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Beginn der Entscheidung

Gericht: Landesarbeitsgericht Düsseldorf
Beschluss verkündet am 29.09.2004
Aktenzeichen: 12 TaBV 44/04
Rechtsgebiete: WO


Vorschriften:

WO § 20
Der Betriebsrat ist jedenfalls dann, wenn die Betriebsratswahl nicht mehr angefochten werden kann und Anspruchsteller (Arbeitgeber, Arbeitnehmer oder eine im Betrieb vertretene Gewerkschaft) keine objektiven Anhaltspunkte für die Nichtigkeit der Wahl geltend machen können, nicht verpflichtet, Anspruchstellern Einsicht in die von ihm verwahrten Wahlakten zu gewähren.
LANDESARBEITSGERICHT DÜSSELDORF BESCHLUSS

12 TaBV 44/04

Verkündet am 29. September 2004

In dem Beschlussverfahren

hat die 12. Kammer des Landesarbeitsgerichts Düsseldorf auf die mündliche Anhörung vom 29.09.2004 durch den Vorsitzenden Richter am Landesarbeitsgericht Dr. Plüm als Vorsitzenden sowie den ehrenamtlichen Richter Märzke und den ehrenamtlichen Richter Sendke

beschlossen:

Tenor:

Auf die Beschwerde des Beteiligten zu 3. wird der Beschluss des Arbeitsgerichts Solingen vom 19.05.2004 teilweise abgeändert und der Hilfsantrag der Beteiligten zu 1. und 2. zurückgewiesen. Die Anschlussbeschwerde der Beteiligten zu 1. und 2. wird zurückgewiesen.

Die Rechtsbeschwerde wird zugelassen.

Gründe:

Die Beteiligten streiten darum, ob der Beteiligte zu 3) verpflichtet ist, den Beteiligten zu 1) und 2) Einsicht in die von ihm verwahrten Wahlakten zu gewähren.

Der Beteiligte zu 3) ist der am 24.04.2004 im Betrieb der Arbeitgeberinnen (Beteiligte zu 1 und zu 2) gewählte Betriebsrat. Die Betriebsratswahl wurde nicht angefochten. Der Wahlvorstand hatte nach Abstimmung mit dem Personalleiter der Beteiligten zu 1) und 2) mehr als 30 Mitarbeitern den leitenden Angestellten zugeordnet und die danach erstellte Wählerliste ausgehängt. Nach der Wahl übergab er die Wahlakten dem Beteiligten zu 3) zur Aufbewahrung.

Geraume Zeit später baten die Beteiligten zu 1) und 2) den Beteiligten zu 3) darum, ihnen zwecks Überprüfung der bei der Betriebsratswahl als leitende Angestellte geführten Mitarbeiter Einsicht in die Wahlunterlagen zu gewähren. Nachdem der Beteiligte zu 3) dies ablehnte, haben die Beteiligten zu 1) und 2) mit dem im Dezember 2003 beim Arbeitsgericht Solingen eingeleiteten Beschlussverfahren beantragt,

den Beteiligten zu 3) zu verpflichten, den Beteiligten zu 1) und 2)

1.

Einsicht in die Wahlakten zur Betriebsratswahl vom 24. April 2002, welche der Beteiligte zu 3) gemäß der Vorschrift des § 19 WO 2001 aufbewahrt, zu gewähren;

- hilfsweise - den Beteiligten zu 3) zu verpflichten, den Beteiligten

2.

zu 1) und 2) Einsicht in die vorhandenen beiden Ordner zur Betriebsratswahl vom 24. April 2002 zu gewähren, bestehend zum einen aus sämtlichen Stimmzetteln, zum anderen aus den Unterlagen des Wahlvorstandes, namentlich den Protokollen, den Wählerlisten samt Entwürfen, dem Wahlausschreiben, der Korrespondenz des Wahlvorstandes, den Briefwahlunterlagen, den persönlichen Erklärungen der Briefwähler, der Benachrichtigung an die gewählten Betriebsräte, der Wahlniederschrift, den Bekanntmachungen und Informationen an die Belegschaft, den Unterlagen zur konstituierenden Sitzung.

Sie wollen durch die Einsichtnahme in die Wahlakten auch die Ordnungsgemäßheit der Betriebsratswahl umfassend überprüfen.

Der Beteiligte zu 3) hält sich nicht für verpflichtet, den Beteiligten zu 1) und 2) Einsicht in die Wahlunterlagen zu gewähren.

Durch Beschluss vom 19.05.2004 hat das Arbeitsgericht den Antrag zu 1) zurückgewiesen und dem Antrag zu 2) stattgegeben. Mit der Beschwerde und Anschlussbeschwerde greifen die Beteiligten den Beschluss im Umfang ihres jeweiligen Unterliegens an.

Wegen der Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Akteninhalt verwiesen.

II. Der Beteiligte zu 3) ist nicht verpflichtet, den Beteiligten zu 1) und 2) Einsicht in die Wahlakten zu gewähren. Daher ist auf die Beschwerde des Betriebsrats unter teilweiser Abänderung des erstinstanzlichen Beschlusses der Antrag zu 2) der Beteiligten zu 1) und 2) zurückzuweisen. Die Anschlussbeschwerde, mit der die Beteiligten zu 1) und 2) ihren (Haupt-)Antrag zu 1) weiterverfolgen, ist unbegründet; das Arbeitsgericht hat im Ergebnis zu Recht diesen Antrag zurückgewiesen.

1. Die Beschwerde und die Anschlussbeschwerde sind zulässig. Sie sind jeweils form- und fristgerecht eingelegt und begründet worden. Im Besonderen hat der Beteiligte zu 3) seine Beschwerde ordnungsgemäß innerhalb der bis zum 20.08.2004 verlängerten Begründungsfrist begründet. Dass das Gericht die nach § 90 Abs. 1 Satz 1 ArbGG vorgeschriebene amtswegige Zustellung der Begründungsschrift versäumt hat, macht das Rechtsmittel nicht unzulässig.

2. Der Antrag zu 1) der Beteiligten zu 1) und 2) ist hinreichend bestimmt und daher zulässig. Unter "Wahlakte" sind alle Unterlagen und Aufzeichnungen, seien sie vom Wahlvorstand selbst gefertigt oder ihm zugegangen, zu verstehen, die der Wahlvorstand in Bezug auf die Betriebsratswahl bei deren Vorbereitung und Durchführung gesammelt hat. Damit ist der Gegenstand der Einsichtnahme hinreichend bestimmt. Insoweit gilt nichts anderes als bei dem Recht des Arbeitnehmers nach § 83 Abs. 1 Satz 1 BetrVG, in die über ihn geführten Personalakten Einsicht zu nehmen.

3. Den Beteiligten zu 1) und 2) steht nicht das reklamierte Einsichtsrecht zu.

a) Soweit die Beteiligten zu 1) und 2) die beanspruchte Einsichtnahme damit begründet haben, im Hinblick auf § 5 Abs. 4 BetrVG wissen zu wollen, welche Arbeitnehmer aus Anlass der Betriebsratswahl 2002 den leitenden Angestellten zugeordnet wurden, müssen sie, wenn nicht aufgrund Rücksprache mit dem Wahlvorstand, dann aufgrund der ausgehängten Wählerliste diese Kenntnis haben. Jedenfalls würde für die Verschaffung dieser Kenntnis eine Auskunfterteilung durch den Betriebsrat bzw. die Einsichtnahme in die Wählerliste genügen. Den Beteiligten geht es aber, wie sie im Anhörungstermin vor der Kammer bestätigt haben, nicht um eine auf die Wählerliste beschränkte Einsichtnahme, sondern um die umfassende Einsicht in alle Wahlunterlagen.

b) § 19 der Ersten Verordnung zur Durchführung des Betriebsverfassungsgesetzes (Wahlordnung - WO) vom 11.12.2001 verpflichtet den Betriebsrat zur Aufbewahrung der Wahlakten. Weder diese noch eine andere Vorschrift statuiert ein explizites Einsichtnahmerecht Dritter in die Wahlakten.

c) Die Aufbewahrungspflicht ist nicht Selbstzweck, sondern dient der Überprüfbarkeit der Ordnungsgemäßheit der Wahl insbesondere anlässlich eines Wahlanfechtungsverfahrens. Sie ermöglicht damit eine Einsichtnahme durch Gericht und Verfahrensbeteiligte im Rahmen eines gerichtlichen Wahlprüfungsverfahrens (§ 83 Abs. 2 ArbGG). Insoweit mag einiges dafür sprechen, dass Arbeitgeber, Arbeitnehmer sowie jede im Betrieb vertretene Gewerkschaft auch außerhalb des Gerichtsverfahrens zur Überprüfung der Wahl auf Anfechtungsgründe ein Recht auf Einsicht in die Wahlakten haben (vgl. BAG, Beschluss vom 06.12.2000, 7 ABR 34/99, AP Nr. 48 zu § 19 BetrVG 1972, Schneider, DKK-BetrVG, 7. Aufl., § 20 WO Rz. 4).

Vorliegend führt dieser Ansatz für die Beteiligten zu 1) und 2) schon deshalb nicht weiter, weil die Wahl des Beteiligten zu 3) nicht mehr angefochten werden kann (§ 19 Abs. 2 Satz 2 BetrVG).

d) Zwar kann von jedermann, zu jeder Zeit und in jeder Form die Nichtigkeit der Wahl geltend gemacht werden. Eine nichtige Wahl ist jedoch nur in besonderen Ausnahmefällen anzunehmen. Grundsätzlich ist auch ein nicht ordnungsgemäß gewählter Betriebsrat bis zum Ablauf der regelmäßigen Amtszeit mit allen betriebsverfassungsrechtlichen Befugnissen im Amt (vgl. BAG, Beschluss vom 19.11.2003, 7 ABR 24/03, AP Nr. 54 zu § 19 BetrVG 1972). Dieser Ausgangspunkt führt im Kontext mit dem Umstand, dass BetrVG bzw. WO durch die vorgesehenen Bekanntmachungen, Benachrichtigungen und betriebsöffentlichen Verfahrensakte die generellen Informationsrechte von Arbeitgeber, Arbeitnehmer und im Betrieb vertretenen Gewerkschaften konkretisieren, zu dem Befund, dass die Einsichtnahme in die Wahlunterlagen zur Ermittlung von Nichtigkeitsrügen jedenfalls dann nicht verlangt werden kann, wenn es an Anhaltspunkten für die Nichtigkeit der Wahl fehlt.

Solche Anhaltspunkte haben weder die Beteiligten zu 1) und 2) vorgetragen, noch sind sie sonst wie ersichtlich.

Danach kann dahinstehen, inwieweit mit der Gewährung von Einsichtnahme in die Wahlunterlagen der Grundsatz der geheimen Wahl (§ 14 Abs. 1 BetrVG) verletzt (vgl. BAG vom 06.12.2000, a.a.O.) oder gegen datenschutzrechtliche Grundsätze und Bestimmungen verstoßen werden könnte.

III. Die Kammer hat der Rechtssache grundsätzliche Bedeutung beigemessen, weil Inhalt und Reichweite eines Anspruchs auf Einsicht in die Wahlakten höchstrichterlich noch nicht abschließend geklärt sind. Daher ist die Rechtsbeschwerde nach § 92 Abs. 1, § 72 Abs. 2 Nr. 1 ArbGG zugelassen worden.

Ende der Entscheidung

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