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Beginn der Entscheidung

Gericht: Landesarbeitsgericht Düsseldorf
Beschluss verkündet am 02.11.2007
Aktenzeichen: 13 Ta 181/07
Rechtsgebiete: VV RVG, RVG


Vorschriften:

VV RVG Vorbemerkung 3 Abs. 4
VV RVG Nr. 2400
RVG § 58 Absatz 2
1. Das Entstehen einer Geschäftsgebühr setzt voraus, dass dem Rechtsanwalt vor dem Tätigwerden noch kein unbedingter Klageauftrag in der fraglichen Angelegenheit erteilt war.

2. Eine hiernach entstandene Geschäftsgebühr ist im Rahmen der Festsetzung der Anwaltsvergütung im PKH-Verfahren auf eine wegen desselben Gegenstandes entstandene Verfahrensgebühr anzurechnen. Dem steht die Regelung des § 58 Abs. 2 RVG nicht entgegen.


LANDESARBEITSGERICHT DÜSSELDORF BESCHLUSS

13 Ta 181/07

In dem Verfahren

auf Festsetzung der Anwaltsvergütung im PKH-Verfahren

hat die 13. Kammer des Landesarbeitsgerichts Düsseldorf am 02.11.2007 durch den Vorsitzenden Richter am Landesarbeitsgericht Nübold

beschlossen:

Tenor:

1. Die sofortige Beschwerde des Antragstellers vom 19.02.2007, bei Gericht eingegangen am 21.02.2007, gegen den Beschluss des Arbeitsgerichts Duisburg vom 09.02.2007 - zugestellt am 14.02.2007 - wird zurückgewiesen.

2. Die Entscheidung ergeht gerichtsgebührenfrei. Kosten werden nicht erstattet.

Gründe:

1. Die sofortige Beschwerde ist zulässig. Sie ist durch das Arbeitsgericht nach §§ 56 Abs. 2 Satz 1, 33 Abs. 3 Satz 2 zugelassen und form- und fristgerecht eingelegt worden.

2. In der Sache hat sie jedoch keinen Erfolg. Zutreffend hat das Arbeitsgericht erkannt, dass auf die in der eingereichten Liquidation geltend gemachte Verfahrensgebühr eine aufgrund vorgerichtlicher Tätigkeit entstandene Geschäftsgebühr nach Vorbemerkung 3 Absatz 4 VV RVG anzurechnen ist. Die Beschwerdekammer teilt zur Frage der Anrechung die - allerdings nicht näher begründete - Auffassung des LAG Köln (21.06.2007 - 14 Ta 134/07 - juris; siehe auch VG Minden 02.02.2007 - 7 K 2057/06 - AGS 2007, 314).

a)

Dem Antragsteller steht eine Geschäftsgebühr nach Nr. 2400 VV RVG zu. Er hat für den Kläger des Ausgangsverfahrens die spätere Beklagte mit Schriftsatz vom 18.01.2006 (richtig wohl 05.04.2006) angeschrieben und um Informationen über den von dieser behaupteten Betriebsübergang gebeten. Hierfür ist eine Geschäftsgebühr angefallen. Anhaltspunkte dafür, dass der Antragsteller zu diesem Zeitpunkt bereits einen unbedingten Klageauftrag hatte, so dass die genannte Tätigkeit mit der Verfahrensgebühr abgegolten wäre (vgl. Beschluss der Beschwerdekammer vom 27.08.2006 - 13 Ta 182/07 -), bestehen nicht. In der Klage vom 31.05.2006 beruft sich der Kläger ausdrücklich darauf, die Klage auf Feststellung des Fortbestands eines Arbeitsverhältnisses zwischen den Parteien sei zu erheben, da die Beklagte der Aufforderung zur Mitteilung weiterer Informationen nicht hinreichend nachgekommen ist.

b)

Die Geschäftsgebühr ist in Höhe von 319,80 € (1,3 Geschäftsgebühr über einen Wert von 11.000,- €) angefallen. Für ein Abweichen von der Regelgebühr von 1,3 ist nichts ersichtlich. Da der Antragsteller die Festsetzung von Gebühren gegenüber der Staatskasse verlangt, ist auch bezogen auf die anzurechnende Gebühr die Tabelle des § 49 RVG zugrunde zu legen. Sie ist zur Hälfte, also mit 159,90 €, auf die geltend gemachte Verfahrensgebühr anzurechnen.

(1)

Entgegen der in der Beschwerde geäußerten Auffassung reduziert sich auf der Grundlage der Vorbemerkung 3 Absatz 4 VV RVG nicht die Geschäftsgebühr. Nach dem eindeutigen Wortlaut wird vielmehr die Geschäftsgebühr auf die Verfahrensgebühr angerechnet, so dass sich die letztgenannte verringert (so auch BGH 07.03.2007 - VIII ZR 86/06 - NJW 2007, 2049).

(2)

Die Voraussetzungen einer Anrechnung sind gegeben. Die Geschäftsgebühr ist wegen desselben Gegenstandes wie die Verfahrensgebühr entstanden, nämlich der streitigen Frage, ob das Arbeitsverhältnis des Klägers im Rahmen eines Betriebsübergangs auf einen Dritten übergegangen ist.

(3)

Soweit in der ordentlichen Gerichtsbarkeit (KG Berlin 17.07.2007 - 1 W 256/07 - AGS 2007, 439; OLG München 30.08.2007 - 11 W 1779/07 - juris; OLG Karlsruhe 18.09.2007 - 13 W 83/07 - juris) für das Kostenfestsetzungsverfahren nach §§ 103, 104 ZPO vertreten wird, eine Anrechnung der Geschäftsgebühr auf die Verfahrensgebühr habe grundsätzlich zu unterbleiben, ist dies für die hier zu entscheidende Frage ohne Belang. Denn insoweit wird maßgeblich darauf abgestellt, die Anrechnungsbestimmung betreffe nicht das Verhältnis der obsiegenden zur gegnerischen Partei, sondern nur das Rechtsverhältnis zwischen der Partei und ihrem Prozessbevollmächtigten. Nur in dem letztgenannten Verhältnis solle das insgesamt abrechenbare Gebührenaufkommen begrenzt werden. Vorliegend ist gerade dieses Verhältnis betroffen. Die Prozesskostenhilfe bezieht sich - soweit sie hier fraglich ist - nicht auf die Ansprüche zwischen den Prozessparteien, sondern gerade auf die Vergütungsansprüche des Prozessbevollmächtigten gegenüber der Partei, für welche ein weiterer, öffentlich-rechtlicher Vergütungsanspruch geschaffen wird. Der Anspruch gegenüber der Landeskasse setzt voraus, dass ein entsprechender privatrechtlicher Anspruch des Rechtsanwalts gegenüber der Partei besteht (Gerold/Schmidt ua. RVG 17. Aufl. § 45 Rdnr. 40). Die Landeskasse ist daher bezogen auf die Vergütungsansprüche zwischen Partei und Rechtsanwalt kein Dritter wie zB die gegnerische Partei (aA VG Magdeburg 14.10.2005 - 9 A 195/05 - juris).

(4)

Entgegen der Ansicht des Antragstellers lässt sich die Lösung der zu entscheidenden Fragestellung nicht der Regelung des § 58 Abs. 2 RVG entnehmen. Die zur Stützung seiner Ansicht angezogene Rechtsprechung (OLG Frankfurt 27.04.2006 - 6 WF 32/06 - JurBüro 2007, 149) und Literatur (Schneider/Wolf RVG S. 1290; Enders JurBüro 2005, 281) enthält insofern keine Darlegungen zum Inhalt der genannten Norm. Der wohl grundlegende Aufsatz von Enders (aaO) beinhaltet keinerlei Subsumtion. Allein die von Vertretern der fraglichen Auffassung oftmals gewählte Formulierung, der Rechtsanwalt könne den anzurechnenden Teil der Geschäftsgebühr zunächst auf die Differenz zwischen Wahlanwaltsvergütung und Prozesskostenhilfevergütung verrechnen, zeigt eine fehlende Auseinandersetzung mit dem Inhalt des § 58 Abs. 2 RVG. Dieser setzt in seinem Anwendungsbereich nämlich keine Handlung des Anwalts voraus.

Es wird nicht einmal deutlich, ob eine unmittelbare oder eine entsprechende Anwendung des § 58 Abs. 2 RVG erfolgen soll. Nach Auffassung der erkennenden Beschwerdekammer kommt beides nicht in Betracht.

Eine unmittelbare Anwendung scheitert bereits daran, dass § 58 Abs. 2 RVG nur die Anrechung von Zahlungen regelt. Vorbemerkung 3 Absatz 4 VV RVG hingegen stellt allein darauf ab, ob ein Gebührenanspruch entstanden ist. Außerdem betrifft § 58 Abs. 2 RVG nur den Fall, dass auf einen konkreten Vergütungsanspruch eine Zahlung erfolgt. Voraussetzung für die Anwendung des § 58 Abs. 2 RVG ist stets, dass der Rechtsanwalt die Zahlung auf die Gebühren- und Auslagenansprüche aus dem Verfahren erhalten hat, für das er beigeordnet worden ist (vgl. nur VG Minden 02.02.2007 - 7 K 2057/06 - AGS 2007, 314; Hartung/Römermann/Schons RVG 2. Aufl. § 58 Rdnr. 50; Riedel/Sußbauer-Schmidt RVG 9. Aufl. § 58 Rdnr. 12). Hat die Partei an den Rechtsanwalt, der ihr für das gerichtliche Verfahren beigeordnet worden ist, Zahlungen auf den ihm für eine vorgerichtliche Tätigkeit in demselben Gegenstand zustehenden Anspruch auf eine Geschäftsgebühr geleistet, werden diese deshalb nicht auf die Verfahrensgebühr und deshalb auch nicht auf die Prozesskostenhilfeleistungen der Landeskasse angerechnet, so dass für die Anwendung des § 58 Abs. 2 RVG kein Raum ist. Wenn aber schon Zahlungen auf die Geschäftsgebühr nicht unter § 58 Abs. 2 RVG betreffend die Verfahrensgebühr fallen, kann dies erst recht nicht für den Anspruch auf die Geschäftsgebühr gelten. Ein Anspruch auf eine Geschäftsgebühr stellt keine Zahlung auf die Verfahrensgebühr dar.

Für eine analoge Anwendung des § 58 Abs. 2 RVG fehlt es an der erforderlichen planwidrigen Regelungslücke. Vielmehr enthält das Gesetz ohne die fragliche Analogie ein in sich stimmiges System von Gebühren- und Prozesskostenhilferecht. War die vom Anwalt vertretene Partei bereits bei der vorgerichtlichen Vertretung, welche die Geschäftsgebühr ausgelöst hat, bedürftig im Sinne des § 114 ZPO, sichert der Staat durch das Beratungshilfegesetz sowohl den Rechtsschutz der Partei als auch das Interesse des Anwalts, nicht ohne Vergütung tätig zu werden. Eine im Rahmen der Beratungshilfe seitens der Landeskasse gezahlte Geschäftsgebühr ist dann nach Nr. 2603 VV RVG auf die Gebühren für ein anschließendes gerichtliches Verfahren zur Hälfte anzurechnen. Das hier fragliche Problem stellt sich nicht. War die Partei hingegen während der vorgerichtlichen Vertretung noch nicht bedürftig, sondern erst im gerichtlichen Verfahren, so ist kein Grund dafür ersichtlich, das den Anwalt treffende "Insolvenzrisiko" zu Lasten der Staatskasse dadurch zu verringern, dass eine Anrechung unterbleibt. Gegen dieses Risiko mag der Anwalt sich durch einen Gebührenvorschuss absichern. Nach den im Prozesskostenhilfeverfahren vorgelegten Unterlagen dürfte hier die dritte denkbare Fallgruppe vorliegen: Der Kläger war von Anfang an bedürftig, es ist jedoch kein Antrag auf Beratungshilfe gestellt worden. Eine Schutzbedürftigkeit des so verfahrenden Anwalts vermag die Beschwerdekammer erst recht nicht zu erkennen.

Da wie erwähnt eine Zahlung der Partei auf die Geschäftsgebühr weder uneingeschränkt noch nach Maßgabe des § 58 Abs. 2 RVG auf die Verfahrensgebühr anzurechnen ist, würde die hier abgelehnte Meinung zudem dazu führen, dass der Anwalt die volle Geschäftsgebühr auch dann von der Landeskasse beanspruchen könnte, wenn die bedürftige Partei ihm die Geschäftsgebühr in voller Höhe bezahlt hat. Jedenfalls bei einem Wert bis 3.000,- € (§ 49 RVG) stünde sich der Rechtsanwalt dann finanziell besser, als wenn er eine nicht bedürftige Partei vertreten hätte. Dieses Ergebnis lässt sich nur dadurch vermeiden, dass die Anrechnungsregelung nach Vorbemerkung 3 Absatz 4 VV RVG auch im Rahmen der Prozesskostenhilfevergütung Anwendung findet.

3.

Wegen der Gebührenfreiheit und des Ausschlusses der Kostenerstattung wird auf § 56 Abs. 2 Satz 2 und 3 RVG verwiesen.

Ende der Entscheidung

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