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Gericht: Landesarbeitsgericht Düsseldorf
Urteil verkündet am 24.01.2007
Aktenzeichen: 12 Sa 1127/06
Rechtsgebiete: BetrVG


Vorschriften:

BetrVG § 75
BetrVG § 112
Hat der Arbeitgeber einem Arbeitnehmer mitgeteilt, für ihn bestehe aufgrund der Betriebsänderung keine Beschäftigungsmöglichkeit mehr, und muss danach der Arbeitnehmer damit rechnen, dass ihm früher oder später betriebsbedingt gekündigt wird, führt die vom Arbeitnehmer erklärte "vorzeitige" Eigenkündigung jedenfalls dann nicht zum Ausschluss von Sozialplanleistungen, wenn das vorzeitige Ausscheiden keine signifikante Beeinträchtigung des Arbeitsablaufs oder wirtschaftliche Belastung auslöst.
LANDESARBEITSGERICHT DÜSSELDORF IM NAMEN DES VOLKES URTEIL

12 Sa 1127/06

Verkündet am 24. Januar 2007

In dem Rechtsstreit

hat die 12. Kammer des Landesarbeitsgerichts Düsseldorf auf die mündliche Verhandlung vom 24.01.2007 durch den Vorsitzenden Richter am Landesarbeitsgericht Dr. Plüm als Vorsitzenden sowie den ehrenamtlichen Richter Weyermann und den ehrenamtlichen Richter Hartmann

für Recht erkannt:

Tenor:

Unter Abänderung des Urteils des Arbeitsgerichts Essen vom 31.08.2006 wird die Beklagte verurteilt, an den Kläger € 27.032,52 brutto nebst Zinsen in Höhe von fünf Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 01.01.2006 zu zahlen.

Die Kosten trägt die Beklagte.

Die Revision wird zugelassen.

Tatbestand:

Die Parteien streiten nach einer Eigenkündigung des Klägers um dessen Anspruch auf Sozialplanabfindung.

Der am 15.09.1959 geborene, mit seiner Familie in P. wohnhafte Kläger trat zum 01.02.2003 in die Dienste der beklagten Immobilienbank. Er war in deren Zweigstelle F. zuletzt als Abteilungsleiter Special Clients auf der Führungsebene 3 im Geschäftsbereich Work-out/Special Clients (Grau- und Schwarzgeschäft) tätig und bezog ein Monatsgehalt in Höhe von Euro 6.316,00. Die Ehefrau des Klägers geht einer eigenen ortsgebundenen Teilzeittätigkeit nach. Seine beiden Kinder befinden sich in der schulischen Ausbildung.

Im Jahre 2005 beschloss die Beklagte, das Grau- und Schwarzgeschäft im Geschäftsbereich Work-out/Special Clients (WO/SC) neu zu organisieren, auf die Standorte Mainz-Kastel/X. und Berlin zu konzentrieren und die WO/ SC-Einheiten an den Standorten Frankfurt, Hamburg, München und Stuttgart bis zum 31.12.2005 sowie die Zweigstelle F. bis zum 31.12.2006 aufzulösen. Am 19.08.2005 kamen zwischen der Beklagten und dem Gesamtbetriebsrat ein Interessenausgleich, in dessen Anlage 1 der Kläger namentlich aufgeführt ist, und ein Sozialplan zustande. Mit Rundschreiben vom 22.08.2005 informierte die Beklagte die betroffenen Mitarbeiter, darunter den Kläger, von der bevorstehenden Umstrukturierung. Mit Schreiben vom 12.10.2005 bot die Beklagte den Mitarbeitern des Standortes F. eine Weiterbeschäftigung wahlweise in Berlin oder Mainz-Kastel/X. an.

Bereits zuvor hatte der Kläger sich um eine anderweitige, wohnortnahe Anstellung bemüht, weil er aus familiären Gründen nicht zu einem der neuen Standorte wechseln wollte. Ende September 2005 ergab sich für ihn die Möglichkeit, zum 01.01.2006 bei einer in E. vertretenen Immobilienbank eine - wenn auch hierarchisch und vergütungsmäßig nicht gleichwertige - Anstellung zu erhalten. Der Kläger, der sich kurzfristig entscheiden musste, nahm das Angebot an und erklärte mit Schreiben vom 28.09.2005 (Bl. 32) gegenüber der Beklagten die fristgerechte Kündigung des Arbeitsverhältnisses zum 31.12.2005. Anlässlich seines Ausscheidens ließ die Beklagte ihm eine Abfindung in Höhe von Euro 4.000,00 zukommen. Die nach dem Sozialplan berechnete Abfindung hätte Euro 31.032,52 betragen.

Die Beklagte hatte die Schließung der Zweigstelle F. zunächst für den 31.05.2006 vorgesehen. Tatsächlich erfolgte die Schließung zum 30.09.2006. Zuvor waren von den ursprünglich 25 Mitarbeitern ca. 5 durch Eigenkündigungen, 6 oder 7 durch Aufhebungsverträge teilweise schon Ende 2005 ausgeschieden, und weiteren Mitarbeitern betriebsbedingt gekündigt worden. Ca. 6 oder 7 Mitarbeiter wechselten an den Standort Mainz-Kastel/X.. 2 Mitarbeitern (Betriebsratsmitglieder) ist bisher nicht gekündigt worden. Für den zum 31.12.2005 ausgeschiedenen Kläger nahm die Beklagte weder in F. noch an anderen Standorten eine Ersatzeinstellung vor. Die anfallende Arbeit wurde von den im Unternehmen verbliebenen Mitarbeitern mit erledigt. Nachdem die Beklagte Mitte 2006 das Portfolio von leistungsgestörten Krediten (Schwarzgeschäft) an einen ausländischen Investor abgeben konnte, ist bei ihr aus dem WO/SC-Bereich mittlerweile nur noch das Portfolio von sanierungsfähigen Krediten (Graugeschäft) verblieben.

Mit der vor dem Arbeitsgericht Essen erhobenen Klage nimmt der Kläger die Beklagte auf Zahlung der Sozialplanabfindung in Höhe von Euro 31.032,52 brutto abzüglich der erhaltenen Abfindung von Euro 4.000,00 in Anspruch. Er macht geltend, dass nach den Grundsätzen von Recht und Billigkeit und dem Gleichbehandlungsgrundsatz der Sozialplan auch für ihn gelten müsse. Seine Eigenkündigung stehe dem nicht entgegen. Er sei damit lediglich einer sonst aufgrund der geplanten und durchgeführten Betriebsänderung notwendig gewordenen betriebsbedingten Kündigung seitens der Beklagten zuvor gekommen. Diese hätte ihm keine i.S. v. § 5 des Sozialplans zumutbare Versetzung anbieten können.

Die Beklagte hat entgegen gehalten, dass der Kläger wegen des Ausspruchs einer Eigenkündigung von dem Sozialplan, der Abfindungen nur bei betriebsbedingten Kündigungen und arbeitgeberseitig veranlassten Aufhebungsverträgen vorsehe, nicht erfasst werde. Im übrigen habe der Kläger vorzeitig gekündigt und nicht einmal das Versetzungsangebot vom 12.10.2005 abgewartet. Ihr, der Beklagten, sei es nicht um die Beendigung der Arbeitsverhältnisse, sondern um den Wechsel der in F. beschäftigten Mitarbeiter zu einem der verbliebenen Standorte gegangen. Die Fälle, in denen sie sich mit Mitarbeitern auf eine vorzeitige Beendigung des Arbeitsverhältnisses gegen Abfindungszahlung geeinigt habe, seien gesondert gelagert gewesen.

Durch Urteil vom 31.08.2006 hat das Arbeitsgericht Essen die Klage abgewiesen. Mit der form- und fristgerecht eingelegten und begründeten Berufung greift der Kläger das Urteil, auf das hiermit zur näheren Darstellung des Sach- und Streitstandes verwiesen wird, an und beantragt,

unter Abänderung des Urteils des Arbeitsgerichts Essen vom 31.08.2006 die Beklagte zu verurteilen, an ihn 27.032,52 € nebst 5 % Zinsen über dem Basiszinssatz seit dem 01.01.2006 zu zahlen.

Die Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Wegen der Einzelheiten des Parteivorbringens wird auf den Inhalt der gewechselten Schriftsätze mit den hierzu überreichten Anlagen Bezug genommen. Die Kammer hat in der mündlichen Verhandlung mit den Parteien die Sachlage erörtert.

Entscheidungsgründe:

I. Die Berufung hat Erfolg. Dem Kläger steht aus dem Sozialpan vom 19.08.2005 die - der Höhe nach unstreitige - Abfindung zu. Daher ist der Klage unter Abänderung des erstinstanzlichen Urteils stattzugeben.

1. Nach § 75 Abs. 1 Satz 1 BetrVG haben die Betriebsparteien bei Betriebsvereinbarungen, in denen sie die Verteilung von Leistungen regeln, die Grundsätze von Recht und Billigkeit zu beachten. Im Rahmen des betriebsverfassungsrechtlichen Gleichbehandlungsgrundsatzes haben sie zu gewährleisten, dass Personen in vergleichbaren Sachverhalten gleich behandelt werden und eine gleichheitswidrige Gruppenbildung zu vermeiden (BAG, Urteil vom 22.03.2005, 1 AZR 49/04, AP Nr. 48 zu § 75 BetrVG 1972). Wird eine Gruppenbildung vorgenommen, bedarf es des Vorliegens eines sachlichen Differenzierungsgrundes. Der Sachgrund muss sich in erster Linie aus dem mit der Regelung verfolgten (Leistungs-)Zweck ergeben.

Indem die Grundsätze von Recht und Billigkeit und der Gleichbehandlung auch bei Sozialplänen zu beachten sind, macht die Bildung unterschiedlicher Gruppen, i. c. die Gruppe der betriebsbedingt gekündigten Arbeitnehmer [1], die Gruppe aufgrund Aufhebungsvertrags ausscheidenden Arbeitnehmer [2] und die Gruppe der durch Eigenkündigung ausscheidenden Arbeitnehmer [3], und deren unterschiedliche Behandlung eine Überprüfung auf Vorhandensein sachlicher Differenzierungsgründe erforderlich. Dafür ist auf den Zweck von Sozialplänen abzustellen. Nach § 112 Abs. 1 Satz 2 BetrVG bezwecken Sozialpläne eine Einigung über den Ausgleich oder die Milderung der wirtschaftlichen Nachteile, die den Arbeitnehmern infolge der geplanten Betriebsänderung entstehen. Sozialpläne haben eine Ausgleichs- und Überbrückungsfunktion, hingegen keine "Bereinigungsfunktion" zur Herbeiführung von Planungssicherheit des Arbeitgebers. Daher dienen sie nicht dazu, dem Arbeitgeber individual-rechtliche Risiken bei der Durchführung der Betriebsänderung abzunehmen oder die Risiken zu vermindern (BAG, Urteil vom 31.05.2005, 1 AZR 254/04, AP Nr. 175 zu § 112 BetrVG 1972).

Ebenso verstößt eine Sozialplanregelung, die Leistungen nur an eine Arbeitgeberkündigung oder einen Aufhebungsvertrag anknüpft und die durch die Betriebsänderung veranlasste Arbeitnehmerkündigung übergeht, gegen § 75 Abs. 1 Satz 1 BetrVG. Denn der Unterstützung durch die Sozialplanleistungen bedarf ein Arbeitnehmer, der aus Anlass der Betriebsänderung selbst kündigt, regelmäßig in gleicher Weise wie ein Arbeitnehmer, der vom Arbeitgeber gekündigt wird (BAG, Urteil vom 29.10.2002, 1 AZR 80/02, EzA Nr. 4 zu § 112 BetrVG 2001). "Ein anderes Verständnis des Sozialplans hätte einen Verstoß gegen die in § 75 Abs. 1 Satz 1 vorgesehene Bindung der Betriebsparteien an die Grundsätze von Recht und Billigkeit und den aus diesen abzuleitenden Gleichbehandlungsgrundsatz zur Folge. Es ist sachlich nicht gerechtfertigt, Arbeitnehmern, die wegen eines unzumutbaren Arbeitsplatzangebots eine Eigenkündigung aussprechen, Abfindungsansprüche einzuräumen, solche Ansprüche aber Arbeitnehmern vorzuenthalten, die wegen eines gleichermaßen unzumutbaren Angebots einen Aufhebungsvertrag schließen" (BAG, Urteil vom 25.03.2003, 1 AZR 169/02, EzA Nr. 6 zu § 112 BetrVG 2001).

Der Arbeitgeber hat Anlass zu einer Eigenkündigung oder einem Aufhebungsvertrag gegeben, wenn die Erwartung des Arbeitnehmers, sein Arbeitsplatz werde nach der Betriebsänderung entfallen, auf Grund des Erklärungsverhaltens des Arbeitgebers bei Ausspruch der Eigenkündigung oder Abschluss des Aufhebungsvertrags objektiv berechtigt war, und der Arbeitnehmer mit der eigenen Initiative zur Beendigung des Arbeitsverhältnisses einer sonst notwendig werdenden betriebsbedingten Kündigung des Arbeitgebers zuvor kommen wollte. Ob der Arbeitgeber die Absicht hatte, dem Arbeitnehmer die Auflösung des Arbeitsverhältnisses nahe zu legen oder ob er das Arbeitsverhältnis unter veränderten Bedingungen fortzusetzen bereit war, ist unmaßgeblich. Ebenso wenig steht eine längere Zeitspanne der Bekanntgabe der beschlossenen Betriebsänderung und deren geplanten bzw. tatsächlichen Durchführung der Annahme entgegen, dass die Eigenkündigung durch den Arbeitgeber veranlasst worden ist. Der zeitliche Abstand zwischen Ankündigung und Durchführung der Betriebsänderung besagt nichts darüber, mit welchem Grad von Gewissheit die betroffenen Arbeitnehmer mit dem Wegfall ihrer Arbeitsplätze rechnen müssen (BAG, Urteil vom 25.03.2003, a.a.O.).

2. Gemessen an diesen Grundsätzen gilt im Streitfall folgendes:

a) Aufgrund des Rundschreibens der Beklagten vom 22.08.2005 und des Interessenausgleichs vom 19.08.2005, in dessen Anlage 1 (Liste der betroffenen Mitarbeiter) der Kläger namentlich aufgeführt wurde, konnte für den Kläger nicht zweifelhaft sein, dass "im Zuge der Umsetzung der Umstrukturierung", i.c. des Personalabbaus am Standort F., seine betriebsbedingte Kündigung anstand, falls er einer Versetzung nach Mainz-Kastel/X. oder Berlin nicht folgen würde (§ 5 des Interessenausgleichs). Zwar war nicht erkennbar, zu welchem Termin ihm gekündigt werden würde. Zum einen hatte sich die Beklagte nach der "Soll-Vorschrift" (§ 3 des Interessenausgleichs) einen zeitlichen Rahmen bis spätestens 31.12.2006 gesetzt. Zum anderen war nicht ausgeschlossen, dass Kündigungen bereits vor einer Betriebsschließung "im Zuge" der Umstrukturierung ausgesprochen wurden. Das ändert jedoch nichts daran, dass der Kläger davon ausgehen musste, dass über kurz oder lang sein bisheriger Arbeitsplatz in F. entfallen würde.

b) Das Arbeitsgericht hat angenommen, dass der Kläger zum Zeitpunkt der Eigenkündigung nicht mit dem Wegfall der Weiterbeschäftigungsmöglichkeit einer betriebsbedingten Kündigung habe rechnen, sondern zumindest das Angebot der Versetzung nach Mainz-Kastel/X. oder Berlin habe abwarten müssen; der Kläger habe am 28.09.2005 selbst gekündigt, weil er bereits einen Arbeitsvertrag mit dem neuen Arbeitgeber zum 01.01.2006 abgeschlossen habe.

Dieser Argumentation vermag die Kammer nicht zu folgen. Für den Kläger musste es - wie dargelegt - nach der Unterrichtung vom 22.08.2005, dem Interessenausgleich und Sozialplan als sicher erscheinen, dass in F. spätestens mit Schließung der Zweigstelle keine Weiterbeschäftigungsmöglichkeit mehr vorhanden war und daher die Beklagte das Arbeitsverhältnis kündigen würde. Eine Kündigung hätte er nur dann nicht zu erwarten gehabt, wenn er nach Mainz-Kastel/X. oder Berlin gewechselt wäre. Dazu war er indessen gemäß Ziffer 5.4 Buchst. a, b und c des Sozialplans nicht verpflichtet. Er brauchte auch nicht zuzuwarten, ob bzw. bis ihm ein unzumutbares Angebot konkret unterbreitet würde (vgl. BAG, Urteil vom 25.03.2003, a.a.O.).

Nach seinem unwidersprochenen Vorbringen ist der Kläger aufgrund der Information vom 22.08.2005 nebst Interessenausgleich und Sozialplan Unterrichtung der Beklagten auf die Suche nach einem anderen, wohnortnahen Arbeitsplatz gegangen, den er Ende September mit Dienstantritt zum 01.01.2006 fand. Zwar hätte er ohne neue Anstellung nicht am 28.09.2005 die Eigenkündigung erklärt. Das lässt jedoch den Befund unberührt, dass seine Kündigung durch die bevorstehende Betriebsänderung veranlasst worden ist. Angesichts des zeitlichen Geschehensablaufs, des Inhalts des Kündigungsschreibens, des Umstands, dass der Kläger sich mit der neuen Anstellung "verschlechterte", bestehen mangels anderweitigen Vortrags der Parteien keine Anhaltspunkte dafür oder ist auch nur zu vermuten, dass der Kläger ohnehin beabsichtigte, die Beklagte zu verlassen. Dass er im Hinblick auf sein Lebensalter und den Umstand, dass Arbeitsplätze in Immobilienbanken nicht "auf der Straße liegen", die Ausführung seines Kündigungsentschlusses vom Abschluss eines neuen Anstellungsvertrages abhängig machte, lässt nicht die Veranlassung seiner Eigenkündigung durch die von der Beklagten beschlossene Schließung des Standorts F. entfallen.

c) Der Einwand der Beklagten, dass sie die Arbeitskraft des Klägers nach dem 31.12.2005 benötigt und einem Aufhebungsvertrag zu diesem Termin nicht zugestimmt hätte (Seite 3 des Schriftsatzes vom 08.08.2006), hat in der mündlichen Verhandlung vor der Kammer keine Konkretisierung erfahren. Vielmehr hat sich herausgestellt, dass der Kläger "ersatzlos" entbehrt werden konnte, zunächst in F., aber dann auch in den verbliebenen WO/SC-Standorten.

Indessen ist nicht zu verkennen, dass Ende September 2005 der Kläger, mit dem eine dreimonatige Kündigungsfrist vereinbart war, noch keine Kündigung der Beklagten zum 31.12.2005, sondern diese erst zu einem späteren Zeitpunkt zu erwarten hatte. Der Umstand, dass die Beklagte den Kläger nach seinem Weggang nicht ersetzen oder den Verlust seiner Arbeitskraft nicht anderweitig auffangen musste, steht daher nicht der Feststellung entgegen, dass dem Kläger erst zu einem späteren Zeitpunkt gekündigt worden wäre und insoweit seine Eigenkündigung "vorzeitig" erfolgte.

Soweit ersichtlich, hat das Bundesarbeitsgericht die Frage, ob ein Anspruch auf Sozialplanabfindung auch bei vorzeitiger Eigenkündigung bestehen kann, bisher nicht entschieden. Im Urteil vom 25.03.2003 (a.a.O.) konnte das Bundesarbeitsgericht diese Frage offen lassen, weil die Parteien einen Aufhebungsvertrag geschlossen hatten. "Eine Obliegenheit des Klägers zuzuwarten folgt auch nicht aus dem Rundschreiben der Beklagten ...., in dem sie darauf hinwies, dass ein früherer als der von ihr vorgesehene Wechsel an einen anderen Standort nicht in ihrem Interesse liege und zum Anspruchsverlust führen werde. Es braucht nicht entschieden zu werden, ob danach bei einer im Sinne des Schreibens vorzeitigen Eigenkündigung ein Abfindungsanspruch besteht. Durch den Abschluss eines vorzeitigen Aufhebungsvertrags jedenfalls entfällt der Anspruch nicht. Hier hat es die Beklagte in der Hand, das Aufhebungsangebot abzulehnen, wenn sie den betreffenden Mitarbeiter noch benötigt. Willigt sie statt dessen in eine Aufhebung ein, vermag sie sich anschließend nicht darauf zu berufen, der Arbeitnehmer habe gegen ihr Interesse an einem weiteren Verbleib gehandelt."

Die Kammer ist der Auffassung, dass im Streitfall dem Kläger nicht wegen der "vorzeitigen Eigenkündigung" die Sozialabfindung zu versagen ist, und hält folgende Aspekte für maßgebend:

11) Es ist seit langem gefestigte Rechtsprechung, dass der Leistungsausschluss von Arbeitnehmern, die das Arbeitsverhältnis selbst gekündigt haben, nachdem ihnen der Arbeitgeber mitgeteilt hatte, für sie bestehe aufgrund der Betriebsänderung keine Beschäftigungsmöglichkeit mehr, gegen § 75 Abs. 1 BetrVG verstoßen und damit rechtsunwirksam sein kann (BAG, Urteil vom 15.01.1991, 1 AZR 80/90, EzA Nr. 56 zu § 112 BetrVG 1972). Auf diese Rechtsprechung wird allerorts hingewiesen (Fitting, BetrVG, 23. Aufl., §§ 112, 112a, Rz. 160,Richardi/Annuß, BetrVG, 10. Aufl., § 112, Rz. 107, Oetker, GK-BetrVG, 8. Aufl., § 112, 112a, Rz. 283 HaKo-BetrVG/Steffan, 2. Aufl., §§ 12, 112a, Rz. 42, Däubler, DKK-BetrVG, 10. Aufl., §§ 112, 112a, Rz. 51, Stege/Weinspach/ Schiefer, BetrVG, 9. Aufl., §§ 111-113, Rz. 87b, Küttner/Eisemann, Personalbuch 2006, 'Sozialplan', Rz. 22). Sie muss daher den Betriebspartnern geläufig sein. Wenn sie gleichwohl den Fall der Eigenkündigung übergehen, geschieht dies sehenden Auges. Weil der Zeitpunkt des Kündigungsausspruchs und des Kündigungstermins einer Arbeitnehmer-Kündigung sich oft nur zufällig mit dem der (vorweg genommenen) Arbeitgeber-Kündigung decken wird, kann den Betriebspartner der Regelungsbedarf der "vorzeitigen" Eigenkündigung im Sozialplan nicht verborgen bleiben. Die höchstrichterliche Rechtsprechung gibt überdies den Betriebspartnern eine entsprechende Gestaltung des Sozialplans etwa mittels Vereinbarung von Stichtagsregelungen an die Hand (BAG, Urteil vom 25.03.2003, a.a.O.) und gesteht ihnen dabei einen Beurteilungsspielraum und eine Einschätzungsprärogative zu (BAG, Urteil vom 22.03.2005, a.a.O.).

Nehmen die Betriebspartner - wie im vorliegenden Fall - ihre Gestaltungsmöglichkeiten nicht wahr, muss es für die Gerichte für Arbeitssachen dabei verbleiben, dass der Anspruch auf Sozialplanleistungen nicht an formale Ausgrenzungskriterien wie Stichtage o. ä. gebunden ist, sondern es darauf ankommt, ob es nach dem Zweck von Sozialplänen (§ 112 Abs. 1 Satz 2 BetrVG) unter Anwendung der Grundsätze von Recht und Billigkeit (§ 75 Abs. 1 Satz 1 BetrVG) gerechtfertigt ist, Mitarbeitern wegen vorzeitiger Eigenkündigung die Sozialplanleistungen zu versagen.

Zu dem Zustandekommen des Sozialplans vom 19.08.2005 ist konkret zu bemerken, dass der Umstand, dass weder Eigenkündigungen erwähnt noch Stichtage aufgenommen wurden, nicht auf einem Versehen der Betriebspartner, sondern der bewussten Übernahme früherer Sozialpläne beruhte, die ebenfalls auf Stichtagsregelungen verzichtete. Die Beklagte wollte, wie die mündliche Verhandlung vor der Kammer ergeben hat, das Zustandekommen eines Interessenausgleichs und Sozialplans nicht weiter erschweren. Zudem war es ihr an Flexibilität bei den anstehenden Personalmaßnahmen gelegen, weil die Schließung von Standorten zu unterschiedlichen Terminen erfolgen sollte und - jedenfalls für F. - nicht vorauszusehen war, wie bald die Zweigstelle geschlossen werden könnte. Der ursprünglich vorgesehene Termin 01.06.2006 verschob sich später auch um vier Monate.

(22) Als Ausgangspunkt ist nach der höchstrichterlichen Rechtsprechung zu nehmen, dass ein Arbeitnehmer, der aus Anlass der Betriebsänderung selbst kündigt, regelmäßig in gleicher Weise wie ein Arbeitnehmer, der vom Arbeitgeber gekündigt wird, der Sozialplanleistungen bedarf. Sehen die Betriebspartner dies anders, ist es ihnen überlassen, verminderte Leistungen vorzusehen (vgl. BAG, Urteil vom 20.04.1994, 10 AZR 323/93, EzA Nr. 75 zu § 112 BetrVG 1972, Urteil vom 25.03.2003, a. a. O.).

Wenn in der Betriebsvereinbarung nichts anderes bestimmt, insbesondere der Zeitpunkt der Entlassungen offen gelassen ist, muss der Arbeitgeber nach seiner Verlautbarung, dass konkret eine Betriebsänderung geplant sei und deren Durchführung betriebsbedingte Kündigungen notwendig machen könne, erwarten, dass die betroffenen Arbeitnehmer sich um ein anderes Arbeitsverhältnis bemühen und dabei vor die Alternative gestellt sind, entweder den dort fixierten Einstellungstermin zu akzeptieren oder das Arbeitsverhältnis mit dem neuen Arbeitgeber auszuschlagen. Damit stehen die Arbeitnehmer, die durch eigene Initiative eine Anschlussbeschäftigung gefunden haben und annehmen möchten, vor der Notwendigkeit der vorzeitigen Eigenkündigung.

Auf der anderen Seite ist dem Arbeitgeber zuzugestehen, dass - anders als wenn er selbst betriebsbedingt kündigt oder einen Aufhebungsvertrag schließt - er es bei der Eigenkündigung nicht in der Hand hat, zu welchem Termin der Arbeitnehmer ausscheidet, und dass er ein berechtigtes betriebliches Interesse daran haben kann, dass der Arbeitnehmer über den Termin der Eigenkündigung hinaus im Betrieb beleibt.

Diesem Interessenkonflikt ist angemessen dadurch Rechnung zu tragen, dass Sozialplanansprüche bei vorzeitiger Eigenkündigung jedenfalls dann nicht ausgeschlossen sind, wenn das vorzeitige Ausscheiden des Arbeitnehmers zu keiner signifikanten Beeinträchtigung des Arbeitsablaufs oder wirtschaftlichen Belastung führt.

Der Umstand, dass der Arbeitgeber nicht hinreichend deutlich gemacht hat, dass er der Arbeitskraft des Arbeitnehmers bis auf weiteres bedarf, ist ebenfalls dem vorzeitig kündigenden Arbeitnehmer regelmäßig zugute zu halten. Denn ist eine Betriebsänderung konkret beschlossen, ohne dass ihr Beginn und Ende, die Einzelmaßnahmen und Kündigungen zeitlich fixiert sind, muss ein betroffener Arbeitnehmer damit rechnen, dass ihm u.U. kurzfristig gekündigt wird bzw. er im Rahmen einer sukzessiven Personalreduzierung zur ersten Kündigungswelle gehört. Damit kann er bei Ausspruch der Eigenkündigung nicht wissen, ob diese "vorzeitig" erfolgt oder, falls eine betriebsbedingte Kündigung erst zu einem späteren Zeitpunkt zu erwarten ist, der Arbeitgeber nach dem Termin der Eigenkündigung überhaupt noch auf seine Arbeitsleistung angewiesen ist. Wenn einerseits dem Arbeitgeber in der Betriebsvereinbarung personelle Flexibilität und Freiraum bei der Durchführung der Betriebsänderung zugestanden wird, darf er andererseits die betroffenen Arbeitnehmer, die in einer existentiellen Ungewissheitslage gebracht sind, nicht im Ungewissen darüber lassen, ob und wie lange ihre Arbeitskraft noch benötigt wird. Es ist deshalb mit der Ausgleichs- und Überbrückungsfunktion des Sozialplans unvereinbar, wenn das Bestehen oder der Verlust von Leistungsansprüchen allein daran gebunden wird, ob bzw. wann der Arbeitgeber einseitig und nach Gutdünken die Kündigung der einzelnen Arbeitsverhältnisse erklärt. Mit der Reklamation von Planungsfreiraum und -sicherheit kann der Arbeitgeber nicht die Befreiung von Sozialplanverpflichtungen rechtfertigen. Schließlich gilt es auch der bewussten Herbeiführung einer Ungewissheitslage für die Belegschaft mit dem Kalkül zu begegnen, dass ein Teil der Arbeitnehmer von sich aus kündigen und dann aus dem Sozialplan fallen wird.

Die Kammer übersieht nicht, dass die Beklagte mehrfach ihr Interesse an der Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses in Mainz-Kastel/X. oder Berlin betont hat. Die "Unzumutbarkeitsregelung" und Höhe der Sozialplanabfindungen sind allerdings nicht unbedingt dazu angetan gewesen, den Wechselwillen der betroffenen Arbeitnehmer zu befördern. Jedenfalls ist das Fortsetzungsinteresse der Beklagten deshalb unerheblich, weil - wie ausgeführt - der Kläger die Versetzung zu einem anderen Standort nicht akzeptieren musste.

Die Kammer ist schließlich der Meinung, dass es grundsätzlich weder der Fürsorgepflicht des Arbeitgebers entspricht noch arbeitsmarktpolitisch wünschbar ist, Arbeitnehmer, die, weil sie abgewartet haben, bis ihnen gekündigt wird, ohne Anschlussbeschäftigung sind, gegenüber den Arbeitnehmer besser zu stellen, die eigeninitiativ ein neues Arbeitsverhältnis gefunden haben. Nicht selten haben Arbeitnehmer im Falle "vorzeitiger" Eigenkündigung ihrem Arbeitgeber erhebliche Vergütungszahlungen erspart.

(33) Gemessen an diesen Grundsätzen hat der Kläger einen Anspruch auf die Sozialplanabfindung. Dass er nach dem 31.12.2005 in F. benötigt wurde, hat die Beklagte nicht nachvollziehbar darstellen können. Der Umstand, dass sein Ausfall weder in F. noch anderswo durch eine Ersatzeinstellung kompensiert werden musste, indiziert vielmehr, dass bei Anwendung objektiver, betriebswirtschaftlich vernünftiger Planungsdaten auf seine Arbeitskraft ohne spürbare Beeinträchtigungen verzichtet werden konnte. Den Ausführungen im Schriftsatz vom 08.08.2006 (insbes. S. 3) fehlt ein brauchbarer Tatsachenkern. Soweit die Beklagte beanstandet, dass der Kläger mit der Eigenkündigung einer Versetzung zuvor gekommen sei (Seite 3 des Schriftsatzes vom 15.01.2007), stellt sie auf eine Weiterbeschäftigungsmöglichkeit in Mainz-Kastel/X. ab. Dabei übersieht sie, dass der Kläger ein Versetzungsangebot, wie im Schreiben vom 12.10.2005 (Bl. 147) unterbreitet, nicht annehmen musste.

3. Die Beklagte hat ihre Geldschuld ab dem 01.01.2006 zu verzinsen. Nach § 7 Ziffer 7.9 des Sozialplans wird der Abfindungsanspruch mit der Beendigung des Arbeitsverhältnisses fällig. Dies war der 31.12.2005. Gemäß § 286 Abs. 2 Nr.1 ZPO befand die Beklagte sich ab dem 01.01.2006 in Verzug. Die Höhe des Verzugszinses ergibt sich aus § 288 Abs. 1 Satz 2 BGB i.V.m § 247 Abs. 1 BGB: Der Basiszinsatz beträgt seit dem 01.07.2006 1,95 %, seit dem 01.01.2007 2,70 %.

II. Die Kostenentscheidung beruht auf § 91 Abs. 1 ZPO.

III. Die Kammer hat die Rechtsfrage, ob bei vorzeitiger Eigenkündigung kein Anspruch auf eine Sozialplanabfindung besteht für entscheidungserheblich und von grundsätzlicher Bedeutung erachtet (§ 72 Abs. 2 Nr. 1 ArbGG). Daher war für die Beklagte die Revision an das Bundesarbeitsgericht zuzulassen.

Ende der Entscheidung

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