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Beginn der Entscheidung

Gericht: Landesarbeitsgericht Düsseldorf
Urteil verkündet am 20.03.2007
Aktenzeichen: 12 Sa 306/07
Rechtsgebiete: EStG, BAT


Vorschriften:

EStG i.d.F.d. StÄndG 2003 v. 15.12.2003 § 32 Abs. 1 Nr. 2
EStG § 63
BAT § 29 B Abs. 3
Auf das "Rückwirkungsverbot" kann sich nicht berufen, wer im Vertrauen auf den Bestand der bisherigen Rechtslage während des Rückwirkungszeitraums weder Dispositionen eingegangen ist noch solche unterlassen hat.
LANDESARBEITSGERICHT DÜSSELDORF IM NAMEN DES VOLKES URTEIL

12 Sa 306/07

Verkündet am 20. März 2007

In dem Rechtsstreit

hat die 12. Kammer des Landesarbeitsgerichts Düsseldorf auf die mündliche Verhandlung vom 20.03.2007 durch den Vorsitzenden Richter am Landesarbeitsgericht Dr. Plüm als Vorsitzenden sowie den ehrenamtlichen Richter Hens und den ehrenamtlichen Richter Alsdorf

für Recht erkannt:

Tenor:

Unter teilweiser Abänderung des Urteils des Arbeitsgerichts Wuppertal vom 25.05.2004 wird die Klage hinsichtlich des Klageantrags zu 7) abgewiesen. Im übrigen wird die Berufung zurückgewiesen.

Die Kosten des Rechtsstreits tragen der Kläger zu 1/11 und die Beklagte zu 10/11.

Die Revision wird hinsichtlich der Abweisung des Klageantrages zu 7) zugelassen. Im übrigen wird die Revision nicht zugelassen.

Tatbestand:

Die Parteien streiten um Vergütungszuschläge.

Der Kläger ist seit dem 01.07.1981 bei der Beklagten als Angestellter tätig und wird im Jugendamt beschäftigt. Auf das Arbeitsverhältnis finden der BAT und die diesen ergänzenden und ändernden Tarifverträge Anwendung.

Der Kläger war verheiratet. Aus seiner Ehe, die im Jahr 1995 geschieden wurde, gingen zwei Töchter, am 02.12.1986 und am 29.07.1989 geboren, hervor. Nach der Scheidung lebten die Töchter zunächst im Haushalt ihrer Mutter. Unter dem 08.08.1996 gab der Kläger - unter Beifügung des Scheidungsurteils - gegenüber der Beklagten eine formularmäßige "Erklärung zum Ortszuschlag" ab (Bl. 33 ff.). Der Kläger bezog weiterhin Kindergeld und erhielt zu seiner Vergütung den Kinderanteil im Familienzuschlag. Er verwandte diese Beträge für zu Gunsten seiner Töchter abgeschlossene Versicherungen, insbes. eine private Krankenversicherung und eine Aussteuerversicherung.

Zum 01.11.1999 wurden die Kinder des Klägers im Haushalt der Pflegeeltern S. aufgenommen. Herr S., beim Land NRW beamtet, bezog fortan ebenfalls Kindergeld für die Töchter des Klägers sowie die entsprechend erhöhte Stufe zum Ortszuschlag (Kinderanteil im Familienzuschlag). Die Beklagte gewährte den Pflegeeltern S. seit September 2001 Hilfe zur Erziehung für die in Pflege genommenen Töchter des Klägers.

In diesem Zusammenhang ist zwischen den Parteien streitig, inwieweit die Beklagte davon erfuhr, dass die Töchter des Klägers bei Pflegeltern lebten. Der Kläger behauptet, dass der Beklagten bekannt gewesen sei, dass die Kinder nicht bei ihm, sondern bei Pflegeeltern lebten und verweist auf die Erklärung vom 08.08.1996, das Scheidungsurteil, eine im Zuge des Unterhaltsprozesses gehaltene Anfrage des AG Schwelm, ein Gespräch mit der Mitarbeiterin K. des Jugendamts, ein Gespräch beim Oberbürgermeister, eine Herrn S. durch die Beklagte erteilte Haushaltsbescheinigung sowie ein Schreiben vom 22.08.2001 betr. die Zuständigkeit für die Pflegeelternschaft.

Die Beklagte hält entgegen, dass der Kläger die Aufnahme seiner Töchter im Haushalt der Pflegeeltern S. nicht der "für die Berechnung der Bezüge zuständigen Dienststelle" mitgeteilt habe. Bei der Familienkasse (für das Kindergeld zuständig) wie auch im Personalamt (für die Gehaltsberechnung zuständig) sei dieser Sachverhalt ebenso unbekannt gewesen wie der Bezug von Kindergeld und Kinderanteil zum Ortszuschlag durch Herrn S. Erst nach einer Anfrage des Finanzamtes vom 31.03.2003 und anschließender Befragung des Klägers am 25.04.2003 seien diese Umstände zur Kenntnis der zuständigen Stellen gelangt.

Mit Bescheid vom 05.06.2003 hob die Beklagte - Familienkasse - die Festsetzung von Kindergeld rückwirkend ab dem 01.10.1996 auf und forderte vom Kläger die Rückzahlung des Kindergeldes. Der Kläger erhob, nachdem sein Einspruch zurückgewiesen worden war, gegen den Bescheid Klage vor dem Finanzgericht Düsseldorf. Im Finanzgerichtsverfahren begrenzte die Beklagte die Aufhebung auf die Zeit ab 01.11.1999 ("Bescheid vom 24.02.2005"). Den Antrag des Klägers vom 16.10.2003, ihm ab Mai 2003 Kindergeld zu gewähren, wies die Beklagte mit Bescheid vom 13.04.2004, den Einspruch mit Entscheidung vom 25.5.2004 zurück. Dieser Anspruch war ebenfalls Gegenstand des Verfahrens vor dem Finanzgericht. In diesem Verfahren war im Streit, ob die Pflegeeltern S. kindergeldberechtigt i. S. v. § 32 Abs. Nr. 2 EstG 1996 seien, insbes. zu den Unterhaltskosten der Pflegekinder zu mindestens 20 % beigetragen haben. Des weiteren reklamierte der Kläger Vertrauensschutz, soweit durch das StÄndG 03 vom 15.12.2003 § 32 Abs. 1 Nr. 2 EstG rückwirkend geändert wurde. Durch Urteil vom 24.02.12005, 14 K 51118/03 Kg, (Bl. 268 ff.) wies das Finanzgericht Düsseldorf die Klage ab. Der Nichtzulassungsbeschwerde gab der BFH statt. Wegen anschließender Versäumung der Revisionsbegründungsfrist verwarf der BFH am 18.01.2007 die Revision. Der Kläger hat hiergegen Verfassungsbeschwerde eingelegt.

Mit Schreiben vom 05.06.2003 machte die Beklagte - Personalamt - gegenüber dem Kläger für den Zeitraum vom 01.11.1999 bis 31.05.2003 hinsichtlich der Kinderanteile im Familienzuschlag eine Überzahlung in Höhe von Euro 4.787,04 brutto = Euro 2.261,08 netto geltend und kündigte gleichzeitig die Einstellung der Zahlung von Kinderanteilen im Familienzuschlag an. Mit Schreiben vom 18.09.2003 korrigierte und erhöhte sie ihre Rückzahlungsforderung und berechnete die Netto-Überzahlung auf Euro 4.495,32.

Für den Vergütungszeitraum Juni 2003 bis November 2003 erstellte die Beklagte die Gehaltsmitteilungen unter Berücksichtigung ihrer Rückzahlungsforderung (Bl. 5, 145 ff.). Dabei wurde, "um eine optimale Rückrechnung der Steuer und Sozialversicherung zu gewährleisten, die Überzahlung in Höhe von Euro 4.787,04 auf die Monate Januar bis Juni 2003 gesetzt mit je 797,84 Euro" (Vermerk vom 13.03.2007).

Der Kläger hat sich den Gehaltsabzügen widersetzt und mit der vor dem Arbeitsgericht Wuppertal erhobenen Klage die ungekürzte Zahlung des Gehalts für die Monate Juni bis November und der Zuwendung 2003 begehrt (Anträge zu 1 - 6) sowie die Zahlung der Kinderanteile im Familienzuschlag für den Zeitraum Juni bis Dezember 2003 (Antrag zu 7) begehrt.

Er hat beantragt,

1. die Beklagte zu verurteilen, an den Kläger 3.384,00 € brutto nebst Zinsen in Höhe von 5 % über dem Basiszinssatz der EZB seit dem 16.06.2003, abzüglich am 23.06.2003 gezahlter 1.250,00 € netto, zu zahlen;

2. die Beklagte zu verurteilen, an den Kläger 3.719,39 € brutto nebst Zinsen in Höhe von 5 % über dem Basiszinssatz der EZB seit dem 16.07.2003, abzüglich gezahlter 1.331,32 € netto, zu zahlen;

3. die Beklagte zu verurteilen, an den Kläger 3.445,00 € brutto nebst Zinsen in Höhe von 5 % über dem Basiszinssatz der EZB seit dem 16.08.2003, abzüglich gezahlter 1.326,36 € netto, zu zahlen;

4. die Beklagte zu verurteilen, an den Kläger 3.445,00 € brutto nebst Zinsen in Höhe von 5 % über dem Basiszinssatz der EZB seit dem 16.09.2004, abzüglich am 15.09.2003 gezahlter 1.326,36 € netto, zu zahlen;

5. die Beklagte zu verurteilen, an den Kläger 3.445,84 € brutto nebst Zinsen in Höhe von 5 % über dem Basiszinssatz der EZB seit dem 16.10.2003, abzüglich am 15.10.2003 gezahlter 1.326,36 € netto, zu zahlen;

6. die Beklagte zu verurteilen, an den Kläger 6.315,17 € brutto nebst Zinsen in Höhe von 5 % über dem Basiszinssatz der EZB seit dem 16.11.2003, abzüglich am 16.11.2003 gezahlter 3.062,60 € netto, zu zahlen;

7. die Beklagte zu verurteilen, an den Kläger 1.442,82 € brutto nebst Zinsen in Höhe von 5 % über dem Basiszinssatz der EZB seit dem 15.12.2003 zu zahlen.

Die Beklagte hat beantragt,

die Klage abzuweisen.

Das Arbeitsgericht hat durch Urteil vom 25.05.2004 der Klage stattgegeben. Mit der form- und fristgerecht eingelegten und begründeten Berufung greift die Beklagte das Urteil, auf das hiermit zur näheren Darstellung des Sach- und Streitstandes verwiesen wird, im wesentlichen mit Rechtsausführungen an. Sie hält an der Auffassung fest, dass dem Kläger ab dem 01.11.1999 weder Kindergeld nach dem EStG noch der kinderbezogene Anteil im Ortzuschlag zugestanden habe. Die Überzahlung sei allein erfolgt aufgrund der unterlassenen Mitteilung des Klägers, dass seine Kinder von Pflegeeltern in deren Haushalt aufgenommen worden seien. Dieser Sachverhalt sei ihr, der Beklagten, erst im April 2003 erkennbar und offenbar geworden. Daher sei, so meint die Beklage, die Ausschlussfrist des § 70 BAT gewahrt worden.

Sie beantragt,

das Urteil des Arbeitsgerichts Wuppertal vom 25.05.2004 abzuändern und die Klage abzuweisen.

Der Kläger beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Er tritt der Behauptung der Beklagten entgegen, dass die Pflegeeltern S. neben der durch das Jugendamt geleisteten Hilfe zur Erziehung mit Eigenmitteln zu einem nicht unwesentlichen Teil zum Unterhalt der Pflegekinder beigetragen hätten. Daher stehe der kinderbezogene Anteil im Ortzuschlag bis zur im Dezember 2003 erfolgten Neufassung des EStG ihm und nicht Herrn S. zu. Dem Rückzahlungsverlangen der Beklagten hält der Kläger seine Entreicherung nach § 818 Abs. 3 BGB und den Anspruchsverfall nach § 70 BAT entgegen.

Wegen der Einzelheiten des Parteivorbringens wird auf den Akteninhalt Bezug genommen. Die Kammer hat in der Verhandlung am 20.03.2007 eingehend den Sachverhalt insbesondere im Hinblick auf die Zulässigkeit der Aufrechnung erörtert.

Entscheidungsgründe:

A. Die Berufung der Beklagten hat Erfolg, soweit das Arbeitsgericht auf den Klageantrag zu 7 die Beklagte zur Zahlung von Euro 1.442,82 brutto verurteilt hat. Dem Kläger steht ab Juni 2003 ein kinderbezogener Anteil zum Ortszuschlag nicht zu, so dass die Klage insoweit abzuweisen ist. Soweit das Arbeitsgericht die Klageanträge zu 1 bis 6 zugesprochen hat, ist die Berufung unbegründet.

I. Rückforderung der Überzahlung (Klageanträge zu 1 bis 6).

1. Der vom Kläger erhobene Vergütungsanspruch für die Monate Juni bis November 2003 (einschl. Zuwendung) ist dem Grunde und der Höhe nach unstreitig. Das gilt auch für die Zinsforderung, wobei diese ersichtlich nicht auf "Zinsen in Höhe von 5 % über dem Basiszinssatz", sondern auf Zinsen in Höhe von fünf Prozentpunkten über dem Basiszinssatz geht.

Der Anspruch ist form- und fristgerecht nach § 70 BAT geltend gemacht worden.

2. Die von der Beklagten erklärte Aufrechnung mit dem Anspruch auf Rückzahlung des von 11/1999 bis 5/2003 gewährten kinderbezogenen Anteils im Ortszuschlag ist unzulässig und hat daher kein (partielles) Erlöschen des Vergütungsanspruchs bewirkt.

a) Die Zulässigkeit der Aufrechnung erfordert zum einen die Individualisierung der Gegenforderung (Zöller/Greger, ZPO, 25. Aufl., § 145 Rz. 16, Zöller/Vollkommer, § 322 Rz. 18). Der Aufrechnende hat daher im Prozess eine nach § 396 Abs. 1 Satz 1 BGB getroffene Verrechnungsbestimmung vorzutragen oder die Umstände darzulegen, die - bezogen auf den einzelnen Anspruch, gegen den aufgerechnet wird, - die Feststellung der Gegenforderung gemäß § 396 Abs. 1 Satz 2, § 366 Abs. 2 BGB ermöglichen. Zum anderen hat er, wenn die Aufrechnung gegen einen (i.c. unstreitigen) Bruttoentgeltanspruch erklärt wird, den sich daraus ergebenden pfändbaren Nettobetrag zu bezeichnen (vgl. BAG, Urteil vom 05.12.2002, 6 AZR 569/01, AP Nr 32 zu § 394 BGB, Kammerurteil vom 02.06.2004, LAGE Nr. 1 zu § 36 InsO).

Die Beklagte hat nach eigenem Vortrag (Seite 3 des Schriftsatzes vom 15.03.2007) im Rahmen der Aufrechnung keine Zuordnung mit den ihr jeweils zustehenden Rückforderungsansprüchen zu den Monaten, in denen die Verrechnungen erfolgten (Juni bis November 2003), vorgenommen. Die Gegenforderung lässt sich ebenso wenig unter Anwendung von § 396 Abs. 1 Satz 2, § 366 Abs. 2 BGB feststellen. So hat die Beklagte tatsächlich die volle Brutto-Überzahlung verrechnet, während ihr sowohl bereicherungs- als auch schadensersatzrechtlich hinsichtlich der abgeführten Arbeitnehmeranteile an die Sozialversicherung gegen den Arbeitnehmer zunächst nur ein Anspruch auf Abtretung seines gegen die Sozialversicherungsträger bestehenden Erstattungsanspruchs zusteht (vgl. BAG, Urteil vom 29.03.2001, 6 AZR 653/99, AP Nr. 1 zu § 6 SGB IV, LAG Düsseldorf, Urteil vom 06.07.2006, 12 Sa 357/06, InVo 2006, 486). Daher sind bei der Aufrechnung mit einer Brutto-Überzahlung die auf den entrichteten Gesamtsozialversicherungsbeitrag entfallenden Arbeitnehmeranteile herauszurechnen. Dies ist vorliegend nicht geschehen. Der Kammer ist es ihrerseits nicht möglich, die ab November 1999 auf die Überzahlungen abgeführten Arbeitnehmeranteile zu ermitteln. Mithin ist die Gegenforderung, die nach Maßgabe des § 389 BGB das Erlöschen der Hauptforderung bewirken soll, der Höhe nach nicht bestimmbar.

Die Korrektheit der von der Beklagten vorgenommenen Aufrechnung gegen den pfändbaren Nettoverdienst des Klägers ab Juni 2003 ist auch insoweit nicht nachvollziehbar, als die Beklagte zur "optimalen Rückrechnung der Steuer und Sozialversicherung" die Überzahlung in Höhe von Euro 4.787,04 mit je 797,84 Euro auf die Monate Januar bis Juni 2003 setzte. Für diese Verfahrensweise mögen Gründen der Praktikabilität und Vereinfachung sprechen. Sie mag im Einzelfall per Saldo den überzahlten Arbeitnehmer auch nicht benachteiligen. Das ändert jedoch nichts daran, dass der abrechnungstechnisch mögliche "Eingriff" in abgeschlossene Gehaltszahlungszeiträume unstatthaft ist. Richtigerweise musste unter Verzicht auf eine "optimalen Rückrechnung" ab Juni 2003 der pfändbare Nettoverdienst monatlich errechnet werden (§ 850 e, § 850 c Abs. 1 ZPO, § 394 BGB) und ihm die jeweilige Gegenforderung, z.B. die Rückzahlungsforderung für November 1999, Dezember 1999 usw. (ohne Arbeitnehmeranteile zur Sozialversicherung) im Wege der Aufrechnung oder auch der gestaffelten Hilfsaufrechnung zugeordnet werden.

b) Ist die Aufrechnung aus den dargestellten Gründen unzulässig, braucht nicht vertieft zu werden, dass sie die Beklagte in der Verhandlung dem Gericht die Höhe der mit Euro 7.503,47 brutto angegebenen Gesamtüberzahlung im Hinblick auf die Teilbeträge von 4.787,04 brutto und Euro 3.168,50 brutto nicht hat erklären können.

c) Des weiteren kann dahin stehen, ob dem Kläger von November 1999 bis Mai 2003 der kinderbezogene Teil des Ortszuschlags zustand oder ob er die Zahlungen der Beklagten "ohne Rechtsgrund" i. S. v. § 812 Abs. Satz 1 BGB bezog. Jedenfalls wäre, worauf die Kammer unter dem 07.03.2007 hingewiesen hat, vom Wegfall der Bereicherung des (nicht bösgläubigen) Klägers auszugehen, § 818 Abs. 3 BGB.

Soweit die Beklagte eine Schadensersatzpflicht des Klägers nach § 280 Abs. 1 BGB wegen Verletzung seiner Mitteilungspflicht ("Aufnahme seiner Töchter im Haushalt der Pflegeltern S.") reklamiert, ist ein - die Haftung des Klägers ausschließendes - Mitverschulden (§ 254 BGB) der Beklagten anzunehmen, die - unabhängig von ihrer (i. c. verabsäumten) regelmäßigen Überprüfungspflicht (vgl. LAG Baden-Württemberg, Urteil vom 06.03.1986, DB 1986, 2677) - konkrete Veranlassung hatte, die für die Gewährung des Kindergeldes und des kindergeldbezogenen Anteils des Ortszuschlags relevanten Verhältnisse von Zeit zu Zeit nachzuprüfen. Denn aus der Erklärung vom 08.08.1996, der das Scheidungsurteil beigefügt war, war zu ersehen, dass die Kinder nicht im Haushalt des Klägers lebten, sondern offenbar eine alleinige Haushaltsaufnahme bei ihrer Mutter vorlag. Damit hätte die Beklagte schon prüfen müssen, ob die Berechtigtenbestimmung (§ 64 Abs. 2 Satz 2 EStG) nicht gegenstandslos war und das Kindergeld an die Mutter zu zahlen war (vgl. FG Düsseldorf, Urteil vom 17.10.2002, EFG 2003, 401). Der Umstand, dass sie weiterhin das Kindergeld und - dem folgend (vgl. BAG, Urteil vom 31.05.2001, 6 AZR 321/00, AP Nr. 16 zu § 29 BAT) - den kindergeldbezogen Anteil des Ortszuschlags dem Kläger gewährte, spricht zudem dagegen, dass die Beklagte die Gewährung eingestellt hätte, wenn der Kläger ihr mitgeteilt hätte, dass seine Kinder ab dem 01.11.1999 im Haushalt der Pflegeeltern S. leben. Tatsächlich ist nach den unstreitigen Gesamtumständen anzunehmen, dass bei der Beklagten spätestens im Laufe des Jahres 2000 bekannt wurde, zumindest erkennbar war, dass die Kinder des Klägers in einer Pflegefamilie lebten.

d) Aus den Gründen zu A I 2 a braucht schließlich nicht darüber befunden zu werden, inwieweit die Rückzahlungsforderung der Beklagten nach § 70 Abs. 1 BAT verfallen sein könnte.

II. Anspruch auf den kindergeldbezogenen Anteil des Ortszuschlags ab Juni 2003 (Antrag zu 7).

1. Die Kammer neigt im Anschluss an die BAG-Rechtsprechung (Urteil vom 31.05.2001, a.a.O.) zu der Auffassung, dass die Entscheidung der Familienkasse über die Gewährung von Kindergeld oder über die Aufhebung der Bezugsberechtigung grundsätzlich auch für den Vergütungsanspruch nach § 29 B Abs. 1 BAT maßgebend ist. Damit führt der Umstand, dass dem Kläger nach dem rechtskräftigen Urteil des FG Düsseldorf vom 24.02.2005 ab Juni 2003 kein Kindergeld zusteht, zu dem Befund, dass er von der Beklagten auch nicht den Kinderanteil im Familienzuschlag beanspruchen kann.

Die Kammer hat davon abgesehen, nach § 148 ZPO den Rechtsstreit bis zur Entscheidung über die Verfassungsbeschwerde gegen die Verwerfung der Revision durch den BFH auszusetzen. Es spricht wenig dafür, dass im Zulassungsbeschluss über den Beginn der Revisionsbegründungsfrist zu belehren ist und der Kläger deshalb unverschuldet die Revisionsbegründungsfrist versäumt hätte.

2. Dem Kläger steht nach § 29 B Abs. 3 BAT i. V. m. § 63, § 32 EStG der kinderbezogene Anteil im Ortszuschlag jedenfalls aus folgendem Grund nicht zu.

a) Der Gesetzgeber hat - in Reaktion auf das BFH-Urteil vom 29.01.2003, BFHE 201, 292 - durch das StÄndG 2003 vom 15.12.2003 die Pflegekind-Definition des § 32 Abs. 1 Nr. 2 EStG rückwirkend für alle noch nicht bestandskräftigen Fälle (§ 52 Abs. 40 EStG ) geändert, um Erleichterungen bei der steuerlichen Berücksichtigung von Pflegekindern zu schaffen. Während in Fällen, in denen sich eine gesetzliche Rückwirkung begünstigend auswirkt, keine verfassungsrechtlichen Bedenken gegen die Rückwirkung bestehen (vgl. BFH, vom 30.06.2005, BFH/NV 2006, 262), liegen bei der belastenden Rückwirkung die Dinge anders. Die Änderung des § 32 Abs. 1 Nr. 2 EStG belastet - wegen § 64 Abs. 1 EStG - den Kindergeldberechtigten, dessen Kind in einer Pflegefamilie aufgenommen wurde. Daher weicht die Kammer insoweit von dem Ansatz des FG Düsseldorf (Seite 12 des Urteils vom 24.02.2005) ab und hält die rückwirkende Anwendung des § 32 Abs. 1 Nr. 2 EStG i. d. F. v. 15.12.2003 durchaus für verfassungsrechtlich obsolet.

Der Kläger kann sich indessen nicht auf das "Rückwirkungsverbot" berufen. Denn das Verbot schützt nur denjenigen, der in berechtigtem Vertrauen auf den Bestand der Rechtslage Dispositionen getroffen hat. Ist die Rechtslage hingegen unklar oder verworren oder ist der Normadressat während des Rückwirkungszeitraums keine neuen Dispositionen eingegangen, ist ihm kein "Vertrauensschutz" zu gewähren.

Der eigene Vortrag des Klägers enthält schon keine Anhaltspunkte dafür, dass er "im Vertrauen auf die bisherige Rechtslage" ab Juni 2003 irgendwelche Dispositionen traf oder unterließ. Des weiteren war die Rechtslage keineswegs im Sinne des vom Kläger reklamierten Vertrauenstatbestandes klar und eindeutig gewesen. Vielmehr ging bis zum BFH-Urteil vom 29.01.2003 (a.a.O.) die ganz überwiegende Rechtsauffassung dahin, dass die Berücksichtigung des Kindes bei den Pflegeeltern nicht dadurch ausgeschlossen werde, dass diese für die Vollzeitfamilienpflege des Kindes (§ 33 SGB VIII) Pflegegelder erhielten. Die Tatsache, dass dem Kläger bis zur Veröffentlichung des BFH-Urteils gleichwohl Kindergeld gewährt wurde, stand also nicht im Einklang mit der damals vorherrschenden Rechtsmeinung und war daher ungeeignet, ein schutzwürdiges Vertrauen des Klägers zu begründen. Mit dem Urteil des BFH vom 29.01.2003 trat zwar insoweit eine Änderung ein. Indessen blieb, zumal es an einer gefestigten und vom Gesetzgeber hingenommenen BFH-Rechtsprechung noch nicht vorlag, die Rechtslage unklar. Dies gilt umso mehr, als der BFH selbst im Urteil vom 29.01.2003 (a.a.O.) ausführte: "Der Senat verkennt schließlich nicht, dass nach den dargelegten Grundsätzen der materielle Anreiz für die Aufnahme von Kindern in Pflegefamilien abgeschwächt werden kann. Dies berechtigt die Rechtsprechung jedoch nicht dazu, die unmissverständlichen gesetzlichen Vorgaben des § 32 Abs. 1 Nr. 2 EStG 1996 sowie den Regelungszusammenhang zu den Leistungen nach § 39 SGB VIII außer Acht zu lassen. Vielmehr ist es Aufgabe des Gesetzgebers, darüber zu entscheiden, ob und auf welchem Weg er den materiellen und immateriellen Belastungen der Pflegeeltern über die bisherigen Vorschriften hinaus Rechnung trägt". Hiernach musste allgemein damit gerechnet werden, dass der Gesetzgeber tätig werden und insbesondere in Fällen der Vollzeitfamilienpflege auch rückwirkend den Kindergeldanspruch den Pflegeeltern zugestehen würde.

b) Danach kann dahin stehen, ob die den Pflegeeltern S. entstandenen Unterhaltskosten die Aufwandserstattungen mit der Folge überschritten, dass die Pflegeeltern zumindest 20 v.H. und damit einen nicht unwesentlichen Teil (§ 32 Abs. 1 Nr. 2 EStG 1996) der gesamten (angemessenen) Unterhaltskosten des Pflegekindes trugen. Die Vorinstanz hat einen konkreten Vortrag der Beklagten vermisst, der nachvollziehbar macht, dass - neben der vom Jugendamt geleisteten erheblichen Hilfe für die Erziehung der Kinder - die Eheleute S. zusätzlich zu einem nicht unwesentlichen Teil der Kosten den Unterhalt der Kinder mittrugen. Die Kammer folgt dem Urteil in diesem Punkt und merkt an, dass die Behauptungen zur Zahlung von Taschengeld und Vermietungsausfällen der Pflegeeltern S. zu allgemein gehalten sind, um nachprüfbar oder nur plausibel zu sein.

Allerdings ist zweifelhaft, ob, wie im erstinstanzlichen Urteil geschehen, die Beklagte als darlegungspflichtig angesehen werden kann. Im Allgemeinen trägt der Anspruchsteller die Darlegungs- und Beweislast für die rechtsbegründenden, der Anspruchsgegner für die rechtsvernichtenden und -hindernden Tatsachen (vgl. BGH, Urteil vom 14.01.1991, BB 1991, 374). Danach hat der Angestellte, der den Kinderanteil im Familienzuschlag nach § 29 B Abs. 3 BAT beansprucht, darzulegen, dass die Voraussetzungen nach dem EStG für die Gewährung von Kindergeld in seiner Person erfüllt sind und das Kind nicht vorrangig als Pflegekind i. S. v. § 32 Abs. 1 EStG zu berücksichtigen ist. Zwar wird im Rahmen der abgestuften Darlegungs- und Beweislast der Arbeitgeber ihm zugängliche Kenntnisse (vgl. Zöller/Greger, § 138 Rz. 16) über die Verhältnisse der Pflegeeltern vortragen müssen. Dies gilt insbesondere bei größerer Sachnähe des Arbeitgebers. Wenn jedoch - wie vorliegend - den Pflegeeltern das Kindergeld und der Kinderanteil im Ortszuschlag aber durch einen anderen Arbeitgeber gewährt wird, fehlen dem Arbeitgeber Informationsmöglichkeiten mit der Folge, dass er sich zu den maßgebenden Verhältnisse der Pflegeeltern nicht substantiiert erklären kann. Damit fällt die Darlegungs- und Beweislast wieder an den Angestellten zurück. Auch wenn dabei an die Substantiierung seines Vorbringens keine hohen Anforderungen gestellt werden dürfen, ist unumgänglich, dass er für (bestrittene) Umstände Beweis antritt. Misst man hieran den Vortrag des Klägers, hat er für seine Behauptung, dass die Eheleute S. die Kosten des Unterhalts seiner Töchter durch nicht unwesentliche Eigenaufwendungen mittrugen, keinen (geeigneten) Beweis angeboten.

B. Die Kosten des Rechtsstreits waren gemäß § 92 Abs. 1 ZPO zu verteilen.

C. Die Kammer hat der Rechtssache grundsätzliche Bedeutung beigemessen, soweit die Klage (Antrag zu 7) abgewiesen wurde. Soweit die unter A II aufgeworfenen Rechtsfragen entscheidungserheblich sind, ist deren grundsätzliche Bedeutung (§ 72 Abs. 2 Nr. 1 ArbGG) schon deshalb nicht zu verneinen, weil vom BFH auf die gegen das Urteil des FG Düsseldorf gerichtete Nichtzulassungsbeschwerde die Revision zugelassen worden ist. Daher ist für den Kläger die Revision an das Bundesarbeitsgericht zuzulassen.

Soweit die Berufung zurückgewiesen worden ist, sind Zulassungsgründe i.S.v. § 72 Abs. 2 ArbGG nicht ersichtlich. Hinsichtlich der Einzelheiten der Nichtzulassungsbeschwerde wird die Beklagte auf § 72 a ArbGG hingewiesen.

Ende der Entscheidung

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