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Beginn der Entscheidung

Gericht: Landesarbeitsgericht Düsseldorf
Urteil verkündet am 19.09.2000
Aktenzeichen: 16 Sa 925/00
Rechtsgebiete: BGB


Vorschriften:

BGB § 130
Verfügt ein Haus mit mehreren Mietparteien über keine Briefkästen und erfolgt die Postzustellung üblicherweise durch Einwurf in den dafür vorgesehenen Briefschlitz der Haustür, ist ein auf diesem Weg per Boten zugestelltes Kündigungsschreiben in den Machtbereich des Empfängers gelangt und diesem zugegangen. Auf die tatsächliche Kenntnisnahme des Empfängers kommt es nicht an. Ist nach dem eigenen Vorbringen des Empfängers sichergestellt, dass ihn die ihm auf diesem Weg zugestellte Post auch tatsächlich erreicht, kann er unter dem Gesichtspunkt der Zugangsvereitelung nach § 242 BGB nicht geltend machen, ein in den Briefschlitz eingeworfenes Kündigungsschreiben habe ihn nicht erreicht (im Anschluss an LAG Düsseldorf Urt. v. 12.10.1990 - 4 Sa 1064/90 - LAGE § 130 BGB Nr. 14).
LANDESARBEITSGERICHT DÜSSELDORF IM NAMEN DES VOLKES URTEIL

Geschäftsnummer: 16 Sa 925/00

Verkündet am: 19.09.2000

In dem Rechtsstreit

hat die 16. Kammer des Landesarbeitsgerichts Düsseldorf auf die mündliche Verhandlung vom 19.09.2000 durch den Vorsitzenden Richter am Landesarbeitsgericht Dr. Kaup als Vorsitzenden sowie den ehrenamtlichen Richter Hagen und den ehrenamtlichen Richter Polzin für Recht erkannt:

Tenor:

1. Auf die Berufung der Beklagten wird das Urteil des Arbeitsgerichts Essen vom 19.04.2000 ­ 5 Ca 512/00 ­ abgeändert: Die Klage wird abgewiesen.

2. Die Kosten des Rechtsstreits trägt der Kläger.

3. Streitwert: unverändert (6.699,00 DM.

4. Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand:

Die Parteien streiten über die Beendigung ihres Arbeitsverhältnisses.

Die Beklagte betreibt ein Zeitarbeitsunternehmen mit insgesamt rund 150 Arbeitnehmern. Der zurzeit 45-jährige Kläger war bei ihr seit Januar 1996 als Helfer im Bau- und Brandsanierungsbereich in der Filiale E.ss zu einem Stundenlohn in Höhe von zuletzt 14,50 DM brutto beschäftigt. In der Zeit vom 04.10.1999 bis 19.12.1999 war er arbeitsunfähig krank. Am 20.12.1999 blieb er der Arbeit fern. Die Gründe seines Fernbleibens sind zwischen den Parteien streitig. Unter dem 20.12., 22.12. und 27.12.1999 verfasste die Beklagte insgesamt drei Abmahnungsschreiben, die sie nach ihren Angaben dem Kläger per Post an seine damalige Anschrift übersandte. Mit Schreiben vom 29.12.1999 kündigte sie das Arbeitsverhältnis fristlos. Das Kündigungsschreiben brachte sie nach ihrer Behauptung per Boten am 29.12.1999 gegen 17.30 Uhr zur (damaligen) Wohnanschrift des Klägers, wo dieser zur Untermiete wohnte. Das betreffende Haus hat keine Briefkästen, sondern einen Briefeinwurfschlitz in der Haustür.

Mit der am 08.02.2000 beim Arbeitsgericht Essen eingegangenen Klage wendet sich der Kläger gegen eine angebliche Beendigung seines Arbeitsverhältnisses. Hierzu hat er vorgetragen: Eine Kündigung habe er nicht erhalten. Auch die vorgenannten drei Abmahnungsschreiben hätten ihn nicht erreicht. Bei seiner (damaligen) Wohnung sei sichergestellt gewesen, dass an ihn gerichtete Post durch Einwurf in den Briefschlitz der Haustür ihn auch tatsächlich erreiche, und zwar auch im Falle seiner Abwesenheit. Darüber hinaus sei eine Kündigung hier auch inhaltlich ungerechtfertigt.

Der Kläger hat erstinstanzlich zuletzt beantragt,

festzustellen, dass zwischen den Parteien ein ungekündigtes Arbeitsverhältnis besteht.

Die Beklagte hat beantragt,

die Klage abzuweisen.

Sie hat vorgetragen: Der Kläger habe trotz der drei Abmahnungen weiterhin unentschuldigt gefehlt. Die daraufhin ausgesprochene und ihm per Boten zugestellte Kündigung sei sachlich gerechtfertigt. Den Zugang der Kündigung vom 29.12.1999 habe der Kläger in einem Telefonat mit der Personalsachbearbeiterin am 01.02.2000 selbst bestätigt, ebenso den Erhalt der vorherigen drei Abmahnungen.

Das Arbeitsgericht Essen hat zur Frage des Kündigungszugangs Beweis erhoben und der Klage mit Urteil vom 19.04.2000 ­ 5 Ca 512/00 ­ stattgegeben. Zur Begründung hat es unter anderem ausgeführt: Der Einwurf eines Kündigungsschreibens in den Briefschlitz der Haustür eines Mehrparteienhauses bewirke noch keinen Zugang, da nicht gewährleistet sei, dass der Empfänger das Schreiben auch tatsächlich erhalte.

Hiergegen wendet sich die Beklagte mit der Berufung, die sie zu den im Sitzungsprotokoll vom 19.09.2000 genannten Zeitpunkten eingelegt und begründet hat und mit der sie weiterhin die Abweisung der Klage begehrt, während der Kläger die Zurückweisung der Berufung beantragt. Auf das Berufungsvorbringen beider Parteien wird verwiesen. Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstands wird auf den übrigen Akteninhalt Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

I.

Die Berufung der Beklagten ist zulässig: Sie ist nach dem Wert des Beschwerdegegenstandes an sich statthaft (§ 64 Abs. 1 und 2 ArbGG) sowie form- und fristgerecht eingelegt und begründet worden (§§ 66 Abs. 1 Satz 1, 64 Abs. 6 Satz 1 ArbGG, §§ 518, 519 ZPO).

II.

Sie hat auch in der Sache Erfolg. Das Berufungsgericht schließt sich der Auffassung des Arbeitsgerichts nicht an, wonach von einem Zugang des Kündigungsschreibens an den Kläger nicht ausgegangen werden könne.

1. Zutreffend geht das Arbeitsgericht zunächst davon aus, dass ein Einwurf des Kündigungsschreibens am 29.12.1999 in den Briefschlitz der Haustür des (damaligen) Wohnhauses des Klägers erfolgt ist. Nach dem Ergebnis der erstinstanzlich hierzu durchgeführten Beweisaufnahme steht dies auch zur Überzeugung des Berufungsgerichts fest. Es sind keine Anhaltspunkte erkennbar, die Bekundungen des Zeugen S. hierzu in Zweifel zu ziehen. Auch der Kläger selbst wendet sich zweitinstanzlich nicht gegen die Bekundungen des Zeugen, sondern beschränkt sich im Wesentlichen darauf, dass ein Einwurf eines Schreibens in den Briefschlitz der Haustür eines von ihm mitbewohnten Mehrparteienhauses noch keinen Zugang an ihn bewirkt habe.

2. Dem folgt die erkennende Kammer im hier vorliegenden Fall nicht.

a) Unstreitig hatte das damals vom Kläger mitbewohnte Haus keine Briefkästen, sondern lediglich einen Briefschlitz in der Haustür. Die Postzustellung erfolgte durch Einwurf in den Briefschlitz. Nach Angaben des Klägers war die Postzustellung an ihn sichergestellt. Wie er vor der Berufungskammer näher ausgeführt hat, nahm er die für ihn bestimmte Post entweder selbst an sich oder sein Vermieter, bei dem er in dem Haus zur Untermiete wohnte, legte ihm bei seiner Abwesenheit die für ihn bestimmte Post auf ein dafür vorgesehenes Tischchen.

b) Angesichts dieser Umstände ist hier von einer rechtswirksamen Zustellung des Kündigungsschreibens vom 29.12.1999, in den Briefschlitz der Haustür eingeworfen am 29.12.1999 gegen 17.00 Uhr, spätestens am 30.12.1999 auszugehen (vgl. insoweit BAG vom 08.12.1983 ­ 2 AZR 337/82 ­ AP Nr. 12 zu § 130 BGB, zu B I der Gründe). In Anwendung des § 130 Abs. 1 BGB ist eine schriftliche Willenserklärung, mithin auch eine Kündigungserklärung, zugegangen, sobald sie in verkehrsüblicher Weise in die tatsächliche Verfügungsgewalt des Empfängers oder eines anderen, der ihn nach der Verkehrsanschauung in der Empfangnahme von Briefen vertreten konnte, gelangt und für den Empfänger unter gewöhnlichen Verhältnissen die Möglichkeit besteht, von dem Schreiben Kenntnis zu nehmen (BAG vom 08.12.1983, a. a. O.). Wenn für den Empfänger diese Möglichkeit besteht, ist es unerheblich, ob und wann er die Erklärung dann tatsächlich zur Kenntnis genommen hat oder durch besondere Umstände an einer tatsächlichen Kenntnisnahme möglicherweise zunächst gehindert war (vgl. auch BAG vom 02.03.1989 ­ 2 AZR 275/88 ­ AP Nr. 17 zu § 130 BGB, zu II 1 der Gründe). Mit dem Einwurf des Kündigungsschreibens vom 29.12.1999 in den Briefschlitz der Haustür ist hier die gewöhnliche und im Falle des Klägers übliche Postzustellung an ihn gewählt worden, so dass das Schreiben in seinen Empfangsbereich gelangt ist. Auf seine Behauptungen, das Kündigungsschreiben vom 29.12.1999 sowie die vorherigen drei Abmahnungsschreiben hätten ihn angeblich nicht erreicht, kommt es nicht mehr an.

c) Ein Weiteres kommt hinzu: Es entsprach nach dem eigenen Vorbringen des Klägers der Üblichkeit, dass in Ermangelung eines Briefkastens die Post durch den Briefschlitz der Haustür eingeworfen und die für ihn bestimmte Post durch seinen Vermieter auf einen Tisch gelegt wurde. In einem ähnlich gelagerten Fall hatte bereits die 4. Kammer des erkennenden Gerichts die Auffassung vertreten: Wer es duldet, dass ihm die an ihn adressierte Post ständig auf die Treppe im Hausflur gelegt wird, kann unter dem Gesichtspunkt der Zugangsvereitelung nach § 242 BGB nicht geltend machen, die dort niedergelegte Post müsse verloren gegangen sein" (LAG Düsseldorf vom 12.10.1990 ­ 4 Sa 1064/90 ­ LAGE § 130 BGB Nr. 14). Dem schließt sich die erkennende Kammer im vorliegenden Fall an, zumal der Kläger selbst wiederholt betont hatte, die Zustellung der an ihn gerichteten Post durch Einwurf in den Briefschlitz der Haustür sei sichergestellt. Sie werde ihm auf den Tisch gelegt. Spätestens mit dem Einwurf der Post in den Briefschlitz der Haustür muss sich der Kläger deren Zugang, hier am 30.12.1999, zurechnen lassen.

3. Zum Zeitpunkt des Klageeingangs am 08.02.2000 war die dreiwöchige Klagefrist aus § 4 KSchG bereits verstrichen. Gemäß § 7 KSchG gilt die Kündigung vom 29.12.1999 i. S. d. Kündigungsschutzgesetzes als von Anfang an rechtswirksam. Andere Gründe für eine Rechtsunwirksamkeit der Kündigung vom 29.12.1999 sind nicht erkennbar, so dass das Arbeitsverhältnis der Parteien mit dieser Kündigung beendet worden ist. Die gegenteilige Entscheidung des Arbeitsgerichts war dementsprechend abzuändern und die Klage abzuweisen.

III.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 91 Abs. 1 ZPO. Der Streitwert blieb unverändert. Die Voraussetzungen für die Zulassung der Revision (§ 72 Abs. 2 ArbGG) liegen nicht vor. Eine grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache ist nach Auffassung der Kammer nicht gegeben.

Ende der Entscheidung

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