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Beginn der Entscheidung

Gericht: Landesarbeitsgericht Düsseldorf
Urteil verkündet am 04.03.2009
Aktenzeichen: 2 Sa 1587/08
Rechtsgebiete: TV-N NW


Vorschriften:

TV-N NW § 11 Abs. 1 Satz 4
Bemessungsgrundlage für die nach § 11 Abs. 1 Satz 4 TV-N NW mögliche Umwandlung der in § 11 Abs. 1 Satz 2 TV-N NW aufgeführten Zeitzuschläge für die dort genannten Sonderformen der Arbeitszeit in Zeit ist nicht der jeweils angegebene Prozentsatz bezogen auf eine Stunde, sondern das auf der Basis der Stufe 1 der jeweiligen Entgeltgruppe errechnete Zeitzuschlagsentgelt. Dieses ist in Relation zur individuellen Vergütung des Arbeitnehmers zu setzen.
Tenor:

Auf die Berufung der Beklagten wird das Urteil des Arbeitsgerichts Solingen vom 26.3.2008 - 5 Ca 714/08 - abgeändert:

Die Klage wird abgewiesen.

Der Kläger trägt die Kosten des Rechtsstreits.

Die Revision wird zugelassen.

Tatbestand:

Die Parteien streiten über die Auslegung von § 11 Abs. 1 Satz 4 des Spartentarifvertrages Nahverkehrsbetriebe vom 25.05.2001 (im Folgenden: TV-N NW).

Der Kläger ist seit dem 01.09.1988 als Elektroinstallateur bei der Beklagten beschäftigt. Auf das Arbeitsverhältnis findet kraft einzelvertraglicher Inbezugnahme der TV-N NW Anwendung. Unter § 11 Abs. 1 heißt es auszugsweise wie folgt:

"(1) Der Arbeitnehmer erhält neben dem Entgelt für die tatsächliche Arbeitsleistung einen Zeitzuschlag. Er beträgt für

a) Überstunden 30 v.M.,

b) Nachtarbeit 25 v.M.,

c) Sonntagsarbeit 25 v.M.,

d) Feiertagsarbeit 135 v.M.

...

des auf eine Stunde entfallenden Anteils des monatlichen Entgelts der Stufe 1 seiner Entgeltgruppe. Beim Zusammentreffen mehrerer Zeitzuschläge nach Satz 2 Buchst. c) bis f) wird nur der jeweils höchste Zeitzuschlag gezahlt.

Die nach den vorstehenden Sätzen zu zahlenden Zeitzuschläge können auf schriftlichen Antrag im Verhältnis 1:1 in Zeit umgewandelt und dem Arbeitszeitkonto (§ 12) zugeführt werden.

Zeitzuschläge nach Unterabs. 1 Satz 2 verringern sich um jeweils 10 Prozentpunkte, wenn der AN sich gemäß Unterabs. 2 Satz 2 für die Abgeltung entscheidet.

......

(3) Für die Rufbereitschaft wird eine tägliche Pauschale je Entgeltgruppe bezahlt... Absatz 1 Unterabs. 3 gilt entsprechend.

... "

Der Kläger wird nach Entgeltgruppe VII Stufe 5 TV-N NW vergütet. In der Zeit vom 02.01.2008 bis zum 31.08.2008 fielen bei ihm Rufbereitschaft/Überstun-den/Nachtarbeit und auch Feiertagsarbeit an. Auf seinen Antrag auf Umwandlung der Zeitzuschläge in Zeit schrieb die Beklagte ihm auf dem eingerichteten Arbeitszeitkonto insgesamt 120,37 Stunden gut. Dabei ging sie von dem auf der Basis der Stufe 1 seiner Entgeltgruppe errechneten Zeitzuschlagsentgelt aus und setzte dies ins Verhältnis zu der Arbeitszeit, die der Kläger mit der höheren Stufe 5 benötigt, um das Zeitzuschlagsentgelt zu verdienen.

Mit seiner am 09.05.2008 beim Arbeitsgericht Solingen eingereichten und der Beklagten am 15.05.2008 zugestellten Klage macht der Kläger die fehlerhafte Berechnung der Zeitgutschrift geltend.

Er hat im Wesentlichen ausgeführt:

Die Berechnung der Beklagten entspreche nicht den tariflichen Vorgaben. Die Zeitgutschrift errechne sich aus dem Prozentsatz, der in § 11 Abs. 1 Satz 2 TV-N NW angegeben sei, bezogen auf eine Stunde. Nur dieses Verständnis entspreche dem Willen der Tarifvertragsparteien. Die Handhabung der Beklagten führe zu einer nicht zu rechtfertigenden Ungleichbehandlung der Arbeitnehmer. Es ergebe sich in Abhängigkeit von der Stufe innerhalb einer Entgeltgruppe eine unterschiedliche Zeitgutschrift. Je höher die Stufe sei, desto geringer sei die Zeitgutschrift. Anderseits führe eine höhere Entgeltgruppe zu einem Anstieg der Freizeitausgleichsmenge. Dieses Ergebnis sei nicht nachvollziehbar. Wenn der Zeitzuschlag, der sich auf der Basis der Stufe 1 berechne, in einer Entgeltgruppe gleich sei, müsse dies auch für die Umwandlung in Zeit gelten. Ausweislich ihres Rundschreibens vom 14.03.2005 habe die Beklagte diese Auffassung zunächst selbst vertreten. Zahlreiche Nahverkehrsunternehmen in Nordrhein-Westfalen, die - wie die Beklagte - Mitglied des Kommunalen Arbeitgeberverbandes NRW seien, würden den Tarifvertrag in diesem Sinne anwenden. Auch aus anderen Bereichen, z.B. dem TV-L, sei eine vergleichbare Problematik bekannt.

Der Kläger, der für den streitbefangenen Zeitraum ein um 29,93 Freizeitstunden höheres Zeitguthaben errechnet, beantragt,

die Beklagte zu verurteilen, seinem Arbeitszeitkonto 29,93 Freizeitstunden gutzuschreiben.

Die Beklagte beantragt,

die Klage abzuweisen.

Sie hat insbesondere geltend gemacht:

Die Tarifvertragsparteien hätten mit § 11 Abs. 1 Satz 2 TV-N NW pro Entgeltgruppe feste Zeitzuschläge auf der Basis der Stufe 1 vereinbart. Dieser Ansatz werde bei der Faktorisierung fortgesetzt. Der Arbeitnehmer erhalte eine dem Geldwert entsprechende Zeitgutschrift. Das Verhältnis zwischen Zeitzuschlags- zahlbetrag und individuellem Stundenlohn bleibe damit erhalten. Ein Verstoß gegen den Gleichbehandlungsgrundsatz liege nicht vor. Soweit der Tarifvertrag anders angewendet werden sollte, beruhe dies auf einer falschen Auslegung. Die Regelungen im TV-L seien nicht vergleichbar.

Mit seinem am 26.09.2008 verkündeten Urteil hat das Arbeitsgericht nach Einholung einer Auskunft bei den Tarifvertragsparteien unter Zulassung der Berufung der Klage stattgegeben und dies vor allem wie folgt begründet:

Die im Tarifvertrag vorgesehene Umwandlung des Geldbetrages in Zeit "im Verhältnis 1:1" könne nur bedeuten, dass der Rechenweg zur Ermittlung der Zeit dem zur Ermittlung des Geldbetrages entspreche. Es müsse der Zeitzuschlag zum Stundenentgelt der Stufe 1 der jeweiligen Entgeltgruppe ins Verhältnis gesetzt werden. Dem Wortlaut des Tarifvertrages könne nicht entnommen werden, dass der Zeitzuschlag ins Verhältnis zum Stundenentgelt der jeweiligen Stufe des Arbeitnehmers zu setzen sei. Der Ansatz der Beklagten verkenne, dass alle Arbeitnehmer einer Entgeltgruppe für einen bestimmten Zeitzuschlag die gleiche Zeit arbeiten müssten. Entsprechend könne eine Umwandlung 1:1 auch nur bedeuten, dass die Arbeitnehmer die gleiche Zeitgutschrift erhalten müssten. Wenn es danach für die Arbeitnehmer höherer Stufen gün-stiger sei, sich für eine Zeitgutschrift zu entscheiden, werde damit nur ein weiterer Anreiz geschaffen, sich statt für die Auszahlung für Freizeit zu entscheiden.

Gegen das ihr am 22.10.2008 zugestellte Urteil hat die Beklagte mit einem am 17.11.2008 beim Landesarbeitsgericht eingegangenen Schriftsatz Berufung eingelegt und diese mit einem hier am 17.12.2008 eingereichten Schriftsatz begründet.

Die Beklagte trägt unter teilweiser Wiederholung ihres erstinstanzlichen Vorbringens vor allem vor:

Das Arbeitsgericht habe den Tarifvertrag fehlerhaft ausgelegt. Ihm folgend wäre bei der Berechnung der Zeitgutschrift die individuelle Stufe des Arbeitnehmers maßgebend und nicht die Stufe 1 der jeweiligen Entgeltgruppe. Dies sei mit dem Wortlaut des Tarifvertrages nicht vereinbar und auch von den Tarifvertragsparteien nicht gewollt gewesen. Bei dem TV-N NW handele es sich um einen Restrukturierungstarifvertrag, der eine Steigerung der Arbeitsproduktivität und nicht eine Erhöhung der Arbeitskosten zum Ziel gehabt habe.

Die Beklagte beantragt,

das Urteil des Arbeitsgerichts Solingen vom 26.09.2008 - 5 Ca 714/08 - abzuändern und die Klage abzuweisen.

Der Kläger beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Er verteidigt das angefochtene Urteil.

Wegen des weiteren Vorbringens der Parteien im Einzelnen wird auf den mündlich vorgetragenen Inhalt der Akte ausdrücklich Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

A.

Die vom Arbeitsgericht gemäß § 64 Abs. 3 Ziff. 2 b ArbGG zugelassene Berufung der Beklagten ist begründet. Denn die Klage ist entgegen der Auffassung der Vorinstanz unbegründet.

Dem Kläger steht ein Anspruch gegen die Beklagte auf eine weitere Zeitgutschrift für die in der Zeit vom 02.01.2008 bis zum 31.08.2008 geleisteten Sonderformen der Arbeitszeit gemäß § 11 Abs. 1 Satz 4 TV-N NW nicht zu. Die Beklagte hat die erteilten Zeitgutschriften richtig berechnet. Bemessungsgrundlage für die Umwandlung der Zeitzuschläge in Zeit ist nicht der in § 11 Abs. 1 Satz 2 TV-N NW angegebene Prozentsatz bezogen auf eine Stunde, sondern das auf der Basis der Stufe 1 der jeweiligen Entgeltgruppe errechnete Zeitzuschlagsentgelt, das in Relation zu setzen ist zur individuellen Vergütung des Arbeitnehmers. Das ergibt die Auslegung des Tarifvertrages.

1. Tarifverträge sind grundsätzlich wie Gesetze auszulegen. Auszugehen ist zunächst vom Tarifwortlaut. Es ist jedoch über den reinen Wortlaut hinaus der wirkliche Wille der Tarifvertragsparteien und der damit von ihnen beabsichtigte Sinn und Zweck der Tarifnorm zu berücksichtigen, sofern und soweit dies in den Tarifnormen seinen Niederschlag gefunden hat. Hierzu ist auch auf den tariflichen Gesamtzusammenhang abzustellen, weil häufig nur aus ihm und nicht aus der einzelnen Tarifnorm auf den wirklichen Willen der Tarifvertragsparteien geschlossen und nur bei Berücksichtigung des Gesamtzusammenhangs der Sinn und Zweck zutreffend ermittelt werden kann (vgl. BAG 25.04.2007 - 10 AZR 110/06 - juris; BAG 22.10.2002 - 3 AZR 664/01 - AP TVG § 1 Auslegung Nr. 185; BAG 12.09.1984 - 4 AZR 336/82 - BAGE 46, 308). Noch verbleibende Zweifel können ohne Bindung an eine Reihenfolge mittels weiterer Kriterien wie der Entstehungsgeschichte des Tarifvertrages, gegebenenfalls auch der praktischen Tarifübung geklärt werden. Im Zweifel gebührt derjenigen Tarifauslegung der Vorzug, die zu einer vernünftigen, sachgerechten, zweckorientierten und praktisch brauchbaren Regelung führt (BAG 22.10.2002 - 3 AZR 664/01 - a.a.O.; BAG 05.10.1999 - 4 AZR 578/98 - AP TVG § 4 Verdienstsicherung Nr. 15).

2. Dem Wortlaut in § 11 Abs. 1 Satz 2 TV-N NW folgend ist zunächst festzustellen, dass es sich bei den Zeitzuschlägen, die die Tarifvertragsparteien als Ausgleich für bestimmte Sonderformen der Arbeitszeit vorgesehen haben, tatsächlich um Geldzuschläge handelt. Das hat das Arbeitsgericht nicht ausreichend berücksichtigt. § 11 Abs. 1 Satz 2 TV-N NW bestimmt nämlich, dass die Zeitzuschläge einen bestimmten Prozentsatz des auf eine Stunde entfallenden Anteils des monatlichen Entgelts betragen.

3. Soweit § 11 Abs. 1 Satz 2 TV-N NW weiter auf das monatliche Entgelt der Stufe 1 der jeweiligen Entgeltgruppe abstellt, bedeutet dies: Für die Berechung des Geldzuschlags ist nicht das individuelle Tabellenentgelt, sondern unabhängig von der individuellen Stufe, das Entgelt der Stufe 1 maßgebend. Da ab der Stufe 2 bis zur Stufe 6 einer jeden Entgeltgruppe des TV-N NW höhere Entgelte bzw. Stundenentgelte gezahlt werden, führt dies zu einem festen Geldzuschlag in jeder Entgeltgruppe unabhängig von der jeweiligen Stufe mit der weiteren Folge, dass sich bei Arbeitnehmern derselben Entgeltgruppe, die unterschiedlichen Stufen zugeordnet sind, die Relation des Zuschlagsbetrages zum jeweiligen Stundenentgelt ändert. Je höher die Stufe ist, desto geringer ist der prozentuale Anteil des Geldzuschlags.

4. Wenn unter Beachtung dieser Vorgaben § 11 Abs. 1 Satz 4 TV-N NW vorsieht, dass die "nach den vorstehenden Sätzen zu zahlenden Zeitzuschläge", richtigerweise Geldzuschläge, "im Verhältnis 1:1 in Zeit umgewandelt" werden, kann dies wortgetreu nur bedeuten, dass der auf der einen Seite stehende Zuschlagsbetrag dem auf der anderen Seite stehenden Betrag, sprich dem Freizeitentgelt entsprechen muss, das für die gutgeschriebene Zeit zu gewähren ist. Da die Zeitzuschläge fest an der Stufe 1 der jeweiligen Entgeltgruppe ausgerichtet sind, muss sich dies folgerichtig auch auf die Zeitgutschrift auswirken, die in Relation zu der individuellen Vergütung zu setzen ist und die mithin je nach der Stufe des Arbeitnehmers differiert.

5. Dieses Verständnis führt zu einer in sich stimmigen, konsequenten und zweckorientierten Regelung. Bei dem TV-N NW handelt es sich, wie die Beklagte unwidersprochen vorgetragen hat, um einen Restrukturierungstarifvertrag. Die Tarifvertragsparteien haben als Ausgleich für die jeweiligen Sonderformen der Arbeitszeit gemäß § 11 Abs. 1 Satz 2 TV-N NW im Ergebnis jeder Entgeltgruppe einen festen Geldbetrag zuerkannt, der nicht schon mit der höheren Stufe, sondern erst mit der höheren Entgeltgruppe ansteigt. Die Ausrichtung des Betrages an der niedrigsten Stufe 1 der jeweiligen Entgeltgruppe verdeutlicht, dass es ihnen auch insoweit um Kosteneinsparung ging. Anderenfalls hätte es nahegelegen, wie z.B. im Rahmen des TV-L geschehen, sich an der mittleren Stufe 3 zu orientieren. Ist der Zeitzuschlag aber an die Stufe 1 gebunden und soll dieser Zuschlag anschließend in Zeit umgewandelt werden, wirkt sich die Bindung an die Stufe 1 und die damit einhergehende verhältnismäßige Schlechterstellung der Arbeitnehmer mit höherer Stufe zwangsläufig auch bei der Faktorisierung aus. Jedenfalls müsste, wenn bei der Umwandlung in Zeit andere Maßstäbe gelten sollten, dies hinreichend deutlich im Tarifvertrag zum Ausdruck kommen. Dies gilt umso mehr, als mit einer anderen Regelung eine höhere Kostenlast für die Arbeitgeberseite verbunden wäre, was an sich dem Zweck des Tarifvertrages zuwiderlaufen würde. Eine solche deutliche Regelung liegt indes nicht vor. Die Vereinbarung "im Verhältnis 1:1" steht dem entsprechend den obigen Ausführungen entgegen.

6. Auch die tarifliche Systematik spricht für dieses Auslegungsergebnis.

§ 11 Abs. 1 TV-N NW regelt zunächst unter Satz 1, 2 und 3 die Höhe des Zeitzuschlags als Entgeltzuschlag unter Bindung an die Stufe 1 der jeweiligen Entgeltgruppe, sodann unter Satz 4 die Zeitumwandlung und erst unter Satz 5 die Auszahlung. Wenn die Auffassung des Klägers richtig wäre und die Berechung der Zeitgutschrift sich unabhängig von der jeweiligen Stufe des Arbeitnehmers nur nach dem Prozentsatz bezogen auf eine Stunde richten würde, hätte es doch nahegelegen, zunächst den Zeitausgleich unter Hinweis auf die Prozentsätze zu regeln und erst anschließend im Rahmen der Auszahlung auf die Bindung an die Stufe 1 einzugehen. Die quasi vor die Klammer gezogene Regelung des Zeitzuschlages mit der Bindung an die Stufe 1 verdeutlicht, dass diese Beschränkung allgemein, mithin auch für den Freizeitausgleich, gelten soll und das Zeitzuschlagsentgelt damit bei der Umwandlung in Zeit ins Verhältnis zu der individuellen Vergütung zu setzen ist.

7. Die vom Arbeitsgericht eingeholten Stellungnahmen der Tarifvertragsparteien führen zu keiner anderen Erkenntnis. Ein übereinstimmendes Verständnis der streitbefangenen Regelungen besteht dort nicht. Die Stellungnahmen der Tarifvertragsparteien beschränken sich im Wesentlichen auf die Erläuterung der von ihnen vertretenen unterschiedlichen Rechtsauffassung. Ihnen ist nicht zu entnehmen, dass in Bezug auf die Berechnung der Zeitzuschläge und deren Faktorisierung bei Abschluss des Tarifvertrages konkrete Erklärungen abgegeben worden sind. Der ver.di Landesverband NRW hat mit Schreiben vom 13.06.2008 ausgeführt, das Verhältnis 1:1 beziehe sich auf den prozentualen Anteil gemessen an einer vollen Stunde. Die Tarifvertragsparteien hätten bei dieser Regelung den Vorrang von Freizeit vor Vergütung im Blick gehabt. Es sei schwerpunktmäßig darum gegangen, die belastenden Tätigkeiten im Rahmen des Gesundheitsschutzes durch vermehrten Freizeitausgleich zu kompensieren. Demgegenüber hat der Kommunale Arbeitgeberverband NW mit Schreiben vom 25.06.2008 darauf hingewiesen, mit dem Tatbestandsmerkmal "im Verhältnis 1:1" werde vorgegeben, dass das auf Basis der Stufe 1 zu zahlende Zeitzuschlagsentgelt in Relation zu dem individuellen Entgelt zu setzen sei, welches während des Freizeitausgleichs zu zahlen sei. Diese Auslegung des Tarifvertrages werde gestützt durch die sinn- und zweckgerechte Interpretation des TV-N NW als Restrukturierungstarifvertrag. Vor diesem Hintergrund sei eine Besserstellung des Freizeitausgleichs von den Tarifvertragsparteien nicht gewollt gewesen und auch nach dem objektiven Inhalt des Tarifvertrages nicht geregelt worden. Im Ergebnis sind damit nur die Positionen wiedergegeben worden, die von den Parteien in diesem Rechtsstreit eingenommen werden.

8. Ein Verstoß gegen den allgemeinen Gleichbehandlungsgrundsatz des Art. 3 Abs. 1 GG liegt entgegen der Rechtsauffassung des Klägers bei diesem Verständnis der tariflichen Regelungen nicht vor.

a) Es besteht weitgehend Einigkeit, dass auch die Tarifvertragsparteien den allgemeinen Gleichheitssatz zu beachten haben (vgl. nur BAG 16.08.2005 - 9 AZR 378/04 - AP TVG § 1 Gleichbehandlung Nr. 8). Streitig ist lediglich geblieben, ob sich diese Bindung aus einer unmittelbaren oder einer nur mittelbaren Geltung des Art. 3 Abs. 1 GG ergibt. Für den Prüfmaßstab selbst ist die dogmatische Herleitung ohne Bedeutung (vgl. z.B. BAG 27.05.2004 - 6 AZR 129/03 - AP TVG § 1 Gleichbehandlung Nr. 5).

b) Der Gleichheitssatz verbietet es, wesentlich gleich liegende Sachverhalte ohne sachlichen Grund unterschiedlich zu behandeln. Eine Ungleichbehandlung liegt vor, wenn sich für die vorgenommene Differenzierung kein vernünftiger, sich aus der Natur der Sache ergebender oder sonst wie einleuchtender Grund finden lässt, wenn also die Regelung als willkürlich anzusehen ist. Der Gleichheitssatz wird durch eine Tarifnorm verletzt, wenn die Tarifvertragsparteien es versäumt haben, tatsächliche Gleichheiten oder Ungleichheiten der zu ordnenden Lebensverhältnisse zu berücksichtigen, die so bedeutsam sind, dass sie bei einer am allgemeinen Gerechtigkeitsgedanken orientierten Betrachtung hätten beachtet werden müssen (st. Rspr., z.B. BAG 16.08.2005 - 9 AZR 378/04 - AP TVG § 1 Gleichbehandlung Nr. 8; BAG 19.03.1996 - 9 AZR 1051/94 - AP BAT § 47 Nr. 20). Je nach Regelungsgegenstand und Differenzierungsmerkmalen bestimmen sich die Anforderungen an die Sachgründe vom Willkürverbot bis hin zu einer Prüfung der Verhältnismäßigkeit. Ein um so engerer Prüfmaßstab ist angezeigt, je mehr sich die Differenzierungsgründe den in Art. 3 Abs. 2 und Abs. 3 GG geregelten Benachteiligungsverboten nähern.

c) Die gerichtliche Kontrolle wird allerdings durch die den Tarifvertragsparteien durch Art. 9 Abs. 3 GG gewährleistete Tarifautonomie begrenzt. Den Tarifvertragsparteien steht eine Einschätzungsprärogative zu, soweit es um die Beurteilung des tatsächlichen Regelungsbedarfs, insbesondere der betroffenen Interessen und die Rechtsfolgen geht. Ihnen steht ein Beurteilungsspielraum bezüglich der inhaltlichen Gestaltung der Regelungen zu (vgl. BAG 18.05. 1999 - 9 AZR 419/98 - AP TVG § 1 Tarifverträge: Fleischerhandwerk Nr. 1). Es ist deshalb nicht Aufgabe der Gerichte zu prüfen, ob die Tarifvertragsparteien die zweckmäßigste, vernünftigste und gerechteste Lösung für das Regelungsproblem gefunden haben. Vielmehr genügt es regelmäßig, wenn sich für ihre vereinbarte Regelung ein sachlich vertretbarer Grund ergibt (st.Rspr., z.B. BAG 16.08.2005 - 9 AZR 378/04 - AP TVG § 1 Gleichbehandlung Nr. 8; BAG 22.03. 2005 - 1 AZR 49/04 - AP BetrVG 1972 § 75 Nr. 48; BAG 27.05.2004 - 6 AZR 129/03 - AP TVG § 1 Gleichbehandlung Nr. 5).

d) Diesen rechtlichen Anforderungen hält § 11 Abs. 1 Satz 4 TV-N NW stand. Richtig ist zwar, dass den Arbeitnehmern bei dem hier angenommenen Verständnis trotz gleicher Arbeitsleistung weniger Freizeit gutgeschrieben wird, je höher ihre individuelle Stufe ist. Soweit der Kläger deshalb die Ungleichbehandlung gleicher Sachverhalte annimmt, verkennt er aber die Systematik des Tarifvertrages. Die Tarifvertragsparteien haben als Ausgleich für die jeweiligen Sonderformen der Arbeitszeit gemäß § 11 Abs. 1 Satz 2 TV-N NW im Ergebnis jeder Entgeltgruppe nur einen festen Geldbetrag zuerkannt, der unabhängig von der jeweiligen Stufe erst mit der höheren Entgeltgruppe ansteigt. Insoweit besteht innerhalb einer Entgeltgruppe eine Gleichbehandlung der Arbeitnehmer und im Verhältnis zur höheren Entgeltgruppe eine an der höheren Vergütung orientierte und damit sachlich gerechtfertigte Ungleichbehandlung. Ob dies die gerechteste Lösung für das Regelungsproblem ist, unterliegt dabei nicht der gerichtlichen Prüfung. Nur dieser Geldbetrag wird dem Arbeitszeitkonto gutgeschrieben, wenn der Arbeitnehmer sich für die Umwandlung in Zeit entscheidet. Die Tatsache, dass die letztlich gutgeschriebene Arbeitszeit je nach der individuellen Stufe des Arbeitnehmers unterschiedlich lang ist, hat ihren Grund mithin in der unterschiedlich hohen Vergütung der Arbeitnehmer, und ist damit wiederum sachlich gerechtfertigt.

9. Dem gefundenen Ergebnis steht auch nicht entgegen, dass die Tarifvertragsparteien die Freizeitgewährung begünstigen wollten. Die entsprechende Absicht folgt zwar aus § 11 Abs. 1 letzter Satz TV-N NW. Danach verringern sich die Zeitzuschläge nämlich um jeweils 10 %-Punkte, wenn sich der Arbeitnehmer für deren Abgeltung entscheidet. Dem Wortlaut des § 11 Abs. 1 letzter Satz TV-N NW lässt sich jedoch nicht entnehmen, diese Begünstigung solle auch soweit gehen, dass die Bindung des Zeitzuschlages an die Stufe 1 bei der Umwandlung in Zeit entfalle.

10. Für die Auslegung der streitbefangenen Regelung kommt es auf die Handhabung im Geltungsbereich des TV-L nicht an. § 8 Abs. 4 Satz 1 TV-L sieht nämlich - anders als § 11 Abs. 1 Satz 4 TV-N NW - ausdrücklich vor, dass die zu zahlenden Zeitzuschläge entsprechend dem "jeweiligen Vomhundertsatz einer Stunde in Zeit umgewandelt (faktorisiert) und ausgeglichen werden". Die Rechtslage im Anwendungsbereich des TV-L ist damit nicht vergleichbar.

11. Unerheblich ist schließlich auch, ob andere Nahverkehrsunternehmen in Nordrhein-Westfalen, die - wie die Beklagte - Mitglied des Kommunalen Arbeitgeberverbandes NRW sind, den Tarifvertrag in dem vom Kläger vorgetragenen Sinne anwenden. Selbst wenn dies der Fall wäre, könnte daraus - zumal vor dem Hintergrund der unterschiedlichen Stellungnahmen der Tarifvertragsparteien - nicht der Schluss gezogen werden, der Arbeitgeberverband habe den Tarifvertrag zunächst selbst so verstanden. Dabei ist nämlich zu berücksichtigen, dass der Wortlaut des Tarifvertrages kompliziert ist, sein Inhalt sich erst nach genauer Auslegung erschließt und die Umsetzung eine nicht ganz einfache Berechnung erfordert. Eine vor diesem Hintergrund unrichtige Anwendung des Tarifvertrages kann aber kein Auslegungskriterium sein.

B.

Die Kosten des Rechtsstreits trägt gemäß § 91 Abs. 1 ZPO i.V.m. § 64 Abs. 6 ArbGG der Kläger als unterlegene Partei.

Die Revision an das Bundesarbeitsgericht war nach § 72 Abs. 2 Nr. 1 ArbGG zuzulassen, da die Rechtssache grundsätzliche Bedeutung hat.

Ende der Entscheidung

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