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Beginn der Entscheidung

Gericht: Landesarbeitsgericht Düsseldorf
Urteil verkündet am 09.02.2006
Aktenzeichen: 5 Sa 1365/05
Rechtsgebiete: MTV für den Einzelhandel in NRW


Vorschriften:

MTV für den Einzelhandel in NRW § 3
Ein Anspruch auf einen geänderten Arbeitsvertrag mit verlängerter Arbeitszeit nach § 3 Abs. 7 MTV besteht schon dann, wenn der Arbeitnehmer im Durchschnitt der letzten 17 Wochen über 20 % der einzelvertraglich vereinbarten Arbeitszeit hinaus gearbeitet hat. Es kommt nicht darauf an, dass diese Mehrarbeit in jeder der 17 Wochen geleistet wurde.
LANDESARBEITSGERICHT DÜSSELDORF IM NAMEN DES VOLKES URTEIL

5 Sa 1365/05

Verkündet am 09. Februar 2006

In dem Rechtsstreit

hat die 5. Kammer des Landesarbeitsgerichts Düsseldorf auf die mündliche Verhandlung vom 09.02.2006 durch den Vorsitzenden Richter am Landesarbeitsgericht Göttling als Vorsitzenden sowie den ehrenamtlichen Richter Böhm und den ehrenamtlichen Richter Beckers

für Recht erkannt:

Tenor:

1. Auf die Berufung der Klägerin wird das Urteil des Arbeitsgerichts Duisburg vom 21.09.2005 - 5 Ca 1760/05 - abgeändert:

Die Beklagte wird verurteilt, das Angebot der Klägerin auf Abschluss eines Änderungsvertrages mit einer wöchentlichen Arbeitszeit vom 25,5 Stunden anzunehmen.

2. Die Kosten des Rechtsstreits trägt die Beklagte.

3. Die Revision wird für die Beklagte zugelassen.

Tatbestand:

Die Parteien streiten über die Frage, ob die Beklagte verpflichtet ist, die Klägerin mit einem Arbeitszeitvolumen von 25,5 Stunden pro Woche zu beschäftigen.

Die am 15.04.1953 geborene Klägerin ist seit dem 01.09.1995 bei der Beklagten, die deutschlandweit Drogeriemärkte betreibt, als Verkäuferin in Teilzeit beschäftigt. Der zur Zeit gültige Arbeitsvertrag vom 19.01.2004 sieht ab dem 01.03.2004 eine wöchentliche Arbeitszeit von 19,5 Stunden und ein dafür zu zahlendes Bruttomonatsgehalt von 1.012,00 € vor.

Auf das Arbeitsverhältnis der Parteien finden im Übrigen die Bestimmungen des Manteltarifvertrages für den Einzelhandel in Nordrhein-Westfalen (MTV) in der jeweils gültigen Fassung Anwendung. In diesem MTV heißt es im § 3 Abs. 7 wie folgt:

"Teilzeitbeschäftigte, die zusammenhängend 17 Wochen über 20 % der einzelvertraglich vereinbarten Arbeitszeit hinaus gearbeitet haben, haben Anspruch auf einen Arbeitsvertrag, der dem Durchschnitt der tatsächlich geleisteten Arbeit innerhalb dieser 17 Wochen entspricht. Eine Erhöhung erfolgt nur bis zur tariflichen Höchstarbeitszeit gemäß § 2 Absatz 1. Bei der Berechnung werden die Monate November und Dezember sowie individuelle Urlaubszeiten und Krankheitszeiten bis 6 Wochen nicht berücksichtigt. Hierdurch wird der Zusammenhang nicht unterbrochen. Abweisungen in Betriebsvereinbarungen sind möglich. Der Anspruch erlischt mit dem Ablauf von 3 Monaten nach Vorliegen der Voraussetzungen, wenn er nicht innerhalb dieser Frist gegenüber dem Arbeitgeber geltend gemacht wird. Die Regelung in diesem Absatz gilt ab dem 01.08.2003."

Wegen der weiteren Einzelheiten der vertraglichen und tarifvertraglichen Grundlagen wird darüber hinaus auf Bl. 17 ff. d. A. verwiesen.

Die Klägerin, die Mitglied einer der bei der Beklagten gebildeten Betriebsräte ist, hätte nach zuletzt nicht mehr bestrittener Darstellung der Beklagten in den ersten 17 Kalenderwochen des Jahres 2005 insgesamt 266 Sollstunden zu erbringen gehabt. Tatsächlich arbeitete sie in diesem Zeitraum 374,50 Stunden. Im Rahmen der Mehrarbeit entfielen dabei 81,50 Stunden auf ihre Tätigkeit als Betriebsrätin. Wegen des Umfanges der Soll- und Iststunden im streitbefangenen Zeitraum wird im Übrigen auf Bl. 131 d. A. verwiesen.

Mit Schreiben vom 18.05.2005 machte die Klägerin gegenüber der Beklagten die Erhöhung ihrer wöchentlichen Arbeitszeit auf 25,5 Stunden geltend. Dies lehnte die Beklagte ab.

Mit ihrer am 06.07.2005 beim Arbeitsgericht Duisburg anhängig gemachten Klage hat die Klägerin ihr Begehren weiterverfolgt.

Sie hat die Auffassung vertreten, aus dem Wortlaut sowie Sinn und Zweck der tarifvertraglichen Regelung im § 3 Abs. 7 MTV folge, dass sie in dem Referenzzeitraum von 17 Wochen im Durchschnitt über 20 % der einzelvertraglich vereinbarten Arbeitszeit hätte leisten müssen. Darüber hinaus wären bei der Berechnung der tatsächlichen Arbeitszeit auch die außerhalb der Dienstzeit angefallenen Betriebsratstätigkeiten mitzuzählen, weil diese entgegen § 37 Abs. 3 Satz 1 BetrVG gerade nicht durch Freizeit ausgeglichen worden seien. Nach allem wäre die Beklagte jedenfalls verpflichtet, die wöchentliche Arbeitszeit der Klägerin entsprechend des Verhältnisses der geleisteten zur geschuldeten Arbeitszeit zu erhöhen, und zwar um den Faktor 1,393. Dies ergebe eine Wochenstundenzahl von 25,5 Stunden.

Die Klägerin hat beantragt,

die Beklagte zu verurteilen, das Angebot der Klägerin auf Abschluss eines Änderungsvertrages mit einer wöchentlichen Arbeitszeit von 25,5 Stunden anzunehmen.

Die Beklagte hat beantragt,

die Klage abzuweisen.

Sie hat die Auffassung vertreten, dass nach Sinn und Zweck der tarifvertraglichen Regelung nur dann ein Anspruch auf Erhöhung der Arbeitszeit bestehe, wenn in jeder der 17 Wochen über 20 % Mehrarbeit geleistet worden sei. Dies folge auch aus der Tarifgeschichte. Bei den Verhandlungen hätten die Arbeitgeber nämlich klargestellt, dass sie die nunmehr von der Klägerin gewählte Durchschnittsberechnung nicht akzeptieren wollten und eine andere Formulierung des Tarifvertragsentwurfs vorgeschlagen. Die Formulierungsänderung als solche habe die Gewerkschaft denn auch akzeptiert.

Die Klägerin ist dem entgegengetreten und hat darauf hingewiesen, dass eine Übereinstimmung über die auch hier strittige Interpretationsfrage gerade nicht erzielt worden wäre.

Mit Urteil vom 21.09.2005 hat die 5. Kammer des Arbeitsgerichts Duisburg - 5 Ca 1760/05 - die Klage abgewiesen. In den Entscheidungsgründen, auf die im Übrigen Bezug genommen wird, hat das Arbeitsgericht ausgeführt, schon aus dem Wortlaut von § 3 Abs. 7 MTV folge die Richtigkeit der von der Arbeitgeberseite vertretenen Auffassung. Gleiches ergebe sich aus der Systematik der tarifvertraglichen Bestimmungen und der Tatsache, dass der Referenzzeitraum durch Krankheit und Urlaub nicht unterbrochen werde. Auch Sinn und Zweck des Tarifvertrages belege, dass die von der Klägerin bevorzugte Durchschnittsberechnung nicht richtig sein könne. Die streitbefangene Tarifnorm bezwecke nämlich, die rechtlichen Rahmenbedingungen des Arbeitsverhältnisses an einen auf eine gewisse Dauer angelegten faktischen Zustand anzupassen. Dann aber müsse Grundlage der Anpassung auch ein kontinuierliches Mehrarbeitsbedürfnis sein.

Dieses Ergebnis, so das Arbeitsgericht weiter, werde durch die Tarifgeschichte nicht widerlegt. Insoweit sei nämlich nicht erkennbar geworden, dass trotz veränderter Formulierungen die Rechts- und Verhandlungspositionen der einen oder anderen Partei aufgegeben worden wären.

Die Klägerin hat gegen das ihr am 30.09.2005 zugestellte Urteil mit einem am 21.10.2005 beim Landesarbeitsgericht eingegangenen Schriftsatz Berufung eingelegt und diese - nach Verlängerung der Berufungsbegründungsfrist bis zum 30.12.2005 - mit einem am 29.12.2005 eingegangenen Schriftsatz begründet.

Sie wiederholt zunächst ihren Sachvortrag aus dem ersten Rechtszug und unterstreicht ihre Rechtsauffassung zur Auslegung des § 3 Abs. 7 MTV. Die Klägerin weist in diesem Zusammenhang darauf hin, dass gerade das in § 4 Abs. 3 Satz 1 MTV statuierte grundsätzliche Mehrarbeitsverbot, aber auch die systematische Stellung im Tarifgefüge belegten, dass eine Durchschnittsberechnung durchzuführen sei und gerade nicht auf jede Kalenderwoche abzustellen wäre.

Die Klägerin stellt die Anträge,

1. das Urteil des Arbeitsgerichts Duisburg vom 21.09.2005 - 5 Ca 1760/05 - war abzuändern;

2. der Beklagte wird verurteilt, das Angebot der Klägerin auf Abschluss eines Änderungsvertrages mit einer wöchentlichen Arbeitszeit von 25,5 Stunden mit Wirkung zum 01.06.2005 anzunehmen;

3. hilfsweise:

Es wird festgestellt, dass mit Wirkung ab 01.06.2005 ein Arbeitsvertrag zwischen den Parteien mit einer wöchentlichen Arbeitszeit der Klägerin von 25,5 Stunden besteht.

Die Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Sie verteidigt das arbeitsgerichtliche Urteil und wiederholt ebenfalls ihren Sachvortrag aus dem ersten Rechtszug. Die Beklagte verweist vor allem darauf, dass die von der Klägerin favorisierte Durchschnittsberechnung zu abstrusen Ergebnissen führte, weil eine nur kurz andauernde, aber erhebliche Mehrarbeit dem Arbeitnehmer zu einem hohen Arbeitszeitvolumen verhelfen könnte, ohne dass tatsächlich ein kontinuierlicher Mehrarbeitsbedarf vorgelegen hätte.

Die Beklagte vertritt darüber hinaus die Rechtsauffassung, dass die in Folge der Betriebsratsarbeit geleisteten Mehrarbeitstunden nicht berücksichtigt werden dürften, weil dies einen Verstoß gegen § 37 Abs. 2 u. 3 BetrVG sowie das Begünstigungsverbot des § 87 Satz 2 BetrVG darstelle.

Die Beklagte macht schließlich auch verfassungsrechtliche Bedenken geltend und verweist insoweit auf die in Art. 2 GG angesiedelte Privatautonomie und das Recht auf freie Berufsausübung in Art. 12 GG.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den vorgetragenen Inhalt der zu den Akten gereichten Urkunden und der zwischen den Parteien gewechselten Schriftsätze verwiesen.

Entscheidungsgründe:

I.

Die Berufung ist zulässig.

Sie ist nämlich an sich statthaft (§ 64 Abs. 1 ArbGG), nach dem Wert des Beschwerdegegenstandes zulässig (§ 64 Abs. 2 Ziffer b ArbGG) sowie form- und fristgerecht eingelegt und begründet worden (§§ 66 Abs. 1 Satz 1 ArbGG, 519, 520 ZPO).

II.

Auch in der Sache selbst hatte das Rechtsmittel Erfolg.

Die Klägerin hat gegen die Beklagte gemäß § 611 BGB i. V. mit dem zwischen ihnen geschlossenen Anstellungsvertrag und i. V. mit § 3 Abs. 7 MTV einen Anspruch auf Erhöhung ihrer Wochenarbeitszeit und den Abschluss eines entsprechenden Änderungsvertrages mit Wirkung zum 01.06.2005.

1. Der Antrag der Klägerin, der auf die Annahme des Angebots der Klägerin auf Abschluss eines Änderungsvertrags gerichtet ist, erweist sich als zulässig im Sinne des § 253 Abs. 2 Nr. 2 ZPO.

Nach § 3 Abs. 7 MTV haben die dort angesprochenen Teilzeitbeschäftigten einen Anspruch auf einen Arbeitsvertrag, sofern die tarifvertraglichen Voraussetzungen vorliegen. Die Klägerin hat deshalb zu Recht einen Antrag gestellt, der auf die Abgabe einer Willenserklärung durch die Beklagte gerichtet ist. Dieser Antrag ist hinreichend bestimmt und im Rahmen des § 894 Abs. 1 Satz 1 ZPO auch vollstreckungsfähig.

2. Das Klagebegehren ist auch begründet. Die Klägerin kann ihren Anspruch auf § 3 Abs. 7 MTV stützen, wonach Teilzeitbeschäftigte, die zusammenhängend 17 Wochen über 20 % der einzelvertraglich vereinbarten Arbeitszeit hinaus gearbeitet haben, Anspruch auf einen entsprechend geänderten Arbeitsvertrag besitzen. Entgegen der Auffassung des Arbeitsgerichts besteht dieser Anspruch auf Verlängerung der vereinbarten Arbeitszeit schon dann, wenn im Durchschnitt der letzten 17 Wochen über 20 % hinausgehende Arbeitsleistung erbracht worden ist. Es kommt nicht darauf an, dass diese Mehrarbeit in jeder der 17 Wochen geleistet wurde. Dies folgt aus einer umfassenden Auslegung der streitbefangenen Tarifnorm.

2.1 Die Auslegung des normativen Teils eines Tarifvertrages folgt nach der ständigen Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts aus den für die Auslegung von Gesetzen geltenden Regeln. Auszugehen ist vom Tarifwortlaut. Zu erforschen ist der maßgebliche Sinn der Erklärung, ohne am Wortlaut zu haften. Der wirkliche Wille der Tarifvertragsparteien und damit der von ihnen beabsichtigte Sinn und Zweck der Tarifnorm sind mit zu berücksichtigen, soweit sie in den tariflichen Normen ihren Niederschlag gefunden haben. Auch auf den tariflichen Gesamtzusammenhang ist abzustellen. Verbleiben noch Zweifel, können weitere Kriterien wie Tarifgeschichte, praktische Tarifübung und Entstehungsgeschichte des jeweiligen Tarifvertrages ohne Bindung an eine bestimmte Reihenfolge berücksichtigt werden. Im Zweifel ist die Tarifauslegung zu wählen, die zu einer vernünftigen, sachgerechten, zweckorientierten und praktisch brauchbaren Lösung führt (BAG, Urteil vom 03.08.2005, - 10 AZR 559/04 - AP Nr. 13 zu § 1 Tarifverträge: Bewachungsgewerbe; BAG, Urteil vom 20.03.2002 - 10 AZR 518/01 - AP Nr. 34 zu §§ 22, 23 BAT Zulagen).

2.2 Der Wortlaut der streitbefangenen Tarifbestimmungen ist - für sich allein betrachtet - nicht eindeutig. Die Beklagte verweist in diesem Zusammenhang zwar zunächst und zu Recht darauf hin, dass im ersten Halbsatz nach den "17 Wochen" nicht das Wort durchschnittlich verwendet wird, während es im zweiten bzw. letzten Halbsatz ausdrücklich auftaucht. Andererseits haben die Tarifvertragsparteien aber auch keine ausdrückliche Formulierung dahingehend gewählt, dass in dem Referenzzeitraum von 17 Wochen in jeder Woche über 20 % der einzelvertraglich vereinbarten Arbeitszeit hinaus gearbeitet werden müsste.

2.3 Soweit man auf die Systematik und den Sachzusammenhang abstellt, in dem sich § 3 Abs. 7 Satz 1 MTV befindet, sprechen diese für die von der Klägerin in Ansatz gebrachte Durchschnittsberechnung. Hier ist vor allen Dingen von Bedeutung, dass nach § 3 Abs. 7 Satz 3 MTV individuelle Urlaubszeiten und Krankheitszeiten bis zu 6 Wochen nicht berücksichtigt werden sollen. Hieraus folgt zunächst logisch und nachvollziehbar, dass Wochen, in denen die betroffenen Mitarbeiter vollständig krank oder vollständig in Urlaub waren, nicht zu einer Unterbrechung des Referenzzeitraumes von 17 Wochen führen können. Unklar bleibt bei der von der Beklagten gewählten Berechnungsmethode aber, wie einzelne Tage oder Zeitabschnitte zu berücksichtigen sind, an denen die betroffenen Mitarbeiter wegen Krankheit oder Urlaub fehlen. In diesen Fällen würde es eben regelmäßig nicht möglich sein, in der betroffenen Woche über 20 % der einzelvertraglichen Arbeitszeit hinaus zu arbeiten. Dann aber bleibt weiter unklar, ob bei der Berechnung der 20 %igen Mehrarbeit auf die verbleibende Restarbeitszeit in der betroffenen Woche oder auf jeden einzelnen Arbeitstag abzustellen ist. Hierüber findet sich im Tarifvertrag keine ausdrückliche oder auch nur konkludente Regelung. Dann aber kann dies nur bedeuten, dass nicht eine auf jede Woche abgestellte Mehrarbeitsberechnung, sondern eine auf den gesamten Referenzzeitraum bezogene Durchschnittsberechnung zu erfolgen hat. In diesem Falle ist die Berücksichtigung einzelner Urlaubs- oder Krankheitstage und darüber hinaus sogar die Berücksichtigung von einzelnen Ausfallstunden ohne weiteres möglich und auch, wie unten noch aufzuzeigen wird, praktisch handhabbar.

2.4 Die an der Systematik des Tarifgefüges orientierte Auslegung wird gestützt durch Sinn und Zweck von § 3 Abs. 7 MTV. Bereits das Arbeitsgericht hat in diesem Zusammenhang darauf hingewiesen, dass der Zweck der Tarifnorm darauf gerichtet ist, die rechtlichen Rahmenbedingungen des Arbeitsverhältnisses an einen auf eine gewisse Dauer angelegten faktischen Zustand anzupassen. Das Arbeitsgericht hat dabei weiter zutreffend ausgeführt, dass dann aber ein kontinuierliches Mehrarbeitsbedürfnis vorliegen und erfasst werden müsste. Diesem Zweck wird ausreichend Genüge getan, wenn bei der Berechnung der Mehrarbeit auf den Durchschnitt der in den letzten 17 Wochen erbrachten Arbeitsleistung abgestellt wird.

2.4.1 Dass die rechtlichen Rahmenbedingungen auf ein kontinuierliches Mehrarbeitsbedürfnis fußen müssen, steht dem nicht entgegen. Eine derartige Kontinuität ist nämlich auch bei einer Durchschnittsbetrachtung durchaus gegeben. Sie setzt nicht das stetige und ohne Ausnahme festzustellende Vorhandensein einer 20 %igen Mehrarbeit pro Woche voraus. Gerade im Einzelhandel gibt es - auch außerhalb des Weihnachtsgeschäftes - viele Gelegenheiten, zu denen Mehrarbeit im schwankenden Maße zu erbringen ist. Auch insoweit ist dann aber von einem kontinuierlichen Mehrarbeitsbedürfnis auszugehen, das im Rahmen des § 3 Abs. 7 MTV zur Änderung der arbeitsvertraglichen Grundlagen herangezogen werden kann, weil eben auch hier ein Arbeitsvolumen zur Verfügung steht, das abgearbeitet werden muss. Dass dieses Arbeitsvolumen in schwankender Höhe zur Verfügung steht, ändert nichts daran, dass ein entsprechendes Mehrarbeitsbedürfnis besteht. Auch dann nämlich, wenn bei der Berechnung der Mehrarbeit auf jede einzelne Kalenderwoche abgestellt wird, erweist sich die Menge der zu erbringenden Mehrarbeit als nicht konstant und ist gleichwohl im Rahmen der Durchschnittsberechnung, bezogen auf die letzten 17 Wochen, zu berücksichtigen.

2.4.2 Die Klägerin weist darüber hinaus zutreffend darauf hin, dass die Tarifvertragsparteien in § 4 Abs. 3 MTV den Grundsatz aufgestellt haben, Mehrarbeit nach Möglichkeit zu vermeiden. Einer derartigen tarifvertraglichen Vorgabe würde aber eine Regelung kaum gerecht, die eine Anpassung der tatsächlich geleisteten Arbeitszeit an entsprechende arbeitsvertragliche Vereinbarungen nur unter ganz eingeschränkten Möglichkeiten vorsehe. Würde man nämlich der Rechtsauffassung der Beklagten folgen, so wäre sie auch weiterhin in der Lage, in einem hohen Umfang zusätzliche Arbeitsleistung von ihren Teilzeitbeschäftigten einzufordern, ohne verpflichtet zu sein, die Arbeitsverträge entsprechend anzupassen. Dies aber kann mit § 4 Abs. 3 Satz 1 MTV kaum in Übereinstimmung gebracht werden.

2.5 Die Tarifgeschichte zum Zustandekommen des § 3 Abs. 7 MTV bietet keine Erkenntnisse, die bei der Auslegung der bezeichneten Tarifnorm Hilfestellung leisten könnte. Nach dem Vorbringen der Parteien in beiden Rechtszügen ist allenfalls festzustellen, dass das Problem der Interpretation des § 3 Abs. 7 MTV erkannt worden war und das es den Arbeitgebern darum ging, möglichst keine der von der Gewerkschaft angestrebten Durchschnittsberechnung zu regeln. Wenn dann im Verlaufe der Tarifvertragsverhandlungen der ursprüngliche Vertragstext modifiziert und den Wünschen der Arbeitgeber angepasst worden sein sollte, so besagt dies indessen nichts über die damit verbundene rechtliche Einschätzung. Die Klägerin hat insoweit zutreffend ausgeführt, dass man damit das Problem zwar erkannt, aber jedenfalls nicht einvernehmlich gelöst hatte.

2.6 Das bisher gefundene Auslegungsergebnis, die über 20 %ige Mehrbelastung am Durchschnitt der Arbeitsstunden der zusammenhängenden 17 Wochen zu orientieren, wird schließlich noch dadurch untermauert, dass gerade diese Tarifauslegung zu einer vernünftigen, sachgerechten, zweckorientierten und praktisch brauchbaren Lösung führt.

2.6.1 Bereits oben unter Ziffer 2.3 ist seitens der erkennenden Kammer darauf hingewiesen worden, dass allein bei der Durchschnittsberechnung die Möglichkeit besteht, sachgerecht und praktisch brauchbar auf Fehlzeiten zu reagieren, die durch Krankheit oder Urlaub der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer ausgelöst worden ist. Würde man hingegen auf das Erreichen einer Arbeitsleistung von mehr als 20 % oberhalb der einzelvertraglich vereinbarten Arbeitszeit pro Woche abstellen, käme es zu Anwendungsproblemen, Rechtsunsicherheiten und auch tatsächlichen Berechnungsschwierigkeiten. Dies spricht erneut für eine Bevorzugung der Durchschnittsberechnung.

2.6.2 Hinzu kommt, dass bei dieser Berechnungsmethode auch den weiteren Vorgaben des Manteltarifvertrages, insbesondere dem § 10 Abs. 5 MTV genüge getan wird, wonach Teilzeitbeschäftigte einen Anspruch auf ein monatliches Tarifentgelt haben, das dem Verhältnis ihrer vereinbarten Arbeitszeit zu der dem tariflichen Entgelt eines Vollbeschäftigten zugrunde liegenden Arbeitszeit entspricht. Teilzeitbeschäftigte, die auch weiterhin in einem hohen Maße mit zusätzlicher Arbeitszeit belastet werden, kommen danach kaum in den Genuss einer erhöhten, vertraglich vereinbarten Arbeitszeit mit entsprechendem Tarifgrundentgelt, wenn der Umfang der gem. § 3 Abs. 7 MTV vorausgesetzten zusätzlichen Arbeitszeit in jeder Kalenderwoche festgemacht wird. Zusammen mit dem bereits oben diskutierten grundsätzlichen Mehrarbeitsverbot belegt demgemäß gerade § 10 Abs. 5 MTV, bei einer kontinuierlichen, wenn auch schwankenden Mehrarbeit der Teilzeitbeschäftigten einen Anspruch auf Anpassung ihres Arbeitsvertrages zu bejahen, zumal auch tarifliche Sonderzahlungen wie Weihnachts- oder Urlaubsgeld von der vereinbarten Arbeitszeit abhängen.

2.6.3 Die erkennende Berufungskammer teilt schließlich nicht die Bedenken der Beklagten und des Arbeitsgerichts, dass bei Anwendung der Durchschnittsberechnungsmethode Situationen entstehen könnten, wonach nach nur kurzer, aber vom Umfang her erheblicher Mehrarbeit aufgrund der dann folgenden Durchschnittsberechnung ein Anspruch auf Arbeitszeitverlängerung entstehen könnte, ohne dass ein kontinuierlicher Mehrarbeitsbedarf festzustellen ist. Naturgemäß sind solche, als Ausnahmefälle zu deklarierende Umstände nicht völlig auszuschließen, könnten aber sicherlich durch die gezielte Zuweisung von Arbeit durch die Beklagte selbst in Grenzen gehalten werden. Darüber hinaus bietet aber gerade auch die von ihr bevorzugte Berechnungsmethode keinen Schutz vor extremen Ausnahmefällen. So ist auch dann, wenn zur Berechnung des Arbeitsumfangs auf die einzelne Kalenderwoche abgestellt wird, nicht auszuschließen, dass ein Arbeitnehmer oder eine Arbeitnehmerin 6 Wochen arbeitsunfähig erkrankt und innerhalb des 17-Wochen-Zeitraums noch 4 Wochen in Urlaub geht. Auch in diesem Falle würden bereits 5 Wochen zusätzlicher 20 %iger Arbeitsleistung genügen, um das Verlängerungsbegehren der betroffenen Mitarbeiter zu rechtfertigten.

2.7 Die von der Beklagten im zweiten Rechtszug geäußerten verfassungsrechtlichen Bedenken werden von der Berufungskammer nicht geteilt, so dass auch insoweit keine Veranlassung besteht, das oben dargestellte Auslegungsergebnis in Zweifel zu ziehen.

Insbesondere wird die verfassungsrechtlich geschützte Vertragsfreiheit des Arbeitgebers, die in Art. 12 GG geregelte Berufsausübungsfreiheit und schließlich das durch Art. 14 GG geschützte Eigentumsrecht der Beklagten nicht unverhältnismäßig eingeschränkt.

Die von der allgemeinen Vertragsfreiheit umfasste Freiheit zu unternehmerischer Betätigung wird in erster Linie von Art. 2 Abs. 1 GG geschützt. Werden einem Arbeitgeber Lasten mit dem Ziel auferlegt, ihn zum Abschluss bestimmter Verträge zu bewegen, kann damit gleichzeitig auch in die durch Art. 12 GG geschützte Berufsfreiheit eingegriffen werden. Derartige Eingriffe sind mit der Verfassung dann vereinbar, wenn sie auf sachgerechten und vernünftigen Erwägungen des Gemeinwohls beruhen und die berufliche Tätigkeit nicht unverhältnismäßig einschränken. Gleiches gilt, sofern sich der Eingriff auf das Eigentumsrecht des Arbeitgebers bezieht (vgl. hierzu: BAG, Urteil vom 30.09.2003 - 9 AZR 665/02 - AP Nr. 5 zu § 8 Teilzeitbefristungsgesetz; BAG, Urteil vom 18.02.2003 - 9 AZR 164/02 - AP Nr. 2 zu § 8 Teilzeitbefristungsgesetz).

Hiernach verstößt § 3 Abs. 7 MTV nicht gegen die oben dargestellten Grundrechte, weil der Eingriff in die Rechtsposition der Beklagten auf sachlichen Erwägungen beruht und nicht unverhältnismäßig ist. Die Tarifvertragsparteien haben mit der hier umstrittenen Regelung unter anderem den Zweck verfolgt, kontinuierlich vorliegende und durch die Mitarbeiter abzuleistende Mehrarbeit vertraglich abzusichern, wenn und soweit über einen Referenzzeitraum beobachtet werden konnte, dass die Kontinuität gegeben ist. Die Tarifvertragsparteien haben damit, ohne willkürlich oder rechtsmissbräuchlich zu handeln, Voraussetzungen geschaffen, faktisch vorhandene Situationen vertraglich anpassen zu können. Dies führt zwar auf Seiten des Arbeitgebers dazu, dass die bisher vorhandene tatsächliche Beschäftigungsmöglichkeit zu einer rechtlichen Verpflichtung führt, entsprechende Arbeitskapazitäten zur Verfügung zu stellen. Da dies indessen nur aufgrund und anhand der festzustellenden tatsächlich vorhandenen Verhältnisse erfolgen kann, liegt hierin auch in finanzieller Hinsicht keine unverhältnismäßige Mehrbelastung. Die Tätigkeiten der betroffenen Mitarbeiter waren auch vorher entsprechend den tarifvertraglichen Vorgaben zu vergüten.

3. Dem Klagebegehren der Klägerin war auch hinsichtlich der von ihr beanspruchten Wochenstundenzahl zu entsprechen. Bei Anwendung der Methode der Durchschnittsberechnung gemäß § 3 Abs. 7 Satz 1 MTV ergibt sich eine durchschnittliche wöchentliche Arbeitszeit von mindestens 25,5 Stunden, weil auch die Tätigkeiten zu berücksichtigen waren, die die Klägerin für den Betriebsrat aufgewendet hat.

3.1 Soweit es sich um Betriebsratstätigkeit während der Arbeitszeit handelt, folgt ihre Berücksichtigung bei der Berechnung der tatsächlichen Arbeitszeit unmittelbar aus § 37 Abs. 2 BetrVG, wonach Mitglieder des Betriebsrats von ihrer beruflichen Tätigkeit ohne Minderung des Arbeitsentgelts zu befreien sind, wenn und soweit es nach Umfang und Art des Betriebs zur ordnungsgemäßen Durchführung ihrer Aufgaben erforderlich ist. Dass diese Voraussetzungen nicht vorgelegen haben könnten, ist von der Beklagten selbst in beiden Instanzen nicht vorgetragen worden.

3.2 Soweit die Klägerin Betriebsratstätigkeit außerhalb der Arbeitszeit vorgenommen hat, ist auch diese Tätigkeit - ausnahmsweise - zu berücksichtigen, und zwar gemäß § 37 Abs. 3 Satz 1 u. 3 BetrVG. Nach diesen Bestimmungen ist zum Ausgleich für Betriebsratstätigkeit, die aus betriebsbedingten Gründen außerhalb der Arbeit durchzuführen ist, das Betriebsratsmitglied unter Fortzahlung des Arbeitsentgelts freizustellen. Genau diese Freistellung ist der Klägerin von der Beklagten aber nicht gewährt worden. Sie hat vielmehr durchgehend die von ihr erwartete (Mehr-)arbeit erbracht. Eine Vergütung der außerhalb der Arbeitszeit geleisteten Betriebsratstätigkeit erfolgte nach § 37 Abs. 3 Satz 3 BetrVG. Dann aber ist es der Beklagten verwehrt, sich auf die Tatsache zu berufen, das Betriebsratstätigkeiten außerhalb der Arbeitszeit erbracht wurden. In Wirklichkeit geht es hier dann auch nicht um Zeiten der Betriebsratstätigkeit der Klägerin, sondern um Stunden der individuellen vertraglichen Arbeitszeit, zu dem die Klägerin der nach dem Arbeitsvertrag geschuldeten Tätigkeit als Verkäuferin nachgekommen ist, obgleich sie gemäß § 37 Abs. 3 Satz 1 BetrVG hätte freigestellt werden müssen. Anknüpfungspunkt für den aus § 3 Abs. 7 MTV erwachsenen Anspruch ist demgemäß nicht die Betriebsratstätigkeit als solche, sondern die trotz der Betriebsratstätigkeit zusätzlich aufgewandte Arbeitszeit (so auch: Arbeitsgericht Duisburg, Urteil vom 04.11.2005 - 3 Ca 2386/05 - n. v.).

3.3 Hierin liegt schließlich auch keine unzulässige Begünstigung im Sinne des § 78 Satz 2 BetrVG. Eine Besserstellung gegenüber anderen Arbeitnehmern kann schon deshalb nicht gegeben sein, weil die Betriebsratsmitglieder auf Zahlungsansprüche nach § 37 Abs. 3 Satz 3 BetrVG keinen Einfluss nehmen können. Sie erhalten diese Vergütung nur unter den engen Voraussetzungen der genannten Norm und deshalb ergibt sich ein Sondervorteil gegenüber anderen Arbeitnehmern, die ihre Arbeitszeit nicht beliebig ausdehnen und eine zusätzliche Vergütung erhalten können, gerade nicht (so ausdrücklich BAG, Urteil vom 11.01.1995 - 7 AZR 543/94 - AP Nr. 103 zu § 37 BetrVG 1972 zur Problematik der Berücksichtigung der Mehrarbeitsvergütung nach § 37 Abs. 3 Satz 3 BetrVG bei der Berechnung des Urlaubsentgelts). Dem schließt sich die erkennende Berufungskammer auch für die hier zu beurteilende Fallkonstellation an. Ein Verstoß gegen § 78 Satz 2 BetrVG liegt demnach nicht vor.

3.4 Bei der Berechnung der durchschnittlich zu berücksichtigenden Sollstunden und der tatsächlich erbrachten Arbeitsleistung hat die erkennende Kammer zunächst auf die von der Klägerin nicht bestrittene Arbeitszeitaufstellung im Schriftsatz vom 16.01.2006 (Bl. 131 d. A.) abgestellt. Danach sind in den ersten 17 Kalenderwochen 265,20 Sollstunden (nicht 266 Sollstunden) in Ansatz zu bringen. Dem waren insgesamt 373,70 tatsächlich geleistete Arbeitsstunden entgegen zu stellen. Im Verhältnis zur Sollstundenzahl hat die Klägerin damit Arbeitsleistung in einem Umfang erbracht, der das 1,409-fache der Sollstundenzahlen entspricht. Bezogen auf ihre bisherige Wochenstundenzahl von 19,50 Stunden ergibt sich ein Anspruch auf Verlängerung der Arbeitszeit auf 27,50 Wochenstunden (aufgerundet), von denen die Klägerin allerdings nur 25,5 Stunden klageweise geltend gemacht hat. Dieses Klagebegehren erweist sich mithin auch der Höhe nach als begründet.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 91 Abs. 1 ZPO.

Die Kammer hat das Vorliegen einer entscheidungserheblichen Rechtsfrage von grundsätzlicher Bedeutung im Sinne von § 72 Abs. 2 Ziff. 1 ArbGG bejaht und die Revision zugelassen.

Ende der Entscheidung

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