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Beginn der Entscheidung

Gericht: Landesarbeitsgericht Düsseldorf
Urteil verkündet am 16.04.2008
Aktenzeichen: 2 Sa 1/08
Rechtsgebiete: RL 2000/78/EG, KschG, AGG


Vorschriften:

RL 2000/78/EG Art. 2 Abs. 1
RL 2000/78/EG Art. 6 Abs. 1
KschG § 1 Abs. 3
AGG § 2 Abs. 4
1. § 2 Abs. 4 AGG ist nicht europarechtswidrig. Der Diskriminierungsschutz kann im geltenden nationalen Recht durch eine europarechtskonforme Auslegung des Kündigungsschutzgesetzes erreicht werden (anders wohl Aufforderungsschreiben der EG-Kommission vom 31.01.2008 - 2007/23620 K (2008) 0103 -).

2. Das in Art. 2 Abs. 1 RL 2000/78/EG enthaltene europarechtliche Verbot der Altersdiskriminierung steht der Verwendung einer Punktetabelle zur Sozialauswahl (vgl. § 1 Abs. 3 Satz 1 KSchG), die eine lineare Berücksichtigung des Lebensalters vorsieht, nicht im Wege, wenn sie durch legitime Ziele gerechtfertigt ist (vgl. Art. 6 Abs. 1 RL 2000/78/EG).

3. Einer Einzelfallprüfung im Hinblick auf die individuellen Chancen auf dem Arbeitsmarkt bedarf es auch nach Inkrafttreten des AGG nicht. Die Anforderungen des Art. 6 Abs. 1 RL 2000/78/EG sind auch bei einer typisierten Betrachtungsweise, wie sie einem Punkteschema eigen ist, erfüllt (im Anschluss an BAG 19.06.2007 - 2 AZR 304/06 - EzA § 1 KSchG Interessenausgleich Nr. 13; BAG 06.09.2007 - 2 AZR 387/06 - EzA § 1 KSchG Soziale Auswahl Nr. 78).


Tenor:

Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Arbeitsgerichts Wesel vom 15.2.2007 - 5 Ca 2891/06 - wird kostenpflichtig zurückgewiesen.

Die Revision wird zugelassen.

Tatbestand:

Die Parteien streiten über die Wirksamkeit einer auf betriebsbedingte Gründe gestützten ordentlichen Kündigung.

Der am 14.04.1961 geborene, verheiratete und einem Kind zum Unterhalt verpflichtete Kläger war aufgrund schriftlicher Arbeitsverträge vom 03.08.1990 und 01.10.1993 seit dem 07.08.1990 bei der E.-I. GmbH, einem Bergbauspezialunternehmen mit mehr als 1.200 Mitarbeitern, als Hauer zu einem durchschnittlichen monatlichen Bruttoentgelt von zuletzt 2.880,00 € beschäftigt. Über das Vermögen der E.-I. GmbH ist während der Anhängigkeit des Rechtsstreits in zweiter Instanz das Insolvenzverfahren eröffnet worden.

Unter dem 15.08.2006 vereinbarte die jetzige Insolvenzschuldnerin mit dem bei ihr gebildeten Betriebsrat einen Interessenausgleich und Sozialplan. In dem Interessenausgleich heißt es auszugsweise:

"Präambel:

Bei E.-I. ist seit Mitte 2005 eine völlig unzureichende Auftragslage festzustellen. Diese schlechte Auftragslage hat dazu geführt, dass derzeit nur rund 450 Schichten verfahren werden. Seit dem 01.10. 2005 musste für durchschnittlich 600 Mitarbeiter pro Tag Kurzarbeit anmeldet werden. (...)

Aus diesen Zahlen folgt, dass eine Personalreduzierung unumgänglich ist, um eine Insolvenz und eine gänzliche Auflösung von E.-I. zu vermeiden. Notwendig sind nach der Berechnung der Geschäftsführung folgende Maßnahmen:

Auszugehen ist von einem Personalstand per 01.09.2006 in Höhe von 1.700 gewerblichen, 144 Angestellten und 67 Mitarbeitern der Verwaltung. Davon erhalten 205 gewerbliche und 31 unter-Tage-Angestellte das Angebot, in die Anpassung bzw. in die Transfer-KUG 49 zu gehen.

Des Weiteren müssen 202 gewerbliche, 42 unter-Tage-Angestellte sowie 24 Mitarbeiter der Verwaltung ausscheiden. (...).

§ 3 Soziale Auswahl

1.

a. In die soziale Auswahl werden aus Rechtsgründen nicht einbezogen Mitglieder des Betriebsrates, der Jugend- und Auszubildendenvertretung sowie Vertrauenspersonen für Schwerbehinderte. Gleiches gilt für Auszubildende und Wehr- und Zivildienstleistende sowie für Frauen während ihrer Schwangerschaft und Arbeitnehmer in der Elternzeit.

b. Ebenfalls nicht in die soziale Auswahl einbezogen werden Mitarbeiter deren Weiterbeschäftigung, insbesondere wegen ihrer Kenntnisse, Fähigkeiten und Leistungen (Schlüsselkräfte), im berechtigten betrieblichen Interesse liegt (§ 1 Abs. 3 Satz 2 KSchG).

2. Zur sozialen Auswahl der vom Ausscheiden betroffenen Mitarbeiter wird folgender Schlüssel angewandt:

a. Je Beschäftigungsjahr: 1 Punkt

Ab dem 11. Dienstjahr je Dienstjahr: 2 Punkte, maximal 70 Punkte.

b. Für jedes volle Lebensjahr: 1 Punkt, maximal 55 Punkte.

c. Die Jahre der Betriebszugehörigkeit und die Lebensjahre werden ab 5/10 auf die nächst höhere Zahl aufgerundet und unter 5/10 auf die niedrigere Jahreszahl abgerundet.

d. Für Ehegatten und für jedes Kind, für das auf der Lohnsteuerkarte 2006 im Zeitpunkt der Unterzeichnung der Betriebsvereinbarung ein Kinderfreibetrag eingetragen ist, werden zusätzlich 2 Punkte gewährt.

Für Kinder, für die ein halber Kinderfreibetrag eingetragen ist, wird jedoch nur jeweils 1 Punkt gewährt. (...).

§ 4 Personalliste

1. Zur Durchführung der sozialen Auswahl werden Gruppen der vergleichbaren Mitarbeiter gebildet. Die soziale Auswahl findet in den Vergleichsgruppen statt.

2. Die Betriebsparteien stellen eine Personalliste der Mitarbeiter auf, die in den persönlichen Geltungsbereich dieser Betriebsvereinbarung fallen (§ 1 Nr. 1). Die Liste ist nach Vergleichsgruppen gegliedert. Den einzelnen Mitarbeitern werden folgende Schlüsselangaben gemäß § 3 Nr. 2 zugeordnet:

- Beschäftigungsjahre

- Lebensjahre

- Unterhaltspflichten (Ehegatte, Kinder)

- Grad der Behinderung, Gleichstellung, BVS-Inhaber

- Punktewerte gemäß § 3 Nr. 2 f. Abs. 1

- Anzahl der abzuziehenden Punkte gemäß § 3 Nr. 2 g

- Gesamtzahl der sich hieraus ergebenden Sozialpunkte.

3. Die nicht von einer Kündigung betroffenen Arbeitnehmer werden farblich grün hinterlegt. Bei den von einer Kündigung betroffenen Mitarbeitern verbleibt es beim normalen (weißen) Untergrund.

4. Mitarbeiter, die nur aufgrund eines Merkmals gemäß § 3 Nr. 1 nicht zum Kreis der von einer Kündigung betroffenen Mitarbeiter zählen, werden wie folgt gekennzeichnet:

- Mitarbeiter gemäß § 3 Nr. 1 a: bgA (besonders geschützte Arbeitnehmer)

- Mitarbeiter gemäß § 3 Nr. 1 b FK (Schlüsselkraft) (...)

6. Diese Liste ist als Anlage 1 Teil der Betriebsvereinbarung und wird von den Betriebsparteien gesondert unterzeichnet. Die Liste enthält die namentliche Bezeichnung der Arbeitnehmer, denen gekündigt werden soll (§ 1 Abs. 5 Satz 1 KSchG) (...).

Dem Interessenausgleich ist als Anlage 1 eine Personalliste beigefügt, die von den Betriebspartnern gesondert unterzeichnet ist. Auf dieser ist der Kläger als von der Kündigung betroffener Arbeitnehmer mit einer Gesamtpunktzahl von 79 genannt.

Mit Schreiben vom 11.09.2006 kündigte die Insolvenzschuldnerin das Arbeitsverhältnis mit dem Kläger zum 31.03.2007. Hiergegen richtet sich seine am 19.09.2006 beim Arbeitsgericht Wesel eingegangene und der Insolvenzschuldnerin am 25.09.2006 zugestellte Kündigungsschutzklage.

Der Kläger hat im Wesentlichen geltend gemacht:

Die Kündigung sei sozial nicht gerechtfertigt. Die Insolvenzschuldnerin könne sich nicht auf die gesetzliche Vermutung des § 1 Abs. 5 Satz 1 KSchG berufen. Die entsprechenden Voraussetzungen seien nicht erfüllt. Der Interessenausgleich vom 15.08.2006 verstoße auch gegen § 1 und § 2 Ziff. 2 AGG sowie gegen sekundäres und primäres Europarecht. Er benachteilige mit der linearen Berücksichtigung des Lebensalters jüngere Arbeitnehmer gegenüber älteren. Im Übrigen habe sich die Sachlage nach seinem Zustandekommen wesentlich geändert. Firmenchef S. habe ausweislich einer Pressemitteilung am 15.10.2006 den Verzicht auf 330 bereits ausgesprochene Kündigungen erklärt. Die Insolvenzschuldnerin habe mithin die dringenden betrieblichen Erfordernisse für die Kündigung und die von ihr vorgenommene Sozialauswahl substantiiert darzulegen. Im Rahmen der sozialen Auswahl habe sie nicht berücksichtigt, dass er einem Sohn gegenüber unterhaltspflichtig sei. Auch seien vermeintliche Leistungsträger, die sozial deutlich weniger schutzbedürftig seien, aus der sozialen Auswahl herausgenommen worden, ohne dass die Gründe dafür näher dargelegt worden seien. Die Unterhaltspflicht gegenüber seinem Sohn sei auch dem Betriebsrat nicht mitgeteilt worden. Dieser sei daher nicht ordnungsgemäß angehört worden.

Der Kläger, der auch die ordnungsgemäße Erstattung der Massenentlassungsanzeige nach § 17 KSchG bestritten hat, hat beantragt

festzustellen, dass das Arbeitsverhältnis durch die Kündigung vom 11.09.2006 zum 31.03.2007 nicht aufgelöst wird.

Die Insolvenzschuldnerin hat beantragt,

die Klage abzuweisen.

Sie hat insbesondere vorgetragen:

Die streitgegenständliche Kündigung sei rechtswirksam. Aufgrund erheblicher Auftragseinbrüche seit Mitte des Jahres 2005 könnten nur 400 Schichten unter Tage verfahren werden. Dies entspreche weniger als der Hälfte des benötigten Auftragsvolumens von 1000 Schichten. Eine Besserung der Auftragslage sei nicht abzusehen. Für die Jahre 2006 und 2007 sei ebenfalls mit maximal 500 zu verfahrenden Schichten zu rechnen, für das Jahr 2008 sogar nur mit 400 Schichten. Von dem deshalb erforderlichen Personalabbau seien ca. 500 Arbeitnehmer betroffen. Sie könne sich auf die gesetzliche Vermutung des § 1 Abs. 5 Satz 1 KSchG berufen. Der Interessenausgleich vom 15.08.2006 und die Namensliste seien im Original fest mit einer Lasche verbunden. Wenn die Namensliste getrennt vom Interessenausgleich erstellt und diesem als Anlage beigefügt sei, reiche es im Übrigen aus, wenn sie von den Betriebspartnern unterzeichnet sei und im Interessenausgleich auf sie Bezug genommen werde. Diesem Erfordernis sei genügt. Ein neuer Beschäftigungsbedarf sei nach Abschluss des Interessenausgleichs nicht eingetreten. Sie werde keine Kündigung zurücknehmen. Die nach § 3 des Interessenausgleichs vorgenommene Sozialauswahl sei nicht zu beanstanden. Der unterhaltsberechtigte Sohn sei gemäß § 3 Ziff. 2d des Interessenausgleichs nicht berücksichtigt worden, da auf der Lohnsteuerkarte des Klägers für das Jahr 2006 kein Kinderfreibetrag eingetragen sei. Der Betriebsrat sei ordnungsgemäß angehört und die Massenentlassungsanzeige ordnungsgemäß erstattet worden.

Das Arbeitsgericht Wesel hat mit seinem am 15.02.2007 verkündeten Urteil die Klage abgewiesen und dies im Wesentlichen wie folgt begründet:

Die Kündigung vom 11.09.2006 sei sozial gerechtfertigt. Sie sei durch dringende betriebliche Erfordernisse bedingt. Dies werde aufgrund der namentlichen Bezeichnung des Klägers in der Personalliste des Interessenausgleichs vom 15.08.2006 gemäß § 1 Abs. 5 Satz 1 KSchG vermutet. Da im Interessenausgleich auf die Namensliste verwiesen werde und diese unter dem 15.08.2006 von den Betriebsparteien gesondert unterzeichnet worden sei, sei die Form des § 112 Abs. 1 Satz 1 BetrVG gewahrt. Auch die von der Insolvenzschuldnerin durchgeführte soziale Auswahl sei nicht zu beanstanden. Die Herausnahme der Schlüsselkräfte sei für die Kündigung des Klägers nicht ursächlich gewesen. Auch könne die Berücksichtigung des Lebensalters nicht als ungerechtfertigte Benachteiligung des Klägers angesehen werden. Das Lebensalter sei bei der Auswahl nur ein soziales Kriterium neben anderen gewesen. Eine übermäßige Bedeutung des Lebensalters werde durch die Begrenzung der Punktzahl verhindert. Weder habe sich die Sachlage zwischen dem Abschluss des Interessenausgleichs und dem Zugang der Kündigung wesentlich geändert noch liege ein Verstoß gegen § 17 KSchG bzw. gegen § 102 Abs. 1 Satz 3 BetrVG vor.

Gegen das ihm am 03.03.2007 zugestellte Urteil hat der Kläger mit einem beim Landesarbeitsgericht am 09.03.2007 eingegangenen Schriftsatz Berufung eingelegt. Innerhalb der bis zum 04.06.2007 verlängerten Berufungsbegründungsfrist ist am 01.06.2007 das Insolvenzverfahren über das Vermögen der Insolvenzschuldnerin eröffnet und der Beklagte zum Insolvenzverwalter bestellt worden. Nach Wiederaufnahme des Verfahrens durch den Beklagten mit Schriftsatz vom 26.11.2007, zugestellt am 01.12.2007, und Verlängerung der Berufungsbegründungsfrist bis zum 02.01.2008 hat der Kläger das Rechtsmittel mit einem am 27.12.2007 beim Landesarbeitsgericht eingegangenen Schriftsatz begründet.

Der Kläger macht unter teilweiser Wiederholung seines erstinstanzlichen Vorbringens geltend:

Die Kündigung sei entgegen der Auffassung des Arbeitsgerichts sozial nicht gerechtfertigt. Die soziale Auswahl erweise sich als grob fehlerhaft. In dem Interessenausgleich vom 15.08.2006 sei in rechtswidriger Weise eine gleitende Berücksichtigung des Lebensalters vereinbart worden. Dadurch würden jüngere Arbeitnehmer unter Verstoß gegen §§ 1, 2 und 7 AGG diskriminiert. Eine Einzelabwägung der Arbeitsmarktchancen jüngerer Arbeitnehmer sei nicht erfolgt. Der Interessenausgleich sei deshalb unwirksam und die Betriebsratsanhörung möglicherweise nicht ordnungsgemäß.

Der Kläger beantragt,

das am 15.02.2007 verkündete und am 03.03.2007 zugestellte Urteil des Arbeitsgerichts Wesel - 5 Ca 2891/06 - abzuändern und festzustellen, dass das Arbeitsverhältnis durch die Kündigung vom 11.09.2006 zum 31.03.2007 nicht aufgelöst worden ist.

Der Beklagte beantragt,

die Berufung gegen das Urteil des Arbeitsgerichts Wesel vom 15.02.2007 - 5 Ca 2891/06 - zurückzuweisen.

Er verteidigt in der Berufungserwiderung in erster Linie das angefochtene Urteil und macht im Übrigen geltend, der Kläger hätte nach der in der Personalliste ausgewiesenen Punktezahl auch dann zur Kündigung angestanden, wenn das Alter bei der Sozialauswahl nicht berücksichtigt worden wäre.

Wegen des weiteren Vorbringens der Parteien im Einzelnen wird auf den mündlich vorgetragenen Inhalt der Akte ausdrücklich Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

I.

Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Arbeitsgerichts Wesel vom 15.02.2007 ist zulässig. Insbesondere wahrt die am 27.12.2007 beim Landesarbeitsgericht eingegangene Begründung die Berufungsbegründungsfrist (vgl. § 66 Abs. 1 Satz 1 ArbGG). Diese lief erst am 02.01.2008 ab. Die Eröffnung des Insolvenzverfahrens über das Vermögen der Insolvenzschuldnerin am 01.06.2007 hat gemäß § 240 ZPO i.V.m. § 64 Abs. 6 Satz 1 ArbGG und § 525 Satz 1 ZPO zur Unterbrechung des Verfahrens geführt und bewirkt, dass der Lauf der zunächst bis zum 04.06.2007 verlängerten Berufungsbegründungsfrist endete und die volle Frist nach Beendigung der Unterbrechung von neuem zu laufen begann (vgl. § 249 Abs. 1 ZPO i.V.m. § 64 Abs. 6 Satz 1 ArbGG und § 525 Satz 1 ZPO). Nach der Wiederaufnahme des Verfahrens durch den Insolvenzverwalter mit Schriftsatz vom 26.11.2007, zugestellt am 01.12.2007, ist das Ende der neuen Verlängerungsfrist deshalb gemäß Beschluss vom 28.11.2007 zur Klarstellung auf den 02.01.2008 festgesetzt worden.

II.

Die Berufung hat in der Sache keinen Erfolg. Das Arbeitsgericht hat die Kündigungsschutzklage zu Recht abgewiesen. Denn das Arbeitsverhältnis des Klägers mit der Insolvenzschuldnerin ist durch die streitgegenständliche Kündigung vom 11.09.2006 zum 31.03.2007 aufgelöst worden. Die Kammer macht sich gemäß § 69 Abs. 2 ArbGG die zutreffenden Entscheidungsgründe des erstinstanzlichen Urteils zu Eigen. Auf die Angriffe der Berufung hat sie das Folgende anzufügen:

Zutreffend hat das Arbeitsgericht die Kündigung vom 11.09.2006 nicht als rechtsunwirksam nach § 1 Abs. 1 KSchG angesehen. Mit der Vorinstanz ist davon auszugehen, dass zum einen das Vorliegen dringender betrieblicher Erfordernisse, die einer Weiterbeschäftigung des Klägers entgegenstehen (§ 1 Abs. 2 Satz 1 KSchG), nach § 1 Abs. 5 Satz 1 KSchG vermutet wird, und dass zum anderen die nur auf grobe Fehlerhaftigkeit i.S. von § 1 Abs. 5 Satz 2 KSchG überprüfbare soziale Auswahl gemäß § 1 Abs. 3 Satz 1 KSchG fehlerfrei erfolgt ist.

1. Der Interessenausgleich vom 15.08.2006 ist rechtswirksam. Die lineare Berücksichtigung des Lebensalters im Rahmen des Punktesystems für die Sozialauswahl verstößt nicht gegen höherrangiges Recht und ist damit zulässig.

a. Zum Zeitpunkt des Abschlusses des Interessenausgleichs am 15.08.2006 galt das Allgemeine Gleichbehandlungsgesetz (AGG) vom 14.08.2006 (BGBl. I S. 1897), zuletzt geändert durch Art. 19 Abs. 10 des Gesetzes zur Neuregelung des Rechtsberatungsrechts vom 12.12.2007 (BGBl. I S. 2840) noch nicht, da es erst am 18.08.2006 in Kraft getreten ist (Art. 4 Satz 1 des Gesetzes zur Umsetzung europäischer Richtlinien zur Verwirklichung des Grundsatzes der Gleichbehandlung vom 14.08.2006 (BGBl. I S. 1897)). Ob das vereinbarte Punktesystem nach Inkrafttreten des Gesetzes wegen einer fehlenden Übergangsregelung und angesichts der Bestimmung in § 7 Abs. 2 AGG dessen Anforderungen genügen muss, konnte letztlich dahingestellt bleiben. Das Punkteschema ist nämlich nach Auffassung der Kammer auch unter Geltung des AGG nicht zu beanstanden.

b. Das AGG findet im Kündigungsrecht unmittelbar keine Anwendung. Nach der in § 2 Abs. 4 AGG geregelten Bereichsausnahme gelten für Kündigungen ausschließlich die Bestimmungen zum allgemeinen und besonderen Kündigungsschutz und damit nicht diejenigen des AGG. Diese Regelung ist das Ergebnis einer vom Gesetzgeber beabsichtigten Präzisierung des Verhältnisses von KSchG und AGG, nachdem für Kündigungen zunächst vorrangig die Bestimmungen des Kündigungsschutzgesetzes gelten sollten (vgl. Gesetzentwurf der BReg. BT-Drs. 16/1780 S. 7; Beschlussempfehlung des Rechtsausschusses BT-Drs. 16/2022 S. 8).

aa. § 2 Abs. 4 AGG wird vielfach für europarechtswidrig gehalten, weil das AGG u.a. der Umsetzung der Vorgaben der Richtlinie 2000/78 EG des Rates der Europäischen Gemeinschaft vom 27.11.2000 zur Festlegung eines allgemeinen Rahmens für die Verwirklichung der Gleichbehandlung in Beschäftigung und Beruf (RL 2000/78 EG; ABl. EG Nr. L 303, S. 16) dient und diese Richtlinie ausdrücklich auch eine Anwendung für Kündigungen vorsieht. Umfang und Rechtsfolgen der angenommenen Europarechtswidrigkeit werden allerdings unterschiedlich beurteilt. Das Meinungsspektrum reicht von der Unanwendbarkeit des § 2 Abs. 4 AGG bei Kündigungen (vgl. z.B. ArbG Osnabrück 05.02.2007 - 3 Ca 724/06 - NZA 2007, 626, 628), der teilweisen Anwendbarkeit, wobei einige Stimmen (Sagan NZA 2006, 1257, 1260) die Wirksamkeit der Kündigungen, andere eine Entschädigung nach dem AGG prüfen wollen (Bauer/Göpfert/Krieger AGG, 2. Aufl. 2008, § 2 Rn. 65 ff.; Diller/Krieger/Arnold NZA 2006, 890; Schrader DB 2006, 2571, 2580; Freckmann BB 2007, 1049, 1051), bis hin zur uneingeschränkten Anwendbarkeit der Norm (Löwisch BB 2006, 2189, 2190).

bb. Nach Auffassung der Kammer ist die Herausnahme des allgemeinen und besonderen Kündigungsschutzes aus dem Anwendungsbereich des AGG im Grundsatz nicht zu beanstanden (vgl. jetzt aber Aufforderungsschreiben der EG Kommission vom 31.01.2008; hierzu Busch AiB 2008, 184 f.). Denn der Diskriminierungsschutz kann im geltenden nationalen Recht durch eine europarechtskonforme Auslegung erreicht werden (ebenso KR/Pfeiffer, 8. Aufl. 2007, AGG Rn. 8; APS/Preis, 3. Aufl. 2007, Grundlagen J Rn. 71c; ErfK/ Schlachter, 8. Aufl. 2008, AGG § 2 Rn. 17). Wenn der Gesetzgeber in Kenntnis der Anwendbarkeit der Rahmenrichtlinie auch auf Kündigungen die Umsetzung in nationales Recht vornimmt und dabei ausdrücklich regelt, dass für Kündigungen ausschließlich die Bestimmungen zum allgemeinen und besonderen Kündigungsschutz gelten, kann dieses nur bedeuten, dass er davon ausgeht, das Kündigungsschutzgesetz enthalte für sich genommen bereits ausreichende Regelungen, die der Richtlinie entsprechen. Dies bedeutet weiterhin, dass das Kündigungsschutzgesetz i.V.m. § 2 Abs. 4 AGG richtlinienkonform auszulegen ist und damit die Wertungen der RL 2000/78 EG, die im AGG zum Ausdruck gekommen sind, auf das Kündigungsschutzgesetz Anwendung finden (ebenso LAG Niedersachsen 13.07.2007 - 16 Sa 274/07 - juris). Anderenfalls würden die Normen des Kündigungsschutzgesetzes dem Gemeinschaftsrecht entgegenstehen, soweit sich hierin Regelungen befinden, die mit dieser Richtlinie nicht in Einklang zu bringen sind (vgl. zu dieser Problematik EuGH vom 22.11.2005 - C/144/04 (Mangold) - EzA TzBfG § 14 Nr. 21; EuGH vom 07.09.2006 - C/81/05 (Cordero/Alonso) - NZA 2006,1347).

c. Die lineare Punktevergabe für das Lebensalter im Interessenausgleich vom 15.08.2006 steht im Einklang mit den Regelungen des Kündigungsschutzgesetzes im Lichte der RL 2000/78 EG und verstößt nicht gegen das Verbot der Altersdiskriminierung. Hierbei ist allerdings zunächst zu berücksichtigen, dass das Kündigungsschutzgesetz bei der sozialen Auswahl (§ 1 Abs. 3 Satz 1) an das Alter anknüpft und damit jüngere Arbeitnehmer benachteiligt, die - soweit die übrigen in § 1 Abs. 3 Satz 1 KSchG genannten Sozialkriterien gleich sind - vor den älteren Arbeitnehmern zu kündigen sind. Weiter ist zu beachten, dass die übrigen Auswahlkriterien mittelbar diskriminierend wirken können, da auch die Berücksichtigung von Schwerbehinderung und Betriebszugehörigkeit eher ältere Arbeitnehmer bevorzugt. Insoweit kann das Lebensalter gerade bei linearer Berücksichtigung im Rahmen der Auswahl der Arbeitnehmer eine erhebliche Rolle zu Lasten jüngerer Arbeitnehmer spielen. Die Ungleichbehandlung ist aber nach Art. 6 RL 2000/78 EG sachlich gerechtfertigt.

aa. Nach Artikel 6 Abs. 1 Satz 1 RL 2000/78 EG können die Mitgliedstaaten vorsehen, dass Ungleichbehandlungen wegen des Alters keine Diskriminierung darstellen, sofern sie objektiv und angemessen sind und im Rahmen des nationalen Rechts durch ein legitimes Ziel, worunter insbesondere rechtmäßige Ziele aus den Bereichen Beschäftigungspolitik, Arbeitsmarkt und berufliche Bildung zu verstehen sind, gerechtfertigt und die Mittel zur Erreichung dieses Ziels angemessen sowie erforderlich sind. Derartige Ungleichbehandlungen können gemäß Artikel 6 Abs. 1 Satz 2a RL 2000/78 EG insbesondere Bedingungen für Entlassungen einschließen, um den Schutz älterer Arbeitnehmer sicherzustellen. Eine entsprechende Regelung enthält § 10 Satz 1, 2 und 3 Nr. 1 AGG.

bb. Richtlinienkonform erscheint danach bei der Festlegung von Entlassungsbedingungen, wie z.B. in § 1 Abs. 3 Satz 1 KSchG, die Berücksichtigung des Alters schlechthin (dazu neigend BAG 19.06.2007 - 2 AZR 304/06 - EzA § 1 KSchG Interessenausgleich Nr. 13 zur Rechtslage nach Inkrafttreten des AGG). Ältere Arbeitnehmer haben auf dem Arbeitsmarkt größere Schwierigkeiten, wieder einen adäquaten Arbeitsplatz zu finden, und ein verstärkter Schutz für Arbeitnehmer mit höherem Lebensalter gegenüber Arbeitnehmern mit niedrigerem Lebensalter dient gerade dazu, die ungünstigere Situation älterer Arbeitnehmer auf dem Arbeitsmarkt auszugleichen (ebenso die Antwort der BReg., BT-Drucks. 16/6316, S. 15, auf eine Große Anfrage der Abgeordneten Dyckmans u.a., BT-Drucks. 16/3725; Preis NZA 2006, 401, 409; vgl. auch LAG Niedersachsen 13.07.2007 - 16 Sa 169/07 - LAGE § 2 AGG Nr. 3; Temming, NZA 2007, 1193, 1199). Auch nach der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs steht ein - inhaltlich mit dem Verbot der Altersdiskriminierung in der RL 2000/78/EG des Rates übereinstimmender - allgemeiner Grundsatz des Gemeinschaftsrechts Regelungen, die an das Lebensalter anknüpfen, nicht im Wege, so lange sie durch legitime Ziele gerechtfertigt sind (EuGH 22.11.2005 -C-144/04 (Mangold) - EzA § 14 TzBfG Nr. 21; vgl. auch EuGH 16.10.2007 - C-411/05 (Palacios) - EzA Richtlinie 2000/78 EG-Vertrag 1999 Nr. 3). Deren Vorhandensein steht hier nicht im Streit.

cc. Ob Art. 6 Abs. 1 Satz 1 RL 2000/78 EG auch Ungleichbehandlungen auf jeder Altersstufe rechtfertigt, wie bei schematischen Zuweisungen der vorliegenden Art durch die Punktvergabe pro Lebensjahr, wird in Rechtsprechung und Literatur unterschiedlich gesehen.

Das Bundesarbeitsgericht hat es bislang genügen lassen, wenn die Chancen auf dem Arbeitsmarkt typisiert bei der Vergabe der Punkte berücksichtigt werden, und hat deshalb - zwar für Fälle vor Geltung des AGG, aber unter Prüfung des europarechtlichen Verbots der Altersdiskriminierung - eine lineare Punktevergabe für das Lebensalter für zulässig gehalten (vgl. BAG 06.09.2007 - 2 AZR 387/06 - EzA § 1 KSchG Soziale Auswahl Nr. 78; BAG 19.06.2007 - 2 AZR 304/06 - EzA § 1 KSchG Interessenausgleich Nr. 13 jeweils zu Fällen mit Altersgruppenbildung; vgl. auch nach Geltung des AGG LAG Niedersachsen 13.07.2007 - 16 Sa 274/07 - juris; LAG Niedersachsen 09.11.2007 - 16 Sa 311/07 - NZA-RR 2008, 348). In gleicher Weise hält ein Teil der arbeitsrechtlichen Fachliteratur die lineare Punktevergabe für das Lebensalter für europarechtskonform (vgl. Bauer/Krieger, FS für Richardi, 2007, S. 177, 184; Freckmann BB 2007, 1049, 1052; Löwisch/Röder/Krieger BB 2008, 610, 611; zumindest bis zum Erreichen eines bestimmten Lebensalters - zwischen 52. und 60. Lebensjahr - auch Gaul/Bonanni BB 2008, 218, 219). Teilweise wird dies aber anders gesehen (vgl. Kamanabrou, RdA 2007, 199, 202; Rolfs NZA Beilage 1 zu Heft 7/2008, 8, 14; Hamacher/Ulrich NZA 2007, 657, 662; vgl. auch Annuß BB 2006, 326; Bayreuther DB 2006, 1842, 1845; Meinel/Heyn/ Herms AGG, 2007, § 10 Rn. 32; Temming NZA 2007, 1193, 1197; v. Hoyningen-Huene/Linck KSchG, 14. Aufl. 2008, § 1 Rn. 938; Willemsen/ Schweibert NJW 2006, 2583, 2586).

dd. Die Kammer folgt der genannten Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts und hält auch unter Geltung des AGG bei richtlinienkonformer Auslegung des Kündigungsschutzgesetzes eine lineare Punktevergabe für das Lebensalter grundsätzlich für zulässig. Für diese Auffassung streiten die besseren Argumente.

Die lineare Punktevergabe für das Lebensalter verfolgt legitime, vernünftige und dem gerechten Interessenausgleich dienende Ziele. Ausgehend davon, dass das Alter letztendlich auch eine pauschalierte Berücksichtigung der Arbeitsmarktchancen beinhaltet, ist es notwendig, mit zunehmendem Alter eine stärkere Schutzbedürftigkeit anzuerkennen. Dabei ist es nicht erforderlich, jeweils eine am Einzelfall ausgerichtete Abwägung der konkreten Chancen auf dem Arbeitsmarkt vorzunehmen. Bei der Festlegung eines Punkteschemas, etwa in Form einer Auswahlrichtlinie bzw. wie im Streitfall im Rahmen eines Interessenausgleichs, ist eine solche Einzelfallprüfung von vornherein nicht möglich. Da mit Hilfe des Punktesystems die zu kündigenden Arbeitnehmer erst ermittelt werden sollen, können deren konkrete Chancen auf dem Arbeitsmarkt nicht schon in das Punktesystem einfließen. Allein möglich und deshalb ausreichend ist, wenn die Arbeitmarktchancen typisiert bei der Vergabe der Punkte berücksichtigt werden. Die lineare Berücksichtigung des Lebensalters stellt eine solche Typisierung dar. Diese trägt dem Erfahrungswert Rechnung, dass mit steigendem Lebensalter die Vermittlungschancen generell zu sinken pflegen und führt damit - mit einer "hinnehmbaren Unschärfe" - zur Berücksichtigung individueller Arbeitsmarktchancen, ohne dass das Alter allein und damit gewissermaßen abstrakt die Auswahl beeinflussen würde (vgl. BAG 06.09.2007 - 2 AZR 387/06 - EzA § 1 KSchG Soziale Auswahl Nr. 78; BAG 19.06.2007 - 2 AZR 304/06 - EzA § 1 KSchG Interessenausgleich Nr. 13). Allerdings mag es sein, dass sich die Verhältnisse auf dem Arbeitsmarkt in einer Region, in einer Branche oder auch bezüglich einer Tätigkeit anders darstellen können (z.B. wenn die Vermittlungschancen für jüngere Menschen schon besonders schlecht sind) und die lineare Punktevergabe für das Lebensalter deshalb zu keinem ausgewogenen Interessenausgleich führt. Ein solcher Ausnahmefall wird aber nur angenommen werden können, soweit besondere und eindeutige Umstände dafür sprechen, dass der genannte Erfahrungswert nicht zum Tragen kommt. In diesen Fällen hat eine spezifische, diesen Besonderheiten Rechnung tragende Punkteverteilung zu erfolgen (z.B. Altersgruppenbildung). Soweit solche Besonderheiten nicht vorliegen, bleibt es bei dem allgemeinen Erfahrungswert, der dann zur Rechtfertigung genügt.

ee. Ausgehend von diesen Grundsätzen ist die lineare Punktevergabe für das Lebensalter im Interessenausgleich vom 15.08.2006 nicht zu beanstanden. Anhaltspunkte dafür, dass die Betriebspartner hinsichtlich der Arbeitsmarktchancen besondere Umstände hätten berücksichtigen müssen, sind nicht ersichtlich und auch vom Kläger nicht aufgezeigt worden. Eine übermäßige Bedeutung des Lebensalters wird zudem dadurch verhindert, dass für das Lebensalter maximal 55 Punkte anfallen. Auch haben die Betriebspartner der Betriebszugehörigkeit gegenüber dem Lebensalter eine höhere Bedeutung zugemessen, indem sie ab dem 11. Dienstjahr pro Dienstjahr zwei Punkte vergeben haben. Angesichts dieser Gesamtumstände kann eine unverhältnismäßige Einbringung des Alters in dem Punktesystem nicht festgestellt werden.

ff. Eine andere Beurteilung ist auch nicht deshalb geboten, weil die Betriebspartner in dem Interessenausgleich vom 15.08.2006 keine abschließende Einzelfallprüfung im Hinblick auf die individuellen Chancen auf dem Arbeitsmarkt vorgesehen haben.

(1.) Im Anschluss an den zum Zeitpunkt des Ausspruchs der streitgegenständlichen Kündigung geltenden § 10 Satz 3 Nr. 6 AGG a.F. (aufgehoben mit Wirkung vom 12.12.2006 durch Art. 8 Abs. 1 Nr. 1 lit. a des Gesetzes zur Änderung des Betriebsrentengesetzes und anderer Gesetze vom 02.12.2006, BGBl. I S. 2742), wonach dem Alter kein genereller Vorrang gegenüber anderen Auswahlkriterien zukommen durfte, sondern die Besonderheiten des Einzelfalls und die individuellen Unterschiede zwischen den vergleichbaren Beschäftigten, insbesondere die Chancen auf dem Arbeitsmarkt entscheidend sein sollten, wird die Auffassung vertreten, eine solche Einzelfallprüfung sei erforderlich (vgl. Arbeitsgericht Osnabrück 03.07.2007 - 3 Ca 199/07 - NZA 2007, 982, 986; Däubler/Bertzbach/Brors, AGG, 2007, § 10 Rn. 125 f.; Löwisch/ Röder/Krieger BB 2008, 610, 611; Temming NZA 2007, 1193, 1199; so auch früher zu § 10 Satz 3 Nr. 6 AGG a.F. Bayreuther DB 2006, 1842, 1845; Löwisch BB 2006, 2582; Willemsen/Schweibert NJW 2006, 2583, 2586).

(2.) Die Kammer teilt diese Auffassung nicht. Das Bundesarbeitsgericht hat mit Urteil vom 09.11.2006 (- 2 AZR 812/05 - NZA 2007, 549, 552) in Bezug auf die Verwendung eines entsprechenden Punkteschemas deutlich gemacht hat, dass eine abschließende Einzelfallbetrachtung nicht mehr erforderlich ist. Der Arbeitgeber ist berechtigt, das Ergebnis seiner Punktvergabe der Entscheidung über die von der Kündigung betroffenen Arbeitnehmer zugrunde zu legen. Auch wenn die Entscheidung des Bundesarbeitsgerichts einen Fall vor Geltung des AGG betraf, ist die Rechtslage nach Inkrafttreten des AGG im Lichte des Art. 6 Abs. 1 Satz 1 RL 2000/78 EG nicht anders zu beurteilen. Art. 6 Abs. 1 der Richtlinie fordert eine Einzelfallbetrachtung nicht expressis verbis, sondern lässt es genügen, dass eine Regelung durch ein legitimes Ziel aus dem Bereich der Beschäftigungspolitik und des Arbeitsmarktes gerechtfertigt ist. Diese Anforderungen sind auch bei einer typisierten Betrachtungsweise, wie sie einem Punkteschema eigen ist, erfüllt. Ein Punktesystem erfasst zwar wegen seines abstraktgenerellen Charakters nicht die konkreten Vermittlungsmöglichkeiten des einzelnen Arbeitnehmers und ist deshalb insoweit ungenau. Im Interesse einer handhabbaren und rechtssicheren sozialen Auswahl insbesondere bei Massenentlassungen erscheint dies aber hinnehmbar. Anderenfalls wäre der Arbeitgeber gehalten, bezüglich jedes Arbeitnehmers ggfs. Erkundigungen einzuholen, um dessen Vermittlungschancen sicher einschätzen zu können. Derart weitreichende Pflichten vermag die Kammer der europäischen Richtlinie nicht zu entnehmen (vgl. auch Bauer/Krieger, a.a.O. S. 177, 187; Freckmann BB 2007, 1049, 1052).

2. Auch die Anwendung der Punktetabelle im konkreten Fall lässt eine grobe Fehlerhaftigkeit i.S. von § 1 Abs. 5 Satz 2 KSchG (vgl. hierzu näher BAG 17.01.2008 - 2 AZR 405/06 - juris, demnächst EzA § 1 KSchG Soziale Auswahl Nr. 80) nicht erkennen und führt damit nicht zur Unwirksamkeit der streitbefangenen Kündigung gemäß § 1 Abs. 1, Abs. 3 Satz 1 KSchG.

Konkrete Angriffe gegen die Umsetzung der Punktetabelle hat der Kläger mit der Berufung nicht erhoben. Die erstinstanzlich geäußerten Bedenken wegen der Nichtberücksichtigung der Unterhaltsverpflichtung gegenüber seinem Sohn hat er nicht weiter verfolgt. Der Kläger hat damit keine Umstände dargelegt, die eine andere Auswahlentscheidung bedingt hätten. Der Beklagte hat dagegen in der Berufungserwiderungsschrift konkret anhand der erreichten Punktzahlen und des jeweiligen Alters der Arbeitnehmer aufgezeigt, dass der Kläger selbst dann, wenn das Lebensalter bei der Punktevergabe nicht berücksichtigt worden wäre, nicht sozial schutzwürdiger gewesen wäre als die nicht gekündigten Arbeitnehmer. Dem ist der für eine nicht ausreichende Sozialauswahl nach § 1 Abs. 3 Satz 1 KSchG darlegungs- und beweispflichtige Kläger (vgl. § 1 Abs. 3 Satz 3 KSchG) nicht entgegengetreten. Die Sozialauswahl war danach nicht grob fehlerhaft i.S. von § 1 Abs. 5 Satz 2 KSchG, zumal der Kläger in jedem Fall zur Kündigung angestanden hätte (vgl. zur Abkehr von der sog. "Dominotheorie" BAG 09.11.2006 - 2 AZR 812 - 817/05 - EzA § 1 KSchG Soziale Auswahl Nr. 71).

3. Da das in dem Interessenausgleich vom 15.08.2006 vereinbarte Punkteschema zulässig ist, bestehen auch unter diesem Aspekt keine Bedenken an der ordnungsgemäßen Betriebsratsanhörung (§ 102 Abs. 1 BetrVG).

III.

Die Kostenentscheidung ergibt sich aus § 97 Abs. 1 ZPO i.V.m. § 64 Abs. 6 Satz 1 ArbGG.

Für die Zulassung der Revision an das Bundesarbeitsgericht bestand ein gesetzlicher Grund (vgl. § 72 Abs. 2 Nr. 1 ArbGG). Die Rechtssache hat grundsätzliche Bedeutung.

Ende der Entscheidung

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