Person oder in dem Verhalten des Arbeitnehmers bedarf, um die Kündigung wirksam werden zu lassen. Damit muß es aber gegen eine anderweitig begründete, insbesondere mit betrieblichen Erfordernissen begründete Kündigung schon deshalb effizienten Rechtsschutz geben, um auszuschalten, daß die angegebenen Gründe und sozialen Gesichtspunkte nicht Camouflage für andere, u. U. unzulängliche Gründe sind.

Diesen verfassungsrechtlichen Anforderungen hält eine Auslegung des § 1 Abs. 5 KSchG nicht stand, die dem Arbeitnehmer die Darlegungslast überbürdet. Es geht dabei nicht um den nostalgischen Transfer gewohnter Grundsätze, etwa zur abgestuften Darlegungs- und Beweislast, auf das geänderte Kündigungsschutzrecht, sondern um die Gewährleistung eines Mindestmaßes an effektivem Rechtsschutz.

Daher schuldet der Arbeitgeber bei Bestreiten einen nachvollziehbaren Vortrag zur Betriebsbedingtheit der Kündigung.

3. Die Beklagte ist der Darlegungspflicht hinsichtlich der betriebsbedingten Kündigungsgründe nachgekommen. Die Klägerin hat die wirtschaftliche Notwendigkeit der Produktionsverlagerung bestritten und geltend gemacht, daß die von ihr erledigten Arbeitsaufgaben auch künftig im Betrieb anfallen. Diese Einwände sind nicht geeignet, die Vermutung des § 1 Abs. 5 Satz 1 KSchG zu entkräften.

a) Betriebliche Erfordernisse für eine Kündigung können sich durch außerbetriebliche Gründe (z. B. Auftragsmangel) oder aus innerbetrieblichen Umständen (z. B. Rationalisierungsmaßnahmen, Umstellung oder Einschränkung der Produktion) ergeben. Beruft sich der Arbeitgeber allein auf außerbetriebliche Gründe oder ein deswegen entfallendes Bedürfnis, den gekündigten Arbeitnehmer weiterzubeschäftigen, bindet er sich selbst an diesen von ihm so gesehenen Sachzwang. Die Arbeitsgerichte haben dann nachzuprüfen, ob zum Zeitpunkt des Kündigungsausspruchs feststand, daß im Zeitpunkt des Kündigungstermins eine Beschäftigungsmöglichkeit für den Arbeitnehmer nicht mehr gegeben sein würde. Innerbetriebliche Gründe setzen voraus, daß der Arbeitgeber eine gestaltende Unternehmerentscheidung getroffen hat. Dabei ist die arbeitgeberseitige Kündigung selbst keine Unternehmerentscheidung im Sinne des Kündigungsschutzgesetzes. Vielmehr besteht kündigungsrechtlich die Unternehmerentscheidung in der Bestimmung der der Geschäftsführung zugrunde liegenden Unternehmenspolitik. Diese Bestimmung liegt im unternehmerischen Ermessen und ist von den Arbeitsgerichten nicht auf ihre Zweckmäßigkeit und Notwendigkeit zu überprüfen. Im Ermessen des Unternehmers steht daher die Entscheidung, den Betrieb umzuorganisieren oder einzuschränken und danach die vorhandene Arbeitsmenge mit einer veränderten Anzahl von Arbeitskräften zu erledigen. Unerheblich ist, ob die Unternehmerentscheidung durch Umsatzverluste, früheres Mißmanagement, Gewinneinbrüche, Preisdruck oder Gewinnabsichten veranlaßt worden ist. Derartige Ursachen führen weder nach § 1 KSchG noch nach § 242 BGB zu einem Kündigungsverbot. Allerdings unterliegt der vollen gerichtlichen Nachprüfung, ob die Umgestaltung der Betriebsorganisation die Kündigung eines oder mehrerer Arbeitnehmer bedingt oder nicht. Verringert sich aufgrund einer wesentlichen Betriebseinschränkung die Arbeitsmenge und ist für die Erledigung der bleibenden, ggf. neu organisierten Arbeit nur noch ein Teil der Arbeitnehmer erforderlich, kann - wenn es um einen quantitativen Anpassungsprozeß unter vergleichbaren Arbeitnehmern geht - es nicht darauf ankommen, ob der konkret dem Arbeitnehmer zugewiesene Arbeitsplatz entfallen oder bestehen geblieben ist. Vielmehr bedarf es einer gruppenspezifischen Betrachtung, die die Zahl der vergleichbaren Arbeitnehmer den künftig noch vorhandenen Weiterbeschäftigungsmöglichkeiten gegenüberstellt.

b) Gemessen an diesen Grundsätzen gilt folgendes:

Es ist unerheblich, ob die von der Beklagten vorgetragenen wirtschaftlichen Daten, aus denen sie einen Zwang zur Produktionseinschränkung in R.Remschei herleitet, zutreffen oder nicht. Selbst wenn sie mit der partiellen Produktionsverlagerung ins Ausland die künftige Erzielung und Steigerung von Unternehmensgewinnen bezweckt, ist ihre Unternehmerentscheidung weder willkürlich noch rechtsmißbräuchlich. Die Produktionseinschränkung hat einen Personalüberhang gerade im gewerblichen Bereich und dort bei den in der Lohngruppe der Klägerin beschäftigten Arbeitnehmern zur zwangsläufigen Folge. Die getroffene Prognose, daß für insgesamt 125 Arbeitnehmer kein Weiterbeschäftigungsbedarf besteht, ist nicht zu beanstanden. Sie hat sich als realistisch erwiesen, denn die Beklagte ist in der Lage, den eingeschränkten Betrieb mit dem reduzierten Personal weiterzuführen. Überdies stehen inzwischen weitere Entlassungen an. Die Klägerin ist auf einem Arbeitsplatz eingesetzt, der von dem quantitativen Anpassungsprozeß betroffen ist. Ihre Aufgaben können auch von anderen vergleichbaren Arbeitnehmern erledigt werden. Damit spricht nicht gegen die Betriebsbedingtheit der Kündigung, daß die der Klägerin konkret zugewiesenen Arbeitsaufgaben auch künftig anfallen. Ebenso ist unmaßgeblich, ob ihr konkreter Arbeitsplatz bestehen bleibt oder nicht.

II. Die Kündigung ist freilich nach § 1 Abs. 3 Satz 1, Abs. 5 Satz 2 KSchG sozialwidrig.

1. a) Der Einstieg in § 1 Abs. 3 KSchG geschieht über das Merkmal der Vergleichbarkeit". Dabei ist völlige Vergleichbarkeit eine Fiktion, denn kein Arbeitnehmer ist dem anderen in Kenntnissen, Fähigkeiten, Leistungen oder Belastbarkeit gleich. Die Unterschiedlichkeit wird erst unter der Prämisse eines "berechtigten betrieblichen Interesses" (§ 1 Abs. 3 Satz 2 KSchG) oder eines selektiv wirkenden Anforderungsprofils relevant. Ansonsten hat sie keine Bedeutung und steht nicht der nach § 1 Abs. 3 KSchG ausreichenden "annähernden" Vergleichbarkeit entgegen.

§ 1 Abs. 3 KSchG setzt den Gleichbehandlungsgrundsatz (Art. 3 GG) im Kündigungsschutzrecht dergestalt um, daß soziale Kriterien nicht nur als sachlicher Differenzierungsgrund anerkannt, sondern zum Differenzierungsgebot für die Ungleichbehandlung (Weiterbeschäftigung oder Entlassung) erhoben werden. Damit trägt das Gesetz dem sozialstaatlich beeinflußten Schutz der Berufsausübung (Art. 12 Abs. 1, Art. 2o Abs. 1 GG) und der Fürsorge, die der Arbeitgeber den Arbeitnehmern mit Bedacht auf die Sozialkriterien in unterschiedlichem Maß schuldet, Rechnung (vgl. BVerfG v. 27.o1.1998, a.a.O., zu B I 3 b aa, cc).Wegen des gesetzlichen Ansatzes, der Gleichbehandlung, ist der Auswahlkreis aus den vergleichbaren Arbeitnehmern zu bilden. Die Auswahl dient der personellen Konkretisierung, welchem Arbeitnehmer gegenüber der Arbeitgeber das ihm aus betrieblichen Gründen zustehende Kündigungsrecht ausüben darf. Wenn der Umstand, daß nicht mehr genug Arbeit vorhanden ist, sich zunächst und unmittelbar auf einen bestimmten Arbeitsplatz auswirkt, soll doch nicht automatisch der Arbeitnehmer entlassen werden, der diesen Arbeitsplatz gerade innehat. Vielmehr sind auch jene Arbeitnehmer einzubeziehen, die diesen Arbeitsplatz innehaben könnten. Die Sozialauswahl korrigiert mithin die zufällige Betroffenheit oder Nichtbetroffenheit, auf die der Arbeitnehmer keinen Einfluß hat, weil ihm der Arbeitsplatz durch den Arbeitgeber in Ausübung des Direktionsrechts zugewiesen worden ist. Dasselbe gilt, wenn aufgrund Reduzierung der Arbeitsmenge oder Arbeitsverdichtung Beschäftigungsmöglichkeiten entfallen und die Besetzung von neu zugeschnittenen Arbeitsplätzen aus einem Überhang an vergleichbaren Arbeitnehmern vorzunehmen ist.

b) Bei der Auswahl unter vergleichbaren Arbeitnehmern ist das Vorgehen nach § 1 Abs. 3 Satz 1 KSchG die Regel; die Berücksichtigung betrieblicher Belange nach Satz 2 ist die Ausnahme. Das Regel-Ausnahme-Verhältnis ergibt sich aus der systematischen Aufeinanderfolge der Sätze, aus der prinzipiellen Zielsetzung des Gesetzes, betriebsbedingte Kündigungen an die Berücksichtigung sozialer Auswahlkomponenten zu binden, und ist bereits von der höchstrichterlichen Rechtsprechung zu § 1 Abs. 3 KSchG a.F. anerkannt und ausgearbeitet worden (vgl. BAG, Urteil vom 24.o3.1983, 2 AZR 21/8o, AP Nr. 12 zu § 1 KSchG 1969 Betriebsbedingte Kündigung, KR-Etzel, 4. Aufl., § 1 KSchG Rz. 591). Der Gesetzgeber hat daran nichts geändert. Dies belegt die Entstehungsgeschichte. Der Gesetzentwurf der Koalition (BT-Drucks. 13/4612) enthält dazu folgende Passagen:

"Im Interesse der besseren Berechenbarkeit der Kündigung für den Arbeitgeber wird die bei betriebsbedingten Kündigungen vorzunehmende Sozialauswahl nach § 1 Abs. 3 des Kündigungsschutzgesetzes auf die sozialen Grunddaten Betriebszugehörigkeit, Lebensalter und Unterhaltspflichten begrenzt. Die betrieblichen Notwendigkeiten erhalten größeres Gewicht. Es wird deutlicher als bisher geregelt, daß die Auswahl nach sozialen Gesichtspunkten bei den Arbeitnehmern entfällt, deren Weiterbeschäftigung im berechtigten betrieblichen Interesse liegt. Dabei werden als Fälle des berechtigten betrieblichen Interesses die Weiterbeschäftigung eines Arbeitnehmers wegen seiner Kenntnisse, Fähigkeiten und Leistungen sowie zur Sicherung einer ausgewogenen Personalstruktur im Betrieb hervorgehoben." (S. 8 f.).

"Nach der bisherigen Fassung des § 1 Abs. 3 Satz 2 des Kündigungsschutzgesetzes braucht der Arbeitgeber solche Arbeitnehmer nicht in die Sozialauswahl einzubeziehen, deren Weiterbeschäftigung aus betriebstechnischen, wirtschaftlichen oder sonstigen berechtigten betrieblichen Bedürfnissen geboten ist. Die Neuregelung gibt den einer Sozialauswahl entgegenstehenden betrieblichen Notwendigkeiten größeres Gewicht; sie präzisiert das Interesse des Betriebes an der Weiterbeschäftigung eines bestimmten oder mehrerer bestimmter Arbeitnehmer dahin, daß hierzu insbesondere auch die Kenntnisse, Fähigkeiten und Leistungen der Arbeitnehmer und die Sicherung einer ausgewogenen Personalstruktur gehören. Bereits bisher sind Leistungsunterschiede - jedenfalls, wenn sie erheblich sind - oder besondere für den geordneten Betriebsablauf wichtige Qualifikationen als betriebliches Bedürfnis für die Weiterbeschäftigung eines Arbeitnehmers anerkannt (z.B. Urteil des Bundesarbeitsgerichts vom 24. März 1983 - 2 AZR 21/82). Auch in der Erhaltung einer ausgewogenen Personalstruktur wird insbesondere bei Massenentlassungen ein berechtigtes betriebliches Bedürfnis für die Weiterbeschäftigung bestimmter Arbeitnehmer gesehen (Vgl. Etzel, ... § 1 KSchG Rz. 598 a)". (S. 13 f.)

Danach sollten die betrieblichen Notwendigkeiten größeres Gewicht erhalten und die bereits in Einzelfällen höchstrichterlich anerkannten Herausnahmegründe als berechtigte betriebliche Interessen verankert werden. Ansonsten hat der Gesetzgeber die von der Rechtsprechung zu § 1 Abs. 3 KSchG entwickelten Grundsätze nicht verändern wollen. Aus diesem Grund greift die der Formulierung - In die soziale Auswahl nach Satz 1 sind Arbeitnehmer nicht einzubeziehen, ..." - entnommene Folgerung zu kurz, daß der Arbeitgeber zunächst gemäß Satz 2 eine Selektion nach betrieblichen Interessen durchführen dürfe und die Sozialauswahl nur unter den danach verbliebenen Arbeitnehmern stattfinde. § 1 Abs. 3 Satz 2 KSchG hat weder in diesem Punkt die bis zum 30.09.1996 geltende Fassung ( Satz 1 gilt nicht ...") signifikant geändert noch das Regel-Ausnahme-Verhältnis umgekehrt.

Das Regel-Ausnahme-Verhältnis führt dazu, daß auf den 1. Prüfungsschritt (Feststellung der miteinander vergleichbaren Arbeitnehmer) die Sozialauswahl nach Satz 1 als 2. Schritt folgt und danach - als 3. Schritt - die ausnahmsweise Bevorzugung bestimmter Arbeitnehmer aus den Gründen des Satzes 2. Dies ist auch, anders als das LAG Köln (Urteil vom o1.o8.1997, LAGE Nr. 1 zu § 1 KSchG Interessenausgleich) meint, logisch, denn: Die Bevorzugung nach Satz 2 ist gerade und nur dann erforderlich, wenn die Sozialauswahl zu einem Selektionsresultat führt, das die berechtigten betrieblichen Interessen nicht berücksichtigt. M. a. W.: Erst nach Durchführung der Sozialauswahl unter allen vergleichbaren Arbeitnehmer kann festgestellt werden, ob die danach im Betrieb verbleibenden Arbeitnehmer die betrieblichen Notwendigkeiten abdecken oder nicht . Falls nicht, sind aus dem Kreis der an sich zu entlassenden, d.h. der sozial weniger schutzbedürftigen Arbeitnehmer diejenigen herauszunehmen, deren Weiterbeschäftigung im berechtigten betrieblichen Interesse liegt. § 1 Abs. 3 Satz 2 KSchG erfaßt daher im Ansatz nur solche Arbeitnehmer, die aufgrund der Sozialauswahl nach Satz 1 gekündigt werden müßten. Ist der Tatbestand des Satzes 2 gegeben, ist die Gewichtigkeit der betrieblichen Interessen nicht mehr gegen die soziale Schutzbedürftigkeit der verdrängten Arbeitnehmer abzuwägen.

Demzufolge ist die Sozialauswahl nach § 1 Abs. 3 Satz 1 KSchG der Herausnahme gem. Satz 2 vorzuschalten. Eine generelle Vorselektion nach betrieblichen Interessen ist fehlerhaft.

c) Der Befund, daß der Gesetzgeber - abgesehen von den erwähnten Modifikationen - § 1 Abs. 3 KSchG nicht verändert, namentlich Satz 1, 2. Halbs. und Satz 3 beibehalten hat, führt zu der weiteren Schlußfolgerung, daß die Verteilung der Darlegungsund Beweislast dieselbe geblieben ist. Der Arbeitgeber muß daher die tatbestandlichen Voraussetzungen des Satzes 2 darlegen und im Streitfall beweisen.

d) Eine andere Frage ist die nach der Qualität der "berechtigten betrieblichen Interessen". Einerseits entschärft die Neufassung die diktionsmäßig strengeren Anforderungen der früheren Fassung ("Bedürfnisse", "bedingen"), um den "betrieblichen Notwendigkeiten größeres Gewicht" zu geben. Andererseits lassen der in der Begründung des Gesetzentwurfs verwendete Begriff der "Notwendigkeit" und die Bezugnahme auf eine BAG-Entscheidung keine Unzufriedenheit mit tendenziell auf der Linie des Entwurfs liegenden Judikaten erkennen. Insoweit kann daher an die bisherige Rechtsprechung angeknüpft werden.

Die Herausnahme nach § 1 Abs. 3 Satz 2 KSchG verlangt grundsätzlich ein einzelfallbezogenes Vorgehen des Arbeitgebers. Bei quantitativ weitreichenden Anpassungsprozessen wird dies u. U. auf praktische Schwierigkeiten stoßen. Deshalb kann - analog der gruppenspezifischen Betrachtung (vgl. KR-Etzel, § 1 KSchG Rz. 583 a) -die Ermittlung der betriebsnotwendigen Arbeitnehmer anhand von generell-abstrakten Kriterien legitim sein. Damit ist aber nicht vereinbar, daß der Arbeitgeber von vorne-herein von der Auswahl nach sozialen Gesichtspunkten absieht (vgl. BAG, Urteil von 25.o4.1985, 2 AZR 14o/84, AP Nr. 7 zu § 1 KSchG 1969 Soziale Auswahl, zu B II 4) und sein "Dreamteam" zusammenstellt. Im übrigen sind die betrieblichen Interessen im einzelnen auszuweisen und verschiedenartige Interessen in eine Struktur zu bringen, um eine Prüfung auf willkürliche Herausnahmen und auf Beachtung des Gleichbehandlungsgrundsatzes (vgl. Schaub, Arbeitsrechts-Handbuch, 8. Aufl., S. 2119) zu ermöglichen bzw. eine beliebige Auswechselung der Herausnahmebegründung zu verhindern.

e) Die Kammer ist der Auffassung, daß der Prüfungsmaßstab der "groben Fehlerhaftigkeit" (§ 1 Abs. 5 Satz 2 KSchG) für die soziale Auswahl nach § 1 Abs. 3 Satz 1 KSchG, nicht jedoch für die Herausnahme nach Satz 2 gilt.

(1) Der Terminus der "sozialen Auswahl" (§ 1 Abs. 5 Satz 2 KSchG) legt nahe, daß die Auswahl nach sozialen Gesichtspunkten gem. § 1 Abs. 3 Satz 1 KSchG gemeint ist und die Nichteinbeziehung aus betrieblichen Gründen gem. Satz 2, bereits in Abs. 3 ein Sondertatbestand, ausgeklammert bleibt. Wenn Abs. 4 Satz 1 den Maßstab der groben Fehlerhaftigkeit auf die Bewertung der "sozialen Gesichtspunkte nach Absatz 3 Satz 1 im Verhältnis zueinander" bezieht, spricht die systematische Abfolge gleichfalls dafür, daß Abs. 5 Satz 2 dasselbe bezweckt und lediglich für die Namensliste umsetzt.

(2) Anderseits führt die nach Abs. 3 Satz 2 unberechtigte Herausnahme von sozial weniger schutzbedürftigen Arbeitnehmern zu einem "Fehler in der sozialen Auswahl", so daß unter diesem Aspekt der in Abs. 5 Satz 2 vorgegebene Maßstab der groben Fehlerhaftigkeit auch auf § 1 Abs. 3 Satz 2 KSchG bezogen werden könnte (vgl. Fischermeier, NZA 97, 1o97). Freilich vernachlässigt diese Überlegung den unterschiedlichen Gegenstand von Sozialauswahl einerseits und betrieblich notwendiger Weiterbeschäftigung bestimmter Arbeitnehmer andererseits. Die Kontrolldichte muß daher nicht dieselbe sein. Sie fällt überdies bereits in Abs. 3 unterschiedlich aus, denn bei der Auswahl nach Satz 1 steht dem Arbeitgeber ein Beurteilungsspielraum zu, bei der Herausnahme nach Satz 2 nicht. Richtig ist, daß die durch die gesetzliche Neuregelung bezweckte Berechenbarkeit der Kündigung für den Arbeitgeber leidet, wenn die Herausnahme nach Abs. 3 Satz 2 gerichtlich voll nachprüfbar bleibt. Denn in der Praxis ist dieser Punkt ebenso problembeladen wie die Gewichtung der Sozialkriterien (Schiefer, DB 97, 2178). Dem Vortrag des Arbeitgebers, daß die nicht einbezogenen Arbeitnehmer deutlich leistungsstärker, vielseitiger einsetzbar, erfahrener und qualifizierter seien, pflegt der gekündigte Arbeitnehmer im Prozeß entgegenzuhalten, dasselbe sofort oder nach kurzer Einarbeitung auch zu können. Während der Arbeitgeber sich auf das Zeugnis von Vorgesetzten beruft, bietet der Arbeitnehmer gerne Arbeitskollegen als Zeugen an. Auch wird die Einholung eines Sachverständigengutachtens (vgl. Schaub, a.a.O.) oder richterliche Augenscheinseinnahme begehrt, so als sollten durch die Veranstaltung eines Wetthobelns, - fräsens, -bohrens unter den betroffenen Arbeitnehmern Leistungsunterschiede definitiv feststellbar sein. Vielfach bleibt das Gericht auf Einschätzungen, Prognosen und eigene Beurteilungen oder solche von Dritten angewiesen. Wird danach die Berechenbarkeit des Ausgangs des Kündigungsrechtstreits herabgesetzt, ist es doch eine politisch eingefärbte Frage, wie weit man meint, aus dem Gesetzeszweck argumentieren zu können.

(3) Stellt man somit auf die politische Zielsetzung und also auf die Entstehungsgeschichte des Gesetzes ab, erledigt sich die Ausdehnung des § 1 Abs. 5 Satz 2 KSchG auf Abs. 3 Satz 2. In der Begründung des Gesetzentwurfs (Seite 9) heißt es nämlich wörtlich:

"Die soziale Auswahl des Arbeitnehmers soll in diesem Fall (scil. der Fall des Abs. 5 Satz 1) nur darauf überprüft werden können, ob die soziale Auswahl der im Interessenausgleich genannten zu entlassenden Arbeitnehmer grob fehlerhaft ist, wenn also die Gewichtung der Betriebszugehörigkeit, des Lebensalters und der Unterhaltspflichten der Arbeitnehmer jede Ausgewogenheit vermissen läßt."

(4) Die Billigung der Namensliste durch den Betriebsrat bietet, wie unter I 2 c ausgeführt, keine Gewähr dafür, daß die Herausnahmeentscheidung richtig ist. Daher liefe eine auf grobe Fehlerhaftigkeit eingeschränkte Überprüfung auf die Anerkennung einer betriebsjustiziellen Selektion hinaus. Dies widerspräche dem verfassungsrechtlichen Gebot, dem Betroffenen wirksamen Rechtsschutz zu gewähren (Art. 2 Abs. 1, Art. 20 Abs. 3 GG), und Gewährleistung des Schutzes des Arbeitsplatzes durch substantielle gerichtliche Kontrolle.

f) Der Arbeitgeber trägt die Darlegungslast dafür, daß die soziale Auswahl nicht grob fehlerhaft ist. Selbst wenn man § 1 Abs. 5 Satz 2 KSchG nicht als rein prozessuale Vorschrift, sondern - vergleichbar mit § 319 BGB - als prozessuale Ausformung eines materiellrechtlich erweiterten Beurteilungsspielraums der Betriebspartner begreift, ist es dem gekündigten Arbeitnehmer praktisch zu ermöglichen, im Prozeß die grobe Fehlerhaftigkeit der Sozialauswahl beanstanden zu können. Ihm sind die Auswahlüberlegungen des Arbeitgebers im allgemeinen unbekannt. Er ist - ebenso wie das Gericht, das die Auswahl auf grobe Fehlerhaftigkeit überprüfen soll, - auf Informationen seitens des Arbeitgebers angewiesen. Daher hat der Arbeitgeber einen nachvollziehbaren Vortrag zu dem gebildeten auswahlrelevanten Personenkreis, der Herausnahme von Arbeitnehmern nach § 1 Abs. 3 Satz 2 KSchG, den Sozialkriterien und ihrer Gewichtung nach § 1 Abs. 3 Satz 1 KSchG und den daraus für das Arbeitsverhältnis zum klagenden Arbeitnehmer resultierenden Folgen zu bringen.

g) Die Auswahl nach § 1 Abs. 3 - 5 KSchG unterliegt der Ergebniskontrolle. Unzutreffende Überlegungen beim Auswahlverfahren müssen nicht stets zu einem falschen Ergebnis führen. Es besteht allerdings eine tatsächliche Vermutung dafür, daß die danach getroffene Auswahlentscheidung fehlerhaft ist. Das Gericht muß überdies grobe Fehlerhaftigkeit i. S. v. § 1 Abs. 5 Satz 2 KSchG unterstellen, denn der Arbeitgeber hat es in der Hand, im Prozeß darzutun, daß seine Auswahlentscheidung im Ergebnis doch nicht zu beanstanden ist. Gleiches gilt, wenn der Arbeitgeber seinen Darlegungspflichten nach § 1 Abs. 3 KSchG nicht oder nicht vollständig nachkommt.

2. a) Das Auswahlsystem der Beklagten beruhte, wie das Arbeitsgericht zutreffend erkannt hat, auf einem kündigungsschutzrechtlich unhaltbaren Ansatz. Die Beklagte wählte die zu kündigenden Arbeitnehmer ausschließlich anhand eines Spektrums von Leistungs- und Fähigkeitskriterien aus. Indem die besten" Mitarbeiter weiterbeschäftigt wurden, entfiel eine Sozialauswahl gemäß § 1 Abs. 3 Satz 1 KSchG. Zwar liegt es im Interesse eines jeden Arbeitgebers, der quantitativen und qualitativen Personalbedarfsplanung einen optimalen Leistungsstandard der Belegschaft zugrunde legen zu dürfen. Je leistungsstärker die Belegschaft ist, um so stärker kann auch die Arbeit verdichtet werden - mit der Folge, daß geringere Personalkosten anfallen. Auch in anderer, z. B. organisatorischer Hinsicht ist es für den Arbeitgeber nützlich, leistungsstarke und vielseitig einsetzbare Arbeitnehmer beschäftigen zu können. Gemessen an dem überdurchschnittlichen Arbeitnehmer ist bereits die Beschäftigung des Arbeitnehmers, der eine nur durchschnittliche Leistung bringt, weniger nützlich. Indessen ist das allgemeine Interesse des Arbeitgebers, nur die besten Mitarbeiter weiterbeschäftigen zu müssen, kein berechtigtes betriebliches Interesse" i. S. v. § 1 Abs. 3 Satz 2 KSchG (vgl. Fischermeier, NZA 1997, 1092). Die Beklagte hat auch nicht dargelegt, daß die Erfüllung des Kriterienkatalogs (Werkerprofil), die den Ausschlag für die Weiterbeschäftigung einer Vielzahl mit der Klägerin an sich vergleichbarer Mitarbeiter gab, jeweils betrieblichen Notwendigkeiten entsprach. Weiterhin ist nicht ersichtlich, inwieweit die übrigen Arbeiter der Lohngruppe 3 das Werkerprofil erfüllten und daß die ihnen zuteil gewordene bessere Beurteilung und die schlechtere Beurteilung der Klägerin objektiv gerechtfertigt waren und daß - gemessen an der leistungsschwächsten der nicht gekündigten Vergleichspersonen - die Arbeitsleistung der Klägerin und ihrer Einsetzbarkeit dahinter signifikant zurückfielen. Schließlich führten die Einwendungen des Betriebsrats zu einer Veränderung der leistungsbezogenen" Namensliste. Dann aber liegt nahe, daß auch der ein oder andere Minderleister" von der Kündigung verschont wurde, so daß die sachliche Begründung dafür fehlt, warum gerade bei der Klägerin Minderleistungen", i.c. in Form von überdurchschnittlichen Krankheitszeiten, oder eine (angebliche) Umsetzungsunwilligkeit ins Gewicht fallen.

Da mit der Leistungsauswahl der auswahlrelevante Personenkreis verkannt wurde, steht zu vermuten, daß bei Anwendung der Sozialkriterien des § 1 Abs. 3 Satz 1 KSchG die gegen die Klägerin getroffene Auswahl grob fehlerhaft ist. Die Beklagte hat es auch im Hinblick der von der Klägerin benannten, nach ihr eingestellten Vergleichspersonen nicht unternommen, die Auswahl nach sozialen Gesichtspunkten zu rechtfertigen.

b) Nach allem braucht nicht mehr darauf eingegangen zu werden, ob die Beklagte nicht deshalb an der Verwertung des Werkerprofils" und der aktuellen Mitarbeiterqualifikation" gehindert ist, weil sie ohne Beteiligung und Zustimmung des Betriebsrates die Beurteilungsgrundsätze entwickelt und angewendet hat (Fitting/Kaiser/Heither/Engels, BetrVG, 18. Aufl., § 94 Rz. 34, Matthes, MünchArbR, § 340 Rz. 15, Löwisch, BetrVG, 4. Aufl., § 94 Rz. 1; vgl. LAG Frankfurt a. M., Urteil vom 06.03.1990, RDV 1991, 273).).

3. Läßt man den Auswahlverfahrensfehler der Beklagten beiseite, so ergibt die Ergebniskontrolle der Auswahlentscheidung ebenfalls deren grobe Fehlerhaftigkeit.

Was die Frage der Einsetzbarkeit der Klägerin anbelangt, ist im Hinblick auf das Tätigkeitsbild der Lohngruppe 3 ( Arbeiten einfacher Art, die ohne vorherige Arbeitskenntnisse nach kurzer Anweisung ausgeführt werden können", § 3 LRA-Metallindustrie NRW i. d. F. v. 16.05.91) von einer alsbaldigen Substituierbarkeit auszugehen. Die Behauptung, daß der Klägerin habe die (für die Gruppenarbeit notwendige) Bereitschaft gefehlt, sich an andere Maschinen versetzen zu lassen, und sich stets geweigert, an einer anderen Maschine zu arbeiten, ist gänzlich unsubstantiiert geblieben. Die Beklagte trägt auch nicht vor, die Klägerin jemals wegen Umsetzungsunwilligkeit" ermahnt oder abgemahnt zu haben. Damit stellt der angebotene Zeugenbeweis einen zivilprozessual unzulässigen Ausforschungsbeweis hinaus.

Die krankheitsbedingten Fehlzeiten der Klägerin lagen seit 199o unter sechs Wochen pro Jahr. Dies gilt nicht für 1996 mit insgesamt 69 Fehltagen. Allerdings rechtfertigt, zumal sich 1997 die Fehlzeiten wieder reduzierten (22 Tage), das eine schlechte Jahr" keine Negativprognose. Insgesamt waren zuletzt die Fehlzeiten nicht erheblich und führten, wovon mangels anderer Anhaltspunkte auszugehen ist, auch nicht zu signifikanten Beeinträchtigungen des Arbeitsablaufs oder wirtschaftlichen Belastungen bei der Beklagten. Die Fehlzeiten beruhten zudem teilweise auf betrieblichen Ursachen, insbes. einem durch Zwangshaltung bei der Maschinenarbeit ausgelösten Rückenleiden. Dieses Leiden war nach dem unwidersprochen gebliebenen Vortrag der Klägerin für den größten Teil der Ausfallzeiten im Jahr 1996 ursächlich gewesen. Haben aber Krankheitszeiten eine betriebliche (Mit-)Ursache, können sie weder bei der personenbedingten noch bei der betriebsbedingten Kündigung, dort im Rahmen des § 1 Abs. 3 Satz 2 KSchG, uneingeschränkt dem Arbeitnehmer angelastet werden. Es mag sein, daß auch Beeinträchtigungen, die unterhalb der für krankheitsbedingte Kündigungen geltenden Zumutbarkeitsstufe liegen, bei der Sozialauswahl relevant werden, d. h. ein berechtigtes betriebliches Interesse des Arbeitgebers an der Weiterbeschäftigung anderer Arbeitnehmer, die sich bisher als nicht oder in nur geringem Maße krankheitsanfällig erwiesen haben, ergeben können. Im Streitfall vermag die Kammer bei Berücksichtigung aller Umstände jedoch kein berechtigtes Interesse der Beklagten an der Entlassung der Klägerin wegen ihrer Fehlzeiten anzunehmen.

III. Die Kosten der erfolglos gebliebenen Berufung hat nach § 97 Abs. 1 ZPO die Beklagte zu tragen.

Die Kammer hat dem Rechtsstreit rechtsgrundsätzliche Bedeutung beigemessen und daher gemäß § 72 Abs. 2 ArbGG die Revision für die Beklagte zugelassen.

Ende der Entscheidung

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