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Beginn der Entscheidung

Gericht: Landesarbeitsgericht Düsseldorf
Urteil verkündet am 04.10.2001
Aktenzeichen: 5 (6) Sa 953/01
Rechtsgebiete: MTV f. d. Wach- und Sicherheitsgewerbe NRW


Vorschriften:

MTV f. d. Wach- und Sicherheitsgewerbe NRW § 2
Die Festlegung einer monatlichen Regelarbeitszeit in § 2 MTV für das Wach- und Sicherheitsgewerbe NRW begründet keinen garantierten Mindestlohn für die betroffenen Arbeitnehmer.
LANDESARBEITSGERICHT DÜSSELDORF IM NAMEN DES VOLKES URTEIL

5 (6) Sa 953/01

Verkündet am: 04.10.2001

In dem Rechtsstreit

hat die 5. Kammer des Landesarbeitsgerichts Düsseldorf auf die mündliche Verhandlung vom 04.10.2001 durch den Vorsitzenden Richter am Landesarbeitsgericht Göttling als Vorsitzenden sowie den ehrenamtlichen Richter Hübenthal und den ehrenamtlichen Richter Grab

für Recht erkannt:

Tenor:

1) Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Arbeitsgerichts Essen vom 10.05.2001 - 1 (5) Ca 702/01 wird kostenpflichtig zurückgewiesen.

2) Die Revision wird zugelassen.

Tatbestand:

Die Parteien streiten über die Auslegung einer Tarifvertragsnorm.

Der am 09.12.1966 geborene Kläger ist seit dem 20.10.1993 als gewerblicher Arbeitnehmer bei der Beklagten beschäftigt. Er ist zudem Vorsitzender des bei ihr bestehenden Betriebsrats. Seine Bruttostundenvergutung betrug zuletzt DM 21,00.

Auf das Arbeitsverhältnis der Parteien finden unter anderem der "Manteltarifvertrag für das Wach- und Sicherheitsgewerbe in Nordrhein Westfalen vom 02.02.2000" (MTV) und der für die Branche einschlägige Lohntarifvertrag vom 15.03.2000 (LTV) Anwendung. Unter Ziff. 2 .Arbeitszeit" des MTV heißt es, soweit für den vorliegenden Rechtsstreit von Bedeutung:

"2.1 Die monatliche Regelarbeitszeit beträgt - mit Ausnahme der unter Abschnitt 2.B. des Lohntarifvertrages aufgeführten Arbeitnehmer- 173 Stunden.

Die regelmäßige tägliche Arbeitszeit soll 8 Stunden nicht überstreiten. Sie kann bis zu 10 Stunden täglich verlängert werden, wenn innerhalb von 12 Kalendermonaten 8 Stunden werktäglich nicht überschritten werden. Zudem kann an höchstens 60 Tagen im Jahr die Arbeitszeit auf bis zu 10 Stunden täglich ohne Ausgleichszeitraum verlängert werden.

Darüber hinaus kann die Arbeitszeit über 10 Stunden täglich verlängert werden, wenn in die Arbeitszeit täglich und in erheblichem Umfang Arbeitsbereitschaft fällt.

2.2 Separatwachdienst

Die monatliche Regelarbeitszeit im Separatwachdienst beträgt einschließlich Arbeitsbereitschaft 260 Stunden.

Die regelmäßige tägliche Arbeitszeit soll 8 Stunden nicht überschreiten. Sei kann bis zu 10 Stunden täglich verlängert werden, wen innerhalb von 12 Kalendermonaten 8 Stunden werktäglich nicht überschritten werden. Zudem kann an höchstens 60 Tagen im Jahr die Arbeitszeit auf bis zu 10 Stunden täglich ohne Ausgleichszeitraum verlängert werden.

Darüber hinaus kann die Arbeitszeit über 10 Stunden täglich verlängert werden, wenn in die Arbeitszeit täglich und in erheblichem Umfang Arbeitsbereitschaft fällt."

Im April des Jahres 2000 wurden dem Kläger für von ihm geleistete Arbeit insgesamt 161,75 Stunden vergütet. Wegen der Abrechnung wird auf Blatt 4 d. A. verwiesen.

Mit Schreiben vom 26.05.2000 machte der Kläger - erfolglos - die Zahlung eines Differenzbetrages von DM 241,20 brutto geltend. Er bezog sich hierbei auf Ziff. 2.1 MTV, der nach seiner Auffassung die Vergütung von mindestens 173 Stunden pro Monat vorsieht.

Mit seiner am 06.02.2001 beim Arbeitsgericht Essen anhängig gemachten Klage hat der Kläger sein Begehren weiter verfolgt. Er hat die Auffassung vertreten, aus dem MTV ergebe sich eine monatliche Arbeitszeit von 173 Stunden, die durch gesetzliche Feiertage nicht gekürzt werden dürfte. Hieraus folge, dass ihm diese tarifvertraglich garantierten Stunden auch zu vergüten seien.

Der Kläger hat beantragt,

die Beklagte zu verurteilen, an den Kläger 241,20 DM brutto nebst 5 % Zinsen über dem Basiszinssatz nach dem Diskontsatz-Überleitungsgesetz zu zahlen.

Die Beklagte hat beantragt,

die Klage abzuweisen.

Sie hat gemeint, die monatliche Regelarbeitszeit in Ziff. 2.1 MTV sei in den Tarifvertrag aufgenommen worden, um die Berechnung von Mehrarbeitsstunden zu erleichtern und transparenter zu machen. Darüber hinaus bliebe es aber bei einer täglichen Arbeitszeit der Arbeitnehmer von 8 Stunden, die allein zu vergüten wären.

Mit Urteil vom 10.05.2001 hat die 1 .Kammer des Arbeitsgerichts Essen - 1 (5) Ca 702/01 - die Klage abgewiesen und die Berufung zugelassen. In den Entscheidungsgründen, auf die Bezug genommen wird, hat das Arbeitsgericht ausgeführt, aus der Formulierung "Regelarbeitszeit" ergäbe sich kein garantierter Anspruch der Arbeitnehmer, pro Monat 173 Stunden vergütet zu erhalten. Darüber hinaus enthielte der MTV auch keinerlei Anhaltspunkte dafür, dass die Tarifvertragsparteien eine von der jeweiligen Stundenzahl unabhängige Vergütung hätten vereinbaren wollen.

Der Kläger hat gegen das ihm am 22.06.2001 zugestellte Urteil mit einem am 23.07.2001 beim Landesarbeitsgericht eingegangenen Schriftsatz Berufung eingelegt und diese mit einem 22.08.2001 eingegangenen Schriftsatz begründet.

Er wiederholt zunächst seinen Sachvortrag aus dem 1. Rechtszug und meint, Ziff. 2 MTV habe den Zweck, den Beschäftigten im Wach- und Sicherheitsdienst ein monatlich kalkulierbares gleichmäßiges Mindesteinkommen zu sichern. Die Vergütung für 173 Stunden stelle demgemäß einen Mindestanspruch dar. Dies zeige sich weiter auch an der Tatsache, dass der MTV keine Verteilung der Arbeitszeit auf die einzelnen Wochentage, sondern nur eine Freischichtregelung enthalte, sodass im Prinzip von den Mitarbeitern an 7 Tagen Arbeitsleistung erwartet werde. Gleiches ergebe sich aus der Regelung in Ziff. 2.2 MTV, der für den Separatwachdienst eine Regelarbeitszeit von 260 Stunden vorsehe. Diese könne allerdings bei einem nur 8-stündigen Arbeitsvertrag niemals im Monat erreicht werden.

Der Kläger beantragt,

das Urteil des Arbeitsgerichts Essen, Az.: 1(5) Ca 702/01 abzuändern und nach dem diesseits gestellten Antrag aus der letzten mündlichen Verhandlung vom 10.05.2001 zu erkennen.

Die Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Sie verteidigt das arbeitsrechtliche Urteil und wiederholt ebenfalls ihren Sachvortrag aus der ersten Instanz. Sie verweist erneut darauf, dass es sich bei der Darstellung der Regelarbeitszeit von 173 Stunden lediglich um einen rechnerischen Durchschnittswert handele, der keine Aussage über eine Garantievergütung enthalte. Dementsprechend, so die Beklagte weiter, gingen auch die Hinweise des Klägers zur Arbeitszeit des Separatwachdienstes ins Leere.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den vorgetragenen Inhalt der zu den Akten gereichten Urkunden und der zwischen den Parteien gewechselten Schriftsätze verwiesen.

Entscheidungsgründe:

Die Berufung ist zulässig.

Sie ist nämlich an sich statthaft (§ 64 Abs. 1 ArbGG), wegen der ausdrücklichen Zulassung im arbeitsgerichtlichen Urteil auch zulässig (§ 64 Abs. 2 ArbGG) sowie form- und fristgerecht eingelegt und begründet worden (§§ 66 Abs. 1 ArbGG, 518, 519 ZPO).

In der Sache selbst hatte das Rechtsmittel indessen keinen Erfolg.

Der Kläger hat gegen die Beklagte weder aus § 611 BGB i. V. m. Ziff. 2.1 MTV noch aus anderen Rechtsgrundsätzen einen Anspruch auf Zahlung der Differenzvergütung für den Monat April 2000 in Höhe von DM 241,20 brutto. Entgegen seiner Auffassung folgt aus der genannten Tarifvorschrift gerade nicht eine garantierte Monatsvergütung für 173 Stunden Arbeitsleistung. Dies ergibt eine umfassende Auslegung der hier in Betracht kommenden Vorschriften des MTV.

1. Die Auslegung des normativen Teils eines Tarifvertrages folgt nach ständiger Rechtsprechung der Arbeitsgerichte den für die Auslegung von Gesetzen geltenden Regeln. Danach ist zunächst vom Tarifwortlaut auszugehen, wobei der maßgebliche Sinn der Erklärung zu erforschen ist, ohne am Buchstaben zu haften. Bei einem nicht eindeutigen Tarifwortlaut ist der wirkliche Wille der Tarifvertragsparteien mit zu berücksichtigen, soweit er in den tariflichen Normen seinen Niederschlag gefunden hat. Abzustellen ist stets auf den tariflichen Gesamtzusammenhang, weil dieser Anhaltspunkte für den wirklichen Willen der Tarifvertragsparteien liefert und nur so Sinn und Zweck der Tarifnorm zutreffend ermittelt werden können. Lässt dies zweifelsfreie Auslegungsergebnisse nicht zu, können die Gerichte für Arbeitssachen ohne Bindung an eine Reihenfolge weitere Kriterien wie die Entstehungsgeschichte des Tarifvertrages, gegebenenfalls auch die praktische Tarifübung ergänzend hinzuziehen. Auch die Praktikabilität denkbarer Auslegungsergebnisse ist zu berücksichtigen; im Zweifel gebührt derjenigen Tarifauslegung der Vorzug, die zu einer vernünftigen, sachgerechten, zweckorientierten und praktisch brauchbaren Regelung führt (st. Rspr. des BAG, vgl. etwa: BAG, Urteil vom 09.08.2001 - 4 AZR 466/69 - n. v.; BAG, Urteil vom 05.10.1999 - 4 AZR 578/98 - AP Nr. 15 zu § 4 TVG Verdienstsicherung).

2. Hiernach lässt sich der vom Kläger geltend gemachte Mindestvergutungsanspruch und eine daran orientierte Nachzahlungspflicht der Beklagten aus den Bestimmungen des MTV gerade nicht ableiten.

2.1 Gegen die vom Kläger vorgenommene Interpretation spricht zunächst der im Wesentlichen eindeutige Wortlaut der Ziff. 2.1 MTV. Die gesamte Ziff. 2 befasst sich deutlich allein mit Regelungen, die die Arbeitszeit, nicht aber die Vergütung betreffen. Letztere ist schon nach ihrem Wortlaut im LTV geregelt und wird allenfalls in Ziff. 3 MTV hinsichtlich der zu zahlenden Lohnzuschläge genannt.

Hinzu kommt, dass gerade Ziff. 2.1 von einer monatlichen Regelarbeitszeit spricht. Diese Formulierung lässt es bereits nach dem reinen Wortlaut zu, Abweichungen nach oben und unten vorzunehmen.

2.2 Nichts anderes ergibt sich aus dem Sachzusammenhang, in dem die hier streitige Vorschrift im Tarifgefüge des MTV's und des LTV's steht.

2.2.1 Es ist bereits oben unter Ziff. 2.1 dargestellt worden, dass die Höhe der Vergütung, sieht man einmal von den zusätzlich zu zahlenden Lohnzuschlägen gemäß Ziff. 3 MTV ab, ausschließlich im LTV geregelt ist. Eine Verknüpfung zwischen dem LTV und der Ziff. 2.1 MTV wird hier wie dort nicht hergestellt.

2.2.2 Auch der Hinweis des Klägers auf die Arbeitszeit im Separatwachdienst, die in Ziff. 2.2 MTV geregelt ist, ist nicht geeignet, die von ihm vertretene Rechtsauffassung zu stützen. Zum einem knüpft die monatliche Regelarbeitszeit für den Separatwachdienst, die in der Tat 260 Stunden betragen soll, nicht nur an der reinen Arbeitszeit sondern auch an einer Arbeitsbereitschaft an. Aus ihr sind deshalb, da es sich um unterschiedliche Sachverhalte handelt, keine Rückschlüsse auf eine Auslegung der Ziff. 2.1 MTV möglich.

Darüber hinaus zeigt aber gerade die Heranziehung der Ziff. 2.2 MTV, dass die Tarifvertragsparteien die Festschreibung einer Mindestarbeitsvergütung gerade nicht gewollt haben können. Würde man nämlich die Gedanken des Klägers auch hier entsprechend anwenden, so würde dies den Arbeitnehmern im Separatwachdienst eine monatliche Mindestarbeitsvergütung für 260 Stunden garantieren. Für einen derartigen Willen der Tarifvertragsparteien finden sich aber gerade in der zitierten Ziff. 2.2 MTV keinerlei Anhaltspunkte.

2.2.3 Das Fehlen einer tarifvertraglichen Regelung, nach der die monatliche Arbeitszeit auf einzelne Wochentage verteilt werden, spricht nicht gegen die von der erkennenden Kammer vertretene Rechtsauffassung. Ziff. 2.1 MTV bestimmt nämlich in seinem 2. Absatz, dass die regelmäßige tägliche Arbeitszeit 8 Stunden nicht überschreiten soll. Auch hier wird ersichtlich keine Mindestarbeitszeit genannt, sondern - gerade umgekehrt- eine Höchstgrenze festgeschrieben. Bedenkt man dann weiter, dass die tägliche Arbeitszeit von 8 Stunden, wie sie regelmäßig erreicht werden soll, auf den Monat umgerechnet 173 Stunden ergibt, so folgt hieraus, dass die Tarifvertragsparteien für den Normalfall von einer 5-Tage-Woche ausgegangen sind. Dann aber kann das Fehlen einer ausdrücklichen Arbeitszeitverteilung auf die einzelnen Wochentage auch nicht als Indiz dafür genommen werden, dass die Regelarbeitszeit von 173 Stunden pro Monat die Zusage einer Garantievergütung beinhaltet.

2.3 Auch die - zwischen den Parteien im Wesentlichen unstreitige -Entstehungsgeschichte des aktuellen MTV's spricht eindeutig gegen die Rechtsauffassung des Klägers. Nach Darstellung beider Parteien wurde durch die Einführung der monatlichen Regelarbeitszeit von 173 Stunden - wenn auch auf Wunsch der Arbeitgeber - bezweckt, ihnen mehr Flexibilität hinsichtlich der Verteilung der Arbeitszeit auf die einzelnen Wochentage und innerhalb einer Woche zu ermöglichen. Dabei stand eben im Vordergrund, dass nicht in der einen Woche ein Anspruch auf Mehrarbeitszuschläge und in der anderen Woche ein Ausgleich von Annahmeverzug entstehen sollte. Im Termin zur mündlichen Verhandlung wies der Klägervertreter in diesem Zusammenhang auf Befragen des Gerichts darauf hin, dass es im Rahmen der Tarifvertragsverhandlungen dann aber nicht gelungen wäre, hieran anknüpfend eine Mindestarbeitsvergütung pro Monat durchzusetzen. Hieraus wiederum folgt, dass gerade angesichts dieser Entstehungsgeschichte kein übereinstimmender Wille der Tarifvertragsparteien festgestellt werden kann, eine derartige Garantie auf eine bestimmte Vergütung im Tarifvertrag festzuschreiben.

2.4 Schließlich sprechen dann aber auch Sinn und Zweck von Ziff. 2.1 MTV gegen die vom Kläger bevorzugte Auslegung. Insbesondere liegt es auf der Hand, dass die Tarifvertragsparteien dann, wenn sie eine Garantievergütung gewünscht hätten, dies entweder im MTV oder im LTV zum Ausdruck gebracht hätten. Gerade der auch im Jahre 2000 neu gefasste LTV enthält aber, wie bisher, eine Vergütungsregelung, die für die gewerblichen Arbeitnehmer an der jeweils geleisteten Arbeitsstunde ansetzt. Hieraus ergibt sich demgemäß nicht, dass die Tarifvertragsparteien - etwa wie im Angestelltenbereich - eine feste Monatsvergütung vereinbaren wollten.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 97 Abs. 1 ZPO.

Die Kammer hat mit Blick auf § 72 a Abs. 1 Ziff. 2 ArbGG eine besondere Bedeutung der Rechtssache bejaht und die Revision für den Kläger zugelassen.

Ende der Entscheidung

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