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Beginn der Entscheidung

Gericht: Landesarbeitsgericht Düsseldorf
Urteil verkündet am 08.01.2003
Aktenzeichen: 4 Sa 678/02
Rechtsgebiete: TV Altersteilzeit i. d. Eisen-, Metall-, Elektroindustrie NRW v. 23.10.1997


Vorschriften:

TV Altersteilzeit i. d. Eisen-, Metall-, Elektroindustrie NRW v. 23.10.1997 § 14
Der Anspruch auf Altersteilzeit nach § 14 des o. g. TV endet, wenn der Anspruchsberechtigte Anspruch auf ungeminderte Altersrente (Altenrente ohne Abschläge) hat.
LANDESARBEITSGERICHT DÜSSELDORF IM NAMEN DES VOLKES URTEIL

Geschäftsnummer: 4 Sa 678/02

Verkündet am: 08.01.2003

In dem Rechtsstreit

hat die 4. Kammer des Landesarbeitsgerichts Düsseldorf auf die mündliche Verhandlung vom 08.01.2003 durch den Vorsitzenden Richter am Landesarbeitsgericht Dr. Peter als Vorsitzenden sowie den ehrenamtlichen Richter Mußmann und den ehrenamtlichen Richter Günnewig

für Recht erkannt:

Tenor:

Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Arbeitsgerichts Wuppertal vom 20.12.2001 wird kostenpflichtig zurückgewiesen.

Die Revision wird für den Kläger zugelassen.

Tatbestand:

Mit der vorliegenden Klage begehrt der Kläger Altersteilzeit mit einer Laufzeit vom 01.11.2001 bis zum 31.10.2007 (Arbeitsphase 01.11.2001 bis 30.04.2003, Freistellungsphase 01.05.2003 bis 31.10.2004) gemäß den auf das Arbeitsverhältnis zwischen den Parteien anwendbaren Bestimmungen des Tarifvertrages zur Altersteilzeit in der Eisen-, Metall- und Elektroindustrie NRW vom 23.10.1997 (im Nachfolgenden TV) und der hierzu im Betrieb der Beklagten abgeschlossenen Betriebsvereinbarung vom 23.10.1997.

Der Kläger ist im November 1944 geboren, schwerbehindert seit dem 16.02.1999 und ist gemäß Rentenbescheid vom 06.06.2001 berechtigt, mit Wirkung ab dem 01.11.2004 eine ungeminderte Altersrente zu beziehen.

Die Beklagte lehnte das Begehren des Klägers mit der Begründung ab, nach § 14 Ziffer d TV und der hierin in Bezug genommenen Regelung in § 5 Abs. 1 ATG könne Altersteilzeit nur bis zum 31.10.2004 (Arbeitsphase 01.11.2001 bis 30.04.2003, Freistellungsphase 01.05.2003 bis 31.10.2004) gewährt werden, weil nach § 5 Abs. 1 Nr. 2 ATG die Altersteilzeit spätestens zu dem Zeitpunkt ende, zu dem der Berechtigte einen ungeminderten Rentenanspruch habe, zu dessen Beginn/Ende die Förderfähigkeit der Altersteilzeit durch die BfA ende.

Demgegenüber vertritt der Kläger die Auffassung, die in § 14 Ziffer d TV verwandte Formulierung der ungeminderten Rente umfasse allein eine solche Rente, bei der keinerlei Abschläge anfielen (sogenannte Altersvollrente). Dies werde zudem durch den Verweis auf § 5 Abs. 1 Nr. 2 ATG deutlich, wonach der Arbeitgeber Erstattungsansprüche gegen die BfA, wie Rentenzahlungen vor dem regulären Rentenalter in Anspruch nehmen könne. Vor allem aber werde er als Schwerbehinderter diskriminiert, falls man ihm den geltend gemachten Anspruch nicht gewähre: Vergleiche man einen schwerbehinderten und einen nichtschwerbehinderten Arbeitnehmer, die beide mit 60 Jahren aus der Firma ausschieden, erhalte er als Schwerbehinderter eine um drei Jahre Beschäftigungszeit geminderte Rente, während der Nichtschwerbehinderte die Altersteilzeit von sechs Jahren voll ausnutzen könne.

Das Arbeitsgericht hat die Klage abgewiesen.

Mit der zulässigen Berufung verfolgt der Kläger unter Vertiefung seines erstinstanzlichen Vorbringens sein Klageziel weiter.

Er beantragt,

das angefochtene Urteil des Arbeitsgerichts Wuppertal vom 20.12.2001 (Geschäfts-Nr. 6 Ca 5119/01 v) abzuändern und die Beklagte zu verurteilen, dem Kläger Altersteilzeit mit einer Laufzeit vom 01.11.2001 bis zum 31.10.2007 zu bewilligen,

hilfsweise

festzustellen, dass die Beklagte verpflichtet war, dem Kläger Altersteilzeit vom 01.11.2001 bis 31.10.2007 zu bewilligen.

Die Beklagte beantragt,

die Berufung des Klägers zurückzuweisen.

Wegen der weiteren Darstellung des Sach- und Streitstandes wird auf das angefochtene Urteil des Arbeitsgerichts sowie dem übrigen Inhalt der Akte ergänzend Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

Die zulässige Berufung des Klägers ist nicht begründet und zwar sowohl was den Haupt- als auch den in der Berufungsinstanz gestellten Hilfsantrag betrifft.

I.

Das Arbeitsgericht hat mit zutreffenden Erwägungen, auf die ausdrücklich Bezug genommen wird, dem Kläger den geltend gemachten Anspruch auf Altersteilzeit nicht gewährt.

II.

Ergänzend hierzu und zu den Einwänden der Berufung ist auszuführen:

1. Da im Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung der Kläger, der weiterhin bei der Beklagten arbeitet, sein Klageziel, die Altersteilzeit mit einer Laufzeit vom 01.11.2001 bis 31.10.2007 (Arbeitsphase 01.11.2001 bis 30.04.2003, Freistellungsphase 01.05.2003 bis 31.10.2004) noch realisieren kann, bestehen nach Auffassung der Kammer gegen die Form der Antragstellung des Hauptantrages keine Bedenken.

Sollten hiergegen Bedenken bestehen, ist jedenfalls der Hilfsantrag in der gestellten Form sachdienlich und zulässig.

2. Entgegen der Auffassung des Klägers steht ihm nach der tariflichen Regelung der geltend gemachte Anspruch nicht zu:

Gemäß § 14 Ziffer d TV endet danach unter anderem "das Altersteilzeitverhältnis mit Ablauf des Kalendermonats vor dem Kalendermonat, für den der Beschäftigte eine ungeminderte Altersrente beantragen kann (§ 5 Abs. 1 Nr. 2 ATG)."

1. Der Begriff der Altersrente hat arbeitsrechtlich einen allgemein anerkannten Bedeutungsgehalt (vgl. dazu statt aller Schaub, Arbeitsrechtshandbuch, § 80 B IM 2): Danach umfasst die Altersrente als Oberbegriff unter anderem die Regelaltersrente, die Altersrente für Frauen und die Altersrente für Schwerbehinderte, Berufs- und Erwerbsunfähige.

2. Wird vor diesem Hintergrund tariflich bestimmt, dass es darauf ankommt, ob der Berechtigte - also der Kläger - Anspruch auf ungeminderte Altersrente hat, folgt daraus zwingend, dass es allein auf den ungeminderten Rentenanspruch ankommt, d. h. auf den Bezug einer Altersrente, bei der keinerlei Abschläge anfallen.

3. Dieser Auslegungsbefund entspricht zugleich der Rechtslage, wie sie sich nach der tariflich in Bezug genommenen Regelung in § 5 ATG darstellt (vgl. dazu statt aller ErfK Rolfs, Rdz. 4 zu § 5 ATG sowie Schlegel in Küttner Personalhandbuch, Arbeitsrecht Altersteilzeit Rdz. 54 f.): Auch insoweit kommt es allein auf den Bezug einer Altersrente an, bei der keine Abschläge anfallen.

4. Dieses Auslegungsergebnis entspricht zugleich Sinn und Zweck der - staatlich subventionierten - Altersteilzeit (vgl. dazu ErfK Rolfs, Rdz. 1 zu § 1 ATG), vor Eintritt des ungeminderten Rentenbezuges weitere Arbeitsplätze dadurch zu schaffen, dass der Arbeitgeber nach den tariflichen Bestimmungen entsprechende Altersteilzeitverträge abschließen soll und zum Ausgleich dafür die Arbeitsverwaltung verpflichtet ist, ihm die gesetzlichen Mindestaufstockungsbeträge zu erstatten.

5. Zusammenfassend: Da der Kläger als schwerbehinderter Mensch - insoweit unstreitig - eine ungeminderte Altersrente beanspruchen kann, steht ihm nach den hier vorliegenden tariflichen Bestimmungen, wie sie gerade im Hinblick auf die Regelungen des ATG geschlossen worden sind, der geltend gemachte Anspruch nicht zu.

6. Dem Kläger kann auch unter dem Gesichtspunkt der von ihm geltend gemachten Diskriminierung schwerbehinderter Menschen durch die hier dargestellte Rechtslage ein entsprechender Anspruch nach Auffassung der Kammer nicht zuerkannt werden:

a) Zutreffend ist, dass sowohl der Gesetzgeber als auch die Tarifvertragsparteien an das Diskriminierungsverbot schwerbehinderter Menschen nach Artikel 3 II 2 GG gebunden und daraus folgend verpflichtet sind, behinderte Menschen weder unmittelbar noch mittelbar durch Regelungen, die ungünstige Rechtsfolgen an den Tatbestand der Behinderung knüpfen, zu benachteiligen (vgl. dazu insbesondere ErfK Dietrich, Art. 3 GG, Rdz. 28 und 81) und die Gerichte gehalten sind, diesen Gesichtspunkten durch eine verfassungskonforme Auslegung der tariflichen und gesetzlichen Vorschriften Rechnung zu tragen (dazu statt aller: BVerfG 90, 46 sowie BAG NZA 91, 797, NZA 93, 324, 326).

Anerkannt ist weiterhin, dass bei gleichheitswidrigen Gesetzen der allgemeine Gleichheitssatz keine unmittelbare anspruchsbegründende Wirkung hat und es dem Gesetzgeber überlassen bleibt, in welcher Weise er den Anforderungen des Gleichheitssatzes entspricht (statt aller BVerfG 82, 126, 146 und 85, 191, 211 f.). Allein im Bereich der Vergütung kann den Anforderungen des Gleichheitssatzes bei benachteiligenden Entgeltregelungen in Tarifverträgen oder Arbeitsverträgen durch Gewährung der Leistungen an die berechtigten Arbeitnehmer entsprochen werden (dazu statt aller BGH NZA 96, 48 sowie EUGH AP EWG-Vertrag Art. 119, 21).

b) Geht man von diesen Grundsätzen aus, sah sich die Kammer außer Stande, dem Kläger den geltend gemachten Anspruch angesichts der hier dargestellten Rechtslage insbesondere des Umstandes zuzuerkennen, dass die hier vorliegenden tarifvertraglichen Regelungen vor dem Hintergrund des tariflich selbst in Bezug genommenen ATG abgeschlossen worden sind:

Eine Diskriminierung erscheint zunächst deshalb ausgeschlossen, weil sowohl Gesetzgeber als auch Tarifvertragsparteien allein verpflichtet sind, den verfassungsrechtlichen Vorgaben durch allgemeine Regelungen Rechnung zu tragen, die - handelt es sich um begünstigende Bestimmungen - im Einzelfall aufgrund der besonderen Lage eines Begünstigten sich für ihn als Nachteil erweisen können: Während gleichaltrige nichtschwerbehinderte Menschen länger arbeiten müssen, um eine ungeminderte Altersrente in Anspruch nehmen zu können, besteht vorliegend durch die genannten Vorschriften für den schwerbehinderten Menschen die für ihn generell günstigere Möglichkeit, eine solche ungeminderte Rente zu einem früheren Zeitpunkt zu erwerben. Zwar - hierauf weist der Kläger zu Recht hin - führt dies im Streitfalle dazu, dass er die weiterhin gewährte Vergünstigung einer Altersteilzeit durch das ATG - im Gegensatz zu einem nichtschwerbehinderten Menschen - nicht für volle sechs Jahre, sondern nur für den gekürzten Zeitraum in Anspruch nehmen kann, dies muss er jedoch im Hinblick auf die mit den vorliegenden Regelungen verfolgten generellen Zwecke hinnehmen: Denn nach allgemeiner Lebenserfahrung erhalten diejenigen Arbeitnehmer, die bereits mit Erreichen des 60. Lebensjahres aus dem Berufsleben ausscheiden, für einen längeren Zeitraum Leistungen aus der gesetzlichen Rentenversicherung als die Arbeitnehmer, die später ausscheiden. Damit scheidet aber auch eine mittelbare Diskriminierung des Klägers als schwerbehinderter Arbeitnehmer aus. Der Kläger erstrebt letztlich vorliegend allein eine weitere Begünstigung aufgrund seiner persönlichen Verhältnisse, denen jedoch weder der Gesetzgeber noch die Tarifvertragsparteien gezwungen sind, Rechnung zu tragen.

c) Wird entgegen der hier vertretenen Auffassung gleichwohl eine Verpflichtung gesehen, dem Kläger den hier geltend gemachten Anspruch unter dem Diskriminierungsgesichtspunkt zu gewähren, kann dies nach Auffassung der Kammer erst aufgrund einer entsprechenden Änderung der gesetzlichen Bestimmungen des ATG geschehen: Denn die vorliegende tarifliche Regelung knüpft ersichtlich an die gesetzlichen Bestimmungen des ATG und die dort zugunsten des Arbeitgebers normierte Möglichkeit an, Erstattungsleistungen der BfA bei Inanspruchnahme von Altersteilzeit im Falle des ungeminderten Rentenbezuges zu erhalten. Nach der gesetzlichen Regelung in § 5.1 ATG kann vorliegend der Arbeitgeber aber solche Leistungen, würde dem Kläger hier ein entsprechender Anspruch zuerkannt, nicht verlangen. Damit kann dann aber ein Verstoß gegen Artikel 3 Abs. 2 GG vorliegend keine anspruchsbegründende Wirkung haben, es ist Sache des Gesetzgebers, auf welche Weise er der hier vorliegenden Fallgestaltung Rechnung tragen will.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 97 Abs. 1 ZPO. Wegen der grundsätzlichen Bedeutung der Rechtssache hat die Kammer die Revision für den Kläger an das Bundesarbeitsgericht zugelassen.

Die Revisionsschrift und die Revisionsbegründung müssen von einem bei einem deutschen Gericht zugelassenen Rechtsanwalt unterzeichnet sein.

Ende der Entscheidung

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