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Gericht: Landesarbeitsgericht Düsseldorf
Urteil verkündet am 14.04.2004
Aktenzeichen: 12 Sa 177/04
Rechtsgebiete: BGB, TVG, BAG


Vorschriften:

BGB § 242
BGB § 812
TVG § 4
BAG § 70
Wird der Anspruch des Arbeitgebers auf Rückzahlung überzahlter Vergütung von einer tariflichen Ausschlussfrist erfasst, steht dem Anspruchsverfall nicht der Einwand unzulässiger Rechtsausübung entgegen, wenn das Unterlassen des Arbeitnehmers, die offenbare Überzahlung dem Arbeitgeber mitzuteilen, dem Arbeitgeber es weder erschwert noch unmöglich gemacht hat, selbst die Überzahlung zu erkennen und den Rückzahlungsanspruch fristgerecht geltend zu machen.
LANDESARBEITSGERICHT DÜSSELDORF IM NAMEN DES VOLKES URTEIL

12 Sa 177/04

Verkündet am 14. April 2004

In dem Rechtsstreit

des Landes Nordrhein-Westfalen, vertreten durch das Landesamt für Besoldung und Versorgung NRW, Görlitzer Str. 3, 40192 Düsseldorf,

hat die 12. Kammer des Landesarbeitsgerichts Düsseldorf auf die mündliche Verhandlung vom 14.04.2004 durch den Vorsitzenden Richter am Landesarbeitsgericht Dr. Plüm als Vorsitzenden sowie den ehrenamtlichen Richter Pirch und den ehrenamtlichen Richter Frey

für Recht erkannt:

Tenor:

Unter Abänderung des Urteils des Arbeitsgerichts Oberhausen vom 11.12.2003 wird die Klage abgewiesen.

Die Kosten des Rechtsstreits hat das Land zu tragen.

Die Revision wird zugelassen.

Gründe:

A. Die Parteien streiten darum, ob die Beklagte die Rückzahlung zu Unrecht bezogener Vergütung schuldet. Die Beklagte macht geltend, dass die vom klagenden Land erhobene Rückzahlungsforderung tariflich verfallen sei. Das Land hält die Berufung auf die Ausschlussfrist für unzulässige Rechtsausübung.

Die Beklagte, am 17.12.1956 geboren, schwerbehindert, geschieden, trat nach ihrer Ausbildung beim klagenden Land zum 19.02.1975 als vollzeitbeschäftigte Angestellte in dessen Dienste und ist seither als Schreibkraft im Bau- und Liegenschaftsbetrieb NRW (vormals: Staatshochbauamt) tätig. Auf das Arbeitsverhältnis der Parteien finden der Bundesangestelltentarifvertrag (BAT) und die diesen ergänzenden und ändernden Tarifverträge Anwendung.

Nach Geburt ihrer Tochter am 09.08.1989 nahm die Beklagte vom 04.10.1989 bis 08.11.1990 Erziehungsurlaub. Mit Änderungsvertrag vom 23.08.1990 vereinbarten die Parteien zum 11.12.1990 die Reduzierung der Wochenarbeitszeit von 38,5 auf 19,25 Stunden bei weiterer Vergütung nach Vergütungsgruppe VII BAT. Die Beschäftigungsdienststelle der Beklagten unterrichtete mit Änderungsmitteilung vom 27.09.1990 das Landesamt für Besoldung und Versorgung NRW (nachfolgend: LBV) von der Änderung der Arbeitszeit. Mit Schreiben vom 29.10.1990 teilte außerdem die Beklagte dem LBV die Arbeitszeitverringerung mit und bat um Berücksichtigung bei künftiger Vergütung.

Ab dem 11.12.1990 arbeitete die Beklagte nur noch 19,25 Wochenstunden. Gleichwohl erhielt sie, was auch aus den vom LBV erstellten Vergütungsmitteilungen, etwa den Mitteilungen 12/90, 12/91, 12/92 mit der Stundenzahlangabe "voll" [Bl. 17 ff. d. GA.], hervorgeht, die Vergütung für eine Vollzeitbeschäftigung. In der Folgezeit gab die Beklagte gegenüber dem LBV in den formularmäßigen "Erklärungen zum Ortszuschlag" ihre Teilzeitbeschäftigung mit 19,25 Wochenstunden an, wobei sie in der Erklärung vom 09.11.1991 diese Eintragung in der - für Versorgungsempfänger vorgesehenen und damit falschen - Rubrik machte. Die Beschäftigungsdienststelle der Beklagten erhielt unter dem 09.07.1991 eine Benachrichtigung des LBV, aus der die Überzahlung der Beklagten ersichtlich war. In der Folgezeit blieben auch anlässlich von wiederholten Abordnungen der Beklagten, der Zahlung der Jubiläumszuwendung und der im April 2000 von der Beklagten beantragten Erhöhung der Wochenarbeitszeit auf 20 Stunden die Überzahlungen weiter unbemerkt. Erst im Herbst 2001 fiel beim Land auf, dass die Beklagte seit Dezember 1990 statt der hälftigen die volle Vergütung bezog. Das auf Strafanzeige des Landes gegen die Beklagte durchgeführte Ermittlungsverfahren stellte die Staatsanwaltschaft Duisburg im Januar 2003 ein. Unter dem 28.12.2001 erklärte das Land gegenüber der Beklagten die fristlose Kündigung des Arbeitsverhältnisses. Nachdem die Beklagte in dem anschließenden Kündigungsschutzprozess obsiegt hatte (LAG Düsseldorf, Urteil vom 17.09.2002, 6 Sa 415/02), nahm das Land rückwirkend zum 29.12.2001 die Vergütungszahlungen (auf der Basis der Teilzeittätigkeit der Beklagten) wieder auf, behielt allerdings den Betrag von Euro 4.862,52 im Hinblick auf den inzwischen geltend gemachten Rückzahlungsanspruch ein.

Im Juli 2003 hat das Land vor dem Arbeitsgericht Oberhausen Zahlungsklage, zuletzt auf Euro 113.932,97 (Überzahlung in Höhe von Euro 118.795,99 abzüglich einbehaltener Euro 4.862,52) nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit Rechtshängigkeit, erhoben. Es meint, dass die Beklagte sich gemäß § 242 BGB nicht auf den tariflichen Verfall des Rückzahlungsanspruchs (§ 70 BAT) berufen könne: Sie habe die Überzahlung erkannt und die entsprechende Unterrichtung des Arbeitgebers pflichtwidrig unterlassen.

Die Beklagte hat entgegen gehalten, der Annahme gewesen zu sein, dass die Abrechnungen richtig seien. Sie habe in allen Mitteilungen an das Land die richtige Wochenarbeitszeit angegeben. Aufgrund persönlicher und familiärer Überforderung habe sie sich um die Vergütungsabrechnungen nicht weiter gekümmert.

Durch Urteil vom 11.12.2003 hat das Arbeitsgericht der Klage stattgegeben. Mit der form- und fristgerecht eingelegten und begründeten Berufung greift die Beklagte das Urteil in tatsächlicher und rechtlicher Hinsicht an. Sie beantragt weiterhin die Klageabweisung.

Das klagende Land verteidigt das Urteil und beantragt die Zurückweisung der Berufung.

Wegen der Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Akteninhalt verwiesen.

B. Die Berufung ist begründet. Die Rückzahlungsforderung des Landes ist nach § 70 Abs. 1 BAT verfallen.

1. Nach der Spruchpraxis des Bundesarbeitsgerichts (BAG, Urteil vom 23.05.2001, 5 AZR 374/99, AP Nr. 25 zu § 812 BGB, Urteil vom 28.01.1999, 6 AZR 277/97, ZTR 1999, 471, Urteil vom 27.03.1996, 5 AZR 336/94, AP Nr. 26 zu § 70 BAT, Urteil vom 14.09.1994, 5 AZR 407/93, AP Nr. 127 zu § 4 TVG Ausschlussfristen, Urteil vom 11.06.1980, 4 AZR 443/78, AP Nr. 7 zu § 70 BAT, Urteil vom 28.02.1979, 5 AZR 728/77, AP Nr. 6 zu § 70 BAT; vgl. BAG, Urteil vom 19.01.1999, 9 AZR 637/97, AP Nr. 34 zu § 1 TVG Tarifverträge: Druckindustrie, Urteil vom 04.09.1991, 5 AZR 647/90, AP Nr. 113 zu § 4 TVG Ausschlussfristen, ErfK/Schaub, 4. Aufl., § 4 TVG Rz. 94), der die Kammer gefolgt ist (LAG Düsseldorf, Urteil vom 11.06.1997, LAGE Nr. 44 zu § 4 TVG Ausschlussfristen = ZTR 1997, 520 = NZA-RR 1998, 80), erfassen im allgemeinen tarifliche Ausschlussfristen und im besonderen § 70 BAT Ansprüche auch aus ungerechtfertigter Bereicherung (§ 812 BGB), insbesondere Rückforderungsansprüche des Arbeitgebers aus Überzahlungen.

Die Fälligkeit des Bereicherungsanspruchs tritt durchweg mit der Anspruchsentstehung ein (§ 271 BGB), also mit dem Zeitpunkt der Überzahlung. Allerdings setzt die in einer tariflichen Verfallklausel geforderte Geltendmachung voraus, dass dem Gläubiger die Geltendmachung überhaupt möglich und zumutbar ist. Daher beginnt der Lauf einer Verfallfrist, auch wenn diese auf "Fälligkeit" abstellt, nicht, bevor der Gläubiger in der Lage ist, die tatsächlichen Voraussetzungen seines Anspruchs zu erkennen und diesen wenigstens annähernd zu beziffern. Somit hemmt schuldlose Unkenntnis den Fristbeginn. Andererseits setzt der Lauf der Ausschlussfrist ein, wenn der Arbeitgeber es durch (objektiv) schuldhaftes Zögern versäumt, sich die Kenntnis der Voraussetzungen zu verschaffen, die er für die Geltendmachung benötigt.

Dem Land waren im Zeitpunkt der fehlerhaften Auszahlung alle maßgeblichen Umstände für die Berechnung der der Klägerin ab dem 11.12.1990 geschuldeten Vergütung bekannt. Der Fehler, dessen Ursache das Land nicht zu rekonstruieren vermag und den es in einem technischen oder Bearbeitungsfehler sieht, fiel in die Sphäre des Landes. Er hätte durch Kontrollmaßnahmen leicht entdeckt und vermieden werden können. Das klagende Land hat nichts zu seiner Exkulpation vorgetragen. Daher ist eine schuldlose Fristversäumung, die der "Fälligkeit" zum Zeitpunkt der jeweiligen Überzahlung und damit dem tariflichen Anspruchsverfall entgegen stünde, nicht gegeben.

2. Der Verfall der Gegenforderung ist nicht durch § 242 BGB ausgeschlossen.

a) Nach der höchstrichterlichen Rechtsprechung stellt die Berufung auf eine Ausschlussfrist dann eine treuwidrige und damit unzulässige Rechtsausübung dar, wenn die zum Verfall des Anspruchs führende Untätigkeit des Gläubigers hinsichtlich der erforderlichen form- und/oder fristgerechten Geltendmachung des Anspruchs durch ein Verhalten des Schuldners veranlasst worden ist. (BAG, Urteil vom 22.01.1997, 10 AZR 459/96, AP Nr. 27 zu § 70 BAT, Urteil vom 18.02.1992, 9 AZR 611/90, AP Nr. 115 zu § 4 TVG Ausschlussfristen, Urteil vom 09.08.1990, 2 AZR 579/89, AP Nr. 46 zu § 615 BGB; krit. Reinhard, Inhaltskontrolle vertraglicher Ausschlussfristen im Arbeitsrecht [2004], S. 101 f., die mit § 242 BGB als ungeschriebenem Tatbestandsmerkmal einen dogmatisch anderen Ansatz befürwortet). Der Schuldner muss mithin den Gläubiger von der Geltendmachung des Anspruchs bzw. der Einhaltung der Verfallfrist abgehalten haben. Ob der Einwand der unzulässigen Rechtsausübung greift, hängt von den Umständen des Einzelfalles ab (BAG, Urteil vom 23.05.2001, a.a.O., Urteil vom 15.05.1984, 3 AZR 38/83, n. v., Palandt/Heinrichs, BGB, 63. Aufl., § 242 BGB Rz. 38). Es muss sich um besonders krasse Fälle handeln, in denen dem Gläubiger ein grob unbilliges Verhalten zur Last gelegt werden kann (BAG, Urteil vom 09.08.1990, a. a. O.). Eine unzulässige Rechtsausübung wird vor allem dann angenommen, wenn der Schuldner beim Gläubiger den Eindruck erweckt hatte, eine Geltendmachung der Ansprüche sei entbehrlich (BAG, Urteil vom 18.02.1992, a. a. O., Urteil vom 09.08.1990, a.a.O.; vgl. - zur Verjährungseinrede bei widersprüchlichem Verhalten - BAG, Urteil vom 04.11.1992, 5 AZR 75/92, n.v., BGH, Urteil vom 25.07.2003, MDR 2004, 26).

b) Eine unzulässige Rechtsausübung durch widersprüchliches Verhalten (venire contra factum proprium) scheidet vorliegend aus: Die Beklagte hat nicht durch ihr Verhalten bei dem Land das Vertrauen erweckt, es brauche seine Bereicherungsansprüche nicht fristgerecht geltend zu machen.

c) Ebenso wenig stellt es eine grobe Unbilligkeit dar, wenn die Beklagte, die das Land auf die erfolgten Überzahlungen nicht hingewiesen hatte, die zuviel bezogene Vergütung wegen der versäumten fristgerechten Geltendmachung des Rückforderungsanspruchs durch das Land nicht zurückzahlen muss.

Zwar gehört es zu den Nebenpflichten des Arbeitnehmers, dem Arbeitgeber drohende Schäden anzuzeigen. Es kann also eine Pflichtwidrigkeit darstellen, wenn der Arbeitnehmer es unterlässt, den Arbeitgeber auf eine erfolgte Lohnüberzahlung aufmerksam zu machen (BAG, Urteil vom 01.06.1995, 6 AZR 912/94, AP Nr. 16 zu § 812 BGB). Die Pflichtwidrigkeit impliziert oder indiziert jedoch keine "Arglist", denn es ist in erster Linie Sache des Arbeitgebers, den in seiner Sphäre entstandenen Abrechnungs- oder Überweisungsfehler zu vermeiden, aufzudecken und den Rückforderungsanspruch fristgerecht geltend zu machen. Allein durch das Unterlassen des Arbeitnehmers wird ihm dies weder erschwert noch unmöglich gemacht (vgl. BAG, Urteil vom 05.08.1999, 6 AZR 752/97, ZTR 2000, 36). Weder die Fürsorgepflicht des Arbeitgebers noch die Treuepflicht des Arbeitnehmers umfassen die Verpflichtung, den Vertragsgegner auf den drohenden Verfall seiner Ansprüche durch eine tarifliche Ausschlussfrist hinzuweisen. So ist es auch im Bereich des öffentlichen Dienstes Sache des Arbeitnehmers, sich Gewissheit darüber zu verschaffen, in welchen Formen und Fristen er seine Ansprüche geltend zu machen hat (BAG, Urteil vom 22.01.1997, a.a.O., - zum Anspruchsverfall nach Falschauskunft des Arbeitgebers -).

d) Für seine Auffassung, dass der Berufung der Beklagten auf den Ablauf der tariflichen Ausschlussfrist der Einwand der unzulässigen Rechtsausübung entgegen stehe, kann das beklagte Land nicht auf BAG-Judikatur zu § 70 BAT verweisen.

(11) Richtig ist freilich, dass das Bundesarbeitsgericht wiederholt für tarifliche Ausschlussfristen im Bereich des öffentlichen Dienstes eine unzulässige Rechtsausübung angenommen hat, wenn der Arbeitnehmer in Kenntnis oder Erkennbarkeit der Lohnüberzahlung untätig geblieben war (BAG, Urteil vom 11.06.1980, 4 AZR 443/78, AP Nr. 7 zu § 70 BAT, Urteil vom 01.06.1995, a. a. O.; zust. Reinecke, FS-Schaub, 1998, S. 593, 599 f., Reinhard, a.a.O., S. 166 f.; krit. Däubler/Zwanziger, TVG, Rz. 1194). Andererseits hat das Bundesarbeitsgericht den Arbeitgeber, der trotz Kenntnis von Umständen, die zu einer Überprüfung des (Überzahlungs-) Sachverhalts objektiv Anlass gaben, längere Zeit weiterhin untätig geblieben ist, für nicht schützenswert gehalten (BAG, Urteil vom 23.05.2001, a.a.O.), oder darauf abgestellt, ob der Arbeitnehmer entweder den Arbeitgeber nicht auf eine irrtümliche Überzahlung hingewiesen oder ob er objektiv unrichtige Angaben gemacht und dadurch Anlass zur Überprüfung der Angaben und Geltendmachung des Rückforderungsanspruchs gegeben habe (BAG, Urteil vom 28.01.1999, 6 AZR 277/97, ZTR 1999, 47).

(22) Die Auffassung, dass der Arbeitnehmer, der es pflichtwidrig unterlasse, dem Arbeitgeber Umstände mitzuteilen, die Erhebung des Rückzahlungsanspruchs innerhalb der Ausschlussfrist ermöglicht hätten, mit der Berufung auf den tariflichen Anspruchsverfall rechtsmissbräuchlich handele, läuft auf eine unzulässige Billigkeitskontrolle von Tarifnormen hinaus und führt zu einem Wertungswiderspruch.

Zum einen gehört die Erfassung von Ansprüchen, denen fehlerhafte Vergütungsabrechnungen und daraus resultierende Unter- oder Überzahlungen zugrunde liegen, zum typischen Anwendungsbereich von Verfallklauseln. Zum anderen wissen die Tarifvertragsparteien, dass Ansprüche auch aus gravierendem pflichtwidrigen und schuldhaften Verhalten zwischen den Arbeitsvertragsparteien entstehen können. Wenn sie gleichwohl derartige Ansprüche nicht durch entsprechende Klauseln von dem tariflichen Verfall ausnehmen, macht die gewählte weite Formulierung der Verfallklausel ihren Willen erkennbar, diese Ansprüche gleichfalls der Ausschlussfrist zu unterwerfen. Es ist daher anerkannt, dass Verfallklauseln auch Ansprüche aus pflichtwidrigem Verhalten, insbesondere aus positiver Forderungsverletzung (BAG, Urteil vom 16.03.1995, 8 AZR 58/92, AP Nr. 128 zu § 4 TVG Ausschlussfristen) oder aus unerlaubter Handlung erfassen (BAG, Urteil vom 15.11.2001, 8 AZR 95/01, AP Nr. 121 zu § 611 BGB Haftung des Arbeitnehmers, Urteil vom 26.04.1990, 8 AZR 153/89, ZTR 1991, 26, Urteil vom 27.04.1995, 8 AZR 582/94, ZTR 1995, 520, zu B I 1, Urteil vom 26.04.1990, 8 AZR 153/89, ZTR 1991, 26 f., Urteil vom 05.03.1981, 3 AZR 559/78, AP Nr. 9 zu § 70 BAT, Urteil vom 22.02.1972, 1 AZR 244/71, AP Nr. 3 zu § 70 BAT, Urteil vom 08.02.1972, 1 AZR 221/71, AP Nr. 49 zu § 4 TVG Ausschlussfristen, Urteil vom 30.09.1970, 1 AZR 535/69, AP Nr. 2 zu § 70 BAT; vgl. Urteil vom 26.05.1981, 3 AZR 269/78, AP Nr. 71 zu § 4 TVG Ausschlussfristen, OLG Stuttgart, Urteil vom 26.05.2003, GmbHR 2003, 835). Eine "weite" Verfallklausel ist rechtlich nicht zu beanstanden. Ausschlussfristen dienen der Rechtssicherheit und dem Rechtsfrieden. Sie wollen den Gläubiger anhalten, innerhalb kurzer Fristen die Begründetheit und Erfolgsaussichten seiner Ansprüche zu prüfen. Der Schuldner soll sich darauf verlassen können, nach Ablauf der Frist nicht mehr in Anspruch genommen zu werden; der Nichtschuldner soll nach Ablauf längerer Fristen vor einem Beweisnotstand bewahrt werden (BAG, Urteil vom 07.02.1995, 3 AZR 483/94, AP Nr. 54 zu § 1 TVG Tarifverträge: Einzelhandel). Die Gerichte für Arbeitssachen sind nicht befugt, durch eine verdeckte Billigkeits- und Angemessenheitskontrolle bestimmte Sachverhalte von dem tariflichen Verfall auszunehmen.

Ausgehend von dem Befund, dass - unter der Prämisse der "Erkennbarkeit" durch den Gläubiger - selbst Schadensersatzansprüche aufgrund pflichtwidrigen schuldhaften Handelns der anderen Vertragspartei vom tariflichen Verfall erfasst werden, stellt es einen Wertungswiderspruch dar, das pflichtwidrig-schuldhafte Unterlassen des Arbeitnehmers, den Arbeitgeber auf eine erkennbare Lohnüberzahlung hinzuweisen, als unzulässige Rechtsausübung (§ 242 BGB) mit der Konsequenz zu beurteilen, dass die Ausschlussfrist nicht eingreift.

Hinzu kommt ein Weiteres: Indem tarifliche Ausschlussfristen standardmäßig Vergütungsansprüche der Arbeitnehmer erfassen, nehmen sie in Kauf, dass ein Anspruchsverfall selbst dann eintritt, wenn in der grundlosen Nichterfüllung dieser Ansprüche durch den Arbeitgeber ein sozialer Unwert liegt. Das Verhalten des Arbeitgebers muss nicht schon deshalb, weil es die Rechtsordnung nicht ausdrücklich pönalisiert, weniger missbilligenswert sein (vgl. BAG, Urteil vom 03.04.1990, 3 AZR 211/89, AP Nr. 9 zu § 1 BetrAVG Treuebruch). Kommt ihm aber gleichwohl der tarifliche Verfall zugute, ist nicht nachvollziehbar, weshalb dem Arbeitnehmer in Überzahlungsfällen wegen pflichtwidrigen Unterlassens der Anzeige die Berufung auf den tariflichen Verfall versagt sein soll. Es würde dann entgegen der erkennbaren Vorstellung der Tarifvertragsparteien, dass die Verfallklausel gleichermaßen für Ansprüche der Angestellten und des Arbeitgebers gelten soll, mit zweierlei Maß gemessen.

Zu bemerken ist, dass es durchaus einen Unterschied ausmacht, ob der Schuldner selbst eine unerlaubte Handlung begangen oder ob er es lediglich unterlassen hat, einen dem Gläubiger unterlaufenen Fehler zu offenbaren. Mit einer unerlaubten Handlung, namentlich einer Straftat des Arbeitnehmers (z.B. Diebstahl, Unterschlagung, Urkundenfälschung), muss der Arbeitgeber nicht ohne weiteres rechnen, so dass seine Unkenntnis von einem hierdurch verursachten Schaden unverschuldet ist und damit die "Fälligkeit" des Ersatzanspruchs nicht eintritt. Geht es hingegen um die Folgen aus eigenem fehlerhaften Tun und sind diese für den Gläubiger erkennbar, setzt im Sinne der Ausschlussfrist die Fälligkeit des Ersatzanspruchs ein. Auch unter diesem Aspekt ist eine Privilegierung des Anspruch nicht veranlasst.

(33) Es liegt in der Konsequenz von Ausschlussfristen, materiell berechtigte Forderungen erlöschen zu lassen. Der Verfall tritt ungeachtet der u. U. beträchtlichen Forderungshöhe ein. Auf derselben Linie liegen die Folgen, die sich aus der Versäumung gesetzlicher Fristen (z.B. § 4, KSchG, § 17 TzBFG, § 626 Abs. 2 BGB, § 91 Abs. 2 u 5 SGB IX, § 9 Abs. 1 MuSchG) ergeben können. Daher ist kein Raum für eine Korrektur der Verfallwirkung nach § 242 BGB allein aus dem Gefühl heraus, dass der Rechtsinhaber aufgrund der Fristversäumung erhebliche Nachteile erleiden würde, während der Gegenpartei ein übermäßiger Vorteil bliebe.

Genauso wenig ist die Berufung auf eine Ausschlussfrist (oder die Erhebung der Verjährungseinrede) schon deshalb rechtsmissbräuchlich, weil der Schuldner weiß, dass der Anspruch zu Recht besteht. Anders können die Dinge liegen, wenn entweder der Schuldner (etwa der Rechtsanwalt, Steuerberater, Architekt) die Beratung und Belehrung des Gläubigers als Vertragspflicht übernommen hat oder das eingegangene Vertragsverhältnis die besondere Rechtsverpflichtung impliziert, durch Hinweise u. ä. den weniger sach- oder rechtskundigen Gläubiger vor möglichen Schädigungen zu bewahren. Das Arbeitsverhältnis, auch das im öffentlichen Dienst, begründet gewöhnlich keine Schutzpflicht des Arbeitnehmers, den Arbeitgeber vor dem tariflichen Verfall seiner Ansprüche zu bewahren. Dies trifft insbesondere auch auf das Arbeitsverhältnis der Parteien zu.

e) Nach Einschätzung der Kammer hat das Verhalten der Beklagten keinen derart hohen "Unwertgehalt", dass es über § 242 BGB dazu verhelfen könnte, die Rechtswirkung des § 70 BAT zu beseitigen. Richtig ist, dass die Höhe der allmonatlichen und insgesamt erfolgten Überzahlung und deren Dauer (11 Jahre) frappieren. Indessen vermag, wie bereits ausgeführt, die finanzielle Einbuße, die das Land bei einem tariflichen Verfall seiner Rückzahlungsforderung endgültig erlitte, bzw. der Vorteil der Beklagten, die erhebliche Zahlungsschuld nicht erfüllen zu müssen, nicht den Einwand der unzulässigen Rechtsausübung zu begründen.

Geht man davon aus, dass die Höhe des laufend überzahlten Betrages Bösgläubigkeit der Beklagten (§ 819 Abs. 1 BGB) indiziert, täuschte sie zu keiner Zeit das klagende Land über ihre Wochenarbeitszeit oder hielt es sonst wie von der Geltendmachung seiner Bereicherungsansprüche ab. Mit ihrer Untätigkeit, das Land auf die Zuvielzahlungen hinzuweisen, richtete die Beklagte ihr Verhalten zwar eigennützig und wenig loyal an dem Interesse aus, ihrer zeitlichen und wirtschaftlichen Belastung als alleinerziehende Mutter durch Eingehung einer Halbtagstätigkeit einerseits und verschwiegener Entgegennahme ständiger Überzahlungen andererseits zu begegnen. Die Missbilligung ihrer Haltung ändert jedoch nichts an dem Befund, dass seitens des Landes, insbesondere des LBV und/oder der Beschäftigungsdienststelle, ein bekannter Sachverhalt, nämlich dass die Beklagte seit dem 11.12.1990 nur noch halbtags tätig war, grob und dauerhaft übersehen wurde und selbst die wahrheitsgemäßen Angaben der Beklagten über die Wochenarbeitszeit, i. c. in der "Erklärung zum Ortszuschlag" unbeachtet blieben, obwohl gerade der Eintrag in der falschen Rubrik besondere Aufmerksamkeit hätte auslösen müssen. Die unterlassene bzw. unzureichende Erfassung der vergütungsrelevanten Daten der Beklagten, vor allem die verabsäumte turnusmäßige Kontrolle der Daten, hat das Land selbst zu verantworten. Aufgrund dieses Befundes erscheint es im Hinblick auf den Zweck der Ausschlussfrist nicht als unbillig, wenn der durch Fristversäumung eingetretene Vermögensschaden beim Land verbleibt.

Ohne Erfolg stuft das Land das pflichtwidrige Unterlassen der Beklagten, die Überzahlung zu melden, als betrügerische und sittenwidrige Schädigung (§ 823 Abs. 2 BGB i. V. m. § 263 StGB, § 826 BGB) ein. Unabhängig von der Reichweite der arbeitsvertraglichen Offenbarungs- und Hinweispflichten und der strafrechtlichen Relevanz der unterlassenen Aufklärung der anderen Vertragspartei (vgl. BGHSt, Urteil vom 16.11.1993, NJW 1994, 950 ff.), kann nicht mittels Kriminalisierung von Vertragsverletzungen die Geltung von Ausschlussfristen beseitigt werden. Stimmt man dem Land darin zu, dass das Verhalten der Beklagten als Unbilligkeit erscheint und sie zum Schaden des Landes ihr Eigeninteresse verfolgt, so genügt auch dies nicht für die Annahme eines "groben" (krassen) Rechtsmissbrauchs oder gar eines Sittenverstoßes (vgl. BGH, Urteil vom 19.10.1987, NJW 1988, 700).

Die Kammer sieht schließlich keine anderen Gründe, die ausnahmsweise die Anwendung der Ausschlussfrist als grob unbillig oder (krass) ungerecht erscheinen ließen. Anzumerken ist, dass die Beklagte nach ihrem unwidersprochen gebliebenen Vorbringen die Überzahlungen verbraucht hat. Anhaltspunkte dafür, dass sie finanziell imstande wäre, den geforderten Betrag zurückzuzahlen, sind vom Land nicht vorgetragen und auch sonst nicht ersichtlich.

3. a) Da die Klageforderung verfallen ist, erübrigt es sich, auf die Höhe der verlangten Rückzahlung einzugehen. Allerdings geht das Land zutreffend davon aus, dass die Beklagte nicht nur um die Nettozahlung, sondern auch um die vom Land an das Finanzamt abgeführte Lohnsteuer bereichert ist. Ob das Land angesichts des Erstattungsverfahrens gegen den Sozialversicherungsträger nach § 26 Abs. 2 und Abs. 3 SGB IV die Beklagte auch auf Erstattung von Arbeitnehmerbeiträgen zur gesetzlichen Krankenversicherung in Anspruch nehmen könnte (vgl. BAG, Urteil vom 19. 01.1999, 9 AZR 405/97, AP Nr. 1 zu § 70 BAT-O), braucht schon deshalb, weil vorliegend von der Beklagten nicht die Rückzahlung der zuviel abgeführten Sozialversicherungsbeiträge verlangt wird, vertieft zu werden.

b) Zwischen den Parteien ist außer Streit, dass mit dem Einbehalt von Euro 4.862,52 jedenfalls die vom Land im Jahr 2002 noch form- und fristgerecht geltendgemachten Rückzahlungsforderung wegen im Vorjahr erfolgter Überzahlungen gemäß § 362 BGB getilgt ist.

C. Die Kosten des Rechtsstreits hat nach § 91 Abs. 1 ZPO das klagende Land zu tragen.

Die Kammer hat wegen Vorliegens der Voraussetzungen nach § 72 Abs. 2 ArbGG für das Land die Revision zugelassen.

Ende der Entscheidung

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