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Gericht: Landesarbeitsgericht Düsseldorf
Beschluss verkündet am 14.12.2005
Aktenzeichen: 12 TaBV 60/05
Rechtsgebiete: BetrVG, ArbGG


Vorschriften:

BetrVG § 111
ArbGG § 85 Abs. 2
Dem Betriebsrat steht kein im Wege der einstweiligen Verfügung durchsetzbarer Anspruch gegen den Arbeitgeber zu, Betriebsänderungen bis zum Abschluss von Interessenausgleichsverhandlungen zu unterlassen.
LANDESARBEITSGERICHT DÜSSELDORF BESCHLUSS

12 TaBV 60/05

Verkündet am 14. Dezember 2005

In dem Beschlussverfahren

hat die 12. Kammer des Landesarbeitsgerichts Düsseldorf auf die mündliche Anhörung vom 14.12.2005 durch den Vorsitzenden Richter am Landesarbeitsgericht Dr. Plüm als Vorsitzenden sowie den ehrenamtlichen Richter Horst und den ehrenamtlichen Richter Alsdorf

beschlossen:

Tenor:

1. Die Beschwerde des Antragstellers gegen den Beschluss des Arbeitsgerichts Duisburg vom 01.09.2005 wird kostenfällig zurückgewiesen.

2. Gegen diesen Beschluss ist kein Rechtsmittel zulässig.

Gründe:

A. Der antragstellende Betriebsrat will durch Erlass einer einstweiligen Verfügung der Arbeitgeberin untersagen lassen, bis zum Abschluss der Verhandlung über einen Interessenausgleich den Abbau von Arbeitsplätzen wegen des Verlustes des Großauftrags I. durchzuführen.

Der Antragsteller ist der in der Niederlassung E. der Arbeitgeberin gebildete Betriebsrat. Zum 31.08.2005 waren in der Niederlassung 108 Arbeitnehmer beschäftigt.

Wegen Wegfalls des Großauftrags I. zum 31.12.2004 und daraufhin geplanten Personalabbaus nahm die Arbeitgeberin zum Jahreswechsel 2004/ 2005 mit dem Betriebsrat Verhandlungen über einen Interessenausgleich und einen Sozialplan auf. Nachdem der Betriebsrat sich dem Personalbbau widersetzt hatte und auch die Auftragslage im Januar 2005 sich besser als erwartet gestaltete, stellte die Arbeitgeberin die beabsichtigte Personalanpassung zurück. Bis Ende Mai 2005 schieden in der Niederlassung drei Mitarbeiter durch Aufhebungsvertrag aus. Drei weitere Mitarbeiter wechselten mit der Übernahme des Spezialfahrzeugs "Luftförderanlage" zur Firma I.. Zwei Arbeitnehmer gingen in Ruhestand. Einige Mitarbeiter wurden vorübergehend von der Niederlassung L. beschäftigt.

Im August 2005 beschloss die Arbeitgeberin, den Personalbestand der Niederlassung E. um 10 Mitarbeiter zu reduzieren, und erklärte am 31.08.2005 die entsprechende Anzahl von Kündigungen, verbunden mit einem Versetzungsangebot nach F. in der Nähe von X.. 9 Arbeitnehmer lehnten das Änderungsangebot ab; mit 3 Arbeitnehmern schloss die Arbeitgeberin einen gerichtlichen Auflösungsvergleich. Am 31.10.2005 sprach sie gegenüber 5 Arbeitnehmer eine Nachkündigung aus. Gegen die Kündigungen vom 31.08.205 und 31.10.2005 gerichtete Kündigungsschutzklagen hat das Arbeitsgericht Duisburg inzwischen stattgegeben.

Am 29.08.2005 hat der Betriebsrat beim Arbeitsgericht Duisburg den Erlass einer einstweiligen Verfügung beantragt. Durch Beschluss vom 01.09.2005 hat das Arbeitsgericht den Antrag zurückgewiesen. Mit der Beschwerde verfolgt der Betriebsrat den Untersagungsantrag weiter. Er sieht die Veranlassung sämtlicher Entlassungen seit Dezember 2004 in dem Wegfall des Großauftrags I. und einem daraufhin von der Arbeitgeberin beschlossenen Personalabbau. Der Betriebsrat meint, dass, weil von der Maßnahme mehr als 10 % der Beschäftigten betroffen seien, die Arbeitgeberin vor einem Interessenausgleich keine Kündigungen aussprechen, Eigenkündigungen anregen oder Aufhebungsverträge abschließen dürfe.

Die Arbeitgeberin behauptet, nach den durchgeführten Personalmaßnahmen Entlassungen nicht mehr zu beabsichtigen. Im übrigen sei der Schwellenwert für eine interessenausgleichspflichtige Betriebsänderung nicht erreicht.

B. Die Beschwerde hat keinen Erfolg.

I. Das Arbeitsgericht hat in Übereinstimmung mit der Spruchpraxis des Beschwerdegerichts (LAG Düsseldorf, Beschluss vom 19.11.1996, NZA-RR 1997, 297, Beschluss vom 27.03.2003, 13 TaBV 88/02, n.v., vgl. Beschluss vom 13.12.2001, 13 TaBV 50/01, n.v.) und anderer Landesarbeitsgerichte (LAG Köln, Beschluss vom 30.04.2004, NZA-RR 2005, 199, LAG Hamm, Beschluss vom 01.04.1997, NZA-RR 1997, 343, LAG München, Beschluss vom 24.09.2003, NZA-RR 2004, 536, LAG Sachsen-Anhalt, Beschluss vom 30.11.2004, 11 TaBV 18/04, n.v.) zutreffend angenommen, dass dem Betriebsrat kein Verfügungsanspruch auf Unterlassung einer Betriebsänderung bis zum Abschluss der Verhandlungen über einen Interessenausgleich zusteht. Die Angriffe der Beschwerde, ihr Hinweis auf gegenteilige Rechtsprechung (z. B. LAG Hamm, Beschluss vom 28.08.2003, NZA-RR 2004, 80) sowie auf die durch die EuGH-Entscheidung vom 27.01.2005 (Rs. C-188/03, NJW 2005, 1099) gestärkten Konsultationspflichten des Arbeitgebers gegenüber dem Betriebsrat greifen nicht durch.

II. Die Frage, ob dem Betriebsrat ein Unterlassungsanspruch zusteht, ist in Instanzrechtsprechung und Literatur umstritten (Beneke/Mix, ZBVR 2004, 255/257, Etzel, Kasseler Handbuch, 2. Aufl., 9.1, Rz. 981, Fitting, BetrVG, 21., §§ 112, 112 Rz. 51). Das Landesarbeitsgericht Düsseldorf ist dabei der BAG-Rechtsprechung gefolgt. "Ein Interessenausgleich erzeugt keinen Anspruch des Betriebsrats auf dessen Einhaltung. Weicht der Arbeitgeber von einem vereinbarten Interessenausgleich ab, so kann dies zwar Ansprüche der betroffenen Arbeitnehmer gem. § 113 BetrVG zur Folge haben ... Indessen kann der Betriebsrat seinerseits gegenüber dem Arbeitgeber aus eigenem Recht die Einhaltung des Interessenausgleichs nicht erzwingen, weil es sich ihm gegenüber lediglich um eine Naturalobligation handelt... Hat aber der Betriebsrat kein eigenes Recht auf Einhaltung des Interessenausgleichs, so steht ihm auch kein Verfügungsanspruch zur Sicherung eines solchen - nicht bestehenden - Rechtes zu" (BAG, Beschluss vom 28.08.1991, 7 ABR 72/90, NZA 1992, 41). Daran ist festzuhalten. Zwar ist die Befürwortung eines Unterlassungsanspruchs ebenfalls begründbar und läuft wegen § 92 Abs. 1 Satz 3 ArbGG auch keine Gefahr, von der BAG-Judikatur korrigiert zu werden. Für die Kammer ist beides jedoch unmaßgeblich: Sie würde für eine abweichende Rechtsprechung nicht die Gewissheit brauchen, von der höheren Instanz nicht aufgehoben werden zu können, und pflegt ihre Entscheidung nur und gerade davon abhängig zu machen, ob gegen die höchstrichterliche Judikatur sprechende Argumente wesentlich besser sind als für sie sprechende Erwägungen.

Was den gegenständlichen Unterlassungsanspruch des Betriebsrats anbelangt, wiegen die gegen einen derartigen Anspruch streitenden Gründe schwerer. Denn Betriebsänderungen können gemäß §§ 111 ff. BetrVG letztlich ohne Einigung der Betriebsparteien nach den Vorstellungen des Arbeitgebers durchgeführt werden. Zum Schutz der Interessen der von einer Betriebsänderung betroffenen Arbeitnehmer ist gesetzlich die Verhandlungspflicht des Arbeitgebers mit dem Betriebsrat vorgesehen. Die (mittelbare) Sicherung der Verhandlungspflicht übernimmt § 113 BetrVG, indem betriebsverfassungswidriges Verhalten des Arbeitgebers Ansprüche der Arbeitnehmer auf Nachteilsausgleich auslöst und diese Ansprüche Sanktionscharakter haben dürfen (BAG, Urteil vom 20.11.2001, 1 AZR 97/01, AP Nr. 39 zu § 113 BetrVG 1972).

III. Die Frage, ob - wie der Kläger meint - Art. 2 der Richtlinie 98/59/EG des Rates vom 20. Juli 1998 zur Sicherung der Konsultationspflicht einen Unterlassungsanspruch des Betriebsrats fordert, bedarf vorliegend keiner Beantwortung, weil die Beklagte innerhalb des 30- bzw. 90-Tage-Zeitraums nicht mindestens 10 bzw. 20 v. H. der Arbeitnehmer entlassen hat. Es kann daher an dieser Stelle eine nähere Bewertung entfallen, ob sich aus dem EuGH-Urteil vom 27.01.2005 im Wege der Auslegung von §§ 17 f. KSchG ein mit der Unwirksamkeitsfolge belegtes Kündigungsverbot ergibt und ob von der Beantwortung dieser Frage die Annahme eines Unterlassungsanspruchs des Betriebsrats abhängig zu machen ist.

IV. Da kein Unterlassungsanspruch besteht, braucht nicht geklärt zu werden, ob die Betriebsänderung seitens der Arbeitgeberin bereits durchgeführt ist. Insoweit ist anerkannt, dass ein etwaiger Unterlassungsanspruch jedenfalls dann entfällt, wenn die Betriebsänderung zum Zeitpunkt der gerichtlichen Entscheidung vollzogen ist (Vossen, GK-ArbGG, § 85 Rz. 47 mwN).

Ebenso kann dahin stehen, ob der Personalabbau den Zahlen in § 17 Abs. 1 KSchG entspricht und daher eine Betriebseinschränkung i. S. v. § 111 Nr. 1 BetrVG darstellt. Der Betriebsrat sieht richtig, dass den zuletzt gekündigten 10 Mitarbeitern die seit Ende Dezember 2004 ausgeschiedenen Mitarbeiter zuzurechnen wären, soweit sie "stufenweise" von einer ansonsten einheitlichen unternehmerischen Planung betroffen wurden (vgl. BAG, Urteil vom 08.06.1999, 1 AZR 696/98, EzA Nr. 46 zu § 242 BGB Betriebliche Übung). Indessen ist im vorliegenden Verfügungsverfahren nicht hinreichend ersichtlich geworden, dass die Entlassungen auf einer einheitlichen Maßnahme der Arbeitgeberin beruhten.

C. Gegen diesen Beschluss ist kein Rechtsmittel gegeben.

Ende der Entscheidung

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