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Beginn der Entscheidung

Gericht: Landesarbeitsgericht Düsseldorf
Urteil verkündet am 29.01.2004
Aktenzeichen: 5 Sa 1588/03
Rechtsgebiete: SGB IV


Vorschriften:

SGB IV § 85
SGB IV § 88
SGB IV § 91
1. Der Arbeitgeber kann eine außerordentliche Kündigung unter Gewährung einer Auslauffrist bereits dann gegenüber einem schwerbehinderten Menschen erklären, wenn ihm das Integrationsamt mündlich oder fernmündlich seine Zustimmungsentscheidung mitgeteilt hat.

2. Dies setzt allerdings voraus, dass das Integrationsamt die förmliche schriftliche Entscheidung getroffen hat, die nur noch zugestellt werden muss; die mündliche Weitergabe einer noch nicht schriftlich vorliegenden Entscheidung reicht nicht aus.


LANDESARBEITSGERICHT DÜSSELDORF IM NAMEN DES VOLKES URTEIL

5 Sa 1588/03

In Sachen

hat die 5. Kammer des Landesarbeitsgerichts Düsseldorf auf die mündliche Verhandlung vom 29.01.2004 durch den Vorsitzenden Richter am Landesarbeitsgericht Göttling als Vorsitzenden sowie den ehrenamtlichen Richter Battenstein und den ehrenamtlichen Richter Schwieca

für Recht erkannt:

Tenor:

1) Die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des Arbeitsgerichts Essen vom 24.09.2003 - 5 Ca 2162/03 - wird kostenpflichtig zurückgewiesen.

2) Die Revision wird für die Beklagte zugelassen.

Tatbestand:

Die Parteien streiten über die Rechtswirksamkeit einer außerordentlichen Kündigung der Beklagten.

Die am 07.08.1962 geborene Klägerin ist seit dem 16.11.1987 bei der Beklagten als Angestellte beschäftigt. Sie ist schwerbehindert mit einem Grad der Behinderung von 95.

Grundlage des Arbeitsverhältnisses der Parteien bildet derzeit ein Vertrag vom 05.03.1991 (Bl. 79 d. A.), wonach sich ihr Arbeitsverhältnis nach den Bestimmungen des Bundesangestelltentarifvertrages (BAT) in der jeweils geltenden Fassung richtet. Die Vergütung der Klägerin beträgt 2.199,-- € brutto pro Monat.

Auf das Arbeitsverhältnis der Parteien finden die Bestimmungen des Kündigungsschutzgesetzes Anwendung.

Mit Schreiben vom 03.09.2002 beantragte die Beklagte beim zuständigen Integrationsamt des Landschaftsverbands Rheinland in Köln die Zustimmung zur ordentlichen Kündigung der Klägerin und berief sich hierbei auf eingetretene Störungen des Betriebsfriedens.

Am 29.10.2002 trafen die Parteien im Rahmen einer Güteverhandlung vor dem Integrationsamt folgende Feststellungen:

1. Das Verfahren zur ordentlichen Kündigung wird nicht fortgeführt, es erledigt sich durch Fristablauf, da am 16.11.2002 die Unkündbarkeit eintritt.

2. Frau W. wird bei einer persönlichen Vorsprache bei Herrn C. am 30.11.2002 den Namen und die Anschrift der sie behandelnden Psychologin bekannt geben und eine Erklärung zur Entbindung von der Schweigepflicht unterzeichnen.

3. Die Verwaltung versucht einen geeigneten Einsatz für Frau W. zu finden.

4. Frau W. nimmt Kontakt zum BBD auf.

5. Herr C. prüft die Fördermöglichkeiten durch das Integrationsamt.

6. Sobald die gesundheitliche Frage eindeutig geklärt ist, entscheidet 11-2 erneut.

Mit Wirkung vom 07.01.2003 wurde die Klägerin aufgrund des oben dargestellten Vergleichs zum Schulverwaltungsamt versetzt und als Schulsekretärin weiterbeschäftigt.

Unter dem 02.04.2003 erhielt das Amt für Zentrale Dienste der Beklagten Informationen über eine Internetseite, die unter dem Titel "Mobbing gegen Schwerbehinderte in Essen" ausführliche Berichte über bestimmte Zustände im Verwaltungsbereich der Beklagten enthielt. Diese Berichte gingen auf eine Darstellung der Klägerin aus dem Monat August 2002 zurück.

Nach Kenntnis der Beklagten von der Internetseite forderte sie die Klägerin mit Schreiben vom 04.04.2003 zur Stellungnahme auf. Die Klägerin erschien daraufhin am selben Tag beim Schulverwaltungsamt der Beklagten und erklärte unter anderem, dass sie die Darstellung nicht ins Internet gestellt oder veröffentlicht hätte (vgl. hierzu das Protokoll über das Gespräch am 04.04.2003 Bl. 95 d. A.).

Die weiteren Einzelheiten zu Art und Inhalt der zwischen den Parteien in diesem Zusammenhang geführten Gespräche, zur Frage der Verantwortlichkeit der Klägerin hinsichtlich der Berichte im Internet und hinsichtlich ihrer Bemühungen, die weitere Veröffentlichung der Berichte zu stoppen, sind zwischen den Parteien streitig.

Mit Schreiben vom 07.04.2003 informierte die Beklagte das Integrationsamt Köln über den bis dahin festgestellten Sachverhalt und bat um Zustimmung zur außerordentlichen fristlosen Kündigung der Klägerin (Bl. 99 ff. d. A.). Mit Schreiben vom gleichen Datum wurden der bei der Beklagten bestehende Personalrat sowie die Gleichstellungsstelle, die Schwerbehindertenvertretung und der Beauftragte des Arbeitgebers in Angelegenheiten schwerbehinderter Menschen unterrichtet bzw. um Stellungnahme gebeten.

Am 14.04.2003 fand alsdann vor dem Integrationsamt ein gütlicher Verhandlungstermin statt, an dem seitens der Beklagten unter anderem die erste Sachbearbeiterin "Arbeits- und Tarifrecht" Frau C., und seitens des Integrationsamtes Frau X. teilnahmen. In der Sitzung wurde zunächst folgende Einigung getroffen:

1, Der Antrag auf Zustimmung zur außerordentlichen fristlosen Kündigung wird umgewandelt in einen Antrag auf außerordentliche Kündigung mit sozialer Auslauffrist zum 31.12.2003.

2. Wenn sich herausstellt, dass Frau V. die Veröffentlichung nicht verschuldet hat, wird die Kündigung zurückgenommen. Zu diesem Zwecke soll gegen den Betreiber der Web-Site Strafanzeige erstattet werden, auch um zu erfahren, wer die Veröffentlichung veranlasst hat. Der Anwalt von Frau W. wird ebenfalls Strafanzeige erstatten, zumal die Veröffentlichung von ihr nicht autorisiert war und sie dadurch nun erhebliche Nachteile hat.

3. Wenn sich herausstellt, dass Frau V. die Veröffentlichung verschuldet hat, wird eine außerordentliche fristlose Kündigung beim Integrationsamt beantragt; von dort wird dann keine erneute gütliche Verhandlung terminiert.

Wegen der weiteren Einzelheiten der Verhandlung am 14.04.2003 wird im Übrigen auf Bl. 104 der Akten verwiesen.

Mit Schreiben vom 15.04.2003 stimmte der zur Kündigung angehörte Personalrat der beabsichtigten außerordentlichen Kündigung mit sozialer Auslauffrist zu (Bl. 107 d. A.).

Mit Schreiben vom selben Tag sprach die Beklagte daraufhin der Klägerin eine außerordentliche Kündigung mit Auslauffrist zum 31.12.2003 aus. Mit Schreiben vom 16.06.2003 (Bl. 113 ff. d. A.) begründete das Integrationsamt die "zustimmende Entscheidung vom 14.04.2003" zur außerordentlichen Kündigung der Klägerin mit sozialer Auslauffrist.

Mit ihrer am 24.04.2003 beim Arbeitsgericht Essen anhängig gemachten Klage hat die Klägerin die Rechtsunwirksamkeit der Kündigung geltend gemacht.

Sie hat im Wesentlichen bestritten, für die von der Beklagten gerügte Internetdokumentation verantwortlich gewesen zu sein und beantragt, festzustellen, dass das Arbeitsverhältnis zwischen den Parteien nicht durch die Kündigung vom 15.04.2003 aufgelöst wird.

Die Beklagte hat beantragt,

die Klage abzuweisen.

Die Beklagte hat die Auffassung vertreten, aufgrund der von der Klägerin zu vertretenen negativen und teilweise unwahren Darstellung im Internet sei es ihr unzumutbar, das Arbeitsverhältnis über das Ende der Auslauffrist hinaus fortzusetzen.

Darüber hinaus liege auch kein Verstoß gegen §§ 85, 91 SGB IX vor, weil das Integrationsamt noch am 14.04.2003 die mündliche Zustimmung zur beabsichtigten Kündigung erteilt hätte.

Mit Urteil vom 24.09.2003 hat die 5. Kammer des Arbeitsgerichts Essen - 5 Ca 2162/03 - dem Begehren der Klägerin entsprochen. In den Entscheidungsgründen, auf die im Übrigen Bezug genommen wird, hat das Arbeitsgericht ausgeführt, die Kündigung sei bereits gemäß §§ 85, 91 SGB IX unwirksam, da sie ohne eine wirksam erteilte Zustimmung des Integrationsamtes ausgesprochen worden wäre. Zwar könne ein Arbeitgeber grundsätzlich bereits dann kündigen, wenn die Entscheidung des Integrationsamtes zwar getroffen, aber noch nicht zugestellt sei. Zu fordern wäre nach Wortlaut, Sinn und Zweck der genannten Vorschriften allerdings, dass eine schriftliche Entscheidung vorliege, die dann mündlich vorab mitgeteilt werden könnte. Hiervon könne für die vorliegende Fallkonstellation aber gerade nicht ausgegangen werden.

Die Beklagte hat gegen das ihr am 17.10.2003 zugestellte Urteil mit einem am 28.10.2003 beim Landesarbeitsgericht eingegangenen Schriftsatz Berufung eingelegt und diese mit einem am 17.12.2003 eingegangenen Schriftsatz begründet.

Sie wiederholt ihren Sachvortrag aus dem ersten Rechtszug und betont nochmals, dass das Integrationsamt Köln am 14.04.2003 mündlich die Zustimmung zur Kündigung erteilt hätte. Dies, so die Beklagte weiter, sei nach ständiger Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts ausreichend, den Vorgaben der §§ 85, 91 SGB IX zu genügen.

Die Beklagte beantragt,

das Urteil des Arbeitsgerichts Essen vom 24.09.2003 - 5 Ca 2162/03 - abzuändern und die Klage abzuweisen.

Die Klägerin beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Sie verteidigt das arbeitsgerichtliche Urteil und wiederholt ebenfalls im Wesentlichen ihren Sachvortrag aus der ersten Instanz. Sie meint, eine ordnungsgemäße Zustimmung vor Zugang der Kündigung hätte nicht vorgelegen; die Mitteilung einer nur mündlichen Entscheidung allein reiche hierfür nicht aus.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den vorgetragenen Inhalt der zu den Akten gereichten Urkunden und der zwischen den Parteien gewechselten Schriftsätze verwiesen.

Entscheidungsgründe:

I.

Die Berufung ist zulässig.

Sie ist nämlich an sich statthaft (§ 64 Abs. 1 ArbGG), nach dem Wert des Beschwerdegegenstandes zulässig (§ 64 Abs. 2 Ziffer b ArbGG) sowie form- und fristgerecht eingelegt und begründet worden (§§ 66 Abs. 1 Satz 1 ArbGG, 519, 520 ZPO).

II.

In der Sache selbst hatte das Rechtsmittel indessen keinen Erfolg.

Die Kündigung der Beklagten vom 15.04.2003 ist rechtsunwirksam und hat das Arbeitsverhältnis der Parteien nicht aufgelöst, weil die Kündigung ohne vorherige Zustimmung des Integrationsamtes im Sinne der §§ 85, 91 SGB IX ausgesprochen wurde. Die möglicherweise erteilte mündliche Zustimmung vom 14.04.2003 ist nicht ausreichend, und genügt vor allem nicht den Anforderungen, die die §§ 85, 91 SGB IX zum Zustandekommen einer rechtswirksamen Zustimmungserteilung aufstellen.

1. In Übereinstimmung mit den Rechtsausführungen des Arbeitsgerichts und der Rechtsauffassung der Beklagten geht auch die erkennende Kammer davon aus, dass die Kündigung eines schwerbehinderten Menschen gemäß § 85 SGB IX nur dann wirksam ist, wenn die vorherige Zustimmung der Hauptfürsorgestelle vorliegt. Darüber hinaus folgt die Berufungskammer der ständigen Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts, wonach der Arbeitgeber die außerordentliche oder die außerordentliche Kündigung unter Gewährung einer Auslauffrist bereits dann gegenüber einem Schwerbehinderten erklären kann, wenn ihm die Hauptfürsorgestelle (heute: Integrationsamt) ihre Zustimmungsentscheidung innerhalb der Zwei-Wochen-Frist des § 21 Abs. 3 SchwbG (heute: § 91 Abs. 3 SGB IX) mündlich oder fernmündlich bekannt gegeben hat; einer vorherigen Zustellung der Entscheidung der Hauptfürsorgestelle (heute: Integrationsamt) bedarf es hingegen nicht (vgl. hierzu: BAG, Urteil vom 21.08.1999 - 2 AZR 748/98 - AP Nr. 7 zu § 21 SchwbG 1986; BAG, Urteil vom 09.02.1994 - 2 AZR 720/93 - AP Nr. 3 zu § 21 SchwbG 1986).

2. Den genannten Entscheidungen des Bundesarbeitsgerichts lag allerdings, soweit erkennbar, jeweils ein Sachverhalt zugrunde, in dem das zuständige Integrationsamt (früher: Hauptfürsorgestelle) die zustimmende Entscheidung schriftlich getroffen hatte und es nur noch der förmlichen Zustellung an den Arbeitgeber bedurft hätte. Demgegenüber soll nach Darstellung der Beklagten das Integrationsamt eine bereits nur mündlich getroffene Entscheidung mündlich weitergegeben haben. In diesem Fall erweist sich die behauptete mündliche Zustimmung des Integrationsamtes, worauf das Arbeitsgericht zu Recht verwiesen hat, als nicht ausreichend im Sinne des § 85 SGB IX. Die vorherige mündliche Mitteilung einer zustimmenden Entscheidung des Integrationsamtes setzt nämlich mindestens voraus, dass das Integrationsamt eine förmliche, schriftliche Entscheidung getroffen hatte, die, um rechtswirksam zu werden, nur noch zugestellt werden musste. Demgegenüber verbietet sich eine Ausweitung der Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts auf die Fälle vorliegender Art, in denen es eine derartige förmliche Entscheidung bisher noch gar nicht gegeben hatte. Dies folgt aus einer umfassenden Auslegung der §§ 85, 88 und 91 SGB IX.

2.1 Bei der Auslegung von Gesetzen ist zunächst vom Wortlaut und dem durch ihn vermittelten Wortsinn auszugehen. Ist der Wortsinn unbestimmt, ist darüber hinaus der wirkliche Wille des Gesetzgebers und der von ihm beabsichtigte Zweck der Regelung zu berücksichtigen, sofern und soweit er im Gesetz seinen Niederschlag gefunden hat. Abzustellen ist ferner auf den Gesamtzusammenhang der Regelungen, weil diese Anhaltspunkte für den wirklichen Willen des Gesetzgebers liefern kann. Bleiben im Einzelfall gleichwohl noch Zweifel, so können die Gerichte ohne Bindung an eine bestimmte Reihenfolge auf weitere Kriterien zurückgreifen, wie etwa auf die Entstehungsgeschichte und die bisherige Anwendung der Regelung in der Praxis. Auch die Praktikabilität denkbarer Auslegungsergebnisse gilt es zu berücksichtigen; im Zweifel gebührt derjenigen Auslegung der Vorzug, die zu einer vernünftigen, sachgerechten, zweckorientierten und praktisch brauchbaren Regelung führt (BAG, Urteil vom 22.07.2003 - 1 AZR 496/02 - n. v.; BAG, Urteil vom 12.11.2002 - 1 AZR 632/01 - AP Nr. 155 zu § 112 BetrVG 1972).

2.2 Hiernach ist davon auszugehen, dass eine rechtswirksame Zustimmung des Integrationsamts erst dann erfolgen kann, wenn die Entscheidung in schriftlicher Form vorliegt.

2.2.1 Allerdings bleibt der Wortlaut der einschlägigen Bestimmungen des SGB IX insoweit unklar.

§ 85 SGB IX, der dem früheren § 15 SchwbG entspricht, spricht pauschal von der "vorherigen Zustimmung" des Integrationsamtes, ohne hierfür eine bestimmte Form vorzusehen. In § 91 Abs. 3 SGB IX, der das besondere Verfahren bei Ausspruch einer außerordentlichen Kündigung (auch mit sozialer Auslauffrist) regelt, wird ebenfalls nur von einer "Entscheidung" gesprochen, die getroffen werden soll. Beide Vorschriften lassen deshalb vom Wortlaut her keine gesicherten Erkenntnisse darüber zu, dass die zu treffende Entscheidung in schriftlicher Form zu ergehen hat.

2.2.2 Der Sachzusammenhang, in dem sich beide genannten Vorschriften befinden und die weiteren Regelungen über das Zustimmungsverfahren belegen indessen eindeutig, dass der Gesetzgeber eine schriftliche Zustimmungsentscheidung voraussetzt.

Nach § 88 Abs. 1 SGB IX hat das Integrationsamt eine Entscheidung zu treffen, die nach § 88 Abs. 2 dem Arbeitgeber und dem schwerbehinderten Menschen zuzustellen ist. Des Weiteren soll der Agentur für Arbeit eine Abschrift der Entscheidung übersandt werden. Diese Regelungen machen nur dann Sinn, wenn die Zustimmungsentscheidung in schriftlicher Form zu ergehen hat, weil nur dann eine "förmliche" Zustellung und das Übersenden einer Abschrift möglich sein kann.

Darüber hinaus verweist § 91 Abs. 1 SGB IX für den Fall der außerordentlichen Kündigung ausdrücklich auf die Regelungen in § 88 SGB IX, so dass auch die zustimmende Entscheidung zu einer außerordentlichen Kündigung schriftlich zu ergehen hat. Aus dem Normzusammenhang wird darüber hinaus auch deutlich, dass nicht nur die Begründung der Entscheidung schriftlich erfolgen soll, wie es offensichtlich das Integrationsamt in seiner begründenden Darstellung vom 16.06.2003 meint; nach dem dargestellten Regelungswerk gilt das Schriftformerfordernis auch für die Entscheidung selbst.

2.2.3 Das Erfordernis des Vorliegens einer schriftlichen Entscheidung ist schließlich auch deshalb dringend geboten, um Rechtsunsicherheit und Rechtsunklarheit zu vermeiden. Dies wird vor allen Dingen deutlich, wenn man sich die Vorgänge im Rahmen der Verhandlung vor dem Integrationsamt am 14.04.2003 vor Augen führt. Nach Darstellung der zuständigen Sachbearbeiterin C., die im Termin zur letzten mündlichen Verhandlung vom 29.01.2004 als Vertreterin der Beklagten vor Gericht aufgetreten ist, war im Verlaufe der Verhandlungen der Antrag zunächst einvernehmlich geändert und auf eine außerordentliche Kündigung mit sozialer Auslauffrist gerichtet worden. Bei der Änderung dieses Antrags hatten sich, was ungewöhnlich erscheint, die meisten der Sitzungsteilnehmer bereits aus dem Sitzungszimmer entfernt. Danach hätte dann die Vertreterin des Integrationsamtes, Frau X., "ihr sinngemäß erklärt, sie erteile ihre Zustimmung". Wenn die Vertreterin der Beklagten diese Aussage auch dahingehend gewertet haben mag, dass damit die Zustimmung zur Kündigung erteilt war, so zeigt doch das Gesamtgeschehen, dass allein mündliche Erklärungen nicht ausreichend sein können. Ohne dass dies für die vorliegende Fallkonstellation angenommen werden muss, sind derartige mündliche Zusagen immer mit dem Risiko belastet, zu Missverständnissen oder Auslegungsproblemen zu führen. Sie sind hinsichtlich ihres Zustandekommens, ihres Umfangs oder der zeitlichen Komponente oft schwierig zu beweisen, sollen aber gleichzeitig erhebliche rechtliche Auswirkungen nach sich ziehen können. Dann aber verlangt das Gebot der Rechtssicherheit umso mehr, zunächst eine schriftliche Entscheidung zu formulieren, die dann vor der förmlichen Zustellung dem Arbeitgeber mündlich übermittelt werden kann.

2.2.4 Durch die hier vertretene Rechtsauffassung wird der zur Kündigung bereite Arbeitgeber auch nicht in unzulässiger Weise benachteiligt. Soweit eine schriftliche Entscheidung aus besonderen Gründen innerhalb von zwei Wochen nicht ergeht oder nicht ergehen kann, sieht § 91 Abs. 3 Satz 2 SGB IX ausdrücklich eine Zustimmungsfiktion vor, die es dem Arbeitgeber erlaubt, die Kündigung jedenfalls nach Ablauf von zwei Wochen auszusprechen.

Insgesamt muss deshalb davon ausgegangen werden, dass die nur mündliche Mitteilung einer bis dahin nur mündlich getroffenen Entscheidung keine formell wirksame Zustimmung im Sinne der § 85, 91 SGB IX darstellt. Die streitbefangene Kündigung ist demgemäß rechtsunwirksam, § 85 SGB IX.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 97 Abs. 1 ZPO.

Das Gericht hat eine grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache bejaht und die Revision für die Beklagte zugelassen.



Ende der Entscheidung

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