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Gericht: Landesarbeitsgericht Düsseldorf
Urteil verkündet am 25.10.2007
Aktenzeichen: 15 Sa 1223/07
Rechtsgebiete: ArbGG, BGB, BetrVG, SGB IX
Vorschriften:
ArbGG § 69 Abs. 2 | |
BGB § 626 | |
BetrVG § 84 | |
SGB IX § 91 | |
SGB IX § 91 Abs. 5 |
Tenor:
1. Die Berufung des Beklagten gegen das Urteil des Arbeitsgerichts Mönchengladbach vom 06.06.2007 - 5 Ca 2722/06 - wird kostenpflichtig zurückgewiesen.
2. Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand:
Die Parteien streiten über die Wirksamkeit einer von Seiten des Beklagten mit Schreiben vom 22.08.2006 ausgesprochenen fristlosen Kündigung.
Von einer Darstellung des Tatbestandes wird nach der Regelung des § 69 Abs. 2 ArbGG abgesehen.
Entscheidungsgründe:
Die Berufung ist statthaft und zulässig, konnte in der Sache jedoch keinen Erfolg haben.
Zu Recht und mit zutreffender Begründung, die sich die Kammer gemäß § 69 Abs. 2 ArbGG zu eigen macht, hat das Arbeitsgericht in dem angefochtenen Urteil festgestellt, dass das Arbeitsverhältnis der Parteien durch die Kündigung des Beklagten vom 22.08.2006 nicht fristlos aufgelöst worden ist. Entsprechend hat es der Kündigungsschutzklage stattgegeben.
Zusammenfassend und eingehend auf das Berufungsvorbringen ist Folgendes herauszustellen:
1. Strafbare Handlungen im Betrieb, insbesondere Tätlichkeiten gegenüber Arbeitskollegen, sind an sich geeignet, einen wichtigen Grund zur außerordentlichen Kündigung abzugeben (BAG vom 30.09.1993 - 2 AZR 188/93 - EzA § 626 n. F. BGB Nr.152 m. w. N.). Ein tätlicher Angriff auf einen Arbeitskollegen stellt eine schwere Verletzung der arbeitsvertraglichen Pflichten zur Rücksichtnahme auf die Rechte und Interessen des anderen Arbeitnehmers dar. Der Arbeitgeber ist seinerseits nicht nur allen Arbeitnehmern gegenüber verpflichtet, dafür zu sorgen, dass sie keinen Tätlichkeiten ausgesetzt sind. Er hat auch ein eigenes Interesse daran, dass die betriebliche Zusammenarbeit nicht durch solche Auseinandersetzungen beeinträchtigt wird und Mitarbeiter verletzt werden und gegebenenfalls ausfallen. Ferner kann der Arbeitgeber auch berücksichtigen, wie sich ein solches Verhalten auf die übrigen Arbeitnehmer und den Betrieb auswirkt, insbesondere, wenn er keine personellen Maßnahmen ergreifen würde. Ob der Arbeitgeber bei einem derartigen arbeitsplatzbezogenen Pflichtenverstoß, bei welchem grundsätzlich auch eine Versetzung im Betrieb in Betracht kommt, im Einzelfall gehalten sein kann, von einer Kündigung abzusehen, hängt sowohl von den Ursachen des Fehlverhaltens und dem (am neuen Arbeitsplatz) zu erwartenden künftigen Verhalten als auch von der Schwere des Pflichtenverstoßes, also insbesondere von der Intensität und den Folgen des tätlichen Angriffs, ab (BAG vom 06.10.2005 - 2 AZR 280/04 - AP Nr. 25 zu § 1 KSchG 1969 Personenbedingte Kündigung).
a) Der hier streitgegenständliche Vorfall rechtfertigt den Ausspruch einer fristlosen Kündigung nicht, selbst wenn man unterstellt, dass er sich so abgespielt hat, wie der Beklagte behauptet.
Bezüglich des Tatherganges hat der Beklagte im Rahmen der Berufungsbegründung auf die Aussage der Zeugin Q. verwiesen, nach der sich für ihn, den Beklagten, die Gewissheit ergeben habe, dass danach der Zeuge T. anlässlich seiner Rückkehr aus dem Dienst vor seiner Garage auf dem Parkplatz von dem Kläger ohne Vorwarnung angegriffen wurde, indem auf ihn plötzlich mit den Fäusten eingeschlagen wurde und nachdem auf ihn eingeschlagen wurde, Herr T. gestürzt sei, als er versuchte, die Schläge abzuwehren, wobei nach dem erstinstanzlichen Vortrag der Zeuge T., als er zu Boden ging, mit der rechten Kopfseite auf den Boden aufgeschlagen sei. Nach dem ärztlichen Attest vom 24.07.2006 bestand folgender Befund: "Schürfwunde und Hämatom/Prellmarke im Bereich der rechten Stirn und der rechten Hand mit lokaler Druckempfindlichkeit ...". Als Diagnose wurde angegeben: "Schürfwunden, multiple Prellungen".
Bei diesem Kündigungssachverhalt kann nicht die Rede davon sein, dass der Kläger den Zeugen T. gezielt - so etwa durch einen Kinnhaken - niedergeschlagen bzw. anderweitig zusammengeschlagen hätte. Nach der beklagtenseits in Bezug genommenen Aussage der Zeugin Q. war der Zeuge T. nicht etwa (aufgrund der Schläge) in sich zusammengesackt, sondern beim Versuch, die Schläge abzuwehren, gestürzt, wobei er sich offensichtlich die vorstehend genannten Schürfwunden und das Hämatom/Prellmarke im Bereich der rechten Stirn, mit der er auf den Boden aufgeschlagen sein soll, zuzog.
Angesichts dieser Tatsache als auch aufgrund des Umstandes, dass die Auseinandersetzung nur wenige Minuten dauerte und der Kläger alsbald aus freien Stücken vom Zeugen T. abließ, als dieser am Boden lag, kann eine besondere Brutalität auf Seiten des Klägers nicht festgestellt werden.
b) In Bezug auf die Ursache seines Fehlverhaltens hat der Kläger ausführlich sowohl die schon länger währende Vorgeschichte als auch den aktuellen Anlass für die streitgegenständliche Auseinandersetzung geschildert. Auch der Betriebsrat hat in seiner Stellungnahme vom 21.08.2006 bereits darauf verwiesen, dass der Kläger sich einer monatelangen Zwangssituation durch Herrn T. ausgesetzt sah, sich im Februar 2006 an seinen Bereichsleiter gewandt und diesem sein Anliegen anvertraut habe sowie im Februar 2006 Strafanzeige gegen Herrn T. gestellt habe. Schließlich hat der Beklagte selbst im Rahmen der Berufungsbegründungsschrift (Seite 6 des Schriftsatzes vom 17.08.2007) darauf verwiesen, dass es in der Vergangenheit zwischen dem Kläger und dem Zeugen T. immer wieder zu Auseinandersetzungen gekommen sei, die Tagesgespräch im Betrieb gewesen seien und mit Interesse verfolgt würden.
Sowohl im Vorfeld als auch im Rahmen dieses Verfahrens hat der Beklagte die Vorgeschichte und den akuten Anlass für den hier streitgegenständlichen Vorfall gänzlich außer Acht gelassen bzw. mit Nichtwissen bestritten. Nach Auffassung der Kammer macht es jedoch einen erheblichen Unterschied, ob ein Arbeitnehmer ohne jeden nachvollziehbaren Anlass eine Tätlichkeit gegenüber einem Arbeitskollegen begeht, oder ob er sich dazu aufgrund dauerhafter Provokationen und einer akuten Eskalation derselben, wie es hier aufgrund des Vorkommnisses mit dem Dienstwagen am 14.06.2006 der Fall gewesen sein soll, hat hinreißen lassen.
Der Arbeitgeber, der eine außerordentliche Kündigung ausgesprochen hat, ist darlegungs- und beweisbelastet für alle Umstände des wichtigen Grundes. Der Kündigende muss in vollem Umfang auch die Voraussetzungen für die Unzumutbarkeit der Weiterbeschäftigung darlegen und beweisen. Die Darlegungs- und Beweislast kann aus diesem Grunde nicht zwischen dem Kündigenden und dem Gekündigten derart aufgeteilt werden, dass der Kündigende nur die objektiven Merkmale für einen Kündigungsgrund und die bei der Interessenabwägung für den Gekündigten ungünstigen Umstände und der Gekündigte seinerseits Rechtfertigungsgründe und für ihn entlastende Umstände vorzutragen und zu beweisen hat (KR-Fischermeier, § 626 BGB Rdnr. 380 m. w. N.; ErfK-Müller-Glöge, § 626 Rdnr. 301 ff. m. w. N.).
Gegenüber den klägerseits behaupteten Umständen, die sein Verhalten in einem anderen, weniger belastenden Licht erscheinen lassen, hat der Beklagte nichts Abweichendes vorgetragen, wie z. B. eine eventuell anderslautende Version des Zeugen T..
c) Selbst wenn man vorliegend zu Gunsten des Beklagten davon ausgeht, dass die Vorgeschichte und eine Mitverursachung des hier streitgegenständlichen Vorfalls durch den Zeugen T., welche beklagtenseits nicht ausgeräumt wurde, den wichtigen Grund für die hier ausgesprochene fristlose Kündigung nicht in Frage stellen könne, so sind diese Umstände dann zumindest im Rahmen der Interessenabwägung zu berücksichtigen, welche hier im Ergebnis zu Gunsten des Klägers ausfallen muss.
Bei der Interessenabwägung sind die Dauer der Betriebszugehörigkeit ebenso wie das bisherige Verhalten des Arbeitnehmers mit zu berücksichtigen. Eine langjährige Betriebszugehörigkeit ändert zwar nichts daran, dass tätliche Angriffe gegen Arbeitskollegen schwere Vertragsverletzungen sind und nicht hingenommen werden können. Einem langjährig beschäftigten Mitarbeiter, der sich bisher vertragsgetreu verhalten hat, kann jedoch ein einmaliges, wenn auch nicht zu entschuldigendes Fehlverhalten eher nachzusehen und eine weniger einschneidende Maßnahme als eine Kündigung angebracht sein (BAG vom 31.03.1993 - 2 AZR 492/92 - AP Nr. 32 zu § 626 BGB Ausschlussfrist). Erst recht ist die Einmaligkeit eines Fehlverhaltens im Rahmen der Interessenabwägung nach § 626 BGB bei der Frage nach der Zumutbarkeit der Einhaltung der Kündigungsfrist durch den Arbeitgeber bei einem langjährigen Arbeitsverhältnis zu berücksichtigen.
Da der Beklagte nicht dargetan hat, dass der Kläger in den 18 Jahren seiner Betriebszugehörigkeit bei ihr sich irgendwann einmal etwas Vergleichbares hat zu Schulden kommen lassen, stellt sich der hier streitgegenständliche Vorfall als einmaliges Fehlverhalten dar, dessen Ursache - mangels abweichender Darlegung durch den Beklagten - ausschließlich in den privaten Problemen mit einem einzigen Arbeitnehmer, dem Zeugen T., zu sehen ist. Da beide Mitarbeiter in verschiedenen Teams arbeiten, fehlt es hier zudem an den typischen arbeitsplatzbezogenen Berührungspunkten, die bei Arbeitnehmern mit wechselseitigen Animositäten aufgrund der betrieblichen Zusammenarbeit bzw. eines arbeitsplatzbezogenen Zusammentreffens weitere Streitigkeiten provozieren könnten. Vor daher wird das "Konfliktpotenzial" zwischen dem Kläger und dem Zeugen T. hier dann auch nicht dadurch verringert, dass man den Kläger mit sofortiger Wirkung aus dem Betrieb entfernt: Weder lassen sich damit außerbetriebliche Auseinandersetzungen zwischen dem Kläger und dem Zeugen T. vermeiden oder deren Gefahr verringern noch lässt sich dadurch verhindern, dass derartige Auseinandersetzungen weiterhin "Tagesgespräch im Betrieb" sind bzw. durch den Zeugen T. zu einem solchen gemacht werden. Ein Vorfall, wie dem hier in Rede stehenden, wäre sehr viel eher zu begegnen gewesen, wenn der Beklagte ein klärendes Gespräch, insbesondere auch mit dem Zeugen T. geführt und seinen Beitrag an den (nach ihren eigenen Behauptungen) schon vor Kündigungsausspruch in den Betrieb hineingetragenen Auseinandersetzungen mit dem Kläger untersucht und gegebenenfalls mit einer Abmahnung geahndet hätte bzw. im Wiederholungsfalle ahnden würde. Den Kläger andererseits hätte man vor Augen führen können und müssen, dass ihm ein Beschwerderecht nach § 84 BetrVG zur Seite steht, sofern er sich auch künftig noch von Seiten des Zeugen Sühnhold behelligt, bedroht oder sonst beeinträchtigt fühlen sollte.
Die Einmaligkeit des hier in Rede stehenden, vom Zeugen T. mitverursachten Vorfalls, der bislang nicht ausgeschöpfte Weg des § 84 BetrVG und die eigenen Möglichkeiten des Beklagten zur Intervention gegenüber beiden Kontrahenten - einschließlich der Androhung einer fristlosen Kündigung für den Wiederholungsfall gegenüber dem Kläger während des Laufs der Kündigungsfrist -, lassen es nicht als unzumutbar erscheinen, dass er den Kläger zumindest bis zum Ablauf der Kündigungsfrist weiterbeschäftigt hätte.
2. Angesichts des vorhergenannten Befundes kann hier dahinstehen, ob die streitgegenständliche Kündigung nicht ohnedies wegen Verfristung nach § 91 Abs. 5 SGB IX rechtsunwirksam wäre, was - legt man die in KR-Etzel zu § 91 SGB IX unter Rdnr. 30 a ff. aufgeführten Grundsätze zugrunde - angesichts des sich insofern errechnenden Fristenablaufes am 21.08.2006 hier anzunehmen sein dürfte. Auf die Frage einer möglichen Verfristung der streitgegenständlichen Kündigung kommt es im Ergebnis jedoch nicht an, da der Berufung des Beklagten aus den zu Ziffer II. 1. dargelegten Gründen bereits kein Erfolg beschieden sein konnte.
III.
Die Kosten der Berufung hat der Beklagte gemäß § 97 Abs. 1 ZPO zu tragen.
IV.
Die Voraussetzungen für die Zulassung der Revision nach § 72 Abs. 2 Ziff. 1 und 2 ArbGG waren nicht gegeben.
Ende der Entscheidung
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