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Beginn der Entscheidung

Gericht: Landesarbeitsgericht Düsseldorf
Urteil verkündet am 28.04.2004
Aktenzeichen: 17 Sa 1952/03
Rechtsgebiete: BetrVG


Vorschriften:

BetrVG § 26 Abs. 2
BetrVG § 47
BetrVG § 50
BetrVG § 77
BetrVG § 88
1) Das rechtliche Schicksal einer Gesamtbetriebsvereinbarung ist nicht von der Wahrung einer "Unternehmensidentität" abhängig. Die Reduzierung der Betriebsstruktur eines Unternehmens auf lediglich noch einen Betrieb berührt deshalb die (Fort-)Geltung einer Gesamtbetriebsvereinbarung nicht.

2) Adressat der Kündigung einer Betriebsvereinbarung ist grundsätzlich allein der Vertragspartner, d.h. bei der Kündigung einer Gesamtbetriebsvereinbarung - soweit noch gebildet - ungeachtet zwischenzeitlicher Umstruktuierungen des Unternehmens der Gesamtbetriebsrat und nicht ein Betriebsrat.


LANDESARBEITSGERICHT DÜSSELDORF IM NAMEN DES VOLKES URTEIL

17 Sa 1952/03

Verkündet am 28. April 2004

In Sachen

hat die 17. Kammer des Landesarbeitsgerichts Düsseldorf auf die mündliche Verhandlung vom 24.03.2004 durch den Vorsitzenden Richter am Landesarbeitsgericht Grigo als Vorsitzenden sowie den ehrenamtlichen Richter Kühler und den ehrenamtlichen Richter Killian

für Recht erkannt:

Tenor:

I. Auf die Berufung des Klägers wird das Urteil des Arbeitsgerichts Mönchengladbach vom 20.11.2003 - 3 Ca 4013/03 - abgeändert und die Beklagte verurteilt, an den Kläger 1.896,43 € nebst Zinsen i.H. von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz nach § 1 des Diskont- und Überleitungsgesetzes vom 09.06.1998 seit dem 14.08.2003 zu zahlen.

II. Die Beklagte trägt die Kosten des Rechtsstreits. III. Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand:

Die Parteien streiten darüber, ob dem Kläger aus Anlass seiner 25jährigen Betriebszugehörigkeit ein Jubiläumsgeld zusteht. Der Kläger meint, ihm stünde ein solcher Anspruch nach Maßgabe einer Gesamtbetriebsvereinbarung zu, die die Firma B. Kabel S. AG & Co. als Rechtsvorgängerin der Beklagten mit dem im Unternehmen gebildeten Gesamtbetriebsrat am 07.09.1994 geschlossen hatte. Diese Gesamtbetriebsvereinbarung (im Folgenden: GBV 94) sah - mit Geltung ab dem 01.01.1995 - die Gewährung einer Sonderzahlung (Jubiläumsgeld) u.a. anlässlich des 25. Dienstjubiläums i.H. eines (Brutto-) Monatseinkommens vor. Zu dem begünstigten Personenkreis zählten zu diesem Zeitpunkt die Mitarbeiter der insgesamt 3 Betriebe des Unternehmens, des Werkes N.-S., in dem der Kläger tätig ist, sowie der Betriebe E. und C. Bis zum 31.07.2003 zahlte die Beklagte die Jubiläumsgelder. Soweit Dienst-Jubiläen nach dem 31.07.2003 anstanden - wie beim Kläger am 14.08.2003 - sieht die Beklagte sich nicht mehr zu dieser Leistung gehalten. Sie beruft sich auf eine Kündigung der GBV 94 zum 31.07.2003 gegenüber dem Betriebsrat des Werkes in N.-S. mit Schreiben vom 30.04.2003. Dem Gesamtbetriebsrat gegenüber erfolgte mit Schreiben vom 27.01.2004 zum 30.04.2004 vorsorglich eine weitere Kündigung der GBV 94.

Der Kläger ist der Auffassung, ungeachtet der ersten Kündigung zum 30.07.2003 sei die GBV 94 am Tage seines 25jährigen Dienstjubiläums - 14.08.2003 - in Kraft gewesen, da die Beklagte allenfalls dem Gesamtbetriebsrat gegenüber diese Vereinbarung habe wirksam kündigen können.

Der Kläger beantragt,

die Beklagte zu verurteilen, an ihn 1.896,43 € nebst 5 Prozentpunkten über dem Basissatz seit dem 14.08.2003 zu zahlen.

Die Beklagte hat beantragt, die Klage abzuweisen.

Sie hat die Ansicht vertreten, mit der dem Betriebsrat in N.-S. am 30.04.2004 zugegangenen Kündigung die GBV 94 gegenüber dem richtigen Adressaten gekündigt zu haben. Aufgrund der zwischenzeitlichen Stillegung der Betriebe in E. und C. habe sich der Kreis der Begünstigten auf die Mitarbeiter des Werkes in N.-S. beschränkt. Hierdurch habe die Gesamtbetriebsvereinbarung ihren Rechtscharakter als Gesamtbetriebsvereinbarung verloren. Sie habe seit dem letzten Teilakt der Schließung des Vertriebsbereichs des Betriebes in C. zum 30.04.2002 allenfalls als Einzelbetriebsvereinbarung des Betriebes in N.-S. weitergegolten. Ungeachtet der durchgängigen Existenz des Gesamtbetriebrats, der sich allerdings zum 01.01.1995 infolge der Übernahme anderweitiger Betriebe (eines gesellschaftsrechtlich verbundenen Unternehmens) neu konstituiert habe, habe sie von daher die GBV 94 gegenüber dem Einzelbetriebsrat zum 30.07.2003 wirksam kündigen können.

Das Arbeitsgericht hat sich dem im Ergebnis angeschlossen und die Klage mit Urteil vom 20.11.2003 abgewiesen. Hiergegen wendet sich der Kläger mit seiner Berufung.

Wegen des weiteren Vorbringens der Parteien wird auf den Inhalt der wechselseitigen Schriftsätze sowie die Sitzungsniederschriften Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

Die Berufung des Klägers hat Erfolg. Das Arbeitsgericht hat zwar richtig gesehen, dass die GBV 94 als freiwillige Betriebsvereinbarung i.S. von § 88 BetrVG nicht nachwirkt und deshalb die Frage der Wirksamkeit ihrer Kündigung zum 31.07.2003 jedenfalls streitentscheidend ist. Es hat jedoch verkannt, dass diese Betriebsvereinbarung zu dem für den Kläger maßgeblichen Jubiläumstag 14.08.2000 fortbestand. Die GBV 94 konnte entgegen der Auffassung der Beklagten nur gegenüber dem Gesamtbetriebsrat gekündigt werden. Deshalb kann der Kläger von der Beklagten nach Maßgabe der GBV 94 die Zahlung von 1.896,43 € brutto verlangen.

I.

Bei der GBV 94 handelt es sich um eine wirksam zustande gekommene kündigungsbedürftige Dauerregelung.

1. Die Gesamtbetriebsvereinbarung wahrt die Form des § 77 Abs. 2 BetrVG.

2. Die Regelungskompetenz des Gesamtbetriebsrats steht außer Frage.

a) Nach § 50 BetrVG ist der Gesamtbetriebsrat zuständig für die Regelung von Angelegenheiten, die das Gesamtunternehmen oder mehrere Betriebe betreffen und nicht durch die einzelnen Betriebsräte ihrer Betriebe geregelt werden können. Dabei handelt es sich um eine originäre Zuständigkeit des Gesamtbetriebsrats.

b) Diese Voraussetzungen sind hier gegeben. Die Einigung mit dem Gesamtbetriebsrat am 07.09.1994 dokumentiert hinlänglich, dass der Arbeitgeber den freiwilligen Dotierungsrahmen für eine Jubiläumsregelung nur unter der Voraussetzung vorgeben wollte, dass sie für alle Betriebe des Unternehmenseinheitlich gelte. Dies hat zur Folge, dass die originäre Zuständigkeit des Gesamtbetriebsrats gegeben ist - vgl. BAG Beschluss vom 18.10.1994 - 1 ABR 17/94 - AP Nr. 70 zu § 87 BetrVG 1972 Lohngestaltung, zu B II 2 b der Gründe m.w.N. Eine Auftragszuständigkeit nach § 50 Abs. 2 BetrVG scheidet schon deshalb aus, weil nicht der geringste Anhalt dafür gegeben ist, dass der Gesamtbetriebsrat im Jahre 1994 zum Abschluss der Vereinbarung von den drei einzelnen Betriebsräten der Werke N.-S., E. und C. ermächtigt worden war.

3. Soweit die Beklagte in der letzten mündlichen Verhandlung vor der Berufungskammer die Abschlussvollmacht des Unterzeichners der GBV 94 auf Arbeitgeberseite in Frage stellte, ist dies rechtlich ohne Belang, weil Umstände, die konkrete Zweifel hinsichtlich der Abschlusskompetenz aufkommen ließen, weder substantiiert vorgetragen noch nach der Aktenlage erkennbar sind.

4. Die GBV 94 ist schließlich auch mit § 77 Abs. 3 S. 1 BetrVG vereinbar, der Tarifvorrang steht ihr nicht entgegen. Das arbeitgeberseits mitbestimmungsfrei vorgegebene Volumen der Jubiläumszuwendungen charakterisiert die Betriebsvereinbarung als eine solche nach § 88 BetrVG. Mit diesen besonderen Zuwendungen bezweckte die GBV 94 ausschließlich eine Belohnung von Betriebstreue und damit materielle Leistungen, die die hier einschlägigen Tarifverträge der Metall- und Elektroindustrie NRW weder enthalten noch üblicherweise regeln.

II.

Die GBV 94 galt auch noch zum Zeitpunkt des 25jährigen Dienstjubiläums des Klägers am 14.08.2003. Zwar hat die Beklagte die Kündigungsfrist, die gemäß § 77 Abs. 5 BetrVG drei Monate beträgt, gewahrt. Die Kündigung konnte jedoch allein gegenüber dem seinerzeit amtierenden Gesamtbetriebsrat erfolgen. Das ist erst am 27.01.2004 geschehen. Mit dem Vorsitzenden des Betriebsrats des Werkes N.-S. (§ 26 Abs. 2 BetrVG) als dem falschen Adressaten der am 30.04.2003 ausgesprochenen Kündigung geht die Unwirksamkeit dieser Kündigung einher.

1) Adressat der Kündigung einer Betriebsvereinbarung ist grundsätzlich der Vertragspartner. Der Arbeitgeber hat dem Betriebsrat, Gesamtbetriebsrat oder auch Konzenbetriebsrat gegenüber die Vereinbarung zu kündigen, die er mit einem dieser Betriebsverfassungsorgane abgeschlossen hat. Dies steht, soweit ersichtlich, in Rechtsprechung und Schrifttum außer Streit - vgl. etwa BAG Beschluss vom 18.09.2002 - 1 ABR 54/01 - AP Nr. 7 zu § 77 BetrVG 1972 Betriebsvereinbarung, zu B III 2 b ee) der Gründe; Fitting/Kaiser/Heither/Engels/Schmidt, BetrVG, 21. Aufl., § 77 RN 157. Ausnahmen von diesem Grundsatz kommen naturgemäß etwa dann zum Tragen, wenn der "Abschlusspartner" rechtlich nicht mehr existent ist, etwa ein Gesamtbetriebsrat, bei dem die Voraussetzungen zu seiner Errichtung entfallen sind. Bloße Umstrukturierungen eines Unternehmens stellen andererseits weder die Geltung abgeschlossener Gesamtbetriebsvereinbarungen in Frage noch die Fortdauer der Existenz des Gesamtbetriebsrats und damit seine Eigenschaft als Adressat der Kündigung einer Gesamtbetriebsvereinbarung, vorausgesetzt, Folge der Umstrukturierung ist es nicht, dass nur noch ein einziger betriebsratsfähiger Betrieb verbleibt. Im Übrigen gilt in entsprechender Anwendung von § 130 Abs. 1 BGB für den Fall, dass die Kündigung einer Betriebsvereinbarung einem Dritten gegenüber abgegeben wird, dass sie erst in dem Zeitpunkt wirksam wird, in dem sie dem "Abschlusspartner" übermittelt wird - vgl. Fitting/Kaiser/Heither/Engels/Schmidt, a.a.O., § 77 RN 33 m.w.N.

2) Nach diesen Grundsätzen kann der Beklagten nicht in ihrem Verständnis gefolgt werden, ihr Kündigungsschreiben vom 30.04.2003 richtig adressiert zu haben.

a) Die Beklagte verkennt die betriebsverfassungsrechtliche Systematik, wenn sie dies daraus herleitet, dass von dem ursprünglich im Jahre 1994 von der Jubiläumsregelung erfassten drei Betrieben des Unternehmens nur noch der Betrieb N.-S. verblieb. Eine Gesamtbetriebsvereinbarung gilt weder stets unternehmensweit, wie schon der Wortlaut des § 50 BetrVG unmissverständlich deutlich macht, noch kommt sie in Wegfall, wenn sich die Betriebssubstanz des Unternehmens ändert. Auch wenn eine Gesamtbetriebsvereinbarung für sämtliche oder doch mehrere Betriebe eines Unternehmens abgeschlossen wird, betrifft und regelt sie keine Angelegenheiten auf der Rechtsebene "des Unternehmens" als solchem. Selbst für den Fall einer Reduzierung des Unternehmens auf lediglich noch einen Betrieb endet zwar die Existenz des Gesamtbetriebsrats, nicht aber die der von ihm geschlossenen Betriebsvereinbarungen. Ihr Bezugsobjekte und Regelungssubstrate sind die einzelnen Betriebe. Es geht um betriebliche Angelegenheiten, unabhängig davon, wie viele Betriebe die Regelung betrifft - BAG, Beschluss vom 18.09.2002 - 1 ABR 54/01 - a.a.O., zu B III 2 b) bb) der Gründe m.w.N. Entscheidend ist die Wahrung der Betriebsidentität. Bei Wahrung der Betriebsidentität bleiben die geltenden Gesamtbetriebsvereinbarungen als normative Regelungen ungeachtet des Zuwachses weiterer Betriebe in das Unternehmen, etwa in Form eines Betriebsübergangs gemäß § 613 a BGB, oder ihres Wegfalls, etwa durch Schließung oder Veräußerung, in Kraft. Sie verändern nicht etwa ihren Rechtscharakter, wie die Beklagte meint, wenn das Regelungssubjekt (Unternehmen) ebenso gleich bleibt wie das Regelungsobjekt (Betrieb).

b) Ob etwas anderes für den Fall gilt, dass ein Betrieb aus dem Unternehmen ausscheidet und für einen solchen Fall die Gesamtbetriebsvereinbarung für die Mitarbeiter des ausscheidenden Betriebes als Einzelbetriebsvereinbarung bestehen bleibt (BAG, Beschluss vom 18.09.2002 - 1 ABR 54/01 -a.a.O.) oder ob für einen solchen Fall die Transformation ihres Regelungsinhalts in die individualrechtliche Ebene erfolgt, bedarf hier keiner Entscheidung. So stellt sich die Sachlage hier nicht dar. Der Betrieb in N.-S., dem der Kläger seit 1978 angehört, war dem Unternehmen der Beklagten bzw. ihrer Rechtsvorgängerinnen durchgängig zugehörig. Die Veränderungen nach Abschluss der GBV 94 stellten sich betriebsverfassungsrechtlich lediglich als Aufnahme weiterer Betriebe dar, hier derjenigen einer früheren Kommanditistin der Rechtsvorgängerin B. Kabel S. AG & Co. In das Unternehmen der zwischenzeitlich mehrfach umfirmierten Beklagten gingen die Betriebe dieses zweiten Unternehmens gemäß § 613 a BGB zum 01.01.1995 über. Der Betrieb in N.-S. ist jedoch nach dem 07.09.1994 keinerlei Veränderung unterfallen. Er ist einer der Stammbetriebe des Unternehmens, dies unverändert bis zum heutigen Tage. Die von der Beklagten angeführte vermeintlich für den Fortbestand der Gesamtbetriebsvereinbarung gebotene "Unternehmensidentität" ist angesichts dieser unveränderten Betriebsidentität rechtlich ohne Belang. Die von ihr aufgezeigten gesellschaftsrechtlichen und damit verknüpften betrieblichen Veränderungen werfen allenfalls neue Fragen auf für die Mitarbeiter der neu in ihr Unternehmen integrierten Betriebe, soweit für diese geltende Betriebsvereinbarungen oder Gesamtbetriebsvereinbarungen Kollisionsnormen zu denjenigen der hier in Frage stehenden GBV 94 enthalten. Die Rechtsposition dieser Mitarbeiter zu klären, ist jedoch nicht Gegenstand des vorliegenden Rechtsstreits.

c) Erst recht ist es ohne Belang, dass die Übernahme der weiteren Betriebe zum 01.01.1995 zur Folge hatte, dass der Gesamtbetriebsrat nach Maßgabe von § 47 BetrVG neu zu konstituieren war und dies auch zum 01.01.1995 vollzogen wurde. Entscheidend ist allein, dass, und dies nahtlos durchgängig, zum Zeitpunkt der fraglichen Kündigung am 30.04.2003 der Gesamtbetriebsrat weiterhin amtierte. Allein diesem Betriebsverfassungsorgan gegenüber hätte deshalb wirksam eine Kündigung der GB 94 erfolgen können.

3. Abgestellt auf die streitlose Höhe der Bruttomonatsvergütung des Klägers hatte die Klage demnach in vollem Umfang Erfolg. Der Zinszuspruch folgt aus § 288 Abs. 1 ZPO.

III.

Die Kosten des Rechtsstreits waren der unterliegenden Beklagten gemäß § 91 Abs. 1 ZPO aufzuerlegen.

Die Berufungskammer hat von der Zulassung der Revision abgesehen, weil der Streitsache weder eine grundsätzliche Bedeutung beigemessen werden kann (§§ 72 Abs. 2 Nr. 1, 72 a ArbGG) noch die Voraussetzungen für eine Divergenzrevision i.S. von § 72 Abs. 1 Nr. 2 ArbGG vorliegen.

Ende der Entscheidung

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