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Beginn der Entscheidung

Gericht: Landesarbeitsgericht Düsseldorf
Urteil verkündet am 30.08.2000
Aktenzeichen: 4 Sa 1001/00
Rechtsgebiete: MTV


Vorschriften:

MTV § 11 Nr. 3
1. § 11 Nr. 3 des Manteltarifvertrages für die Molkereien und Käsereien im Lande Nordrhein-Westfalen vom 10.04.1997 (MTV) enthält eine eigenständige konstitutive Regelung über die Berechnungsgrundlage und Höhe der Entgeltfortzahlung im Krankheitsfall.

2. § 11 Nr. 3 nimmt in zulässiger Weise Spät- und Nachtzuschläge von der Höhe des fortzuzahlenden Arbeitsentgeltes aus.


LANDESARBEITSGERICHT DÜSSELDORF IM NAMEN DES VOLKES URTEIL

Geschäftsnummer: 4 Sa 1001/00

Verkündet am: 30.08.2000

In dem Rechtsstreit

hat die 4. Kammer des Landesarbeitsgerichts Düsseldorf auf die mündliche Verhandlung vom 30.08.2000 durch den Vorsitzenden Richter am Landesarbeitsgericht Dr. Peter als Vorsitzenden sowie den ehrenamtlichen Richter Eck und den ehrenamtlichen Richter Ollesch für Recht erkannt:

Tenor:

Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Arbeitsgerichts Wesel vom 26.04.2000 wird kostenpflichtig zurückgewiesen.

Die Revision wird für den Kläger zugelassen.

Tatbestand:

Die Parteien streiten darüber, ob bei der Höhe der Entgeltfortzahlung im Krankheitsfall die bei dem Kläger aufgrund des Schichtsystems der Beklagten regelmäßig anfallenden Nachtschichtzulagen zu berücksichtigen sind.

Der Kläger ist bei der Beklagten als Molkereifachmann beschäftigt. Auf das Arbeitsverhältnis findet der Manteltarifvertrag für die Molkereien und Käsereien im Lande Nordrhein-Westfalen vom 10.04.1998 (MTV) Anwendung. § 11 Nr. 3 MTV lautet:

Die Höhe der Entgeltfortzahlung im Krankheitsfalle beträgt 100% des dem Arbeitnehmer bei der für ihn maßgeblichen Arbeitszeit zustehenden Arbeitsentgelts (7,4 Stunden x Tariflohn + individueller Zulagen ohne tarifliche Zuschläge und ohne Pauschalzulagen für Mehrarbeit)."

In der Zeit vom 29.06. bis 09.07.1999, 04.08. bis 06.08.1999, 10.09. bis 29.09.1999, 22.11. bis 07.12.1999 war der Kläger arbeitsunfähig erkrankt. Die Beklagte leistete für diese Zeiträume Lohnfortzahlung ohne Spät- und Nachtschichtzulagen. Diese hätten sich auf insgesamt 771,65 DM belaufen, wenn der Kläger gearbeitet hätte.

Der Kläger hat die Auffassung vertreten, hinsichtlich der Spät- und Nachtzuschläge müsse nach der Änderung des Entgeltfortzahlungsgesetzes ab 01.01.1999 das Lohnausfallprinzip gelten. Von der in der Neuregelung enthaltenen Tariföffnungsklausel in § 4 Abs. 4 EFZG hätten die Tarifvertragsparteien bei Abschluss des MTV keinen Gebrauch gemacht, da diese Regelung 1997 noch nicht bestanden habe. Sie hätten lediglich eine nach damaligem Recht gesetzeskonforme Regelung treffen wollen.

Der Kläger hat beantragt,

die Beklagte zu verurteilen, an ihn 771,65 DM brutto nebst 4 % Zinsen aus dem sich ergebenden Nettobetrag zu zahlen.

Die Beklagte hat beantragt,

die Klage abzuweisen.

Sie hat geltend gemacht, sowohl aus dem Zustandekommen als auch aus dem eindeutigen Wortlaut des Tarifvertrages ergebe sich, dass bei der Berechnung des fortzuzahlenden Arbeitsentgelts die Spät- und Nachtzuschläge hätten unberücksichtigt bleiben sollen. Insoweit hätten die Tarifvertragsparteien in zulässiger Weise von der Tariföffnungsklausel des § 4 Abs. 4 EFZG Gebrauch gemacht. Dadurch, dass außerdem 100 % Entgeltfortzahlung vereinbart worden sei, seien die Tarifvertragsparteien zugunsten der Arbeitnehmer von der damaligen Gesetzeslage abgewichen.

Das Arbeitsgericht hat die Klage unter Hinweis darauf abgewiesen, dass § 11 Nr. 3 MTV eine normativ eigenständige (konstitutive) Regelung enthalte. Auch sei es zulässig, unregelmäßig anfallendes und damit nicht dem Lebensstandard des Arbeitnehmers prägendes Arbeitsentgelt tarifvertraglich von der Lohnfortzahlungspflicht auszunehmen.

Mit der zulässigen Berufung verfolgt der Kläger unter Vertiefung seines erstinstanzlichen Vorbringens sein Klageziel weiter.

Er weist insbesondere darauf hin, dass entgegen der Auffassung des Arbeitsgerichts vorliegend gerade kein unregelmäßig anfallendes Arbeitsentgelt in Frage stehe, sondern die hier in Frage stehenden Zuschläge gerade regelmäßig angefallen seien und einen erheblichen Betrag des monatlichen Einkommens des Klägers ausgemacht hätten. Es könne nicht Sinn der tariflichen Regelung sein, diese regelmäßig anfallenden Vergütungsbestandteile von der Entgeltfortzahlungspflicht auszunehmen.

Er beantragt,

die Beklagte und Berufungsbeklagte unter Aufhebung des Urteils des Arbeitsgerichts Wesel zu verurteilen, an den Kläger 771,65 DM brutto nebst 4 % Zinsen aus dem sich ergebenden Nettobetrag seit Rechtshängigkeit zu zahlen.

Die Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Sie weist unter Vertiefung ihres erstinstanzlichen Vorbringens darauf hin, dass auch regelmäßig anfallende Vergütungsbestandteile wie Nachtarbeitszuschläge nach der gesetzlichen Regelung in § 4 Abs. 4 EFZG durch Tarifvertrag von der Entgeltfortzahlung rechtswirksam hätten ausgenommen werden können. Dies sei auch vorliegend aufgrund der insoweit eindeutigen tariflichen Regelung der Fall gewesen.

Hinsichtlich des weiteren Sach- und Streitstandes wird auf den übrigen Inhalt der Akte ergänzend Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

Die zulässige Berufung des Klägers ist im Ergebnis nicht begründet.

Dies ergibt sich im Einzelnen aufgrund folgender Erwägungen:

I.

Das angefochtene Urteil geht zu Recht davon aus, dass § 11 Nr. 3 MTV eine normativ eigenständige (konstitutive) Regelung über die Berechnungsgrundlage und über die Höhe der Entgeltfortzahlung enthält.

1. Die Kammer verweist insoweit auf die zutreffenden Erwägungen des Arbeitsgerichts (Seite 4, 5 Entscheidungsgründe).

2. Soweit die Berufung demgegenüber geltend macht, auf dem Hintergrund der gesetzlichen Wiedereinführung der 100 %igen Entgeltfortzahlung durch das Gesetz vom 19.02.1998 sei aus Sicht des Klägers davon auszugehen, dass die Tarifvorschrift des § 11 Nr. 3 MTV, soweit damit tarifliche Zuschläge bei der Entgeltfortzahlung erkrankter Arbeitnehmer herausgenommen würden, keinen rechtlichen Bestand mehr haben könne, ist dies für die Frage, ob § 11 MTV konstitutive Bedeutung hat oder nicht, ohne Belang.

Das Bundesarbeitsgericht hat bereits in der Entscheidung vom 21.10.1998 ­ 5 AZR 155/98 ­ (zu II 2 b der Entscheidungsgründe) betont, dass konstitutive Regelungen ihren Charakter nicht dadurch verlieren, dass die bisher geltende gesetzliche Regelung, die sie modifiziert habe, durch eine andere ersetzt worden ist. Soweit das neue Gesetz ­ wie vorliegend ­ eine entsprechende Abweichung zulässt, gilt die konstitutive Regelung daher unverändert fort.

II.

Zwar ist der Berufung insoweit zuzustimmen, als sie zu Recht geltend macht, vorliegend handle es sich um regelmäßig anfallende Vergütungsbestandteile. Dies ändert jedoch nichts daran, dass die Klage gleichwohl unbegründet ist, weil die vorliegende tarifliche Regelung in zulässiger Weise die hier streitigen Spät- und Nachtzuschläge aus der Höhe des vorzuzahlenden Arbeitsentgeltes ausgenommen hat.

1. Die Kammer schließt sich der Auffassung des 10. Senats des Bundesarbeitsgerichts in der Entscheidung vom 07.02.1996 ­ 10 AZR 204/94 ­ an (zu III 1 der Entscheidungsgründe), wonach gerade durch die modifizierte Neuregelung in § 4 Abs. 4 EFZG, durch die frühere Regelung in § 2 Abs. 3 LFG nicht übernommen worden ist (vgl. demgegenüber noch § 4 III des Entwurfes zum EFZG vom 24.06.1993 Bundestagsdrucksache 12/5263) der gesetzgeberische Wille belegt wird, den Tarifvertragsparteien auch im Hinblick auf die Bemessungsgrundlage des vorzuzahlenden Arbeitsentgelts im Sinne des § 4 Abs. 1 EFZG Rechtssetzungsmacht zu gewähren. Hiervon haben aber die Tarifvertragsparteien Gebrauch gemacht, indem sie die hier in Frage stehenden Zuschläge von der Entgeltfortzahlungspflicht ausgenommen haben.

Unerheblich ist in diesem Zusammenhang, dass es sich hierbei im Falle des Klägers aufgrund der betrieblichen Verhältnisse um nicht unerhebliche Beträge handelt. Entscheidend ist allein, dass die tarifliche Regelung den Vorgaben des § 4 Abs. 4 EFZG entspricht und damit die hier in Frage stehenden Zuschläge rechtswirksam als Bemessungsgrundlage des vorzuzahlenden Arbeitsentgeltes herausgenommen hat.

Es ist allein Sache der Tarifvertragsparteien, die hier in Frage stehende Regelung durch eine andere zu ersetzen, falls dies gewünscht wird.

III.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 97 Abs. 1 ZPO.

Die Kammer hat die Revision für den Kläger nach der Regelung in § 72 a Abs. 1 Nr. 2 in Verbindung mit § 72 Abs. 2 Nr. 1 ArbGG zugelassen.

Ende der Entscheidung

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