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Beginn der Entscheidung

Gericht: Landesarbeitsgericht Düsseldorf
Beschluss verkündet am 07.08.2008
Aktenzeichen: 13 Ta 185/08
Rechtsgebiete: RVG


Vorschriften:

RVG § 55
RVG Anl. 1 Vorbem. 3 Abs. 4
Auf die Verfahrensgebühr ist auch im Rahmen der Festsetzung der Anwaltsvergütung im PKH-Verfahren eine wegen desselben Gegenstands entstandene Geschäftsgebühr anzurechnen. Die Höhe der anzurechnenden Geschäftsgebühr ist unter Anwendung der Tabelle des § 49 RVG zu berechnen.
Tenor:

1. Die Beschwerde der Landeskasse vom 31.01.2008 und die Beschwerde des Antragstellers vom 20.03.2008 gegen den Beschluss des Arbeitsgerichts Düsseldorf vom 22.01.2008 werden zurückgewiesen.

2. Die Entscheidung ergeht gerichtsgebührenfrei. Kosten werden nicht erstattet.

Gründe:

A.

Der Antragsteller ist im Ausgangsrechtsstreit der Klägerin im Wege der Prozesskostenhilfe beigeordnet worden. Bevor er seitens der Klägerin den Klageauftrag erhielt, hatte er sich für diese in derselben Angelegenheit außergerichtlich an die spätere Beklagte gewandt. Das Arbeitsgericht hat im Festsetzungsverfahren nach § 55 RVG im angefochtenen Beschluss eine nach den Sätzen des § 49 RVG berechnete Geschäftsgebühr zur Hälfte auf die seitens des Antragstellers geltend gemachte Verfahrensgebühr angerechnet. Mit ihrer Beschwerde begehrt die Landeskasse die Anrechnung in Höhe einer nach § 13 RVG berechneten Geschäftsgebühr, was im Ergebnis zum vollständigen Wegfall der nach § 49 RVG berechneten Verfahrensgebühr führen würde, während der Antragsteller mit seiner Beschwerde eine ungekürzte Verfahrensgebühr verlangt.

B.

1.

Die Beschwerden sind zulässig. Der Wert des Beschwerdegegenstands nach §§ 56 Abs. 2 Satz 1, 33 Abs. 3 Satz 1 RVG ist jeweils erreicht. Die Beschwerden sind auch form- und fristgerecht eingelegt worden.

2.

In der Sache haben sie jedoch keinen Erfolg. Zutreffend hat das Arbeitsgericht erkannt, dass auf die Verfahrensgebühr die Geschäftsgebühr (lediglich) in Höhe von 176,80 € anzurechnen ist.

a)

Die erkennende Beschwerdekammer hat bereits mit dem den Beteiligten zur Kenntnis gegebenen Beschluss vom 2. November 2007 (- 13 Ta 181/07 - juris) entschieden, dass die Anrechnungsregelung der Vorbemerkung 3 Abs. 4 VV RVG auch im Festsetzungsverfahren nach § 55 RVG zu beachten ist. An dieser Rechtsprechung hält die Beschwerdekammer fest, zumal der Bundesgerichtshof mit Beschluss vom 22. Januar 2008 (- VIII ZB 57/07 - AGS 2008, 158) die in Teilen vor allem der ordentlichen Gerichtsbarkeit geäußerten grundsätzlichen Bedenken gegen die Anwendung der Vorbemerkung 3 Abs. 4 VV RVG zurückgewiesen hat. Dass für die Festsetzung der Vergütung nach § 55 RVG im Grundsatz nichts anderes gilt, hat die erkennende Kammer im erwähnten Beschluss vom 2. November 2007 begründet. Auf diese Ausführungen wird verwiesen. Die gegenteilige Ansicht hätte jedenfalls bei Werten bis 3.000,- € eine ungerechtfertigte Bevorzugung des PKH-Anwalts zur Folge. Soweit das Amtsgericht Bad Iburg (8. Januar 2008 - 5 F 300/07 UE - AnwBl. 2008, 213) meint, eine Anrechnung stünde im Widerspruch zur Sperrwirkung des § 122 Abs. 1 Nr. 3 ZPO, übersieht es, dass sich diese Sperrwirkung nur auf die Gebührenansprüche des Rechtsanwalts bezieht, für die Prozesskostenhilfe gewährt worden ist, also nicht auf die anzurechnende Geschäftsgebühr. Sein weiteres Argument einer Ungleichbehandlung gegenüber einem ebenfalls auf PKH-Basis arbeitenden Rechtsanwalt des Prozessgegners, der vorgerichtlich nicht tätig war, vernachlässigt den Grund der Anrechnung. Bei Letztgenanntem ist deshalb nichts anzurechnen, weil dieser seine von der Verfahrensgebühr erfassten Tätigkeiten nicht bereits (teilweise) inhaltsgleich vorgerichtlich erbracht und insofern eine Geschäftsgebühr verdient hat. Die von Hansen (RGVreport 2008, 143) gegen die Rechtsprechung der erkennenden Kammer geäußerten Bedenken beruhen letztlich darauf, dass dieser entgegen dem Gesetzeswortlaut die Anrechnung grundsätzlich in Frage stellt. Wie der Bundesgerichtshof zutreffend ausgeführt hat, können bloße Praktikabilitäts- und vermeintliche Gerechtigkeitsüberlegungen eine Abweichung vom ausdrücklich erklärten Willen des Gesetzgebers jedoch nicht rechtfertigen. Soweit der Antragsteller sich darauf beruft, er habe gegenüber der Klägerin nicht die entstandene volle Geschäftsgebühr in Rechnung gestellt, sondern ihr gegenüber nur "den nicht anrechenbaren Teil" abgerechnet, verkennt er, dass die Anrechnungsregelung nur darauf abstellt, ob ein Anspruch auf eine Geschäftsgebühr entstanden ist, nicht jedoch darauf, ob dieser in Rechnung gestellt wurde oder gar durch Zahlung ausgeglichen ist. Wie das Arbeitsgericht im Nichtabhilfebeschluss zutreffend ausgeführt hat, hat der Antragsteller auch nicht etwa vorgetragen, dass lediglich eine 0,65-Geschäftsgebühr entstanden sei. Dass zudem durch die vorgerichtliche Tätigkeit des Antragstellers für die Klägerin eine Geschäftsgebühr wegen desselben Gegenstandes entstanden ist, für den der Antragsteller die Verfahrensgebühr verlangt, hat das Arbeitsgericht im angefochtenen Beschluss überzeugend dargelegt. Insoweit macht der Antragsteller auch keine Bedenken geltend.

b)

Entgegen den Bedenken der Landeskasse hält die Beschwerdekammer daran fest, dass bezogen auf die Höhe der anzurechnenden Gebühr jedoch die Tabelle des § 49 RVG zugrunde zu legen ist.

(1)

Nach Vorbemerkung 3 Abs. 4 VV RVG ist auf die Verfahrensgebühr eines gerichtlichen Verfahrens eine wegen desselben Gegenstands entstandene Geschäftsgebühr zur Hälfte anzurechnen, höchstens jedoch mit einem Gebührensatz von 0,75. Wie diese Anrechnung im Rahmen der Prozesskostenhilfe zu erfolgen hat, ist im Gesetz nicht ausdrücklich geregelt.

Mit der Bewilligung der Prozesskostenhilfe erlangt der beigeordnete Rechtsanwalt zwar nach § 45 RVG einen eigenständigen Anspruch gegen die Staatskasse; es handelt sich nicht nur um eine Haftung des Staates für die Schuld der bedürftigen Partei (Gerold/Schmidt RVG 18. Aufl. § 45 RN 48). Der Anspruch gegen die Partei bleibt unabhängig von der Prozesskostenhilfebewilligung bestehen, kann aber nach § 122 Abs. 1 Nr. 3 ZPO nicht geltend gemacht werden. Der Anspruch des Rechtsanwalts gegen die Staatskasse ist allerdings insofern mit dem Gebührenanspruch gegen die Partei verwoben, als er nach § 45 Abs. 1 RVG nur in Höhe "der gesetzlichen Vergütung" entsteht, wobei für Wertgebühren die Regelung des § 49 RVG zu beachten ist. Eine dadurch entstehende Differenz zu den Wahlanwaltsgebühren kann der beigeordnete Rechtsanwalt wiederum nach § 50 RVG festsetzen und durch die Staatskasse einziehen lassen, vorausgesetzt, dass die bedürftige Partei zu Ratenzahlungen oder Zahlungen aus dem Vermögen verpflichtet wurde.

(2)

Für die Anwendung der Anrechnungsregelung im Rahmen der Festsetzung sind verschiedene Möglichkeiten denkbar.

Die Landeskasse meint, es müsse eine volle Anrechnung auf die nach § 49 RVG berechnete Verfahrensgebühr erfolgen. Dies wird jedoch dem Sinn und Zweck der Anrechnungsvorschrift nicht gerecht. Diese trägt dem Umstand Rechnung, dass die Tätigkeiten des Rechtsanwalts, für welche ihm die Geschäftsgebühr und die Verfahrensgebühr zustehen, teilweise identisch sind. Die im Rahmen des gerichtlichen Verfahrens zu erbringenden Leistungen werden dem Rechtsanwalt durch die zuvor bereits erbrachten, von der Geschäftsgebühr abgedeckten Leistungen erleichtert. Es verbleibt jedoch ein zusätzlicher Aufgabenbereich, wie beispielsweise die Bestimmung des zuständigen Gerichts, Vorbereitung der Klageanträge, Abfassung der eigenen bzw. Lesen der gegnerischen Klageschrift und weiterer Schriftsätze. Diese Situation berücksichtigt auch der Gesetzgeber, indem er die Anrechnung der Geschäftsgebühr auf deren Hälfte, maximal jedoch eine 0,75-Gebühr beschränkt. Dies macht deutlich, dass dem Rechtsanwalt wegen der zusätzlich zu erbringenden Leistungen ein Teil der Verfahrensgebühr verbleiben soll, die Anrechnung also nur zu einer Reduzierung, nicht jedoch zu einem vollständigen Wegfall der Verfahrensgebühr führen soll. Diesem Sinn und Zweck wird die Auffassung der Landeskasse nicht gerecht. Sie verkennt, dass es nicht lediglich darum geht, Zahlbeträge miteinander zu verrechnen, sondern dass eine Doppelvergütung bestimmter Leistungen vermieden werden soll. Sie ist zudem auch verfassungsrechtlich bedenklich. Bei entsprechenden Streitwerten würde der bedürftigen Partei der Rechtsschutz im Vergleich zu einer bemittelten Partei erschwert. Der von ihr vorgerichtlich hinzugezogene Rechtsanwalt müsste nämlich befürchten, die gerichtliche Vertretung im Ergebnis ohne jede Vergütung zu übernehmen, was verständlicherweise dazu führen könnte, dass er den Klageauftrag nicht annimmt. Entgegen der Auffassung der Landeskasse kann der Rechtsanwalt diese Situation auch nicht in jedem Fall dadurch vermeiden, dass er für die vorgerichtliche Tätigkeit auf der Basis von Beratungshilfe agiert. Das setzt nämlich voraus, dass die Partei bereits zu diesem Zeitpunkt bedürftig ist. Gerade bei arbeitsgerichtlichen Bestandsstreitigkeiten ist es jedoch nicht selten, dass die Bedürftigkeit erst mit dem streitigen Ende des Arbeitsverhältnisses und damit oftmals erst während des Rechtsstreits eintritt. Ist hingegen die Partei von Anfang an bedürftig, so ist kein Grund ersichtlich, weshalb die Bereitschaft des Rechtsanwalts, vorgerichtlich für einen in seiner Durchsetzbarkeit fraglichen Gebührenanspruch tätig zu sein, die Landeskasse auch von einer Zahlung für den Aufwand befreien soll, der erst durch die Annahme des Klageauftrags entsteht.

Das OLG Stuttgart (15. Januar 2008 - 8 WF 5/08 - AnwBl. 2008, 301) vertritt den Standpunkt, nach dem Sinn und Zweck der Bewilligung von Prozesskostenhilfe sei der Staatskasse eine Berufung auf den Anrechnungstatbestand zu versagen, wenn eine Zahlung des Mandanten auf den anrechenbaren Teil der Geschäftsgebühr nicht erfolgt sei. Dem kann sich die erkennende Kammer nicht anschließen. War die Partei bereits während der vorgerichtlichen Vertretung bedürftig, sieht die gesetzliche Konzeption die Möglichkeit der Beratungshilfe vor, bei der sich das fragliche Anrechnungsproblem nicht stellt. War die Partei hingegen ursprünglich nicht bedürftig oder wird der Rechtsanwalt trotz Bedürftigkeit nicht auf Basis von Beratungshilfe tätig, liegt die Durchsetzbarkeit des Vergütungsanspruchs im Risikobereich des Rechtsanwalts. Er kann dieses Risiko beispielsweise durch Verlangen eines angemessenen Vorschusses mindern. Die Anrechnungsregelung stellt gerade nicht darauf ab, ob eine Zahlung auf die Geschäftsgebühr erfolgt ist, sondern nur darauf, ob ein Anspruch auf die Geschäftsgebühr besteht. Weshalb zugunsten des PKH-Anwalts anderes gelten soll, erschließt sich der Kammer nicht.

Eine entsprechende Anwendung des § 58 Abs. 2 RVG hat die erkennende Kammer bereits im erwähnten Beschluss vom 2. November 2007 erwogen und abgelehnt. Auf die dortigen Ausführungen wird verwiesen.

Nach Auffassung der Beschwerdekammer wird dem geschilderten Sinn und Zweck der gesetzlichen Regelung allein eine Anrechnung gerecht, bei der für die Höhe der anzurechnenden Geschäftsgebühr die Tabelle des § 49 RVG zugrunde gelegt wird. Eine Differenz zur nach § 13 RVG berechneten Geschäftsgebühr ist dann bei der Festsetzung der Wahlanwaltsvergütung nach § 50 RVG zu berücksichtigen. Wie dargelegt soll mit der Anrechnung eine Doppelvergütung des Rechtsanwalts vermieden werden. Es ist deshalb nur konsequent, den Teil der Verfahrensgebühr, der eine Doppelvergütung einer inhaltlich bereits vor Erteilung des Klageauftrags erbrachten Leistung bedeuten würde, dadurch zu ermitteln, dass der bereits durch die Geschäftsgebühr abgedeckte Teil ebenfalls unter Anwendung der Regelung des § 49 RVG berechnet wird.

3.

Wegen der Gebührenfreiheit und des Ausschlusses der Kostenerstattung wird auf § 56 Abs. 2 Satz 2 und 3 RVG verwiesen.

Ende der Entscheidung

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