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Gericht: Landesarbeitsgericht Düsseldorf
Urteil verkündet am 25.06.2007
Aktenzeichen: 14 Sa 566/07
Rechtsgebiete: ArbGG, LO 1985, BGB, BetrAVG


Vorschriften:

ArbGG § 69 Abs. 2
LO 1985 § 20
BGB § 242
BGB § 315
BGB § 315 Abs. 3 Satz 2
BetrAVG § 16 Abs. 1
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
Tenor:

Die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des Arbeitsgerichts Essen vom 01.02.2007 3 Ca 2334/06 wird auf ihre Kosten zurückgewiesen.

Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand:

Die Parteien streiten darüber, ob die Beklagte verpflichtet ist, die Betriebsrente des Klägers zu erhöhen.

Der Kläger bezieht als ehemaliger Arbeitnehmer der Beklagten seit März 1985 ein ihm zugesagtes Ruhegeld nach der Leistungsordnung des Bochumer Verbandes. Dieser Verband bündelt die Anpassungsprüfung für Betriebsrenten, die von den ihm angeschlossenen Unternehmen gezahlt werden, dreijährig. Wegen des hier maßgeblichen Inhalts der Leistungsordnung in der Fassung ab dem 01.01.1985 (LO 1985) wird auf den Tatbestand des den Parteien bekannten Urteils des Bundesarbeitsgerichts vom 20.05.2003 3 AZR 179/02 Bezug genommen.

Der Bochumer Verband fasste für seine Mitgliedsunternehmen mit Wirkung ab dem 01.01.1997 einen zweigeteilten Anpassungsbeschluss, der für die Mitgliedsunternehmen des Bergbaus einschließlich der mit diesem Bereich verbundenen Organisationen eine Betriebsrentenerhöhung von 2 % und für die übrigen Mitglieder von 4 % festlegte. Mit Wirkung zum 01.01.2000 wurde dann beschlossen, die Betriebsrenten für die zum Bergbau gerechneten Unternehmen um 1,2 % und für die übrigen Mitglieder um 3,44 % anzupassen. Die Beklagte erhöhte das Ruhegeld aufgrund der Beschlüsse des Bochumer Verbandes zum 01.01.1997 um 2,0 % und zum 01.01.2000 um 1,2 %. Die Industriegewerkschaft Bergbau, Chemie, Energie (IG BCE) rügte die beschlossenen Erhöhungen jeweils in dem Zeitraum bis zum nächsten Anpassungsstichtag. Der Kläger war Mitglied der IG BCE.

Mit der vorliegenden Klage, die der Beklagten am 19.04.2006 zugestellt worden ist, hat der Kläger geltend gemacht, seine ab dem 01.01.1994 gezahlte Betriebsrente von 4.619,91 DM (2.362,12 €) brutto hätte in Höhe der maßgeblichen Preissteigerungsrate zum 01.01.1997 um 5,6 % und zum 01.01.2000 um 3,44 % angepasst werden müssen. Er hat auf dieser Grundlage von der Beklagten unter Berücksichtigung zwischenzeitlich erfolgter weiterer Anpassungen - für den Zeitraum vom 01.01.1997 bis 31.03.2006 einen restlichen Betriebsrentenbetrag von 12.116,77 € brutto nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 31.03.2006 verlangt.

Das Arbeitsgericht hat der Klage durch Urteil vom 01.02.2007, auf das wegen der Einzelheiten verwiesen wird, stattgegeben. Mit der gegen diese Entscheidung eingelegten Berufung verfolgt die Beklagte ihr Klageabweisungsbegehren weiter, während der Kläger um Zurückweisung der Berufung bittet.

Von einer weiteren Darstellung des Tatbestandes wird gemäß § 69 Abs. 2 ArbGG abgesehen.

Entscheidungsgründe:

A. Die Berufung der Beklagten ist unbegründet. Das Arbeitsgericht hat der Klage zu Recht stattgegeben. Der Kläger hat gegen die Beklagte Anspruch auf einen restlichen Betriebsrentenbetrag in Höhe von 12.116,77 € brutto für den Zeitraum vom 01.01.1997 bis 31.03.2006.

I. Die Beklagte ist gemäß § 20 LO 1985 i.V.m. § 315 BGB verpflichtet, die Betriebsrente des Klägers mit Wirkung zum 01.01.1997 und zum 01.01.2000 im Umfang der jeweiligen Preissteigerungsrate zu erhöhen.

1. Nach zahlreichen arbeitsgerichtlichen Entscheidungen zu diesem Komplex stellt die Beklagte im Grundsatz nicht mehr in Frage, dass die Verpflichtung besteht, die im Rahmen des Bochumer Verbandes gezahlten Betriebsrenten in Höhe der jeweiligen Preissteigerungsrate zum 01.01.1997 um 5,6 % und zum 01.01.2000 um 3,44 % anzupassen. Zwar sind die vom Bochumer Verbandes beschlossenen Anpassungsentscheidungen hinsichtlich ihrer Zweiteilung nicht zu beanstanden. Diese Unterteilung ist auch für die reallohnbezogene Obergrenze maßgebend. Im vorliegenden Fall kann aber nicht davon ausgegangen werden, dass die maßgeblichen Reallöhne geringer gestiegen sind als die Geldentwertungsrate. Da die vom Bochumer Verband beschlossenen Anpassungen insoweit nicht billigem Ermessen entsprechen, erfolgt nach § 315 Abs. 3 Satz 2 BGB die erforderliche Leistungsbestimmung durch Urteil. Es kann wegen der weiteren Einzelheiten auf das Urteil des Bundesarbeitsgerichts vom 20.05.2003 3 AZR 179/02 verwiesen werden, das die Anpassungsentscheidung des Bochumer Verbandes zum 01.01.1997 betrifft (AP Nr. 1 zu § 1 BetrAVG Auslegung). Für die Anpassungsentscheidung zum 01.01.2000 kann nichts anderes gelten.

2. Der Anspruch des Klägers auf Korrektur der ihm gegenüber erfolgten Betriebsrentenanpassungen ist nicht mangels rechtzeitiger Rüge erloschen.

a) Nach gefestigter Rechtsprechung des für das Betriebsrentenrecht zuständigen Dritten Senats des Bundesarbeitsgerichts wird die Verpflichtung zur nachträglichen Anpassung begrenzt durch die streitbeendende Wirkung einer früheren, nicht gerügten Anpassungsentscheidung. Wenn der Versorgungsempfänger die Anpassungsentscheidung des Arbeitgebers für unrichtig hält, muss er dies grundsätzlich vor dem nächsten Anpassungsstichtag dem Arbeitgeber gegenüber wenigstens außergerichtlich geltend machen. Mit dem nächsten Anpassungsstichtag entsteht ein neuer Anspruch auf Anpassungsentscheidung. Ohne Rüge erlischt der Anspruch auf nachträgliche Anpassung, also auf Korrektur einer früheren Anpassungsentscheidung. Damit wird sämtlichen Streitigkeiten über die Richtigkeit früherer Anpassungsentscheidungen die Grundlage entzogen. Die streitbeendende Wirkung ist umfassend (BAG, Urteil vom 17.08.2004, AP Nr. 55 zu § 16 BetrAVG; BAG, Urteil vom 25.04.2006, AP Nr. 60 zu § 16 BetrAVG). Etwas anderes gilt, wenn der Versorgungsschuldner keine ausdrückliche Anpassungsentscheidung getroffen hat. Das Schweigen des Versorgungsschuldners enthält die Erklärung, nicht anpassen zu wollen. Diese Erklärung gilt nach Ablauf von drei Jahren als abgegeben. Deshalb kann der Arbeitnehmer diese nachträgliche Entscheidung bis zum übernächsten Anpassungstermin rügen (BAG, Urteil vom 17.04.1996, AP Nr. 35 zu § 16 BetrAVG). Da § 20 LO 1985 sich nach Wortlaut und Inhalt an § 16 Abs. 1 BetrAVG anlehnt, sind die zur gesetzlichen Anpassungspflicht entwickelten Grundsätze der höchstrichterlichen Rechtsprechung auf Anpassungen im Konditionenkartell des Bochumer Verbandes anwendbar. Dies gilt auch für die streitbeendende Wirkung früherer, nicht gerügter Anpassungsentscheidungen (BAG, Urteil vom 17.08.2004, a.a.O.; BAG, Urteil vom 25.04.2006, a.a.O.).

b) Hinsichtlich der hier angegriffenen Anpassungsentscheidungen liegen rechtzeitige Rügen der IG BCE vor, die dem Kläger als deren Mitglied zugute kommen. Es spricht dem Vereinheitlichungsziel des Bochumer Verbandes und den sich daraus ergebenden Besonderheiten dieses Versorgungssystems, dass nicht nur die Arbeitgeber gebündelt durch den Bochumer Verband handeln, sondern auch die Arbeitnehmer durch eine Interessenvertretung unternehmens- und personenübergreifend gegenüber dem Bochumer Verband auftreten können (BAG, Urteil vom 17.08.2004, a.a.O.; BAG, Urteil vom 25.04.2006, a.a.O.). Der Bochumer Verband hat als Konditionenkartell zum 01.01.1997 und 01.01.2000 gespaltene Anpassungsentscheidungen getroffen, nach denen die Bergbauunternehmen die Betriebsrenten unterhalb der Preissteigerungsrate lediglich um 2% bzw. 1,2 % anpassen sollten. Die Beklagte, die den Bergbauunternehmen zugeordnet wurde, ist dementsprechend bei der Betriebsrente des Klägers verfahren. Damit liegt eine ausdrückliche Anpassungsentscheidung zu den genannten Terminen vor. Die IG BCE hat diese Anpassungsentscheidungen für ihre Mitglieder rechtzeitig bis zum jeweils nächsten Anpassungsstichtag gerügt. Das wirkt auch für den Kläger. Dieser musste die Anpassungsrüge nicht persönlich gegenüber der Beklagten oder dem Bochumer Verband erheben.

3. Das Arbeitsgericht hat auch richtig erkannt, dass der Kläger sein Klagerecht nicht verwirkt hat. Die dagegen gerichtete Berufungsrüge ist nicht gerechtfertigt.

a) Das Recht, eine Klage zu erheben, kann verwirkt werden. Dies setzt voraus, dass der Anspruchsteller die Klage erst nach Ablauf eines längeren Zeitraums erhebt (Zeitmoment). Weiter müssen Umstände vorliegen, aufgrund derer der Anspruchsgegner annehmen durfte, er werde nicht mehr gerichtlich belangt (Umstandsmoment); das Erfordernis des Vertrauensschutzes muss das Interesse des Berechtigten an einer sachlichen Prüfung des von ihm behaupteten Anspruchs derart überwiegen, dass dem Gegner die Einlassung auf die Klage nicht mehr zuzumuten ist (Zumutbarkeitsmoment) (vgl. BAG, Urteil vom 06.11.1997, AP Nr. 45 zu § 242 BGB Verwirkung; BAG, Urteil vom 21.01.2003, AP Nr. 13 zu § 3 BetrAVG; BAG, Urteil vom 24.05.2006 7 AZR 365/05 juris; BAG, Urteil vom 25.04.2006, a.a.O.). Eine Verwirkung kommt danach in Betracht, wenn der Berechtigte ein Recht längere Zeit nicht geltend gemacht hat, obwohl er dazu in der Lage wäre, und der Verpflichtete sich mit Rücksicht auf das gesamte Verhalten des Berechtigten darauf einrichten durfte und eingerichtet hat, dass dieser sein Recht auch in Zukunft nicht geltend machen werde (vgl. BGH, Urteil vom 22.11.2006, NJW 2007, 1273, 1275; BAG, Urteil vom 14.02.2007 10 AZR 35/06 - juris). Durch die Annahme einer prozessualen Verwirkung darf der Weg zu den Gerichten allerdings nicht in unzumutbarer, aus Sachgründen nicht zu rechtfertigender Weise erschwert werden. Dies ist bei den an das Zeit- und Umstandsmoment zu stellenden Anforderungen zu berücksichtigen (vgl. BAG, Urteil vom 24.05.2006 7 AZR 365/06- juris).

b) Entgegen der Ansicht der Beklagten sind die Voraussetzungen einer Verwirkung des Klagerechts im Falle des Klägers nicht erfüllt.

aa) Die Beklagte verweist darauf, dass der Dritte Senat des Bundesarbeitsgerichts in seinem Urteil vom 25.04.2006 (a.a.O.), das die Rentenanpassung innerhalb des Bochumer Verbandes zum 01.01.1994 betraf, eine Verwirkung des Klagerechts angenommen hat. Der Senat hat dabei die Ansicht vertreten, das Zeitmoment liege auch bei rechtzeitiger Anpassungsrüge vor, wenn nicht bis zum Ablauf des nächsten auf die Rügefrist folgenden Anpassungszeitraumes Klage erhoben werde. In diesem Fall sei neben dem Zeitmoment in der Regel auch das Umstandsmoment gegeben. Der Arbeitgeber könne erwarten, dass nach einer ausdrücklichen Anpassungsentscheidung der Versorgungsberechtigte nicht nur rechtzeitig rüge, sondern im Anschluss an den Rügezeitraum binnen drei Jahren gerichtlich vorgehe. Während Interessen des Versorgungsberechtigten in der Regel nicht entgegenstünden, habe der Versorgungspflichtige ein erhebliches Interesse an der Klärung seiner Anpassungspflichten, zumal die weiteren Rentenerhöhungen auf den früheren Anpassungen aufbauten und eine zuverlässige Grundlage für die Kalkulation des Versorgungsaufwands sowie für die Beurteilung der wirtschaftlichen Lage des Unternehmens benötigt werde (vgl. BAG, a.a.O., zu II 2 b der Gründe).

bb) Die Berufungskammer lässt offen, ob der Ansicht des Dritten Senats des Bundesarbeitsgerichts zur Verwirkung des Klagerechts gefolgt werden kann. Auch wenn man diese Auffassung zugrunde legt, hat der Kläger sein Klagerecht nicht verwirkt. Es liegen besondere Umstände vor, die die Anwendung der vom Betriebsrentensenat entwickelten Regelfrist ausschließen. Dem Kläger kann zwar vorgehalten werden, nach den Anpassungsrügen der IG BCE sehr lange zugewartet zu haben, bis er seine Ansprüche im Klageweg verfolgt hat. Dabei wurde auch die vom Bundesarbeitsgericht erwähnte zeitliche Grenze überschritten. Es fehlt aber an dem für die Annahme einer Verwirkung erforderlichen Umstandsmoment. Die Beklagte hat sich bis zur vorliegenden Klageerhebung nicht darauf eingerichtet, von Versorgungsberechtigten wie dem Kläger nicht mehr gerichtlich in Anspruch genommen zu werden. Es ist unstreitig, dass die Beklagte noch nach der Entscheidung des Betriebsrentensenats vom 17.08.2004 (a.a.O.), mit der die Anpassungsrüge einer Arbeitnehmervertretung für ausreichend erachtet wurde, in einer großen Zahl vergleichbarer Fälle dem Anpassungsbegehren von Betriebsrentnern entsprochen hat. Diese Praxis hat die Beklagte auch nach dem 01.01.2006, dem Stichtag der letzten Betriebsrentenanpassung, ohne erkennbare zeitliche Begrenzung fortgesetzt. Nicht dem VDF oder der IG BCE angehörigen Betriebsrentnern wurde ab diesem Zeitpunkt, auch in Verfahren, mit denen die Berufungskammer befasst war, stets entgegengehalten, die Beklagte werde Anpassungskorrekturen nur noch bei Nachweis der Verbandsmitgliedschaft des Arbeitnehmers in den entsprechenden Rügezeiträumen vornehmen. Die Beklagte entschloss sich darüber hinaus sogar im Mai 2006, die hier in Rede stehenden Ruhegelderhöhungen auch Hinterbliebenen von Arbeitnehmern zu gewähren, die bis zur ihrem Tod dem VDF oder der IG BCE angehört hatten; dies sollte auch in den Fällen gelten, in denen der Arbeitnehmer bereits vor den Anpassungsrügen des jeweiligen Verbandes verstorben war. Bei dieser Sachlage ist es unverständlich, weshalb die Beklagte nunmehr meint, sich auf eine Verwirkung des Klagerechts berufen zu können. Für eine Anwendung des Rechtsinstituts der Verwirkung ist nach Auffassung der Berufungskammer kein Raum. Der vorliegende Sachverhalt unterscheidet sich grundlegend von dem der Entscheidung des Bundesarbeitsgerichts vom 25.04.2006, auf die sich die Beklagte stützt. Er rechtfertigt die Annahme eines Ausnahmefalles.

II. Der von der Beklagten noch geschuldete Betriebsrentenbetrag für den Zeitraum vom 01.01.1997 bis 31.03.2006 ist zwischen den Parteien in rechnerischer Hinsicht nicht umstritten.

B. Die Kostenentscheidung folgt aus § 97 Abs. 1 ZPO. Für eine Zulassung der Revision an das Bundesarbeitsgericht gemäß § 72 Abs. 2 ArbGG besteht keine Veranlassung. Eine Abweichung von dem Urteil des Bundesarbeitsgerichts vom 25.04.2006 3 AZR 372/05 - liegt nicht vor.

Ende der Entscheidung

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