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Beginn der Entscheidung

Gericht: Landesarbeitsgericht Düsseldorf
Urteil verkündet am 11.02.2004
Aktenzeichen: 12 Sa 1603/03
Rechtsgebiete: AWbG NW


Vorschriften:

AWbG NW § 1
AWbG NW § 5
AWbG NW § 2
Zur Frage, ob es sich bei einem Seminar zu dem Thema "Kampagnen ? - Oft gehört, jetzt geplant! Kampagnen erfolgreich planen und organisieren" um politische Weiterbildung i.S.v. § 1 AWbG NW handelt, zur "Gleichwohlerklärung" und Freistellungsfiktion nach § 5 AWbG NW.
LANDESARBEITSGERICHT DÜSSELDORF IM NAMEN DES VOLKES URTEIL

In Sachen

hat die 12. Kammer des Landesarbeitsgerichts Düsseldorf auf die mündliche Verhandlung vom 11.02.2004 durch den Vorsitzenden Richter am Landesarbeittsgericht Dr. Plüm als Vorsitzenden sowie den ehrenamtlichen Richter Becker und die ehrenamtliche Richterin Bargenda

für Recht erkannt:

Tenor:

Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Arbeitsgerichts Düsseldorf vom 23.07.2003 wird kostenfällig zurückgewiesen.

Die Revision wird zugelassen.

Tatbestand:

Die tarifgebundenen Parteien streiten darum, ob dem Kläger Entgeltfortzahlung nach § 7 AWbG NRW für die Teilnahme an einem einwöchigen, vom ver.di-Institut für Bildung, Medien und Kunst veranstalteten Schulungsseminar zum Thema "Kampagnen? ­ Oft gehört, jetzt geplant! Kampagnen erfolgreich planen und organisieren" zusteht.

Der Kläger ist bei dem beklagten Verlag in der EDV-Abteilung beschäftigt. Er ist Mitglied des bei der Beklagten gewählten Betriebsrats; im Jahr 2002 war er Ersatzmitglied.

Anlässlich einer vom Kläger vorgelegten Mitteilung des ver.di-Instituts für Bildung, Medien und Kunst vom 21.05.2002, dass er "entsprechend § 5 Abs. 1 AWbG an einer Bildungsveranstaltung der politischen Bildung vom 04.11.2002 bis 08.11.2002" teilnehmen werde, kam es zunächst am 27.05.2002 zwischen dem Kläger und seinem Vorgesetzten in der Abteilung zu einem Gespräch. Dabei erhob der Vorgesetzte keine Einwände. Nach Vortrag der Beklagten ging es nur um den Zeitpunkt des Bildungsurlaubs. Der Kläger hält entgegen, dass sein Vorgesetzter generell keine Einwände erhoben habe.

Mit Schreiben vom 19.09.2002 teilte die Beklagte dem Kläger mit, dass sie seinem Wunsch nach Bildungsurlaub nicht entsprechen könne, weil sie die Maßnahme als nicht geeignet im Sinne des AWbG NRW ansehe. Daraufhin leitete der Kläger mit Schreiben vom 23.09.2002 der Beklagten den Ablaufplan des Seminars zu und erklärte, dass er gemäß § 5 Abs. 4 AWbG NRW gleichwohl an der Bildungsveranstaltung teilnehmen werde. Unter dem 27.09.2002 antwortete die Beklagte, dass die Voraussetzungen des AWbG NRW für die Veranstaltung nicht gegeben seien und sie daher das Arbeitsentgelt für die Dauer der Veranstaltung nicht zahlen werde.

Der Kläger nahm in der Woche vom 04.11.2002 bis 08.11.2002 an der Bildungsveranstaltung teil. Das Veranstaltungsprogramm beschreibt die Ziele und den Ablauf des Seminars wie folgt:

"In der Zusammenarbeit zwischen betrieblicher Interessenvertretung und Gewerkschaft gewinnen Kampagnen immer mehr an Bedeutung. Im Seminar werden Möglichkeiten von Kampagnen (z. B. T., D., Y.) dargestellt und bewertet. Kampagnen werden auf betrieblicher, örtlicher, regionaler oder internationaler Ebene organisiert. Für eine aktivierende Interessenvertretung ist die betriebliche und örtliche/regionale Ebene von besonderem Interesse. Mit ungewöhnlichen Aktionsformen und unter Einbeziehung unterschiedlichster gesellschaftlicher Gruppen werden in einem überschaubaren Zeitraum betrieblichen und gewerkschaftlichen Forderungen Nachdruck verliehen und durchgesetzt. Ziel des Seminars ist es, Planungstechniken für erfolgreiche Kampagnen zu erarbeiten und eine exemplarische betriebliche/örtliche Kampagne ­ unter Einbeziehung von KollegInnen und der Öffentlichkeit ­ zu entwickeln.

Montag, 4. November 2002

bis 12.00 Uhr Anreise, anschl. Mittagessen

nachmittag Eröffnung, Begrüßung, Vorstellungsrunde, Organisatorisches Veränderungsprozesse in Gesellschaft und Wirtschaft und deren Auswirkungen auf das Handlungsinstrumentarium von betrieblichen Interessenvertretungen Rolle und Bedeutung der Medien in betrieblichen und gesellschaftlichen Wandlungsprozessen, Anwendung neuer Formen von Öffentlichkeitsarbeit in der gewerkschaftlichen und betrieblichen Interessenvertretung

Dienstag, 5. November 2002

vormittag Kampagnen als ergänzende Methode von betrieblicher und gewerkschaftlicher Interessenvertretung Analyse und Bewertung von bisherigen gewerkschaftlichen Kampagnen in Deutschland (T., T., Y., D., Callcenter etc.)

nachmittag Erfahrungen mit Kampagnen auf internationaler Ebene Das Beispiel USA (V., V, X.)

Mittwoch, 6. November 2002

vormittag Entwicklung von Kriterien für die erfolgreiche Durchführung von betrieblichen Kampagnen

nachmittag Interne und externe Kommunikationswege vor, während und nach der Durchführung von Kampagnen Planung von Presse-, Medien- und Öffentlichkeitsarbeit

Donnerstag, 7. November 2002

vormittag Die Notwendigkeit der Anwendung verschiedenster Kommunikationsmethoden zur Intensivierung von Kommunikationsprozessen innerhalb von Kampagnen

nachmittag Planung, Organisierung und Strukturierung von Ressourcen bei der Durchführung von betrieblichen und örtlichen Kampagnen

Freitag, 8. November 2002

vormittag Organisierung von Belegschaften als notwendige Voraussetzung für die erfolgreiche Interessevertretung in Betrieb und Gesellschaft Bedeutung des Vertrauensleutesystems in Deutschland und Organisierungsprozesse zur Stärkung betrieblicher Interessenvertretung in den USA Die Rolle und Bedeutung von sozialen Netzwerken in betrieblichen und gesellschaftlichen Konflikten Seminarauswertung und ­kritik (lob!)

Abreise nach dem Mittagessen"

Die Beklagte verweigert dem Kläger für die Woche vom 04.11.2002 bis 08.11.2002 die Gehaltszahlung (Euro 992,52).

Nach erfolgloser Geltendmachung hat der Kläger im März 2003 vor dem Arbeitsgericht Düsseldorf Zahlungsklage erhoben. Durch Urteil vom 23.07.2003 hat das Arbeitsgericht die Klage mit der Begründung abgewiesen, dass es in dem Seminar um die Schulung von Gewerkschaftsmitgliedern und Mitgliedern betrieblicher Interessenvertretungen für die Planung von Kampagnen und damit nicht um die politische Weiterbildung von Arbeitnehmern i.S.v. § 1 AWbG NRW gegangen sei.

Mit der form- und fristgerecht eingelegten und begründeten Berufung greift der Kläger das Urteil an. Er macht geltend, dass die Veranstaltung eine Maßnahme der politischen Arbeitnehmerweiterbildung gewesen sei. Ausweislich des Themenplans sei es darum gegangen, besonders berechnend und zielgerichtet vorzugehen, also besonders politisch zu arbeiten, indem Kampagnen gezielt eingesetzt würden, um bestimmte Ziele durchzusetzen. Das Seminar habe dadurch, dass die Teilnehmer befähigt werden sollten, Kampagnen zu planen und auch durchzusetzen, das Verständnis für politische Zusammenhänge und die Mitgestaltung des öffentlichen Lebens und Mitsprache im demokratischen Staat gefördert.

Der Kläger behauptet, dass die Veranstaltung für Jedermann zugänglich gewesen sei, und meint schließlich, dass das Arbeitsgericht den Eintritt der Fiktion des § 9 AWbG verkannt habe.

Er beantragt,

unter Abänderung des Urteils des Arbeitsgerichts Düsseldorf vom 23.07.2003 die Beklagte zu verurteilen, an den Kläger 992,52 brutto nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 01.12.2002 zu zahlen.

Die Beklagte beantragt, die Klage abzuweisen.

Sie ist der Auffassung, dass der Kläger die Jedermann-Zugänglichkeit der Bildungsveranstaltung nicht darlegt habe und dass es bei der Veranstaltung nicht um politische Bildung i.S. v. § 1 Abs. 2 AWbG gegangen sei.

Entscheidungsgründe:

I. Die Berufung hat keinen Erfolg. Das Arbeitsgericht hat mit zutreffender Begründung die Klage abgewiesen. Dem Kläger steht kein Anspruch auf Entgeltfortzahlung nach § 7 S. 1 des AWbG NRW v. 06.11.1984 (GV NRW 1984, S. 678) i.d.F.v. 28.03.2000 (GV NRW S. 361) zu.

1. Zu Unrecht beanstandet der Kläger, dass das Arbeitsgericht die Fiktion des § 9 AWbG NRW verkannt habe. Nach Abs. 1 dieser Vorschrift "gelten Bildungsveranstaltungen als anerkannt, wenn sie § 1 Abs. 2 bis 4 entsprechen und von Volkshochschulen oder nach dem Weiterbildungsgesetz anerkannten Einrichtungen gemäß den Bestimmungen des Weiterbildungsgesetzes durchgeführt werden und nicht der Gewinnerzielung oder überwiegend einzelbetrieblichen oder dienstlichen Zwecken dienen." § 9 Abs. 1 AWbG NRW greift die Vorgabe des § 1 Abs. 1, § 5 Abs. 5 AWbG NRW auf, wonach Arbeitnehmerweiterbildung nur für anerkannte Bildungsveranstaltungen in Anspruch genommen werden kann. Die gesetzliche Fiktion hebt nicht darüber hinweg, dass die Bildungsveranstaltung i. S. v. § 1 Abs. 2 AWbG der beruflichen und/oder der politischen Weiterbildung dienen muss. Um das Vorliegen dieser, vom Gericht nachzuprüfenden Voraussetzung geht es im Streitfall.

2. Der Kläger macht mit der Berufung nicht weiter geltend, dass die Beklagte sich mit seiner Teilnahme an der Bildungsveranstaltung einverstanden erklärt habe oder die gesetzliche Freistellungsfiktion des § 5 Abs. 3 S. 2 AWbG NRW eingetreten sei. Daher ist unter diesem Gesichtspunkt der Klageanspruch vom Berufungsgericht nicht mehr zu prüfen.

Anzumerken ist lediglich das Folgende:

a) Da der Mitteilung vom 21.05.2002, die der Kläger der Geschäftsleitung (also nicht etwa dem Vorgesetzten in der Abteilung) zuleitete, nicht das Veranstaltungsprogramm beigefügt war, sondern die Beklagte das Programm erst mit Schreiben des Klägers vom 23.09.2002 erhielt, löste die Mitteilung vom 21.05.2002 nicht die gesetzlichen Widerspruchsfristen gemäß § 5 Abs. 3 S. 1, Abs. 4 S. 1 AWbG NRW aus. Die Unterredung des Klägers mit seinem Vorgesetzten T. am 27.05.2002 konnte daher nicht mehr sein als eine unverbindliche Vorklärung und nur den Zeitpunkt des Bildungsurlaubs betroffen haben, zumal nicht erkennbar ist, dass T. veranlasst und überhaupt befugt war, den Bildungsurlaub zu bewilligen. Die Beklagte verweigerte nach ihrem Schreiben vom 19.09.2002 form- und fristgerecht unter dem 27.09.2002 die Freistellung "aus anderen Gründen" i. S.v § 5 Abs. 4 S. 1 AWbG NRW. Das hat der Kläger selbst so gesehen, denn im Schreiben vom 23.09.2002 erkärte er die "Gleichwohl-Teilnahme" gemäß § 5 Abs. 4 S. 1 AWbG NRW.

b) Der Kläger teilte, worüber die Parteien auch nicht streiten, jedenfalls durch sein Schreiben vom 23.09.2002 ordnungsgemäß die Inanspruchnahme von Bildungsurlaub mit. Die Beklagte verweigerte ihrerseits durch Antwortschreiben vom 27.09.2002 form- und fristgerecht die Freistellung "aus anderen Gründen". Allerdings sind die Parteien von dem Verfahren nach § 5 AWbG dadurch abgewichen, dass der Kläger die bereits vor Erhalt des Veranstaltungsprogramms (§ 5 Abs. 1 S. 2, 2. Hs.) erklärte Verweigerung der Beklagten zum Anlass nahm, die "Gleichwohlerklärung" abzugeben und insoweit mit seiner Erklärung nicht die Verweigerungsmitteilung der Beklagten nach § 5 Abs. 3 AWbG abwartete. Rechtliche Konsequenzen sind hieraus für den Streitfall jedoch nicht abzuleiten, denn die Parteien gehen im Berufungsverfahren übereinstimmend davon aus, dass eine "Gleichwohl-Teilnahme" i.S.v. § 5 Abs. 4 S. 1 AWbG NRW vorliegt und der Anspruch des Klägers auf Fortzahlung des Arbeitsentgelts davon abhängig ist, ob die Beklagte die Freistellung in der Sache zu Recht oder zu Unrecht verweigert hat. Jedenfalls waren vorliegend die Parteien darüber einig gewesen, dass die Beklagte gerade und nur für den Fall, dass die vom Kläger besuchte Veranstaltung der politischen oder der beruflichen Weiterbildung dient, zur Entgeltfortzahlung verpflichtet wäre (vgl. BAG, Urteil vom 24. August 1993 - 9 AZR 240/90 - AP Nr. 9 zu § 1 BildungsurlaubsG NRW, Düwell, JbArbR, Bd. 37, S. 102 f., Küttner/Reinecke, Personalbuch 2003, "Bildungsurlaub", Rz. 25).

3. a) Nach § 1 Abs. 2 AWbG NRW dient Arbeitnehmerweiterbildung der beruflichen und der politischen Weiterbildung sowie deren Verbindung. Nach Abs. 4 verbessert politische Arbeitnehmerweiterbildung das Verständnis der Beschäftigten für gesellschaftliche, soziale und politische Zusammenhänge und fördert damit die in einem demokratischen Gemeinwesen anzustrebende Mitsprache und Mitverantwortung in Staat, Gesellschaft und Beruf. Die gesetzliche Zielsetzung entspricht den vom Bundesverfassungsgericht (Beschluss vom 05.12.1987, AP Nr. 62 zu Art. 12 GG) und Bundesarbeitsgericht (Urteil vom 16.03.1999, 9 AZR 166/98, AP Nr. 27 zu § 1 BildungsurlaubsG NRW, Urteil vom 16.05.2000, 9 AZR 241/99, AP Nr. 28 zu § 1 BildungsurlaubsG NRW; vgl. Hauck, HzA, Gruppe 4/2, Rz. 124, b, mwN) entwickelten Auslegungsmaximen. Das AWbG NRW enthält keine abschließende Liste von Sachthemen, die Inhalt einer politischen Weiterbildung sein können. Allerdings ist politische Weiterbildung begrifflich abzugrenzen von beruflicher sowie von allgemeiner und kultureller Weiterbildung (§ 1 Abs. 2 AWbG, § 3 Abs. 1 WbG NRW i.d.F.v. 14.04.2000). Ein weiteres Abgrenzungsmerkmal ist daraus zu gewinnen, dass Arbeitnehmerweiterbildung "im Interesse des Gemeinwohls" liegt und liegen muss und dass nicht in verfassungsrechtlich geschützte Positionen Dritter unzulässig eingegriffen, insbes. durch die Entgeltfortzahlungspflicht nach § 7 AWbG nicht der Grundrechtsschutzschutz des Arbeitgebers aus Art. 9 Abs. 3, Art. 12 Abs. 1 GG übergangen werden darf. So kann aus koalitionsrechtlichen Gründen kein Arbeitgeber zur Finanzierung seines sozialen Gegenspielers verpflichtet werden (BAG, Urteil vom 21.10.1997, 9 AZR 253/96, AP Nr. 24 zu § 1 BildungsurlaubsG NRW; vgl. auch zu § 37 Abs. 7 BetrVG: BAG, Beschluss vom 18.12.1973, 1 ABR 35/73 APNr. 7 zu § 37 BetrVG 1972, Beschluss vom 11.08.1993, 7 ABR 52/92, AP Nr. 92 zu § 37 BetrVG 1972, zu gewerkschaftspolitischen und allgemeinbildenden Veranstaltungen). Somit ist dem Bundesarbeitsgericht (Urteil vom 16.03.1999, a.a.O.) in der Feststellung zu folgen, dass nicht " jedes Thema, für das ,in politischer Hinsicht' ein Interesse geltend gemacht werden könnte, den Begriff politische Arbeitnehmerweiterbildung i. S. von § 1 Abs. 2 AWbG erfülle".

b) Soweit es um Themen geht, die sich mit der Stellung des Arbeitnehmers im Betrieb und seiner Mitwirkung in Arbeitnehmervertretungen befassen und Grundkenntnisse über die Organe der Unternehmens- und Betriebsverfassung vermitteln, hat die Kammer (LAG, Düsseldorf, Urteil vom 23.05.1991, 12 Sa 229/91, DB1991, 2293; vgl. Urteil vom 17.10.1990, 12 Sa 1086/90, n.v.) die Geeignetheit solcher Bildungsveranstaltungen zur politischen Weiterbildung bejaht (ebenso BAG, Urteil vom 09.06.1998, 9 AZR 466/97, AP Nr. 1 zu § 3 BildungsurlaubsG Rheinl.-Pfalz). Zur sog. "Referentenschulung" hat das Landesarbeitsgericht in einem Urteil vom 06.01.1987 (3 Sa 1382/85, EzB AWbG Nordrhein-Westfalen § 7 Nr. 14) neben der ­ im dortigen Fall verneinten - Allgemeinzugänglichkeit geprüft, ob es sich um politische Weiterbildung handele, und ausgeführt: "Allerdings werden Bildungsveranstaltungen, die mit gewerkschaftsspezifischer Thematik durchgeführt werden und die Schulung der Teilnehmer für gewerkschaftspolitische Anliegen und Gewerkschaftsarbeit bezwecken, nicht durch das AWbG NW legitimiert. Die Vorschriften des WbG NW ... und § 4 AWbG NW zeigen, dass das AWbG NW berufliche und politische Weiterbildung nicht durch jede Veranstaltung mit beruflichem und politischem Bezug gewährleistet sieht, sondern voraussetzt, dass die Bildungsveranstaltung prinzipiell jedem Arbeitnehmer zu beruflicher und politischer Weiterbildung verhilft, auch wenn die Veranstaltung für eine bestimmte Zielgruppe besonderen Nutzen haben mag. In diesem Sinne muss die Bildungsmaßnahme "dem Arbeitnehmer uneingeschränkt das Erreichen der in § 1 niedergelegten Ziele ermöglichen" (§ 4 AWbG NW) und darf nicht primär anderen Zwecken dienen. Eine gewerkschaftliche Schulung eigener Funktionsträger (i.c. Referentenausbildung) verfolgt nicht das allgemeine Bildungsziel des § 1 Abs. 2 AWbG NW, sondern hat eine nach dem Gesetz unzulässige personen- und trägerbezogene Schulung zum Gegenstand."

Mit ähnlichem Ansatz haben das LAG Hamm (Urteil vom 12.11.1987, LAGE Nr. 2 zu § 7 AWbG NW, Urteil vom 06.10.1988, 4 Sa 371/87, n.v.) und das LAG Köln (Urteil vom 23.06.1988, LAGE Nr. 3 zu § 7 AWbG NW) argumentiert.

Demgegenüber hat das Bundesarbeitsgericht die Problematik, ob eine unzulässige Funktionärsschulung stattfinde, in die Feststellung der Allgemeinzugänglichkeit der Veranstaltung verlegt (BAG, Urteil vom 09.06.1998, 9 AZR 466/97, AP Nr. 1 zu § 3 BildungsurlaubsG Rheinl.-Pfalz).

Nach Auffassung der Kammer kann die Allgemeinzugänglichkeit nicht alleiniges Kriterium sein. Denn einerseits müssen Seminare, die die Schulung von Funktionären des Bildungsveranstalters bzw. der ihn tragenden Organisation bezwecken, nicht zwangsläufig als 'closed shop' durchgeführt werden, sondern können durchaus für jedermann offen stehen. Andererseits rechtfertigt der Umstand, dass auf "Funktionärs- oder Referentenschulungen" die Lage und die Rechte von Arbeitnehmern in Betrieben, in der Gesellschaft und Politik behandelt werden, nicht schon den Befund, dass die Schulungen der politischen Bildung i.S.v. § 1 Abs. 2 und 4 AWbG NRW dienen.

Die Kammer hält an der bisherigen Spruchpraxis des Landesarbeitsgerichts (Urteil vom 06.01.1987, a. a. O.) fest, wonach das AWbG NRW keine interessenorientiert gewerkschaftspolitischen Schulungsveranstaltungen erfasst und nicht die Förderung von gewerkschaftlicher Bildung bezweckt. Die Gegenauffassung liefe darauf hinaus, dass der Begriff der politischen Arbeitnehmerweiterbildung konturenlos wird und mittels der kaum einer Funktionärsschulung abstreitbaren "Förderung von Mitsprache und Mitverantwortung" und des ebenso selten abstreitbaren "gesellschaftlichen/gesellschaftspolitischen Bezugs" jedwede von weltanschaulichen, religiösen, ethnischen oder anderen Trägern veranstalteten Schulungs- und Ausbildungsseminare als politische Arbeitnehmerweiterbildung anzuerkennen wären. Damit wird nach Ansicht der Kammer die allgemeinpolitisch-staatsbürgerliche Ausrichtung der Arbeitnehmerweiterbildung verkannt. Das AWbG NRW legitimiert nicht Veranstaltungen, die primär die Rekrutierung von Mitgliedern für eine bestimmte Organisation (durchweg die des Veranstalters) bezwecken oder Mitglieder oder Personen, die mit den Zielen dieser Organisation sympathisieren, für interessenpolitische Arbeit, Aktivitäten oder Übernahme von Funktionen anleiten und schulen. Des Weiteren ist zu beachten, dass die Grundrechte als verfassungsrechtliche Grundentscheidungen für alle Bereiche des Rechts gelten und daher die im AWbG NRW einander gegenüber stehenden Freiheitsrechte der Beteiligten im Einzelfall im Wege praktischer Konkordanz zum Ausgleich gebracht werden müssen. Mithin stehen koalitionsrechtliche Gründe entgegen, den Arbeitgeber mit der Entgeltfortzahlung nach § 7 AWbG zu belasten und damit Arbeitnehmern finanziell die Teilnahme an Bildungsveranstaltungen zu ermöglichen, die auf ihre Schulung für Gewerkschaftsarbeit und ihr Engagement im Arbeitsleben für gewerkschaftspolitische Anliegen angelegt sind.

c) Gemessen an diesen Grundsätzen handelte es sich bei der Veranstaltung "Kampagnen? ­ Oft gehört, jetzt geplant! Kampagnen erfolgreich planen und organisieren" nicht um politische Arbeitnehmerweiterbildung i. S. v. § 1 AWbG NRW.

Aus dem Veranstaltungsprogramm, der Erläuterung der Thematik und Zielsetzung sowie der Beschreibung der Einzelthemen geht hervor, dass die Teilnehmer darin geschult werden sollen, von der Gewerkschaft ­ wofür die ver.di als Veranstalterin des Seminars steht ­ oder von ihr in Zusammenarbeit mit den betrieblichen Interessenvertretungen getragene Kampagnen "unter Einbeziehung von KollegInnen und der Öffentlichkeit", "Presse-, Medien- und Öffentlichkeitsarbeit", "Organisierung von Belegschaften" zu entwickeln, zu planen und durchzuführen. Dabei sollen, wie sich aus den beispielhaft genannten Auseinandersetzungen mit bestimmten Unternehmen ergibt, die Kampagnen gegen einzelne Unternehmen geführt werden und darauf abzielen, dass "betrieblichen und gewerkschaftlichen Forderungen Nachdruck verliehen und durchgesetzt" werden. Damit stellte die Veranstaltung "Kampagnen? ­ Oft gehört, jetzt geplant! Kampagnen erfolgreich planen und organisieren" eine interessenorientiert gewerkschaftspolitische Schulungsveranstaltung und keine politische Arbeitnehmerweiterbildung i.S.v. § 1 Abs. 2 und 4 AWbG dar.

Dem vermag der Kläger nicht mit Erfolg entgegen zu halten, dass das Seminar das Verständnis für gesellschaftliche, soziale und politische Zusammenhänge und die Mitgestaltung des öffentlichen Lebens und Mitsprache im demokratischen Staat gefördert habe. Hierbei handelte es sich lediglich um einen Nebeneffekt. Es ging im Seminar weniger darum, den Teilnehmern Kenntnisse und Einsichten zu vermitteln, damit sie im Gemeinwesen selbständig Urteile fällen und an politischen Prozessen teilhaben können. Vielmehr war das Seminar nach seiner primären Ausrichtung auf die "Erarbeitung von Planungstechniken für Kampagnen" zur Durchsetzung betrieblicher und gewerkschaftlicher Forderungen ausgerichtet. Ebenso wenig verfängt der Einwand des Klägers, dass das Seminar die Aktivierung und Beteiligung der Öffentlichkeit, Medien, Kirchen, anderer Institutionen und Gruppierungen an den Kampagnen eingeschlossen habe. Dies beschreibt nur die taktische Nutzbarmachung von Koinzidenzen oder die effiziente Ansprache Dritter zur Verfolgung organisationseigener Ziele. Schließlich ist unerheblich, dass sich das Seminar thematisch nicht auf gewerkschaftliche Interessenvertretungen fokussierte, sondern betriebliche Interessenvertretungen und deren Zusammenarbeit mit der Gewerkschaft behandelte. Denn diese Themenstellung ändert nichts daran, dass es bei dem Seminar um die Durchsetzung gewerkschaftspolitischer Ziele mittels Kampagnen und insoweit um die Erarbeitung von Planungstechniken und nicht, jedenfalls nicht primär, um die Vermittlung von Kenntnissen über das Betriebsverfassungsgesetz als Ausprägung des Demokratie- und Sozialstaatsprinzips in einem Teilbereich des Rechts ging (vgl. nur BAG, Beschluss vom 10.12.2002, 1 ABR 7/02, AP Nr. 59 zu § 80 BetrVG 1972, Fitting, BetrVG, 21. Aufl., § 1 Rz. 3). Dass diese Ziele, etwa die Installation von Betriebsräten in betriebsratslosen Betrieben, im Einzelfall auch ein Anliegen von Nichtgewerkschaftsmitgliedern sind, lässt gleichfalls den Befund unberührt, dass das Seminar eine interessenorientiert gewerkschaftspolitische Ausrichtung hatte.

4. Da die Klage schon aus den vorgenannten Erwägungen unbegründet ist, braucht die Kammer auf die Allgemeinzugänglichkeit der Veranstaltung nicht einzugehen (vgl. MHzA/Boewer, 2. Aufl., § 93 Rd. 18, m. w. N.). Ob das pauschale Bestreiten der Beklagten ausreicht, ist allerdings zweifelhaft. Richtig ist, dass sich in erster Linie Arbeitnehmer, die Mitglied der Gewerkschaft ver.di sind und deren betriebs- und unternehmenspolitische Ziele aktiv unterstützen, von dem Thema des Seminars und durch dessen Veranstalter angesprochen fühlen mussten. Dass im Themenplan von der "Einbeziehung von Kolleginnen" die Rede ist, deutet darauf hin, dass ebenso der Veranstalter davon ausging, dass zumindest überwiegend, wenn nicht ausschließlich Gewerkschaftsmitglieder das Seminar "Kampagnen" besuchen würden. Gleichwohl greift es kurz, diese Umstände als Anhaltspunkt dafür genügen zu lassen, dass Nichtgewerkschaftsmitglieder von der Seminarteilnahme ausgeschlossen sein oder abgehalten werden sollten. Denn es liegt im erkennbaren Interesse des gewerkschaftlichen Bildungsträgers, für die Beteiligung an (gewerkschaftlich getragener und unterstützter) Kampagnenarbeit auch Nichtmitglieder zu gewinnen und zu schulen.

II. Die Kosten der erfolglosen Berufung hat nach § 97 Abs. 1 ZPO der Kläger zu tragen.

Die Kammer hat die Revision nach § 72 Abs. 2 ArbGG wegen grundsätzlicher Bedeutung zugelassen.

Ende der Entscheidung

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