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Beginn der Entscheidung

Gericht: Landesarbeitsgericht Düsseldorf
Beschluss verkündet am 25.06.2003
Aktenzeichen: 12 TaBV 34/03
Rechtsgebiete: BetrVG, ARbGG, ZPO


Vorschriften:

BetrVG § 17
BetrVG § 19
ARbGG § 85 Abs. 2
ZPO § 935
ZPO § 940
1. Zum Abbruch einer - durch einen "nichtig" gewählten Wahlvorstand durchgeführten - Betriebsratswahl durch einstweilige Verfügung.

2. Für die Bestellung des Wahlvorstandes durch Betriebsversammlung gilt das Prioritätsprinzip: Ist bereits zu einer Betriebsversammlung nach § 17 Abs. 2 BetrVG eingeladen worden, ist die Wahl eines zweiten Wahlvorstandes auf einer anderen (späteren) Versammlung nichtig.


LANDESARBEITSGERICHT DÜSSELDORF BESCHLUSS

12 TaBV 34/03

Verkündet am: 25.06.2003

In dem Beschlussverfahren

hat die 12. Kammer des Landesarbeitsgerichts Düsseldorf auf die mündliche Anhörung vom 25.06.2003 durch den Vorsitzenden Richter am Landesarbeitsgericht Dr. Plüm als Vorsitzenden sowie den ehrenamtlichen Richter Rodeck und die ehrenamtliche Richterin von Gehlen beschlossen:

Tenor:

Der Beschluss des Arbeitsgerichts Essen vom 28.05.2003 wird abgeändert. Der Antrag der Beteiligten zu 1) wird zurückgewiesen.

Gegen diesen Beschluss findet kein Rechtsmittel statt.

Gründe:

I. Im Rahmen einer einstweiligen Verfügung, mit der die Antragsteller (Beteiligte zu 1) von der Arbeitgeberin (Beteiligte zu 2) verlangen, den Zugang als Wahlvorstand zu ihrem Betrieb in F.-C. zu dulden, streiten die Beteiligten über die Wirksamkeit der Wahl des Wahlvorstandes am 17.05.2003. Die Arbeitgeberin macht geltend, dass zur Versammlung im Betrieb um 16.30 Uhr eingeladen gewesen sei und dort 10 anwesende Arbeitnehmer die Beteiligten zu 3) als Wahlvorstand gewählt hätten. Die Beteiligten zu 1) halten entgegen, aufgrund obstruktiven Verhaltens der Arbeitgeberin an diesem Tag die Versammlung zum DGB-Haus, 17.15 Uhr, verlegt zu haben und von den 18 teilnehmenden Arbeitnehmern als Wahlvorstand gewählt worden seien.

Mit "Aushang vom 03.05.2003" (Bl. 10) luden die Beteiligten zu 1), U. X., F. Q., K. N., die im Betrieb F.-C., B.str. 10 Beschäftigten zur Wahl des Wahlvorstandes für eine Betriebsratswahl am 17.05.2003, 16.30 Uhr, in den Aufenthaltsraum des Betriebs ein. Laut Protokoll vom 17.05.2003 (Bl. 87) fanden sich 10 der insgesamt 53 wahlberechtigten Mitarbeiter ein und wählten die Mitarbeiter Q. I. (Vorsitzende), T. M. und I. D. als Wahlvorstand.

Den Beteiligten zu 1), die zu der Versammlung eingeladen hatten, hatte die Arbeitgeberin Hausverbot erteilt. Zuvor hatte sie die Mitarbeiter X. und N. versetzt, woraufhin diese am 14.05.2003 beim Arbeitsgericht Essen eine einstweilige Verfügung auf Weiterbeschäftigung im Betrieb F.-C. erwirkten. Am 15.05.2003 ordnete die Arbeitgeberin gegenüber der Mitarbeiterin Q. deren Versetzung ab dem 16.05.2003 zur Filiale P. an. Am 17.05.2003 sprach sie gegenüber den Mitarbeiter X. und N. die fristlose, vorsorglich fristgerechte Kündigung aus.

Die mit dem Hausverbot belegten Beteiligten zu 1) warteten mit dem Gewerkschaftsvertreter Rechtsanwalt O. bis 16.45 Uhr vor dem Betrieb und unterrichteten den Betrieb verlassende oder betretende Mitarbeiter davon, dass die Versammlung zum DGB-Haus F. verlegt worden sei. Außerdem unterrichtete Rechtsanwalt O. eine Kassiererin, die Filialleiterin, den Personalleiter und den Bezirksleiter von der Verlegung der Versammlung. Laut Teilnehmerliste (Bl. 110) fanden sich im DGB-Haus um 17.15 Uhr 18 Arbeitnehmer ein. Sie wählten - laut Protokoll vom 17.05.2003 (Bl. 5) - die Beteiligten zu 1), nämlich U. X. (Vorsitzender), F. Q. und K. N. zum Wahlvorstand. Am 27.05.2003 erließ der Beteiligte zu 1) das Wahlausschreiben für die Betriebsratswahl am 14.07.2003.

Am 20.05.2003 hat der Beteiligte zu 1) beim Arbeitsgericht Essen im Wege der einstweiligen Verfügung das Zugangsrecht als Wahlvorstand geltend gemacht.

Durch Beschluss vom 28.05.2003 hat das Arbeitsgericht dem Antrag entsprochen. Mit der am 03.06.2003 eingelegten und begründeten Beschwerde greift die Arbeitgeberin den Beschluss an. Sie begehrt dessen Abänderung und die Zurückweisung des Verfügungsantrages. Auf der Versammlung im Betrieb um 16.30 Uhr seien die Beteiligten zu 3) wirksam als Wahlvorstand gewählt worden. Zu der später im DGB-Haus abgehaltene Versammlung sei nicht ordnungsgemäß eingeladen worden, so dass die Wahl der Beteiligten zu 1) nichtig sei.

Die Beteiligten zu 1) verteidigen den Beschluss des Arbeitsgerichts. Die Beteiligten zu 3) schließen sich dem Antrag und dem Vorbringen der Beteiligten zu 2) an.

II. Die Beschwerde ist statthaft und zulässig. Sie hat auch in der Sache Erfolg. Die Beteiligten zu 1) sind nicht "Wahlvorstand". Ihnen steht daher kein Zugangsrecht zu.

1. Im allgemeinen kann durch einstweilige Verfügung in eine laufende Betriebsratswahl nur eingegriffen werden, wenn die Wahl mit Sicherheit als nichtig anzusehen wäre (Hess. LAG, Beschluss vom 5. April 2002, 9 Ta BV Ga 61/02, n.v., LAG Köln, Beschluss vom 29.03.2001, MDR 2001, 1176; vgl. LAG Nürnberg, Beschluss vom 13. 03.2002, AR-Blattei ES 530.6 Nr. 76). Allerdings sind zum Abbruch der Wahl auch Wahlfehler geeignet, die zwar lediglich zur Anfechtung einer Betriebsratswahl berechtigen, jedoch so schwerwiegend sind, dass sie mit Sicherheit einer zu erwartenden Wahlanfechtung zum Erfolg verhelfen, und die auch nicht im Rahmen des Anfechtungsverfahrens korrigiert werden können (LAG Baden-Württemberg, Beschluss vom 16.09.1996, LAGE § 19 BetrVG 1972 Nr. 15 = NZA-RR 1997, 141-143, LAG I., Beschluss vom 09.09.1994, BB 1995, 260, LAG Düsseldorf, Beschluss vom 01.07.1991, BetrR 1992, 115).

2. Die Wahl des Wahlvorstandes in einer Betriebsversammlung ist nichtig, wenn die Einladung zu dieser Versammlung nicht so bekannt gemacht worden ist, dass alle Arbeitnehmer des Betriebes hiervon Kenntnis nehmen konnten, diese auch nicht auf andere Weise tatsächlich hiervon erfahren haben und durch das Fernbleiben der nicht unterrichteten Arbeitnehmer das Wahlergebnis beeinflusst werden konnte. "Bei der Bestellung des Wahlvorstandes in einer Betriebsversammlung nach § 17 Abs. 1 BetrVG handelt es sich um eine Wahl, für die die an eine demokratische Wahl zu stellenden Grundvoraussetzungen erfüllt sein müssen. Hierzu gehört der Grundsatz der Allgemeinheit der Wahl, wie bereits das Arbeitsgericht zutreffend hervorgehoben hat. Er ist verletzt, wenn die Einladung zu der Wahlversammlung nicht in einer Weise bekannt gemacht worden ist, dass alle nach § 17 Abs. 1 BetrVG wahlberechtigten Arbeitnehmer die Möglichkeit erhalten, Ort, Zeit und Zweck der Betriebsversammlung zu erfahren und an ihr teilzunehmen, und wenn auch nicht alle Arbeitnehmer auf andere Weise tatsächlich von der Betriebsversammlung Kenntnis erlangt haben." (BAG, Urteil vom 7. Mai 1986, 2 AZR 349/85, AP Nr. 18 zu § 15 KSchG 1969).

In Ausführung dieser Grundsätze soll nach Auffassung des Arbeitsgerichts München (Beschluss vom 17.12.1996, AiB 1997, 288 ff.; vgl. Fitting, BetrVG, 21. Aufl., § 17 Rz. 17 f.) bei der Einladung zur Wahlvorstandswahl eine Ladungsfrist von drei Tagen zulässig sein. Je kürzer die gewählte Frist sei, um so umfassender müsse durch die Art der Einladung dafür gesorgt werden, dass ein möglichst großer Kreis der Mitarbeiter Kenntnis davon erlangen könne. Ein Verstoß gegen Vorschriften zur Einladung bei Wahlen kann entsprechend § 19 BetrVG zur Unwirksamkeit einer Wahlvorstandswahl führen (vgl. ErfK/Eisemann, 3. Aufl., § 17 BetrVG Rz. 3, Kreutz, GK-BetrVG, 7. Aufl., § 17 Rz. 24 f., DKK/Schneider, BetrVG, 7. Aufl., § 17 Rz. 17; abw. LAG Nürnberg, Beschluss vom 29.07.1998, ArbuR 1998, 492 (nur Ls.).

Ansonsten gilt bei der Bestellung des Wahlvorstandes das Prioritätsprinzip. Ist einmal eine Einladung zu einer Betriebsversammlung ausgesprochen worden, kann nicht zu weiteren Versammlungen eingeladen werden (Löwisch/Kaiser, BetrVG, 5. Aufl., § 17 Rz. 8)

3. In einem Betrieb kann nur ein Betriebsrat gewählt werden. Die Wahl eines weiteren Betriebsrats wäre nichtig (BAG Beschluss vom 11.04.1978, 6 ABR 22/77, AP Nr. 8 zu § 19 BetrVG 1972). Sie brächte den Arbeitgeber in eine untragbare Situation, weil er ­ bis zur gerichtlichen Klärung ­ sich aus Vorsorge veranlasst sehen könnte, jeweils beide Interessenvertretungen zu beteiligen und diese sich bei einzelnen Maßnahmen auch noch widersprechen oder entgegengesetzt agieren könnten. Im übrigen können dem Arbeitgeber durch eine "Doppelwahl" finanzielle Einbußen und Kosten entstehen, für deren Erstattung zwar der nichtig gewählte Wahlvorstand und Betriebsrat aufkommen müssten, deren tatsächliche Beitreibbarkeit jedoch ungewiss sein kann. Daher wird die im Rahmen der §§ 85 Abs. 2 ArbGG, 935, 940 ZPO gebotene Interessenabwägung im allgemeinen dazu führen, einem der beiden Wahlvorstände bzw. dem Wahlvorstand, der trotz Existenz einer Interessenvertretung eine Betriebsratswahl durchführt, den Abbruch der Betriebsratswahl aufzugeben (Hess. LAG, Beschluss vom 05.04.2002, 9 TaBVGa 61/02, n.v., ArbG Kiel, Beschluss vom 20.03.2002, AP Nr. 17 zu § 1 BetrVG 1972).

4. Gemessen an den vorstehenden Rechtsgrundsätzen ist zur der im DGBHaus F. um 17.15 Uhr abgehaltenen Wahlversammlung nicht ordnungsgemäß eingeladen worden.

a) Zum einen wurde die Versammlung nicht in einer Weise bekannt gemacht, dass alle wahlberechtigten Arbeitnehmer die Möglichkeit erhielten, Ort, Zeit und Zweck der Betriebsversammlung zu erfahren und an ihr teilzunehmen. Vielmehr unterrichtete Rechtsanwalt O. am 17.05.2003 lediglich 4 Mitarbeiter der Arbeitgeberin von der "Verlegung" der Versammlung. Außerdem informierten er und die Beteiligten zu 1), indem sie vor dem Betrieb bis 16.45 Uhr warteten, eine nicht näher benannte Zahl anderer Arbeitnehmer über die Versammlung im DGB-Haus. Wenn zu dieser Versammlung 18 Arbeitnehmer erschienen, ist anzunehmen, dass tatsächlich nicht alle Arbeitnehmer von der Versammlung Kenntnis erlangten hatten, womöglich nur eine Minderheit der Beschäftigten hiervon erfahren hatte und ihre kurzfristige Teilnahme ermöglichen konnte.

b) Des weiteren schließt das Prioritätsprinzip es aus, dass nach der am 03.05.2003 erfolgten Einladung zur Versammlung im Betrieb um 16.30 Uhr am 17.05.2003 zu einer anderen Versammlung eingeladen und dass nach der Wahl der Beteiligten zu 3) als Wahlvorstand auf der "Konkurrenzversammlung" die Beteiligten zu 1) ebenfalls als Wahlvorstand gewählt werden konnten.

c) In diesem Zusammenhang kann dahinstehen, ob die Arbeitgeberin durch ihr Verhalten etwa den Beteiligten zu 1) einen Anfechtungsgrund für eine von den Beteiligten zu 3) durchgeführte Betriebsratswahl geliefert hat oder nicht. Denn es geht vorliegend allein um die Wirksamkeit der Wahl der Beteiligten zu 1) und darum, ob bei ihrer Bestellung als Wahlvorstand der für die Betriebsversammlung nach § 17 Abs. 2 BetrVG geltende Grundsatz der Allgemeinheit der Wahl und das Prioritätsprinzip gewahrt werden. Eben dies ist nicht der Fall gewesen.

d) Aus den vorerwähnten Gründen ist der weitere Einwand der Beteiligten zu 1) unmaßgeblich, sie seien von mehr Arbeitnehmern gewählt worden als die Beteiligte zu 3).

5. Die Beteiligten zu 1) können die "Verlegung" der Betriebsversammlung ins DGB-Haus, wo sie zum Wahlvorstand gewählt wurden, nicht mit obstruktivem Verhalten der Arbeitgeberin ihnen gegenüber rechtfertigen. Es kann dahin stehen, inwieweit es der Arbeitgeberin bei den Versetzungen, Kündigungen und dem Hausverbot darum ging, die Wahl der Beteiligten zu 1) zum Wahlvorstand zu verhindern. Denn ein rechtswidriges Verhalten ändert nichts an dem Befund, dass die Beteiligten zu 3) auf der Versammlung im Betrieb als Wahlvorstand gewählt wurden, so dass Wahl der Beteiligten zu 1) auf der späteren Versammlung ins DGB-Haus, zu der auch nicht ordnungsgemäß eingeladen worden war, nichtig war. Es ist daher nicht rechtsmissbräuchlich, wenn die Arbeitgeberin den Zutritt der Beteiligten zu 1) als Wahlvorstand zu ihrem Betrieb verweigert.

Nach Auffassung des Hessischen LAG (Beschluss vom 29.04.1997, BB 1997, 2220, nur Ls.) ist es arglistig und widerspricht den Grundsätzen von Treu und Glauben (§ 242 BGB), wenn der Arbeitgeber einerseits die ihm verabredungsgemäß zugeleiteten Einladungen zur Betriebsversammlung ohne Unterrichtung des Einladenden nicht weitergereicht habe und andererseits sich im Verfügungsverfahren darauf berufe, dass die - von ihm zu verantwortende unterbliebene - Weiterreichung zur Nichtigkeit der Wahl eines Wahlvorstandes führe.

Dem Ausgangspunkt, dass das Verbot des Selbstwiderspruchs als Rechtsmissbrauchstatbestand auch im Betriebsverfassungsrecht gilt und dazu führen kann, dass ein Beteiligter sich nicht auf widersprüchliches Verhalten berufen kann, stimmt die Kammer durchaus bei. Indessen reicht dieser Ausgangspunkt nicht aus, über die an eine demokratische Wahl zu stellenden Grundvoraussetzungen hinwegzusehen und vom Abbruch einer Wahl abzusehen, zumal deren Nichtigkeit jedermann geltend machen kann und es also nichts bringt, dem Arbeitgeber, der den Nichtigkeitsgrund mit zu verantworten hat, die Duldung der nichtigen Wahl aufzugeben. Überdies greift der Rechtsmissbrauchseinwand nur in extremen Ausnahmefällen, die über die nach § 20 BetrVG verbotene Behinderung der Betriebsratswahl sowie Beschränkung des Wahlrechts hinausgehen und nicht bereits über § 19, § 119 Abs. 1 Nr. 1 BetrVG oder § 134, § 823 Abs. 2 BGB sanktioniert sind (vgl. Fitting, § 20 Rz. 14 f., 31 ff.). Ein solcher Ausnahmefall ist nicht gegeben, selbst wenn man zugunsten der Beteiligten zu 1) unterstellt, dass die Arbeitgeberin entweder die Wahl eines Betriebsrats überhaupt behindern oder die Betätigung der Beteiligten zu 1) als Wahlvorstand unterbinden und deren mögliche Wahl in den Betriebsrat negativ beeinflussen will. Soweit die Beteiligten zu 1) mutmaßen, dass der Arbeitgeberin an der Blockierung der Betriebsratswahl gelegen ist, und die bisherige Untätigkeit der Beteiligten zu 3) reklamieren, gibt § 18 Abs. 1 BetrVG das dann gebotene Verfahren vor.

III. Gegen diesen Beschluss findet kein Rechtsmittel statt, § 85 Abs. 2, § 92 Abs. 1 Satz 3 ArbGG.

Ende der Entscheidung

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