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Beginn der Entscheidung

Gericht: Landesarbeitsgericht Düsseldorf
Urteil verkündet am 09.11.2000
Aktenzeichen: 13 Sa 1272/00
Rechtsgebiete: BGB


Vorschriften:

BGB § 613 a
1. Nach dem für den Betrieb der Rechtsvorgängerin geltenden Tarifvertrag hat der Kläger Anspruch auf Urlaubsgeld, nicht aber auf einen Urlaubsgeldzuschlag abhängig von der Beschäftigungsdauer, wie ihn der Tarifvertrag der Lufthansa vorsieht. Der Kläger meint, bei der Berechnung des Urlaubsgeldzuschlages sei der neue Arbeitgeber verpflichtet, die Besitzstandsklausel des § 613 a BGB zu berücksichtigen, mit der Folge, dass bei Berechnung des Urlaubsgeldzuschlages die Zeit der Betriebszugehörigkeit zum Betriebsveräußerer mitzuberücksichtigen sei.

2. § 613 BGB gebietet nicht, beim Rechtsvorgänger verbrachte Dienstzeiten hinsichtlich der nur beim neuen Arbeitgeber selbst geltenden Tarifbestimmung zur Höhe des Urlaubsgeldzuschlages anzurechnen. Das Gesetz gebietet lediglich Leistungsbedingungen zu wahren, die im alten Arbeitsverhältnis beim Betriebsveräußerer galten. Die Dauer der Betriebszugehörigkeit ist kein Besitzstand, der sich hinsichtlich erst vom Betriebsnachfolger geschaffener Leistungsbedingungen anspruchserhöhend auswirkt. Das Gesetz will lediglich einen erreichten sozialen Besitzstand erhalten und die Betriebstreue des Arbeitnehmers auch gegenüber dem alten Arbeitgeber honorieren. Soweit hieraus gegenüber dem alten Arbeitgeber keine Ansprüche, Anwartschaften und Erwerbsaussichten folgten, ist dies auch gegenüber einem Rechtsnachfolger im Sinne des § 613 a BGB nicht der Fall.


LANDESARBEITSGERICHT DÜSSELDORF IM NAMEN DES VOLKES URTEIL

Geschäftsnummer: 13 Sa 1272/00

Verkündet am: 09.11.2000

In dem Rechtsstreit

hat die 13. Kammer des Landesarbeitsgerichts Düsseldorf auf die mündliche Verhandlung vom 09.11.2000 durch den Vorsitzenden Richter am Landesarbeitsgericht Funke als Vorsitzenden sowie den ehrenamtlichen Richter Breuer und den ehrenamtlichen Richter Polzin für Recht erkannt:

Tenor:

Auf die Berufung der Beklagten wird das Urteil des Arbeitsgerichts Düsseldorf vom 01.08.2000 ­ 5 Ca 3470/00 ­ abgeändert und die Klage abgewiesen.

Die Revision wird zugelassen.

Tatbestand:

Die Parteien streiten darüber, ob Vordienstzeiten des Klägers beim früheren Arbeitgeber nach dem bei der Beklagten geltenden Tarifvertrag bei der Berechnung der Höhe des tariflichen Urlaubsgeldes anzurechnen sind.

Der Kläger war seit 1972 bei der S.candinavi A.irlin System (S.), deren Betrieb am 01.01.1999 auf die Beklagte überging, beschäftigt. Seit dem Betriebsübergang finden auf das Arbeitsverhältnis der Parteien die Tarifverträge der L.ufthan Anwendung, darunter der Manteltarifvertrag für Bodenmitarbeiter Nr. 14 und der L.ufthanvergütungstarifvertrag Nr. 37. Nach § 30 a des Vergütungstarifvertrages erhält jeder Mitarbeiter mit der Vergütung im Monat Mai einen Zuschlag zum Urlaubsgeld, sofern seit dem 01. Juni des Vorjahres ein Beschäftigungsverhältnis ununterbrochen bestand, das nicht vor dem 31. Mai des laufenden Jahres endet". Die Bestimmung verweist auf § 30 Abs. 2, die wie folgt lautet: Beginnt oder endet das Arbeitsverhältnis im laufenden Kalenderjahr, erwirbt der Mitarbeiter für jeden Kalendertag der Beschäftigung Anspruch auf 1/360 des Urlaubs- bzw. Weihnachtsgeldes".

Die Beklagte zahlte an den Kläger mit der Vergütung für den Monat Juni 1999 Urlaubsgeld in Höhe von einem halben Monatsgehalt und bemaß den Zuschlag zum Urlaubsgeld nach der Betriebszugehörigkeit des Klägers ab 01.01.1999.

Der Kläger ist der Auffassung, seine Betriebszugehörigkeit müsse seit 1972 berücksichtigt werden, so dass die Beklagte ihm weitere 1.400,00 DM brutto Urlaubsgeldzuschlag schulde.

Nach den für den Betrieb der S.Ageltenden Tarifverträge hat der Kläger bis zum 31.12.1998 einen Anspruch auf Urlaubsgeld in Höhe von 2.000,00 DM, nicht aber auf einen Urlaubsgeldzuschlag.

Der Kläger hat beantragt,

die Beklagte zu verurteilen, an ihn 1.400,00 DM brutto nebst 4 % Zinsen aus dem sich hieraus ergebenden Nettobetrag seit 31.05.1999 zu zahlen.

Die Beklagte hat Klageabweisung beantragt.

Das Arbeitsgericht hat durch Urteil vom 01.08.2000 der Klage stattgegeben. Auf die Begründung seiner Entscheidung wird Bezug genommen.

Die Berufung der Beklagten rügt, das Arbeitsgericht habe den Anspruch des Klägers auf einen Zuschlag zum Urlaubsgeld rechtsfehlerhaft nicht anteilig berechnet. Zutreffenderweise sei § 30 a Abs. 1 b der tariflichen Bestimmung anwendbar. Unter dem Beginn im Sinne des § 30 a Abs. 1 b MTV sei die erstmalige Tätigkeit für die Beklagte zu verstehen. Dieses Auslegungsergebnis werde bestätigt durch die Tatsache, dass Mitarbeiter für Arbeitstage ohne Vergütungsanspruch, also grundsätzlich an Tagen, an denen sie nicht gearbeitet hätten, keinen Anspruch auf einen Zuschlag zum Urlaubsgeld erwürben. Das Arbeitsgericht lege § 613 a BGB fehlerhaft aus. Der Besitzstandsschutz dieser gesetzlichen Vorschrift verpflichte den neuen Arbeitgeber nicht, Leistungen zu gewähren, die der Arbeitnehmer aufgrund seiner Betriebszugehörigkeit zum Betriebsveräußerer nicht habe beanspruchen können.

Die Beklagte beantragt,

unter Abänderung des erstinstanzlichen Urteils die Klage abzuweisen.

Der Kläger beantragt,

die gegnerische Berufung zurückzuweisen.

Er hält das erstinstanzliche Urteil für zutreffend.

Wegen der Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der gewechselten Schriftsätze ergänzend Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

Die Berufung ist begründet.

Weder gewährt § 613 a BGB Anspruch auf die vom Kläger begehrte Leistung noch ist die bei der Beklagten geltende tarifliche Bestimmung in dem Sinne auszulegen, dass der Kläger bei der Berechnung der Höhe des Urlaubsgeldzuschlages die Berücksichtigung seiner Vordienstzeit beim früheren Arbeitgeber beanspruchen kann. Das Arbeitsgericht unterliegt hinsichtlich der Auslegung des § 613 a Abs. 1 BGB einer Fehleinschätzung. Zwar führt es zutreffend aus, das Gesetz schütze den bereits erworbenen Besitzstand im Fall eines Betriebsinhaberwechsels, auch schränkt es den geschützten Besitzstand zutreffend dahingehend ein, dass zum Besitzstand auch die Betriebszugehörigkeit gehört, diese allein für sich aber noch keine Rechte begründet. Alsdann meint das Arbeitsgericht, soweit die Betriebszugehörigkeit Tatbestandsmerkmal sei, von dem die Entstehung oder der Inhalt eines Rechts abhängen könne, sei sie im Verhältnis zum Erwerber maßgeblich. Daraus folge, dass die Beklagte verpflichtet sei, bei der Bemessung des Zuschlags zum Urlaubsgeld die Betriebszugehörigkeit des Klägers bei der Firma S. zu berücksichtigen. Dem ist jedoch nicht so. § 613 a BGB zwingt den Erwerber eines Betriebes nicht zu einer Berücksichtigung der bei seinem Rechtsvorgänger verbrachten Dienstzeiten, soweit Leistungsbedingungen sich nach den beim Erwerber geltenden Bestimmungen richten. Zu den Normzwecken des § 613 a gehört es, den erreichten sozialen Besitzstand des Arbeitnehmers zu erhalten (vgl. BAG vom 30.08.1979 - 3 AZR 58/78- AP Nr. 16 zu § 613 a; Urteil vom 25.02.1981 - 5 AZR 991/78 -AP Nr. 24 zu § 613 a BGB). Daraus folgt, dass den Betriebsnachfolger alle Pflichten treffen, die von der Dauer der Betriebszugehörigkeit abhängen. Dies gilt insbesondere für die Berechnung der Kündigungsfristen und Wartefristen bei zusätzlichen sozialen Leistungen (vgl. Schaub, Arbeitsrechtshandbuch § 113 III 1). Die erwähnten Vorschriften aus dem Bereich des Kündigungsschutzrechtes, des Urlaubsrechts und des Betriebsverfassungsrechts sind Teil des Besitzstandes, der mit dem Eintritt des Arbeitnehmers in einen Betrieb einsetzt. Von diesem Zeitpunkt an kann der Arbeitnehmer davon ausgehen, dass er nach Ablauf der in den genannten Vorschriften angegebenen Fristen Kündigungsschutz genießen wird, Urlaubsansprüche geltend machen kann sowie das passive Wahlrecht zum Betriebsrat erwerben wird. Das Gesetz schützt wie gesagt den bereits erworbenen Besitzstand der übernommenen Belegschaft. Die Betriebszugehörigkeit begründet aber für sich allein noch keine Rechte (BAG AP Nr. 16 zu 613 a BGB zu 1 der Gründe). § 613 a BGB zwingt daher den Betriebserwerber nicht dazu, die bei einem Rechtsvorgänger verbrachten Dienstzeiten bei neuen, das heißt nur für das Beschäftigungsverhältnis beim Betriebserwerber geltenden Anspruchsnormen zu berücksichtigen. Aus dem Normzweck des § 613 a BGB lässt sich keine Verpflichtung zur zwangsweisen Zusammenrechnung verschiedener Betriebszugehörigkeiten ableiten, wenn der übernommene Arbeitnehmer in Leistungsnormen hineinwächst, die für sein bisheriges Beschäftigungsverhältnis nicht galten. Auch der einschlägige Tarifvertrag, der auf die Dauer des Bestandes des Beschäftigungsverhältnisses abstellt, ist zweifellos nicht dahingehend auszulegen, dass der Begriff im gleichen Sinne wie in § 613 a BGB verwandt wird und damit zu einer Honorierung von Betriebstreue beim Rechtsvorgänger zwingen würde. Für eine derartige einheitliche Begriffsdefinition gibt es keine rechtfertigenden Anhaltspunkte. Da der frühere Arbeitgeber keinen Urlaubsgeldzuschlag gewährte, stand für das alte Arbeitsverhältnis auch keine Honorierung von Betriebstreue für eine derartige Leistung zur Debatte. Der Arbeitnehmer hatte also bei Eintritt in das Unternehmen der Beklagten insoweit keinen erworbenen Besitzstand. Die Auffassung des Arbeitsgerichts spricht dem Arbeitnehmer dagegen eine Rechtsstellung zu, die dieser ohne Zusage eines Urlaubsgeldzuschlages abhängig von der Dauer der Betriebszugehörigkeit nicht gehabt haben kann. Der Betriebserwerber kann daher nach Sinn und Zweck des § 613 a BGB nicht dazu gezwungen sein, beim Rechtsvorgänger verbrachte Dienstzeiten hinsichtlich der nur bei ihm selbst geltenden Tarifbestimmung zur Höhe des Urlaubsgeldzuschlages anzurechnen. Die gegenteilige Annahme der Vorinstanz führt zu der ihrem erklärten Willen entgegenstehenden Folge, dass doch allein aus der Dauer der Gesamtbetriebszugehörigkeit Rechte abgeleitet werden. Es liegt aber allein in der Entscheidungsmacht des Betriebsübernehmers, ob und inwieweit er eine bei seinem Rechtsvorgänger verbrachte Betriebszugehörigkeit berücksichtigen will, soweit er nicht Kraft Gesetzes nach § 613 a BGB verpflichtet ist, Leistungsbedingungen zu wahren, die bereits im alten Arbeitsverhältnis beim Betriebsveräußerer galten. Es heißt in § 613 a BGB ausdrücklich, dass der Betriebserwerber in die Rechte und Pflichten aus denen im Zeitpunkt des Übergangs bestehenden Arbeitsverhältnissen" eintritt. Daraus folgt, dass die Betriebszugehörigkeit zum Veräußererbetrieb kein Recht" darstellt, das sich automatisch gegen den Betriebserwerber richtet, wenn mit ihr keinerlei Ansprüche, Anwartschaften oder Erwerbsaussichten verbunden sind bzw. waren.

Auch die vom Kläger zur Stützung seiner Auffassung herangezogene Entscheidung des BAG vom 08.02.1983 - 3 AZR 229/81 - AP Nr. 35 zu § 613 a BGB ist nicht geeignet, die Auffassung des Klägers zu stützen. Zum einen betrifft diese Entscheidung die Auslegung des BetrAVG zur Wahrung von Versorgungsanwartschaften im Falle des Betriebsübergangs. Soweit nach diesem Gesetz Beschäftigungszeiten eines Arbeitnehmers im Veräußererbetrieb nach einem Betriebsinhaberwechsel mit den Beschäftigungszeiten beim Erwerber gemäß § 1 Abs. 1 Satz 1 BetrAVG zusammengerechnet werden müssen, beruht dies allein auf dem Gedanken, dass die Betriebstreue eines Arbeitnehmers durch die Versorgungszusage entgolten wird. Der Grund liegt darin, dass die Betriebstreue des Arbeitnehmers für den Arbeitgeber einen bestimmten ­ durchaus wirtschaftlichen ­ Wert darstellt. Das Gesetz will also einen erreichten sozialen Besitzstand des Arbeitnehmers erhalten und die Betriebstreue des Arbeitnehmers auch gegenüber dem alten Arbeitgeber im Rahmen der Versorgungszusage honorieren. Wieweit dies nach der Auffassung der vorstehend zitierten Entscheidung des BAG auch für den Fall zu gelten hat, dass beim Veräußerer überhaupt noch keine Versorgungszusage bestand ist eine andere, hier nicht interessierende Frage und im Übrigen vom BAG in der vorstehend erwähnten Entscheidung unzutreffend beurteilt worden (vgl. hierzu die Anmerkung von Blomeier in AP Nr. 35 zu § 613 a BGB).

Die Entscheidung des Arbeitsgerichts war nach allem abzuändern.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 91 ZPO.

Wegen der grundsätzlichen Bedeutung der Rechtsfrage hat die Kammer die Revision zugelassen.

Ende der Entscheidung

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