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Beginn der Entscheidung

Gericht: Landesarbeitsgericht Düsseldorf
Beschluss verkündet am 24.06.1998
Aktenzeichen: 4 (5) TaBV 27/98
Rechtsgebiete: BGB, TVG, TV, BetrVG


Vorschriften:

BGB § 317
BGB § 319
TVG § 1
TV § 3 Nr. 1
TV § 2 Abs. 2
BetrVG § 99 Abs. 4
Der Arbeitgeber hat gemäß dem Tarifvertrag zur Beschäftigungssicherung für die metallverarbeitende Industrie von Nordrhein-Westfalen vom 15.03.1994 keine Möglichkeit, die Frage, ob der Betriebsrat zu Recht seine Zustimmung verweigert hat, im Beschlußverfahren zu überprüfen. Die verfassungsrechtlichen Bedenken, die sich aus dieser Rechtslage ergeben, führen allein dazu, dem betroffenen Arbeitnehmer den tarifvertraglich gewährten Anspruch auf Begründung eines sechsmonatigen Arbeitsverhältnisses nach Beendigung des Ausbildungsverhältnisses dann zu gewähren, wenn der Betriebsrat zu Unrecht seine Zustimmung verweigert hat.
LANDESARBEITSGERICHT DÜSSELDORF IM NAMEN DES VOLKES BESCHLUSS

Geschäfts-Nr.: 4 (5) TaBV 27/98

Verkündet am : 24.06.1998

In der Beschlußsache

hat die 4. Kammer des Landesarbeitsgerichts Düsseldorf in dem Anhörungstermin am 24.06.1998 durch den Vorsitzenden Richter am Landesarbeitsgericht Dr. Peter als Vorsitzenden sowie den ehrenamtlichen Richter Ring und den ehrenamtlichen Richter Kemmerlings beschlossen:

Tenor:

Die Beschwerde der Beteiligten zu 1) gegen den Beschluß des Arbeitsgerichts Solingen vom 17.02.1998 wird zurückgewiesen. Die Rechtsbeschwerde wird für die Beteiligte zu 1) zugelassen.

Gründe:

I.

Der Beteiligte zu 1) beschäftigte seit dem 01.09.1992 Herrn S.teinho als Auszubildenden als Werkzeugmechaniker. Dieser hat am 23.01.1998 seine Abschlußprüfung abgelegt. Die Beteiligte zu 1) teilte ihm am 15.09.1997 schriftlich mit, daß die Beteiligte zu 1) keine Möglichkeit sehe, ihn in ein unbefristetes bzw. für sechs Monate befristetes Arbeitsverhältnis nach Ablegung der Abschlußprüfung zu übernehmen.

Auf das Ausbildungsverhältnis findet kraft beiderseitiger Verbandszugehörigkeit der Tarifvertrag zur Beschäftigungssicherung 1997 in der Eisen-, Metall- und Elektroindustrie Nordrhein-Westfalens vom 11.12.1996" Anwendung. Dort ist zur Übernahme von Auszubildenden in § 3 folgendes geregelt:

1. Auszubildende werden im Grundsatz nach erfolgreich bestandener Abschlußprüfung für mindestens sechs Monate in ein Arbeitsverhältnis übernommen, soweit dem nicht personenbedingte Gründe entgegenstehen. Der Betriebsrat ist hierüber unter Angabe der Gründe zu unterrichten.

2. Mit Zustimmung des Betriebsrates kann von der Verpflichtung nach Nr. 1. abgewichen werden, wenn das Angebot eines Arbeitsverhältnisses wegen akuter Beschäftigungsprobleme im Betrieb nicht möglich ist oder der Betrieb über seinen Bedarf hinaus Ausbildungsverträge abgeschlossen hat."

Die Beteiligte zu 1) hat bei wechselnder Beschäftigungszahl seit 1991 eine wachsende Zahl an Auszubildenden eingestellt.

Am 14.01.1998 teilte die Beteiligte zu 1) dem Beteiligten zu 2) als bei der Beteiligten zu 1) gebildetem Betriebsrat förmlich mit, daß sieben Auszubildende, darunter auch Herr S.teinho, nicht übernommen werden sollten. Unter Hinweis auf eine unverändert schlechte Beschäftigungssituation und der Tatsache, daß wir über unseren eigenen Bedarf hinaus ausbilden", erbittet die Beteiligte zu 1) von dem Beteiligten zu 2) in diesem Schreiben eine schriftliche Stellungnahme zur Abweichung von der Verpflichtung gem. § 3 Nr. 1 TV Beschäftigungssicherung.

Eine Zustimmung zur Nichtübernahme der Auszubildenden verweigerte der Beteiligte zu 2) am 22.01.1998.

Die Beteiligte zu 1) hat geltend gemacht, daß die Ausbildung über Bedarf bei der Beteiligten zu 1) von Auszubildenden zwischen den Beteiligten unstreitig sei. Auch sei ein Personalüberhang bei der Beteiligten zu 1) zwischen ihr und dem Beteiligten zu 2) unstreitig. Daher sei der Beteiligte zu 2) verpflichtet, seine Zustimmung zur Nichtübernahme gemäß § 2 Abs. 2 TV Beschäftigung zu erteilen. Hilfsweise sei diese Zustimmung vom Arbeitsgericht zu ersetzen.

Die Beteiligte zu 1) hat beantragt,

1. festzustellen, daß die Zustimmung des Beteiligten zu 2)

zu der Nichtübernahme des Beteiligten S.teinho als erteilt gilt;

2. hilfsweise für den Fall des Unterliegens wird beantragt, die Zustimmung des Betriebsrates zur Nichtübernahme des Beteiligten S.teinhofzu ersetzen.

Der Beteiligte zu 2) hat beantragt,

die Anträge zurückzuweisen.

Er hat bestritten, daß die Beteiligte zu 1) zu Beginn der Ausbildung des Herrn S.teo über Bedarf ausgebildet habe. Beschäftigungsprobleme seien durch das Ausscheiden von Mitarbeitern kompensiert worden.

Das Arbeitsgericht hat den Antrag mit der Begründung zurückgewiesen, daß nicht davon ausgegangen werden könne, daß der Beteiligte zu 2) seine gemäß § 3 Abs. 2 TV Beschäftigungssicherung vorgesehene Zustimmung treuwidrig verweigert habe.

Mit der zulässigen Beschwerde verfolgt die Beteiligte zu 1) unter Vertiefung ihres erstinstanzlichen Vorbringens ihr Antragsziel weiter, indem sie insbesondere darauf verweist, daß die Nichterteilung der Zustimmung durch den Beteiligten zu 2) eine mißbräuchliche Ausübung tariflich eingeräumter Befugnisse darstelle, da dieser sowohl die Ausbildung über Bedarf als auch einen Beschäftigungsüberhang eingeräumt habe. Der Tarifvertrag enthalte eine Lücke, da er nicht regele, wie zu verfahren sei, falls ein Betriebsrat die Zustimmung verweigere, obwohl die Voraussetzungen gegeben seien. Diese Lücke müsse durch Analogie zu § 99 Abs. 4 BetrVG, §§ 317, 319 BGB geschlossen werden.

Sie beantragt,

den Beschluß des Arbeitsgerichts Solingen - 5 BV 11/98 - vom 17.02.1998 aufzuheben und ihrem Antrag vom 29.01.1998 stattzugeben.

Der Beteiligte zu 2) beantragt,

die Beschwerde zurückzuweisen.

Er verteidigt den angefochtenen Beschluß erster Instanz und weist insbesondere darauf hin, daß der Wille der Tarifvertragsparteien gewesen sei, den ausgebildeten Lehrlingen die Möglichkeit zu geben, unter den dort genannten Voraussetzungen und für einen Zeitraum von einem halben Jahr weiterhin im Betrieb tätig zu sein.

Hinsichtlich des weiteren Sach- und Streitstandes wird auf den übrigen Akteninhalt ergänzend Bezug genommen.

II.

Die Beschwerde der Beteiligten zu 1) ist nicht begründet.

Für das Begehren der Beteiligten zu 1) ist keine Anspruchsgrundlage ersichtlich, da nach der tariflichen Regelung der Arbeitgeber - von dem hier nicht einschlägigen Fall der Nr. 1 abgesehen - nur mit Zustimmung des Betriebsrates von der Verpflichtung zur Begründung eines Arbeitsverhältnisses für die Dauer von sechs Monaten entbunden werden kann, eine solche Zustimmung aber unstreitig nicht vorliegt.

Unabhängig von der Frage, ob vorliegend die Voraussetzungen der Nr. 2 für eine Zustimmung des Betriebsrates vorgelegen haben, scheitert der Anspruch der Beteiligten zu 1) bereits daran, daß der Tarifvertrag selbst nicht vorgesehen hat, die Frage, ob der Betriebsrat hätte zustimmen müssen, zur gerichtlichen Überprüfung zu stellen.

1. Der Wortlaut der Regelung ist ebenso eindeutig wie der Umstand, daß der Tarifvertrag keine Regelung zur Frage der gerichtlichen Überprüfbarkeit enthält. Im Gegenteil wird aus den Regelungen der Nr. 1 und Nr. 2 in ihrer Gesamtheit deutlich, daß allein unter den dort genannten Voraussetzungen der Arbeitgeber von der Weiterbeschäftigung entbunden werden kann. Der Beteiligte zu 2) weist zutreffend darauf hin, daß es danach Wille der Tarifvertragsparteien gewesen ist, den Arbeitgeber von einer Weiterbeschäftigung wegen akuter Beschäftigungsprobleme im Betrieb oder bei Abschluß von Ausbildungsverträgen über den betrieblichen Bedarf hinaus nach der Regelung in Nr. 2 nur dann zu entbinden, wenn der Betriebsrat hierzu seine Zustimmung erteilt hat. Unter den in Nr. 2 genannten Voraussetzungen haben die Tarifvertragsparteien damit ersichtlich die Entbindung von der Weiterbeschäftigungsverpflichtung von der Zustimmung des Betriebsrates abhängig gemacht. Dies wird gerade aus einem Vergleich zu der Regelung in Nr. 1 deutlich, wo dieses Zustimmungserfordernis des Betriebsrates gerade nicht genannt ist, sondern allein eine Unterrichtungspflicht des Betriebsrates vorgesehen ist.

2. Entgegen der Auffassung der Beteiligten zu 1) kann vorliegend auch nicht von einer Tariflücke gesprochen werden, die im Wege der Rechtsfortbildung durch eine Analogie zu § 99 Abs. 4 BetrVG geschlossen werden kann.

a) Zwar weist die Beteiligte zutreffend darauf hin, daß nach höchstrichterlicher Rechtsprechung die Gerichte zur Rechtsfortbildung berechtigt sind, wenn eine sogenannte unbewußte Regelungslücke vorliegt (vgl. dazu etwa BAG, NZA 88, 553 = AP Nr. 2 zu § 1 TVG Tarifverträge: Schuhindustrie).

b) Vorliegend scheitert jedoch eine Tariflücke daran, daß die dem Tarifvertrag zugrundeliegenden Wertungen und Prinzipien gerade keine Regelung zu der Frage erfordern, ob die Zustimmung des Betriebsrates unter bestimmten Voraussetzungen ersetzt werden muß. Die Tarifvertragsparteien haben vielmehr, wie sich aus dem dargelegten Wortlaut und dem Gesamtzusammenhang der genannten Regelungen ergibt, bewußt davon abgesehen, die Frage der Zustimmungserteilung durch den Betriebsrat zur gerichtlichen Überprüfung zu stellen. Dies ergibt sich im übrigen schon aus der weiteren Erwägung, daß angesichts der sechsmonatigen Weiterbeschäftigungspflicht des Arbeitgebers ein solches Zustimmungsersetzungsverfahren letztlich schon durch Zeitablauf leerlaufen würde. Es ist gerade Sinn und Zweck des Beschäftigungssicherungsvertrages, im unmittelbaren Anschluß an die Ausbildung unter den dort genannten Voraussetzungen eine Weiterbeschäftigung sicherzustellen.

3. Anhaltspunkte dafür, daß sich der Beteiligte zu 2) bewußt treuwidrig verhalten hat, entgegen den tariflichen Voraussetzungen eine Weiterbeschäftigung zu ermöglichen, sein Verhalten also mit Treu und Glauben unvereinbar ist, sind nicht ersichtlich. Insoweit kann auf die Ausführungen des angefochtenen Beschlusses verwiesen werden.

4. Die in der Entscheidung des Bundesarbeitsgerichts vom 12.11.1997, 7 AZR 422/96, vertretene Auffassung, wonach unter verfassungsrechtlichen Gesichtspunkten dem Betriebsrat kein endgültiges Zustimmungsverweigerungsrecht, sondern nur ein umfassendes Beratungsrecht zusteht, ändert an dem Ergebnis nichts: Ausweislich der Entscheidungsgründe (zu A II 1 d) hat der Arbeitgeber aufgrund der Besonderheiten der vorliegenden Tarifnorm keine Möglichkeit, die Rechtmäßigkeit einer Zustimmungsverweigerung durch den Betriebsrat zu überprüfen. Die in diesem Zusammenhang angestellten verfassungsrechtlichen Überlegungen haben allein Auswirkungen auf den tarifvertraglich normierten Individualanspruch des betreffenden Arbeitnehmers mit dem Ergebnis, daß - liegen die Voraussetzungen einer Zustimmungsverweigerung nicht vor - die Nichterteilung der Zustimmung des Betriebsrates als entbehrlich angesehen werden kann. Dies ist jedoch allein in dem Streit zwischen dem betroffenen Arbeitnehmer und dem Arbeitgeber über die Begründung eines sechsmonatigen Arbeitsverhältnisses im Anschluß an die Beendigung des Ausbildungsverhältnisses zu entscheiden, kann aber nicht dazu führen, daß in dem hier vorliegenden Beschlußverfahren geprüft werden kann, ob die Zustimmung des Betriebsrates zu Recht verweigert worden ist oder nicht.

III.

Die Kammer hat für die Beteiligte zu 1) wegen der grundsätzlichen Bedeutung der Rechtssache die Rechtsbeschwerde an das Bundesarbeitsgericht zugelassen.

Gegen diese Entscheidung ist für den Beteiligten zu 2) kein Rechtsmittel gegeben.

Ende der Entscheidung

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